Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.04.2002. Die FAZ malt sich schon mal aus, wie Berlusconi als Besitzer des Kirch-Imperiums die deutsche Politik beeinflussen könnte. Die SZ publiziert ein Manifest linker amerikanischer Intellektueller. In der taz verreißt Klaus Siblewski Heinz Schlaffers "Kurze Geschichte der deutschen Literatur". In der FR spricht Isabella Rossellini übers Älterwerden. Die NZZ sieht die polnischen Protestanten im Aufwind.

SZ, 10.04.2002

"An unsere Freunde in Europa". So lautet die Adresse eines von der SZ leicht gekürzt wiedergegeben Gegenbriefes zum Aufruf zur Unterstützung des "gerechten Krieges" Amerikas gegen den Terrorismus, den US-Intellektuelle Mitte März lancierten. Unterzeichner hat der Gegenbrief mehr als doppelt so viele wie der erste, darunter Gore Vidal, Howard Zinn und Alan Sokal. Und das obgleich der Text mit dem Antiterrorkampf der amerikanischen Regierung hart ins Gericht geht: "Das Missverhältnis zwischen der materiellen Zerstörungskraft und der konstruktiven Kraft menschlicher Weisheit war noch nie so groß und gefährlich. Die Intellektuellen können wählen, ob sie sich dem Chor jener anschließen möchten, die die brutale Anwendung von Macht verherrlichen, indem sie ihr "geistige Werte" bescheinigen, oder ob sie die schwierige und wichtigere Aufgabe übernommen wollen, die arrogante Torheit der Mächtigen zu entlarven und mit der gesamten Menschheit zusammenzuwirken, um Wege zu einem vernünftigen Dialog, fairen wirtschaftlichen Beziehungen und Gerechtigkeit für alle zu finden."

Tobias Kniebe bricht eine Lanze für Leo Kirch, deren Sinn für Inhalte er schon jetzt vermisst. "Wenn Kirchs künstlich subventionierte Sender verschwinden, wenn nur noch das gemacht wird, was sicher und schnell refinanzierbar scheint, dann ist eine Verarmung des Free-TV-Programms unausweichlich - und das könnte die finale Ironie an Kirchs Untergang werden: Das Fernsehen nach ihm wird schon bald ein kargeres Fernsehen sein, das zum ersten Mal wirklich den Wunsch des Publikums nach Pay-TV wecken könnte." Nach all der Schelte, die der Mann einstecken musste, wird das ja wie Engelsflöten für ihn klingen.

Weitere Artikel: Volker Berghahn erklärt das relative Desinteresse der USA an der bei uns geführten Wehrpflicht-Debatte, Franziska Augstein kommentiert einen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts, der es ermöglicht, künftig alle Partei-Interessen in Untersuchungsausschüssen zum Zuge kommen zu lassen, Andrian Kreye war auf einer emotionsgeladenen Konferenz über die Zukunft der deutschen Sprache in New York, Alexander Kissler war auf einer Elmauer Tagung zum protestantischen Nationalismus, "zig" annonciert die Einweihung des "Hauses der Architektur" in München, Willi Winkler verfasst einen Nachruf auf Yvonne Cloetta, die Geliebte Graham Greenes, "sus" schließlich schreibt zum siebzigsten Geburtstag des Schauspielers Omar Sharif.

Besprochen werden Martin Crimps "Auf dem Land" am Wiener Akademietheater, das neue Album von Pat Metheny und Lektüre: Wortsalatprosa des Philosophen Christian Uetz (hier), eine Biografie über Yehudi Menuhin und der jetzt auf Deutsch erschienene Debütroman von Andreï Makine (auch in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

TAZ, 10.04.2002

Nachdem die ersten Lobeshymnen und Empörungsrufe abgeklungen sind, liefert nun Klaus Siblewski, Lektor im Luchterhand Verlag, seinen Lektüreeindruck zu Hans Schlaffers "Kurzen Geschichte der deutschen Literatur". Gefallen hat sie ihm nicht. Aus einem einleuchtenden Grund, muss man sagen: Von Literatur, meint Siblewski, sei nämlich nur sehr zurückhaltend die Rede. "Am liebsten aber würde Schlaffer nur über zwei Autoren schreiben, über Georg Büchner und über Karl Marx. Aber da das nicht einmal eine sehr kurze Literaturgeschichte ergäbe, baut er um diese beiden Schriftsteller zwei Höhepunkte deutscher Literatur herum: die Zeit zwischen 1750 und 1830 und die zwischen 1900 und 1950." Ansonsten sei vornehmlich von den religiösen, philosophischen und sozialen Voraussetzungen der Texte die Rede, während der Autor für Schlaffer kaum mehr als "ein Anhängsel meist widriger Umstände" ohne geistige Unabhängigkeit zu sein scheine.

