Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.02.2003. In der SZ annonciert Andre Schiffrin den Untergang von Random House. Die FAZ erzählt, wie Rene Jacobs einen Superstar sucht. Die FR fragt, wie europäisch die europäische Literatur ist. Die taz sendet melancholische Betrachtungen aus Nordkorea. In der NZZ klagt Jürgen Flimm über den Einfluss von Verdi auf die deutschen Opern.

SZ, 03.02.2003

Andre Schiffrin, berühmter New Yorker Verleger aus der guten alten Zeit (mehr hier), findet keine Gnade für die Erbsenzähler von Bertelsmann, die mit dem Rauswurf der renommierten, aber nicht ausreichend gewinnorientierten Verlegerin Ann Godoff den letzten Nagel in den Sarg von Random House eingeschlagen haben. "Random House war einmal einer der renommiertesten Verlage der Vereinigten Staaten, und dieses Renommee lag der Entscheidung von Bertelsmann zugrunde, den Namen international zu benutzen. Dieselben Leute, die diese Entscheidung trafen, sind nun dabei, Random House in eine Billigmarke zu verwandeln." Die New York Times hat inzwischen gemeldet, dass Ann Godoff einen neuen Job bei Penguin gefunden hat.

Die SZ reagiert auf den Absturz der Raumfähre Columbia mit einer ganzen Kaskade an Artikeln. Die Raumfahrt ist für Amerika Trauma und Katharsis zugleich, behauptet Andrian Kreye. Desweiteren schreibt Holger Liebs zu den Chiffren der Katastrophe, Lothar Müller zur Stärke der Einbildungskraft, Tobias Kniebe zum endlosen Blackout, Petra Steinberger zur Nasa-Familie, und Sonja Zekri zur Heimkehr auf den blauen Planeten. Dazu gibt es ein Interview mit Constance Adams, der Betreuerin der Experimente auf der Columbia. Adams warnt darin eindringlich, jetzt die bemannte Raumfahrt in Frage zu stellen. Das Unglück veranschauliche vielmehr, dass die Raumfahrt in letzter Zeit sträflich vernachlässigt wurde. "Es ist wie bei den Schulen: Wir kürzen die Mittel und klagen zugleich über den Bildungsnotstand."

Weiteres: Fritz Göttler denkt schon mal an die Berlinale, die am Donnerstag ihre Tore öffnet. Joachim Kaiser hat Andre Previn und Anne-Sophie Mutter zugehört, als sie in München Werke von Ravel, Korngold und Strauss spielten. Eine Meldung besagt zudem, dass ab 2006 Christoph Albrecht und Kent Nagano die Nachfolge von Sir Peter Jonas und Zubin Mehta als neuer Intendant beziehungsweise Generalmusikdirektor in der Bayerischen Staatsoper antreten werden.

Auf der Medienseite lesen wir eine Betrachtung zu den Instant-Stars von Zlatko bis Daniel Küblböck - schnell da und noch schneller wieder weg. Und in der Serie über Große Journalisten stellt Hilmar Klute den deutsch-französischen Grenzgänger Victor Aubertin (mehr hier) vor.

Besprochen werden Robert Rodriguez' großartiges Kino "Spy Kids 2", die dreifache Fotoausstellung "Selbstgespräch" in der Münchner Pinakothek der Moderne, ein gewöhnungsbedürftige "Macbeth"-Version am Hamburger Thalia Theater, Georg Friedrich Händels Oper "Giulio Cesare" am Staatstheater Stuttgart, Tim Supples Inszenierung von Salman Rushdies "Midnight?s Children" für die Royal Shakespeare Company in London, und Bücher, darunter Susanne Schattenbergs Untersuchung über "Stalins Ingenieure" und Richard Forteys Liebeserklärung an versteinerte "Trilobiten!" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 03.02.2003

Was ist das Europäische an den Literaturen Europas?, haben sich unlängst dreiundreißig Schriftsteller in Hamburg gefragt. Frank Keil hat dabei ein wenig die Kritik vermisst, ihm war alles etwas zu harmonisch. "Europa ist gut: die Formel galt. Laute Worte, schnippische Bemerkungen oder scheele Blicke blieben aus. Und als man den Esten und damit geografischen Randbewohner Emil Tode nach seinem vergleichsweise zurückhaltenden Vortrag über die geistigen Erbstücke Europas sehr freundlich fragte, ob er den Europaskeptiker oder vielleicht sogar -gegner abgeben möchte, winkte der ebenso höflich wie bestimmt ab: Es gebe kulturell wie wirtschaftlich zu Europa keine Alternative. Auch dies eine Melodie, die unisono erklang: das mit der EU, dem Markt und dem Warenverkehr ginge schon in Ordnung. Nur die Kultur, die solle sich doch bitte schön einen anderen Herztakt zulegen und sich ganz legal aus der Logik von Investition und Gewinn heraushalten dürfen. Wieso eigentlich?"

