Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.01.2003. In der SZ fragt Dominik Graf in einer Hommage auf Max Ophüls, wie es um die Liebe im deutschen Kino steht. Die FAZ besucht den Biorevolutionär Gregory Stock, der Klonen gut findet. Die Zeit stellt Krausköpfe der Zukunft vor. In der FR beklagt Micha Brumlik den Niedergang der deutschen Außenpolitik.

SZ, 02.01.2003

Der Regisseur Dominik Graf huldigt dem Regisseur Max Ophüls und stellt die Frage nach der Liebe im deutschen Kino, in dem die interessanteren Zwischen-Schattierungen der Liebe, die Unklarheiten, die Grauzonen des Gefühls heute kaum noch zu finden seien. Stattdessen lieben wir "kindisch idealisierend, wir hassen, oder wir versteinern in Lieblosigkeit", meint Graf. "Und dennoch, den einen gefühlsechten, deutschsprachigen Giganten der subtilen Sehnsüchte und der grausamen Liebeszweifel, den gab es in Deutschland ja doch: eben Max Ophüls. Und der erinnert einen mit seinen Filmen daran, dass die größten Erkenntnisse über den Warencharakter der Liebe erstaunlicherweise in deutscher Sprache geschaffen wurden. Jede Begegnung mit Schnitzler oder mit Ophüls kann einem stets wieder neu die Augen über das grausame Liebesspiel öffnen."

Christoph Asendorf beschreibt, wie der Krieg trotz medialer Aufrüstung immer unsichtbarer wird. "So finden wir uns also gegenwärtig in der eigentümlichen Situation, dass die Kriegsführung sich immer mehr bildgebender Verfahren bedient, technisch ganz wesentlich zur Bildverarbeitung wird, während Fotografen von den Schauplätzen nach Möglichkeit ferngehalten werden und die Künste langsam zu verstummen scheinen. Den vorläufig letzten Entwicklungsschritt in der elektronischen Kriegführung brachte der Afghanistankrieg. Unbemannte 'Predators', bewaffnete Aufklärungsdrohnen, lieferten in Echtzeit Bilder an eine Kommandozentrale in den USA, von wo aus der Einsatz der über dem Kampfgebiet bereits kreisenden Flugzeuge geleitet wurde. Für die Massenmedien und damit für uns war dies jedoch ein fast bilderloser Krieg."

Weitere Themen: Lothar Müller stellt die Pilotbände der neuen Armed Services Editions (ASE) der US-Army vor (mehr hier), die seit Dezember an amerikanische Soldaten im Einsatz verteilt wird, eine Art Literaturkanon für Soldaten. Joachim Riedl berichtet, wie sich die sterirische Landeshauptstadt Graz für ihre Rolle als Europäische Kulturhauptstadt 2003 und eine Belagerung von 365 Tagen rüstet, an denen die im übrigen Österreich gern als "Pensionopolis" belächelte Stadt, mit kühnen Kulturprojekten konfrontiert werden soll. Anke Sterneborg porträtiert dem neuseeländischen James-Bond-Regisseur Lee Tamahori. Außerdem wird vermeldet, dass die Guggenheim-Krise einen neuen Höhepunkt erreicht hat: das von Frank Gehry geplante Guggenheim-Museum am East River wird definitiv nicht gebaut werden. Das Gebäude sollte 950 Millionen Dollar kosten, vier Mal so groß werden wie Frank Lloyd Wrights spektakuläre Guggenheim-Spirale an der Fifth Avenue.

Besprochen werden: Die Uraufführung von Ulrike Syhas Stück "Autofahren in Deutschland" am Thalia-Theater in Hamburg, Simon Rattles Silvesterkonzert mit den Berliner Philharmonikern mit Musik von Leonard Bernstein, Kurt Weill, George Gershwin ("Für das Orchester alles in allem ein fundamentales Training in Flexibilisierung des Klangs; fürs Publikum eine Lockerungsübung in Richtung Leichtigkeit des Hörens, Rhythmus, Witz und unverschämt gute Laune.") sowie der Abend "Stadt. Ökonomie.Krieg." im Prater der Berliner Volksbühne ("Asta? Attac? Anarchistischer Buchladen? Falsch. Das ist Kunstproduktion!") sowie Christian Thielemanns Interpretation von Beethovens Neunter Symphonie mit den Münchner Philharmonikern und Bücher, darunter Peter de Mendelssohns vergessener Roman-Erstling "Fertig mit Berlin" (mehr in der Bücherschau ab 14 Uhr).




