Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.08.2001.

TAZ, 24.08.2001

Im Interview wettert die afro-amerikanische "Spoken-Word-Poetin" Ursula Rucker gegen den falschen Glamour des Gangsta-Rap. Dieser Mainstream-HipHop sei mit Schuld an der Misere der schwarzen Communities in den USA. Rucker fordert ein neues "Black Arts Movement": "Dabei geht es noch nicht einmal nur um die Message. Ich brauche nicht immer eine Message, auch auf meinem Album nicht. Was ist mit einem schönen Lovesong? Einer, der nicht nur vom Ärscheversohlen handelt oder davon, wie gut eine x-beliebige Frau blasen kann. Ich will es einfach nicht mehr hören. Ich meine, lieben Schwarze sich nicht? Haben sie keine normalen Beziehungen, die etwas bedeuten? Können wir der Welt nicht zeigen, dass auch wir Liebende sind und nicht den ganzen Tag herumrennen und uns gegenseitig das Hirn rausficken? Entschuldige bitte, aber so werden wir porträtiert - so porträtieren wir uns selbst."

Weitere Artikel: David Lauer berichtet über einen Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Elaine Scarry in Berlin zur Frage, wann Demokratien Gewalt einsetzen dürfen. Die Vortragsreihe über Begriff und Zukunft des Nationalstaats wird von der Sommeruniversität des European College of Liberal Arts veranstaltet.

Besprochen werden Viscontis "Der Fall der Götter" bei den Salzburger Festspielen, CDs von Spain ("She haunts my dreams") und Michael J. Sheehy (" Ill Gotten Gains") und Christian Züberts Film "Lammbock".

Schließlich Tom.

FAZ, 24.08.2001

Paul Ingendaay schildert Wechselfälle um das Museum im Prado, das auf seinem Weg in die Modernisierung nicht vorankommt. Unter anderem geht es um einen geplanten Erweiterungsbau des berühmten Architekten Rafael Moneo, an dem seit Jahren herumgemäkelt wird. "Inzwischen muss man den bedenkenlosen Umgang mit dem Renommee des Architekten als schieren Provinzialismus deuten. Vielen Spaniern fehlt offenbar die Phantasie, sich mit Hilfe eines architektonischen Modells vorzustellen, wie ein Gebäude sich in seine Umgebung einfügen wird."

Niklas Maak meldet die Rückkehr des Swimmingpools in die Architektur. Am liebsten werde er aufs Dach gesetzt: "In Berlin-Mitte soll, in der Torstraße 140, Anfang September 'das spektakulärste Apartmenthaus der Stadt' vorgestellt werden - mit einem roof-pool, wie man ihn zumal in dieser Gegend der Stadt noch nicht gesehen hat. Auf dem Obergeschoss des 1904 errichteten ehemaligen Verwaltungsgebäudes hat die Bauherrin Corinna Hoffmann einen achtzehn Meter langen Pool installieren lassen. Manchmal tauchen auf den Dächern der unsanierten Plattenbauten gegenüber ein paar schwitzende Leute auf. 'Wir wollen auch da baden', ruft einer. 'Ist heute gerade schlecht', schreit Frau Hoffmann dann zurück." Na, das muss ja Spaß machen.

Viel Ärger macht der neue Roman von Michel Houellebecq mit dem Titel "Plateforme" (hier ein langer Auszug). Es geht um Sextourismus, und Houellebecq legt sich mit dem Reiseführer "Guide du Routard" an, meldet Jürg Altwegg. Der Gründer des Routards protestierte jetzt. Und außerdem: "Houellebecq wird wieder einmal beschuldigt, 'Schweinereien gegen die Würde der Frauen' zu schreiben."

Günter Grass hat der indischen Zeitschrift Outlook ein Interview gegeben, berichtet Martin Kämpchen. Grass schimpft mal wieder auf die Globalisierung und "spricht sich sodann gegen das indische Nuklearpotential aus, das ihm absurd erscheint angesichts der vielen ungelösten existentiellen Probleme des Landes. Doch gibt er dem Westen die Schuld, der 'dieses gefährliche Spiel' begonnen habe." Klar, ein so armes Land wie Indien kann es sich nicht leisten, an irgendetwas selber schuld zu sein.