Außerdem liefert Hajo Schiff erste Eindrücke von der 25. Bienal de São Paulo, auf der die "Ikonografien der Metropolen" erschlossen werden sollen, Helmut Höge kommentiert die Aprilnummer des "Merkur", die den Hass des Orients auf den Okzident analysiert, Heike Endter besieht sich Zeichnungen von Tracey Emin innerhalb Ausstellung "Prüderie und Leidenschaft, der Akt in viktorianischer Zeit" im Münchner Haus der Kunst, und Fritz von Klinggräf kam in den Genuss einer "charmanten" Fassung von Schillers Lustspiel "Parasiten" am Deutschen Nationaltheater Weimar.

Schließlich Tom.

NZZ, 10.04.2002

Ueli Schwendemann berichtet in einem "Schauplatz Polen", dass die Protestanten des Landes "erfolgreich um Anerkennung ringen". Zwar sind sie nur 80.000, aber dass der Skispringer Adam Malysz dazugehört, hat geholfen. Leicht haben es die Protestanten allerdings nach wie vor nicht, denn bekanntlich entwickelte sich "das polnische Nationalbewusstsein unter starkem Einfluss der katholischen Kirche. Diese wurde nach den Teilungen des Landes im 18. Jahrhundert, als Polen von der Landkarte Europas verschwand, zur Hüterin der nationalen Identität, die sich gegen die Assimilierungsbemühungen der orthodoxen Russen und protestantischen Preussen behaupten musste."


Weiteres: Derek Weber meldet, dass Dominique Menthas Vertrag an der Wiener Volksoper nicht über 2005 hinaus verlängert wird. Besprochen werden die Ausstellung "Malerei und Skulptur im Wettstreit" in München, das Stück "April Me" der Compagnie Rosas in Brüssel und einige Bücher, darunter Michel Houellebecqs Roman "Plattform", ein Buch über " Konrad Lorenz und den Nationalsozialismus" und Prosa und Verse von Franz Weinzettl (siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 10.04.2002

Dirk Schümer malt schon mal aus, welche Konsequenzen ein Silvio Berlusconi an der Spitze des Kirch-Imperiums haben könnte: "Durch medialen Einfluss auf die deutsche Politik könnte Berlusconi etwa die Subventionsverteilung in der Europäischen Union zugunsten Italiens beeinflussen - je nachdem, welchen Kanzlerkandidaten er in seinen deutschen Sendern zu unterstützen gedenkt und wie sich dieser im Europäischen Rat dann revanchiert." Schümer plädiert dafür, das Prinzip der Gewaltenteilung auch auf die vierte Gewalt auszudehnen.

Dietmar Dath feiert das kürzlich erschienene Hauptwerk des Wissenschaftshistoriker Stephen Jay Gould, "The Structure of Evolutionary Theory", eine Auseinandersetzung mit Darwin: "Goulds akribische Lektüre von Darwins 'Entstehung der Arten', die das Herzstück seines Hauptwerks bildet, dass man sich nach der Durchsetzung einer starken Theorie mit ausgeformter logischer Geographie fast keine sinnvollen, begreifbaren Alternativlandschaften mehr vorstellen kann, die von anderem Licht erleuchtet würden als dem einmal gefundenen." Dath ist zwar nicht an allen Stellen einverstanden, aber "alternde Wissenschaft wird zu Kunst nicht kraft ihrer Erkenntnisse, sondern da, wo sie kurz vor Torschluss ästhetisches Glück spendet und jemand bereitsteht, davon zu berichten." Wie zum Beispiel Dietmar Dath. (Wer sich für das Thema interessiert: hier ein Essay von Gould über "Darwinian Fundamentalism aus der NY Review.)

Der auf Staatsbesuch weilende Jiang Zemin betätigt sich wie so mancher Diktator vor ihm als Dichter. Mark Siemons zitiert seine "Beiläufigen Gedanken beim Besteigen des Huangshan", einen Vierzeiler in klassischem Chinesisch: "Gerade griff ich zu meiner Traum-Feder / Um die großartige Aussicht zu beschreiben / Da brach die Sonne durch das Wolkenmeer / Und machte es rot, zehntausend Meilen weit."