FR, 02.01.2003

Micha Brumlik kommentiert missbilligend die Aussagen von Außenminister Fischer über eine mögliche deutsche Unterstützung eines Krieges gegen den Irak. Brumlik sieht darin eine Bankrotterklärung "jeden politischen Handelns", aber auch einen moralischen Bankrott im engeren Sinne. "Musste zunächst - während des Kosovokrieges - noch die Beschwörung von 'Auschwitz' als Legitimation für einen völkerrechtswidrigen Waffengang herhalten, so tat es im Krieg gegen die Taliban nur noch die 'Solidarität' mit den von einem mörderischen Anschlag betroffenen USA. Heute handelt es sich, so der Außenminister, nur noch um das 'essenzielle Interesse daran, dass dieses Bündnis (gegen den Terror) fortbesteht'. Den Tod wie vieler irakischer Menschen ist das deutsch-amerikanische Verhältnis wohl wert? Von Auschwitz über die Solidarität zum Interesse: Präziser lässt sich der Niedergang deutscher Außenpolitik kaum nachzeichnen."

Weitere Themen: Die Kolumne Times Mager befasst sich mit den Bemühungen der Marketing-Fachkräfte, in diesem Jahr nun in jedem Bundesbürger das Bedürfnis nach einem mobilen Telefon zu wecken, mit dem man Bilder verschicken kann.

Besprochen werden die Ausstellung "Science & Fiction" im Sprengel Museum Hannover, der Debütfilm des 1969 geborenen chinesischen Regisseurs Liu Hao "Chen Mo und Meiting" sowie Bücher - über Herman Melville und die Sternwerdung (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).



TAZ, 02.01.2003

Ines Kappert hat sich die Anthologie "Wo/Man. Kino und Identität" angesehen, die Repräsentationsmuster von Geschlechterverhältnissen und Geschlechtsidentität im Publikumsfilm der 90er-Jahrem diskutiert. Besonders hat sie ein Text von Josep Lluis Fece Gomez zu den Filmen von Almodovar interessiert, der die Darstellung von Homosexualität als Zeichen des Aufbruchs im postfranquistischen Spanien gelesen hat: "Gerade weil Almodovars Filme radikal selbstreferenziell sind und beständig Figuren aus früheren Filmen in den neueren wieder auftauchen, bilden sie, so die These, die Verwirrung und Rebellion einer Generation ab, die "vor 20 Jahren die Straßen und Nächte besetzt hatten, um die Freiheit zu feiern und zu leben". Und genau dadurch liefern sie (nostalgische) Bilder für eine kulturelle Identität, die - obwohl mit geschlechtlichen Zeichen übersäht - vor allem darauf zielt, die postfranquistische SpanierIn zu identifizieren. So kommt es, dass Schwule, Transen, hysterische Frauen und schwangere Nonnen zum kulturellen Exportschlager eines schwer katholischen Landes werden."

Besprochen werden Curtis Hansons Film "8 Mile" mit Eminem als Jimmy "Rabbit" Smith sowie der Film der japanischen Regisseurin Kazama Shior "The Mars Canon". 

Und schließlich TOM.

FAZ, 02.01.2003

Jordan Mejias besucht den "Biorevolutionär" Gregory Stock, der in seinem jüngsten Buch "Redesigning Humans - Our Inevitable Genetic Future" (Auszug) Bedenken gegen das Klonen fortwischt. "Ich sehe nichts Heiliges in der conditio humana heutiger Prägung", sagt der Leiter der Abteilung "Medicine, Technology, and Society" an der Universität von Los Angeles zu Mejias, und: "Die Entwicklung aufzuhalten käme einer Verleugnung dieser intellektuellen, philosophischen und physischen Entdeckungsreise gleich. Und ich persönlich will einfach so viel wie möglich davon miterleben, bevor ich sterbe." Stock hat eine sehr empfehlenswerte Internetadresse, auf der man mehrere seiner Artikel nachlesen kann.

