Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.11.2001. Die SZ bringt einen Zwischenruf aus Afghanistan von Hans-Christoph-Buch. Die FR wähnt sich in der Normalisierungsfalle. Die FAZ schildert, wie China über Bande spielt, um Taiwan zurückzubekommen, und in der NZZ nimmt Christoph Ransmayer Abschied vom Theater.

FAZ, 14.11.2001

Zhou Derong nennt einen der wahren Gründe, warum China der Welthandelsorganisation beitrat. Danach geht es vor allem darum, der Eingemeindung der Insel Taiwan näherzukommen: "Tatsächlich scheint die Rechnung der Kommunisten aufzugehen. Vor zwei Monaten mußte Taiwans Präsident Chen Shui-bian eine überparteiliche Konferenz zur Beratung der Wirtschaftsentwicklung (Economic Development Advisory Conference) einberufen, um anschließend in deren Namen zu erklären, die alte Lee-Teng-hui-Doktrin des 'Keine Hast, sei geduldig' sei nun durch 'aktive Öffnung und effektives Management' zu ersetzen. Auch werde die bisherige Investitionsbeschränkung aufgehoben. Künftig dürfe man auf dem Festland Investitionsvorhaben von mehr als fünfzig Millionen Dollar realisieren... Für die Kommunistische Partei ist all dies mehr als ein Etappensieg."

Weitere Artikel: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird bekanntlich von Bund und Ländern gemeinsam finanziert. Nun gibt es Diskussionen über die "Entflechtung" solcher Modelle, gegen die sich der Präsident der Stiftung, Klaus-Dieter Lehmann in einem ganzseitigen Essay wendet. Dirk Schümer betrachtet die deutsche Fußballnationalmannschaft vor dem heutigen Spiel gegen die Ukraine als Spiegel der deutschen Gesellschaft - Diagnose: "Totalarthrose". Joseph Hanimann war dabei, als Arundhati Roy in Paris den Preis der einst von Mitterrand geschaffenen und und sonst nicht weiter auffallenden Academie universelle des cultures erhielt. Christian Schwägerl klagt, dass der Kanzler trotz der von ihm geschaffenen Ethikkommission nun den Import israelischer Embryozellen zu befürworten scheint.

Ferner stellt Josef Oehrlein stellt das neue Museo de Arte Latino-Americano de Buenos Aires vor. Julia Schürmann resümiert eine Londoner Tagung, die sich die Frage stellte, ob die EU auch ein "ius commune" brauche". Auf der Medienseite erfahren wir, dass ein neues Video kursiert, in dem bin Laden offensichtlich den Anschlag auf das World Trade Center zugibt. Und Heike Hupertz erzählt, wie das amerikanische Fernsehen den Absturz des Airbus in New York aufnahm. Von Ilona Lehnart erfahren wir, dass die berühmte Nofretete-Büste nun im Pergamon-Museum untergebracht werden soll. Auf der letzten Seite stellt Anne Schneppen das japanische Otsuka-Museum vor, das Meisterwerke der abendländischen Kunst in Keramik-Kopien vorführt. Und Edo Reents porträtiert den ehemaligen Liedermacher Cat Stevens, der heute als Yusuf Islam (eine bescheidene Namensgebung!) firmiert.

Besprochen werden eine Ausstellung des Comiczeichners Ben Katchor in New York, Handkes "Cuisine" beim Pariser Herbstfestival, eine Frank-Auerbach-Ausstellung in der Londoner Royal Academy, Jochen Ulrichs Tanzstück "Casanova" am Tiroler Landestheater, eine Ausstellung über die Kelten und die Keltiberer im spanischen Avila, Joe Penhalls Stück "blau/orange" im Theater Essen, die Ausstellung "Das Fünfziger-Jahre-Gefühl" in München und neue Stücke des Londoner Choreographen Russell Maliphant beim Festival "Danceumbrella".

NZZ, 14.11.2001

Andrea Köhler zeichnet ein Stimmungsbild über New York am Tag des Airbus-Absturzes: "'Nicht schon wieder' ist der Satz, der, fast auf den Tag genau zwei Monate nach den Anschlägen auf das World Trade Center, wohl den meisten New Yorkern zuerst in den Sinn kam. Nicht schon wieder die Bilder von Flammen und Trümmern, von verzweifelten Menschen und von erschöpften Rettungsarbeitern, nicht schon wieder Sirenengeheul, Alarmstufe eins, Evakuierungen und geschlossene Tunnel und Brücken, nicht schon wieder die vielen Toten."

