Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.02.2003. Die FAZ bringt Arundhati Roys Rede gegen das "Imperium" aus Porto Alegre und einen Text von Ian McEwan, der den Krieg befürwortet. In der NZZ rettet Bogdan Musial Polen vor Jedwabne. Die FR sucht den Krieg im Theater, findet ihn aber nicht. Die taz meditiert über Malewitsch. Für die SZ blüht die Renaissance am Öresund.

FAZ, 05.02.2003

Zwei Kommentare zum drohenden Krieg. Der britische Schriftsteller Ian McEwan erklärt, warum er nicht dagegen ist - vorausgesetzt die amerikanische Regierung hat "präzise Pläne für die Zeit nach der Invasion" und vorausgesetzt, der Krieg steht im Zusammenhang mit dem Versuch, "endlich mit dem langwierigen Prozess einer konzentrierten, phantasievollen, umfassenden Lösung des Palästina-Problems zu beginnen" ist er dafür. Unbeeindruckt zeigt sich McEwan von der "Integrität" der Antikriegsbewegung in Großbritannien. "Dass sich die jetzige nicht mit den irakischen Exilanten oder dem kürzlich in London tagenden Irakischen Nationalkongress auseinandergesetzt hat, war, moralisch gesehen, ein peinliches Ausweichmanöver. Dies ist um so beschämender, als ein großer Teil des INK ebenjene liberalen oder libertären und säkularistischen Werte vertritt, die der größte Teil der Antikriegsbewegung für sich in Anspruch nimmt."

Arundhati Roy hat beim Weltforum in Porto Allegre eine flammende Rede gegen das "Imperium" und die Globalisierung gehalten: "Die These vom freien Markt, der nationale Schranken überwindet, ist ein Mythos. Der freie Markt untergräbt die Demokratie. Der Abstand zwischen Reich und Arm wird immer größer, der Kampf um die Ressourcen immer aggressiver. Um ihre Geschäftsinteressen durchzusetzen ... braucht die Globalisierung einen internationalen Verbund von loyalen, korrupten, autoritären Regierungen in den armen Ländern, damit unpopuläre Reformen durchgepeitscht und Aufstände niedergeschlagen werden können. ... Gleichzeitig häufen die Länder des Nordens Massenvernichtungswaffen an: Es muss doch gewährleistet sein, dass nur Kapital, Waren, Patente und Dienstleistungen globalisiert werden. Nicht die Bewegungsfreiheit der Menschen. Nicht die Einhaltung der Menschenrechte. Nicht die Abkommen über das Verbot von Rassendiskriminierung, von chemischen und atomaren Waffen, über den Klimaschutz oder, Gott bewahre, über die Errichtung eines Strafgerichtshofs. Das alles ist das 'Imperium': diese obszöne Anhäufung von Macht, dieser ungeheure Abstand zwischen Oben und Unten." Nur um diesen Zustand zu verteidigen, sieht Roy die Amerikaner in den Irak einmarschieren. (Die Rede im Original finden Sie hier, einige Links zu Roy hier.)

Unterdessen hat das Imperium andere Sorgen. Auf der letzten Seite denkt der Physiker und Astronom Gregory Benford über die Ursachen für den Absturz der Columbia-Fähre nach, will aber auf keinen Fall, dass die Raumfahrt abgeschafft wird. Im Gegenteil: "Das offensichtliche Ziel, das viele wissenschaftliche Chancen bietet, ist der Mars (mehr hier). Ist dort Leben entstanden, hält es sich unter der trostlosen Oberfläche des Planeten? Kein Roboter, den wir bauen können, kann derzeit einen Bohrschacht hinunterfahren und die Antwort finden. Nur Menschen können die erforderlichen Experimente vor Ort durchführen. Eine Mars-Expedition wäre die größte Unternehmung des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Sie würde etwa zweieinhalb Jahre dauern, jeder Tag würde von einem riesigen irdischen Publikum beobachtet werden und wäre voller Gefahren. Genau das sollten wir tun. So ein Abenteuer würde auf einer Welt widerhallen, die von Krieg und Sorgen gequält wird. Es strahlt einen historischen Glanz aus, der dem Stand der fortgeschrittenen Nationen gerecht wird, die es gemeinsam angehen sollten."