Weitere Artikel: Heike Hupertz macht uns mit dem Wissenschaftsjournalisten Michael Guillen bekannt, der unter anderem für CNN arbeitet und nun im Auftrag der Raelianer-Sekte die Echtheit des jüngst angeblich geklonten Kindes bezeugen soll (mehr dazu hier) - er ist allerdings nach Hupertz ein Mann, der es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt. Andreas Platthaus fragt sich, warum in der Kanzleransprache, just in dem Moment als Schröder vom möglichen Irak-Krieg sprach, ein Schnitt gesetzt wurde (hier das Video). Patrick Bahners betrachtet Paul Virilios Ausstellung "Ce qui arrive" in der Fondation Cartier und stellt regressive Züge in der Philosophie des Sehers fest. Andreas Rossmann beklagt Einsparungen am Stadttheater Aachen, das vom Intendanten Paul Esterhazy gerade erst wieder auf Vordermann gebracht worden war. In der Reihe "Wir vom Bundesarchiv" stellt Josef Henke einen banalen Brief Hitlers mit Genesungswünschen für einen Kumpan vor, der von der gesamten Führungsspitze der Nazis unterzeichnet ist. Und Gerhard Rohde schreibt zum Tod der Sängerin und Pädagogin Carla Henius.

Auf der letzten Seite besucht Frank Pergande das Dorf Altfriedland am Oderbruch, das einst der Familie von Otten gehörte, deren Nachfahren vom dortigen Bürgermeister aber geschnitten werden. Tilman Spreckelsen gratuliert der Zeitschrift Neue deutsche Literatur zum Fünfzigsten. Und Patrick Bahners stellt den amerikanischen Außenpolitiker Daniel Webster vor, der im 19. Jahrhundert Leitlinien für eine vorauseilende Selbstverteidigung entwickelte, auf die sich heute wiederum Condoleezza Rice beruft. Auf der Filmseite bilanzieren die Filmredakteure dieser Zeitung das Filmjahr 2002. Auf der Medienseite führt Michael Hanfeld ein Gespräch mit Michael Pleitgen über sein Jahr als ARD-Chef. Und derselbe fleißige Redakteur spart Honorare für die Freien, indem er auch noch Wolf von Lojewski verabschiedet, der heute sein letztes "Heute-Journal" moderiert.

Besprochen werden der Film "8 Mile" ("Eminem mag als Schauspieler keine große Karriere vor sich haben - als Darsteller seiner selbst ist er versiert genug, um fast auratisch zu wirken", schreibt Michael Althen) und zwei Ausstellungen mit neuer ungarischer Kunst in Berlin.

Zeit, 02.01.2003

"Siehe da, es gibt sie", schreibt "JGJ" in der Einleitung zu einem kleinen Dossier, das das Zeit-Feuilleton produzierte. Hier werden "neue Köpfe" aus dem internationalen Kulturbetrieb präsentiert. "Sie rumoren vernehmlich, die Kobolde und Krausköpfe der Zukunft." Da die Online-Redaktion die neue Zeit um 9 noch nicht ins Netz gestellt hat, können wir leider keine Links setzen. Gucken Sie später einfach hier nach.

Vorgestellt werden die Freiburger Theaterchefin Amelie Niermeyer, die finnische Filmemacherin Eija-Liisa Ahtila, die Sängerin Beth Gibbons, die Filmemacherin Samira Makhmalbaf, der Cellist Daniel Müller-Schott, der israelische Theatermacher Tuvia Tenenbom, der Philosph Stanley Cavell, die Berliner Philosphin Susan Neiman, die Autorin Julia Schoch, die Puppentheaterspielerin Frauke Jacobi, die White Stripes, der amerikanische Großkritiker Harold Bloom.

Im Aufmachertext des Literaturteils ruft Norbert Niemann dazu auf, wieder den "Moralapostel der Nation", Heinrich Böll, zu lesen.

Der Politikteil widmet sich fast gänzlich dem Islam und dem Westen: Darin findet sich auch ein Essay von Navid Kermani, der gegen die Vorstellung anschreibt, Islam und Demokratie wären unvereinbar. So sei in Bangladesch, Indonesien, Türkei, Iran schließlich die Demokratie immerhin auf dem Vormarsch, auch wenn sie noch so vehement von Diktatoren, religiösen Führern oder Militärs bekämpft werde. "Die Verhältnisse in den genannten Ländern mögen also trotz unübersehbarer Fortschritte noch weit von westlichen Standards entfernt sein, aber die Menschen in der islamischen Welt sind darüber nicht froh, sondern bestürzt oder resigniert, und sie werfen dem Westen nicht seine Standards vor, sondern dass er sie nicht anwendet, wenn er Diktaturen, korrupte Regime oder den Terror einer Staatsgewalt deckt." Und da haben sie leider recht.



NZZ, 02.01.2003

Keine NZZ heute. Kater in Zürich? Keineswegs: Die Zürcher feiern Berchtoldstag.