Weiteres: Dokuemtiert wird Christoph Ransmayrs Rede zum Erhalt des Nestroy-Preises, der er nach seinem einzigen Stück "Die Unsichtbare" Abschied vom Theater nimmt. Georg Friedrich Kühn berichtet über die juristischen Auseiandersetzungen zwischen Claudio Abbado und dem Autor einer nicht autorisierten Biografie des Maestros. Klaus Englert stellt das von Juan Navarro Baldeweg erbaute Altamira-Museum im kantabrischen Santillana del Mar vor, in dem die Höhlenzeichnungen der Altamira-Höhle nachgebildet sind. Besprechungen widmen sich den elften Rätoromanischen Literaturtagen und einigen Büchern, darunter Martin Mosebachs Roman "Der Nebelfürst", und das Buch "Florenz 1900" von Bernd Roeck (siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 14.11.2001

Der Schriftsteller Hans Christoph Buch liefert einen Zwischenruf aus Afghanistan, "wo die in Deutschland tobende Meinungsschlacht plötzlich anachronistisch und obsolet erscheint." Vor Ort, so Buch, hege niemand die Illusion, "dass eine so oder anders geartete Abstimmung der Grünenfraktion den Weltlauf beeinflussen könnte, im Gegenteil: Aus der Distanz wird klar, dass ihr Friedenskampf vor allem der Zurschaustellung des eigenen guten Gewissens dient und mehr mit innerparteilicher Profilierung und Positionierung zu tun hat als mit Außenpolitik ? der Ausgang des Krieges in Afghanistan ist ungewiss, aber die nächste Landtagswahl kommt bestimmt."

Auch Burkhard Müller meint, dass die Grünen in der Öffentlichkeit ein tägliches "Passionsspiel des Gewissens" geben. "In gut sichtbarer Stellvertretung dürfen sie vorführen, wie wir alle uns damit quälen, einen Krieg führen zu müssen ... und der Grad ihrer Qual bestimmt, in welchem Maß von uns das, was zu tun ist, mit gutem Gewissen getan wird. Krieg ist Krieg, da beißt die Maus keinen Faden ab. Moralisch entscheidend ist nicht, dass man ihn führt, sondern wie ernst man die Entscheidung genommen hat."

Weitere Artikel: Martin Mosebach steuert einen Nachruf auf die F.A.Z-Wochenendbeilage "Bilder und Zeiten" bei (sie soll Ende des Jahres eingestellt werden), Werner Burkhardt sieht dem Hamburger Privattheater beim Balanceakt zwischen Kunst und Kommerz zu, Oliver Fuchs schreibt über die Adoleszenz der Boyband "Echt", Stefan Koldehoff liefert Eindrücke vom Prozess Christie's gegen Sotheby's, Rudolph Chimelli berichtet von der Verleihung des Aga-Khan-Preises für Architektur, der zum achten Mal an muslimische Organisationen ging.

Vorgestellt werden: neue japanische Computerspiele (Pokemon, Dragon Quest von Toriyama Akira - mehr hier und hier und Final Fantasy von Hironobu Sakaguchi - mehr hier und hier), Benjamin Quabecks Tagträumer-Debütfilm "Nichts bereuen", Frank Schulz' Roman "Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien" (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr) sowie ein Buch mit dem wundervollen Titel "The Algorithmic Beauty of Seaweeds, Sponges and Corals".

Und angesichts des Sterbens der großen Silbervögel versucht sich Alex Rühle schon jetzt als Visionär einer earth-bound society: "Das dezentrale Wuchern krakenhafter Suburbsiedlungen dürfte zunehmen. An deren fernem Horizont wird dann auch die verarmte Kaste all der ehemaligen Airline-Mitarbeiter hausen: Der Pilot und die Stewardess, ehedem Sexsymbole, markige Helden, freie Männer, teilen sich dann von ihrer Arbeitslosenhilfe ein Apartment in der Setzkastenarchitektur der globalen Vorstadt, die, tief im Gedächtnis ihrer Steine, noch die Erinnerung an einstürzende Hochbauten trägt."