Weitere Artikel: Alistair MacLeod legt eine Kurzgeschichte vor: "Vögel bringen die Sonne hervor." Heinz Berggruen, der Kunstsammler, bekennt in einer Glosse, dass er Heines "Denk ich an Deutschland..." nicht verdrängen kann: "Ich wünschte, voller Freude in diesem Land leben zu können, das Heinrich Heine einst um den Schlaf gebracht hat." Sandra Kegel hat die Telemesse in Düsseldorf besucht, bei der sich die Fernsehsender den Werbetreibenden anbiedern (wir erfahren, dass der neue Slogan von Sat 1 lautet: "Powered by Emotion"). Frank Pergande erzählt einen "Medienkrimi" aus Brandenburg, in dem eine investigative Journalistin und der Holtzbrinck-Verlag eine unklare Rolle spielen.

Ferner erfahren wir von Andreas Obst, dass sich der Cellist Yo-Yo Ma der Musik der Seidenstraße zugewandt hat. Joseph Croitouru hat israelische und palästinensische Zeitschriften gelesen, in denen es um eine Trennung von Israelis und Palästinensern geht. Manfred Lindinger schreibt zum Tod des Astrophysikers Fred Hoyle und Michael Jeismann zum Tod des Historikers Otto Borst.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Fotografien von Ansel Adams in New York, eine Retrospektive des Karikaturisten James Gillray in der Tate Britain, eine Alexandra-Exter-Ausstellung im Wuppertaler Van-der-Heydt-Museum und der Dokumentarfilm "Was geht" über Die Fantastischen Vier.

Auf der Schallplatten-und-Phono-Seite geht es um neue CDs der Band Catatonia und mit Werken von Erwin Schulhoff.

FR, 24.08.2001

Thomas Hürlimann antwortet in einem kurzen Interview auf die Vorwürfe, er verquicke in seiner Novelle "Fräulein Stark" das Jüdische und das Sinnliche auf "unappetitliche" (Iris Radisch) Weise. Auf die Frage, wie diese beiden Motive in seinem Text angelegt sind, antwortet Hürlimann: "Im Ich-Erzähler erwacht die Sexualität. Das verstört ihn, zumal er hören muss, er sei ein 'kleiner Katz, da müsse man besonders aufpassen'. Also beginnt er nachzuforschen und merkt bald, dass dieser Geschlechtsname, Katz, genau so versteckt und beschwiegen wird wie das Geschlechtliche, das ihn umtreibt. Das Wort Geschlecht hat somit eine doppelte Bedeutung. Darin sind die beiden Motive zusammengeführt."

Klaus Bachmann erklärt, dass sich die Befürchtungen des Westens, auch die Ukraine könnte nach dem Zerfall der Sowjetunion einem blutigen Nationalismus anheimfallen, nicht bestätigt haben: "Die Hauptfurcht des Westens ist heute widerlegt: Die Ukraine ist stabil. 'Leider', sagen immer häufiger Kiewer Intellektuelle. Die nationale Bewegung in Lemberg war stark genug, die Unabhängigkeit durchzusetzen und der Gesellschaft Ideologie und Tradition mitzuliefern, aber sie war zu schwach, dem postsowjetischen Establishment zu widerstehen."

Martina Meister berichtet über die Präsentation von Hellmuth Karaseks neuem erotischen Roman in der Paris Bar. Das Buch trägt den Titel "Betrug", was zum Abend passte. Denn das Ereignis fand gar nicht in der Paris Bar statt, "es war nur 'Le Bar du Paris Bar', ein Nachbau des legendären Restaurants im Nebenhaus, wo in Zukunft auch die einen Platz bekommen, die nebenan keinen kriegen, obwohl sie kamen, um Karasek oder den Coiffeur Udo Walz zu sehen, in dessen Opus Waschen, Schneiden, Leben vermutlich ebenfalls auf nicht näher zu bestimmende Weise der 'genius loci' eingeflossen ist wie in die Herren der Wein."

Weitere Artikel: Hans Wolfgang Hoffmann schreibt in der Reihe "Neotraditionalismus in der Architektur" über die Usbekische Botschaft, die "als einzige Hauptstadtrepräsentanz das Zeug (habe), zum Stammhaus der konservativen Internationale aufzusteigen". Und Marius Meller fragt, was macht eigentlich der Bildungsroman?