Weiteres: Michael Hanfeld bespricht Thomas Schadts Film "Berlin, Sinfonie einer Großstadt", der heute in der Berliner Staatsoper seine Premiere hat ("Es ist dies nicht die Wiederaufnahme, sondern die Widerspiegelung des berühmten Films von Walther Ruttmann aus dem Jahr 1927"). Leo Wieland erzählt von der Wiederentdeckung und Wasingtoner Aufführung des Dramas "Polk County" von der Autorin Zora Neale Hurston. Christian Geyer resümiert eine Tagung über die kulturgeschichtlichen Folgen des Protestantismus auf Schloss Elmau. Von Andreas Rossmann erfahren wir, dass das Bonner Goethe-Institut geschlossen wird. Jordan Mejias hat sich in New York eine auf englisch abgehaltene Tagung über die "Zukunft des Deutschen" angehört. Walter Haubrich schreibt zum Tod der Schauspielerin Maria Felix ("Sie ist so schön, dass es schmerzt", hatte Jean Cocteau über sie gesagt). Heinrich Wefing meldet, dass die meisten Pulitzer-Preise in diesem Jahr an die New York Times gingen. Und Henning Ritter stellt in diesem Zusammenhang den Autor Louis Menand vor, dessen Buch "The Metaphysical Club" über den Beginn der pragmantischen Philosphie in den USA mit dem Pulitzer-Preis für das beste Sachbuch geehrt wurde.

Auf der Medienseite hält Dietmar Dath ein Plädoyer für die Serie "Buffy - im Bann der Dämonen" Auf der Stilseite singt Alexander Bartl ein Loblied auf den Probenpianisten als dem "wahren Helden der Ballettkunst". Auf der letzten Seite erinnert uns Dieter Bartetzko daran, dass Queen Mother einst Walt Disney als Vorbild für Schneewittchen diente. Und Frank Pergande erzählt, dass man sich in Neuruppin und Rheinsberg nun auch an Heinrich, den Bruder Friedrichs II. erinnern will.

Besprochen werden eine "exzellente, kleine Ausstellung" über den Maler Cosme Tura, den "Wildling aus Ferrara" (Bild) in Boston und Hans Spoerlis neue Choreografie "Der Sonne Leuchten ist ihr Kleid" in Zürich.

Schließlich teilt die FAZ mit, dass die aus früheren Jahren vertrauten Auswahlen aus den Frühjahrs- beziehungsweise Herbstprogrammen der Verlage "angesichts der Sparmaßnahmen, die auch eine Minderung des Seitenumfangs der Zeitung nötig machen" künftig nur noch im Internet erscheinen.

FR, 10.04.2002

Rüdiger Suchsland unterhält sich mit Isabella Rossellini. Sie spricht auch übers Älterwerden: "Es ist lustig: Manchmal sehe ich auf ein Foto von mir und ertappe mich selbst dabei zu sagen: 'Sie sieht so und so aus.' Nicht 'Ich'. Man wird sich also fremd, eine sonderbare Verdoppelung. Aber was ich im Spiegel sehe, bin dann schon auch ich."

Angesichts der großen Kirch- und der kleinen Pleite von Arnos Lampenladen am Berliner Savignyplatz macht Harry Nutt sich Gedanken zur Konjunktur des Niedergangs und entdeckt uns die Pleite als Chance. "Die New Economy ist nicht einfach mit ihrem Versagen verschwunden, sondern hat neue Akteursvarianten entworfen. Um seiner Angst vor Abstieg Herr zu werden, hat der Bundesbürger in den letzten Jahren damit begonnen, mittels Selbstmanagement der Angst vor Abstieg zu begegnen. Noch erscheint die Zeit der Pleiten als eine bloße Lethargie. Auf der Hinterbühne aber kann man die Krise mit ihrer beträchtlichen Zahl von Pleiten schon als neues Stück Wirtschaftskultur erkennen. Der Untergang eines Unternehmens bedeutet nicht zwangsläufig das Aus, sondern setzt Verfahren unter veränderten Bedingungen in Gang. Das könnte die gute Nachricht sein."

Ferner teilt uns Helmut Höge seine Erfahrungen mit dem Berliner Nachtleben mit und findet, die Transvestiten der Hauptstadt seien die wahren Global Player, Ulrich Ammon war (wie Andrian Kreye für die SZ) auf der vom Deutschen Haus in New York und der New York University veranstalteten Konferenz "Das Schicksal europäischer Sprache im Zeitalter der Globalisierung", Silke Hohmann begutachtet Frankfurts im Verhältnis zur Berliner Schwester eher lütte Infobox im Westhafen, wo die Baustelle zum Ereignis wird, Daniel Kothenschulte berichtet vom elften Trickfilmfestival in Stuttgart, Käthe Trettin lauschte Antonio Lobo Antunes im Frankfurter Literaturhaus, Christoph Schröder war auf einer Lesung mit Andreas Maier ("Wäldchestag") in Friedberg, die "Times mager"-Kolumne konstatiert magere Zeiten in Sachen Geschichtsdarstellung.

Und Besprechungen widmen sich einer Schau der Londoner Videokünstlerin Maria Marshall in der Kunsthalle Göteborg sowie Botho Strauß' "Pancomedia" in Wien.