Außerdem: Harry Nutt schreibt zum Tod des Literaturkritikers Leslie A. Fiedler, der einstige "Bad Guy des amerikanischen Geisteslebens". In Times mager ist "schl" erleichtert, dass ein Attentat als Ursache des Cloumbia-Absturzes von vornherein ausgeschlossen wurde und man wieder von Unfall statt von Terror reden kann. Gemeldet wird zudem, dass ein Briefwechsel von Sophie Scholl mit ihrem Verlobten entdeckt worden ist. Eine einsame Besprechung widmet sich Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Shakespeares "Macbeth" am Thalia Theater in Hamburg.

TAZ, 03.02.2003

Der Arzt Irenäus Misera (mehr über ihn) sendet melancholische Betrachtungen aus Nordkorea. Leere Autobahnen, alte Traktoren, ausgestorbene Innenstädte. Und ein ganzes Land im Schlummer. "Die Rastenden verdienen eine besondere Erwähnung. Es sind meist Schlafende. Direkt am Straßenrand, manchmal aber auch auf der Fahrbahn. Manche nutzen die am Straßenrand abgestellten Anhänger als Schattengeber und machen es sich unter ihnen auf Reismatten bequem. Ich muss immer wieder staunen und bewundern, welche Schlafstellen und -positionen von den Menschen eingenommen werden. Ich sah einen Mann auf einer runden Zisterne schlafen, ein anderer fand einen Platz zusammengefaltet im Kasten einer Art von Schubkarren. Die Schlafenden findet man zu den verschiedensten Tageszeiten vor. Es ist wirklich auffallend, wie viele es sind. Ich erkläre mir das so, dass die Leute sehr lange, wohl auch tagelang unterwegs sind und nachts vielleicht aus irgendwelchen Gründen lieber wachen oder gehen als schlafen."

Das Feuilleton beschränkt sich heute auf seine angestammte Disziplin, die Rezension: Besprochen werden zwei Reader zur Poptheorie, das neue Stück von Österreichs Dramatikerhoffnung Bernhard Studlar, "Transdanubia-Dreaming", am Wiener Akademietheater und die Ausstellung "Split Points" mit kritischer Gegenwartskunst aus Dresden in der Prager Nationalgalerie.

Schließlich Tom.

NZZ, 03.02.2003

Regisseur Jürgen Flimm - und als Präsident des Deutschen Bühnenvereins in der Rolle des Arbeitgebers - spricht in der NZZ über die Finanzkrise der Deutschen Theater, über Tariferhörhungen als "das Grundübel der Geschichte" und darüber, wie er gern er doch Techniker anstelle von Schauspielern entlassen würde, was in Deutschland naturgemäß schwierig ist, da der nichtkünstlerische Teil der Theater zum Öffentlichen Dienst gehört: "Wenn Sie das jetzt mal apokalyptisch hochrechnen, haben Sie irgendwann keine Schauspieler mehr, wie es einmal passierte in Frankfurt an der Oder: Da waren am Schluss 120 Techniker und kein Orchester, kein Ballett, keine Schauspieler mehr. Da haben sie das Theater zugemacht." Joachim Güntner gibt dazu einen Überblick über die Nöte der deutschen Bühnen.

Weitere Artikel: Auf dem Hamburger Symposium, bei dem sich 33 hochkarätige Schriftsteller über "die blasse Jungfrau Europa" beugten, hat Andreas Breitenstein "viel Geschichte, wenig Entwurf" erlebt. Dabei meint er, könne "ein allzu ästhetisches Verhältnis zu sich selbst zur tödlichen Falle werden". "zit" meldet, dass die Orangerie in den Pariser Tuilerien renoviert wird, um Monets "Seerosen" endlich im Tageslicht präsentieren zu können.