Besprochen werden die Filme "Final Fantasy" und Christian Züberts Debüt "Lammbock". und eine CD der Fischerspooner: "Number One".

NZZ, 24.08.2001

Naomi Bubis untersucht religiöse Motive im israelisch-palästinensischen Konflikt: "Die Orientierung an religiösen Mythen und biblischer Geschichtsschreibung wird spätestens dann zum Verhängnis, wenn sie den politischen Alltag einer ganzen Nation bestimmt. Rund 200.000 jüdische Siedler leben in den besetzten Gebieten, auf dem Territorium eines künftigen palästinensischen Staates. Sie lassen ihre Häuser und Strassen von israelischen Soldaten beschützen, die für diesen - oft wider das eigene Gewissen geleisteten - Dienst auch mit dem Leben bezahlen. Die Mehrheit der Israeli ist es leid, dass Soldaten eine Handvoll fanatischer Siedler in Hebron beschützen oder jüdische Kinder im Gazastreifen im gepanzerten Bus zur Schule eskortieren."

Weitere Artikel: Joachim Güntner fühlt sich durch die Ausführungen des Haffner-Sohns Oliver Pretzel über die Entstehung der "Geschichte eines Deutschen" in der Zeit in der Auffassung bestätigt, "dass es mit der Datierung von Haffners postumem Bestseller seine Richtigkeit hat". Hanno Helbling schreibt über römische Skulptur antiken Ursprungs, die in der Stadt unter dem Namen "Pasquino" populär ist und die vor 500 Jahren aufgefunden wurde. Besprochen werden die Ausstellung über Caravaggio und die Sammlung Giustiniani in Berlin und und ein neues Heft der Zeitschrift "Sprache im technischen Zeitalter".

SZ, 24.08.2001

Mit Roland Kochs Rezepten für die Sozialhilfe, die er aus Wisconsin mitbrachte, ist es nicht so weit her, meint Jakob Augstein. Sie sehen bekanntlich vor, dass die Sozialhilfeempfänger zur Arbeit angehalten werden. Augstein rechnet nach: Es gibt hierzulande "2,8 Millionen Empfänger von Sozialhilfe. Zwei Millionen unter ihnen können nicht arbeiten. Jugendliche, Alte, Mütter mit Kleinstkindern. Bleiben 800.000. Davon beschäftigen die Städte bereits die Hälfte. Bleiben 400.000... Rechtfertigt diese Zahl die bösartige Rhetorik, die sich jetzt über die Sozialhilfeempfänger ergießt?"

Und auch Andrian Kreye rechnet. Er hat das San Fernando Valley nördlich von Hollywood besucht, eine unauffällige mittelständische Vorstadt, die heute das Zentrum der amerikanischen Pornoindustrie bildet: "Zehn bis fünfzehn Milliarden Dollar geben die Amerikaner jedes Jahr für Pornografie aus. Mehr als für Kinokarten, Schallplatten oder Videospiele. Mehr als für die Nationalsportarten Football, Baseball und Basketball zusammen. Und bei durchschnittlichen Produktionskosten von 50.000 Dollar pro Film fallen Gewinnspannen an, für die man in Hollywood in die Chefetage befördert würde."

Die junge israelische Schriftstellerin Dorit Rabinyan schreibt in einem Brief an die Redaktion über ihre Generation: "Meine Generation befindet sich in einer Depression... Das kollektive israelische Bewusstsein ? das den Eckstein bei der Gründung des zionistischen Staates vor 53 Jahren darstellte, das Einwanderer aus aller Welt zu einem Volk zusammenfügte, zu einer Nation, zu einem einzigen pochenden Herzen ? es ist nicht mehr unser Bewusstsein."

Weitere Artikel: Uwe Mattheis erzählt, mit welchen Fragen die FPÖ Ausländer auf ihre Österreich-Tauglichkeit überprüfen will (zum Beispiel: "Nennen Sie fünf Zuflüsse der Donau von Süden!") Gregor Schöllgen, der als Historiker selbst daran beteiligt war, berichtet von der langen Entstehung des historischen Dokumentationszentrums im Reichsparteitagsgelände von Nürnberg. Besprochen werden Liederabende in Salzburg, Philipp Glass' Oper "Einstein on the Beach" in Berlin und Ulla Hahns Roman "Das verborgene Wort" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).