Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.07.2002. In der Zeit meditiert Salomon Korn über das "Unbehagen am Unbehagen" zwischen Deutschen und Juden. In der FAZ gibt Jan Philipp Reemtsma zu, dass er sich an der falschen Nase kratzte. In der SZ veröffentlicht Julian Nida-Rümelin seine Gedanken zur Filmförderung. In der FR erklärt Herfried Münkler, wie der Krieg zum Geschäft wurde. Die taz spricht mit dem südkoreanischen Regisseur Park Chan-Wook, dessen Film "Joint Security Area" heute anläuft.

Zeit, 04.07.2002

Salomon Korn, Präsidiumsmitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, findet das Wort Antisemitismus künstlich und missverständlich und sieht hinter dem falschen Gegensatz zwischen "latentem" und "manifestem" Antisemitismus ein anderes Phänomen: das "deutsche Schweigen": Nach dem Krieg "hat sich die Latenzzeit des Schweigens häufig zu dauerhaftem Schweigen verfestigt. (?) So entstand aus dem Fortdauern eines lange nicht verbalisierten Unbehagens ein sekundäres Unbehagen: ein Unbehagen am Unbehagen."

Thomas E. Schmidt wundert sich, dass der Managerbetrug in Amerika zwar die Börse erschüttert hat, aber nicht den Glauben an den Kapitalismus. "Solange die Menschen nachweisen, warum der Kapitalismus zusammenbrechen müsste, wird er leben. Solange das Wirtschaften auf freien Märkten nicht nur Angst und Empörung auslöst, sondern auch Hoffnungen weckt, sind die Kräfte seiner Erhaltung verlässlich." Er ist umso unbeherrschbarer, als sein Wesen seltsam undefinierbar scheint: "Der Kapitalismus ist nicht bloße Natur, scheint aber auch nichts Zivilisiertes zu sein, er wird von Interessen getrieben und bleibt doch ein Geschehen, er ist Quelle des Elends und des allgemeinen Wohlstands, kurz: eine höchst vieldeutige Tatsache in der Zeit - und deswegen auch Fläche für wechselnde kulturelle Projektionen."

Weitere Artikel: Bildungsmisere, mag sein, aber bei der älteren Generation steht der Pisa-Turm noch wacker, meldet Petra Kipphoff und berichtet über Generationenkonflikte unter Studenten und Lösungsvorschläge für die Zukunft. Der Autor Martin Mosebach hat sich auf die Spuren des Dichters Rudolf Borchardt gemacht, der im italienischen Exil die Nazis überlebte. In der Reihe "Auf der documenta" sieht die Romanistin Barbara Vinken die documenta 11 und deren Inszenierung der Globalisierung im Zeichen der Vergänglichkeit alles Irdischen. Christoph Siemes war auf dem internationalen Festival Theater der Welt in Duisburg, Düsseldorf, Köln und Bonn und führt uns durch eine Fülle von Inszenierungen, die nach wahren Momenten suchen. Für Andreas Merkel und Thomas Groß hat Oasis eine neue Variante des Rock'n'Roll-Klichees entdeckt. Den Ausdruckstanz des Folkwang-Studios Essen unter der Leitung von Kurt Joss feiert Evelyn Finger als das neue deutsche Tanztheater. Claudia Herstatt berichtet, dass das berühmte Londonder Auktionshaus Sotheby's den dritten Anlauf zum Internetauktionsbetrieb startet - diesmal in Zusammenarbeit mit ebay. Das Letzte sieht mit den Berliner Seiten der FAZ auch die Generation Golf beerdigt.

Besprochen werden Opern - Daniel Libeskinds Inszenierung von Messiaens "Saint Francois d'Assise" an der Deutschen Oper in Berlin und Hans-Jürgen von Boses Literaturoper "K-Projekt 12/14" am Münchner Cuvillies-Theater -, Tonträger - Kammermusikwerke von Hindemith, Berg, Poulenc und Prokofieff und das neue Album vom belgischen DJ-Duo Soulwax -, Kinofilme - der koreanische Thriller "Joint Security Area" von Park Chan-Wook, Avi Mograbis "August" und Richard Linklaters "Waking Life" - und Franz Xaver Kroetz? Inszenierung von Ferdinand Raimunds Theaterstück "Der Bauer als Millionär" am Münchner Residenztheater.

Aufmacher des Literaturteils ist Peter Schöttlers Besprechung von Felix Hartlaubs "Kriegsaufzeichnungen" (mehr hier).