Ansonsten gibt es jede Menge Rezensionen: Besprochen werden die Ausstellung "M_ars" zu Kunst und Krieg in der Neuen Galerie Graz, Peter Stamms Stück "Apres Soleil" in Zürich, die Uraufführung von Bernhard Studlars "Transdanubia-Dreaming" in Wien, Händel-Opern in Berlin und Stuttgart sowie ein Konzert mit Mikhail Pletnev in Zürich.

FAZ, 03.02.2003

Eleonore Büning setzt einen kunstsinnigen Kontrapunkt zum brutal-idiotischen "Superstar"-Treiben: Sie berichtet davon, wie der Dirigent Rene Jacobs in einem öffentlichen Berliner Meisterkurs Countertenöre und Soprane sucht, die es verstehen, Partien zu singen, welche einst für Kastraten vorgesehen waren. Eine knifflige Sache, denn sowohl Countertenören als auch Sopranen fehlt die Tiefe. Denn paradoxerweise kam es bei den Kastraten gar nicht auf die Höhe an, erklärt Büning nach Jacobs: "Zur Händel- und Kastraten-Zeit .. galten andere Parameter: Statt der Höhe interessierte die Länge. Das Publikum wurde kirre über der Frage, wie lange der Sänger einen Ton aushalten kann, und vor allem, was er unterdessen damit anstellt: anschwellen lassen, abschwellen lassen, verzieren. Elf Sekunden für die letzte Silbe des Wortes 'Ritorna' können da zur Ewigkeit werden." Nur: "Auch in dieser Hinsicht waren die Kastraten im Vorteil: Sie verfügten nicht nur über Brustregister, sie brauchten auch weniger Luft beim Singen, weil sie eine kürzere Stimmritze hatten als ein erwachsener Mann. Das erklärt viele der himmlischen Längen in den legendären sogenannten Largos von Händel." Hier läge doch einmal eine sinnvolle Aufgabe für unsere Bio-Ingenieure!

Edo Reents schildert inzwischen voller Entsetzen, wie es in der Show "Deutschland sucht einen Superstar" zugeht: "Die Schläge, die nicht nur die Kandidaten, sondern alle Beteiligten der Sendung 'Deutschland sucht den Superstar' einstecken müssen und die Runde um Runde härter, schmerzhafter, lebensgefährlicher werden, spotten mittlerweile jeder Beschreibung. Die ruinöse Wirkung, die von dem Wettbewerb ausgeht, tritt mehr und mehr hervor, und vor dem Sog, der davon ausgeht, scheint es keinen Schutz mehr zu geben. Womöglich werden sich die, die noch dabei sind, wünschen, sie hätten sich nie darauf eingelassen." Stefan Niggermeier schildert die Schreckensszenen der letzten "Superstar"-Folge auf der Medienseite im Detail.

Weitere Artikel: Jordan Mejias weiß schon, dass der "Columbia"-Unfall das gefürchtete amerikanische Sendungsbewusstsein nur verstärken kann. Ein kleiner Beitrag des Technovisionärs Ray Kurzweil bestärkt ihn darin. Der Politologe Walter Momper (der jetzt als ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin aber beim Bau ist) plädiert im Interview gegen eine posthume Aberkennung der Berliner Ehrenbürgerwürde für Hindenburg, die er als historisches Dokument verstanden wissen will. Jörg Magenau besucht den Berliner "Wintersalon" am Potsdamer Platz, wo 30 Autoren in vier Tagern hundert mal lesen. Andreas Rosenfelder resümiert eine Bielefelder Tagung über das Nachleben der Weimarer Republik.

Auf der letzten Seite fragt Regina Mönch, was aus dem Berliner Tempodrom wird, das bisher noch von allen zuständigen Senatoren vor seinen Insolvenzen gerettet wurde. Und Dietmar Dath weiß, dass es im Leben Supergirls noch komplizierter zugeht als in Hegels Logik. Auf der Medienseite resümiert Michael Hanfeld einen deutsch-polnischen Journalistenabend in Warschau.

Besprochen werden Peter Stamms Stück "Apres soleil" in der Regie Christiane Pohles in Zürich (Gerhard Stadelmaier lobt das Stück, nicht die Inszenierung), Martin Kusejs Inszenierung von Händels "Julius Cäsar" in Stuttgart, Bernhard Studlars Stück "Transdanubia Dreaming" in Wien und eine Ausstellung mit Hitler-Fotos des Amateurfotografen Theo Stötzel im Stadtmuseum Bonn.