FR, 14.11.2001

Christian Thomas hat für uns den Ursprungsmythos der Berliner Republik ausgegraben: Es ist die von Thomas als "Wiedergänger des Dogmatismus" entlarvte "Rede von der Normalisierung", die, stillschweigend ausgeweitet auf die Notwendigkeit eines Kriegseinsatzes deutscher Soldaten, die Regierung in eine Koalitionskrise gestürzt habe. "Es spricht einiges dafür, dass die Regierung in einer Normalitätsfalle sitzt, aus der sie nur herausfindet, wenn sie die Beteiligung deutscher Soldaten im Afghanistan-Krieg, auch diesen Weitwegkrieg, nicht zu einem weiteren Beitrag im Rahmen flächendeckender Normalisierung der Republik erklärt."

Ist es vielleicht normal, wenn Michael Mayer vorsorglich einen Nachruf auf die Grünen verfasst? Zumindest vermittelt Mayer den Eindruck, das jetzige Desaster der Partei sei abzusehen gewesen: "Rückblickend war es vielleicht ein entscheidender Fehler, den Zwist zwischen Realpolitikern und Fundamentalisten nicht durch Zuspitzung geklärt, sondern um des innerparteilichen Friedens willen jahrelang kaschiert zu haben. Doch der Kompromiss zwischen den Flügeln war von Anfang an ein fauler. Er verdeckte, dass unter dem Dach einer Partei zwei völlig inkompatible politische Kulturen hausten. Sein Resultat ist die strukturell nur bedingte Regierungstauglichkeit der Grünen."

Außerdem: Den Rechtswissenschaftler Erhard Denninger stimmt der Otto-Katalog traurig, weil er den wechselbezüglichen Zusammenhang von Freiheit und Sicherheit verkennt. Beim Berliner "Open Mike" hat Jörn Ahrens "rural-exotischen Literaturnachwuchs" in freier Wildbahn beobachtet. Arnulf Herbst stimmt nicht gerade froh mit seinem Bericht über Markt und Marketing in italienischen Museen. Während Sylvia Staude sich beglückt zeigt von einer Gala des Stuttgarter Balletts, das heuer seinen vierzigsten Geburtstag feiert.

Besprochen schließlich werden Maria Speths Debütfilm "In den Tag hinein", Monteverdis "L'Orfeo" an der Rheinoper Düsseldorf und eine boulevardeske "Möwe" am Straßburger Nationaltheater.

TAZ, 14.11.2001

In der taz berichtet Anne Huffschmid über Kulturkämpfe im neuen Mexiko, wo der kulturelle Modernisierungsbegriff "ciudadanizacion" der Regierung Fox für Verwirrung sorgt (bedeutet er nun Bürgerbeteiligung und Dezentralisierung oder vielmehr die Etablierung einer "Gefälligkeitskultur"?) und ein frömmelnder Arbeitsminister Carlos Fuentes' angeblich anstößige Novelle "Aura" verbieten wollte, damit aber das genaue Gegenteil erreichte: "Die Restbestände der vor 40 Jahren erschienen Novelle waren schnell verkauft, eine Neuauflage ist avisiert. So ließ Carlos Fuentes gut gelaunt verlauten, er erwäge, dem Arbeitsminister eine zehnprozentige Beteiligung an den Tantiemen zukommen zu lassen ? 'er ist schließlich mein bester Werbemann.'"

Weitere Artikel: Die Serie "Aufzeichnungen aus Pflegehäusern" widmet sich dem Thema Scham, Thomas Girst war auf einem Dinner in Brooklyn, bei dem die Pasta den Terror besiegte, Martin Weber porträtiert die walisische Popband "Super Furry Animals". Und in den Themen des Tages hofft der Politikwissenschaftler Claus Leggewie auf die Grünen als Würde des Parlaments, wenn der Kanzler die Vertrauensfrage stellt.

Besprochen werden Roland Schimmelpfennigs "Push up 1-3" an der Berliner Schaubühne sowie das Rennfahrerleinwanddrama "Driven".

Schließlich Tom.