Weitere Artikel: Patrick Bahners gratuliert dem Romanisten Frank-Rutger Hausmann zum Sechzigsten, Peter Körte dem Regisseur Michael Mann ebenfalls zum Sechzigsten. Wolfgang Sandner schreibt zum Tod des amerikanischen Komponisten Lou Harrison und Andreas Kilb zum Tod des portugiesischen Regisseurs Joao Cesar Monteiro. Auf der letzten Seite porträtiert Henning Ritter George Steiner, der den diesjährigen Ludwig-Börne-Preis erhält. Und Andreas Rossmann wundert sich nicht, dass in sieben deutschen Theatern zur Zeit der "Tod eines Handlungsreisenden" gegeben wird: da gibt?s wenigstens noch um "soziale Wirklichkeit".

Auf der Medienseite erzählt Kerstin Holm in einem leider sehr kurzen Text, dass der russische Kulturminister Michail Schwydkoi, im Nebenberuf ein sehr beliebter Talkmaster, von konservativen Schriftstellern und Künstler kritisiert wurde: "Sie lasten ihm Vergnügungssucht an und werfen ihm vor, die 'guten' Schriftsteller zu wenig zu lieben und stattdessen den westlichen Kommerz und die verderbliche Avantgarde zu preisen." Michael Hanfeld listet die ARD-Sender danach auf, wie viele politische Kommentare sie im Jahr 2002 sprechen durften.

Besprochen werden eine Ausstellung mit finnischer Jugendstilmalerei im Bröhan-Museum, die deutsche Erstaufführung von Edward Bonds "Kinder" in Cottbus, Stefan Ruzowitzkys Film "Anatomie 2", eine Ausstellung über "Frauen in der Roten Armee 1941-1945" im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst und die Uraufführung von Stockhausens "Hoch-Zeiten", der fünften und letzten Szene seines Opernzyklus' "Sonntag aus Licht", in Las Palmas ("Einmal singen alle Gruppen polyphonisch auf deutsch: 'Hoi, hoi, hoi, hoi, heute ist ein Hochzeitstag in der Musik!' Einige der 36 Choristen bedienen gelegentlich auch Schlaginstrumente.").

NZZ, 05.02.2003

Nach der FAZ (mehr hier) setzt sich auch die NZZ mit dem Weißbuch zum Massaker von Jedwabne "Rund um Jedwabne" ("Wokol Jedwabnego") auseinander. Es fragt unter anderem, ob Jedwabne ein Einzelfall war. Autor des Artikels ist hier Bogdan Musial, der einst durch seine Kritik die erste Wehrmachtsausstellung zu Fall brachte. Er hängt der These an, dass die Deutschen hauptverantwortlich für die Massaker waren: "Es handelte sich dabei keineswegs um Pogrome, die sich eher durch Chaos auszeichnen. In Jedwabne und anderen Orten der Region fanden planmäßig durchgeführte Vernichtungsaktionen statt, die gegen ganze jüdische Gemeinden gerichtet waren. Sie wurden inspiriert und organisiert von mobilen SS-Kommandos und in manchen Orten mit polnischen Händen ausgeführt. In anderen Orten 'beschränkte' sich die polnische Beteiligung auf das Zusammentreiben und Bewachen der jüdischen Opfer, die direkte Ermordung führten die deutschen Täter aus." Womit Polen mal wieder nicht verloren wäre.

Weitere Artikel: Lilo Weber stellt das in London von Herzog & de Meuron entworfene Laban Centre (Bild) vor. Claudia Schwartz führt ins Programm der Berlinale ein. Kurt Malisch schreibt zum achtzigsten Geburtstag des Bassisten Cesare Siepi und stellt einige seiner besten Aufnahmen vor. "gfk." präsentiert die neuen Pläne zur Rettung der Berliner Opern. Thomas Leuchtenmüller würdigt die Arbeit der Edition Burgtheater, die Monografien über prominente Bühnenkünstler herausbringt.

Besprochen werden CDs mit Werken des Komponisten Jörg Widmann, "Die Frau ohne Schatten" von Richard Strauss in Frankfurt und einige Bücher, darunter drei Hörbücher über die Gruppe 47 Jörg Fischs großes Werk über "Europa zwischen Wachstum und Gleichheit 1850-1914". (Siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr.)

FR, 05.02.2003

Peter Michalzik sucht den Krieg im deutschen Theater und kann außer realitätsresistenter Selbstanklage oder Opferidentifikation nichts finden. "Der Krieg, von dem alle das Gefühl haben, dass er kommt, kommt im Theater nicht an. Der zweite Golf-Krieg findet - wenigstens hier - nicht statt. Die Beziehungen zwischen dem Theater und der zeitgeschichtlichen Wirklichkeit, die Schlussfolgerung liegt nahe, sind noch schlechter als die zwischen Deutschland und den USA."

Weitere Artikel: Über eine wundersame, atemberaubende Vermehrung moderner Kunststätten in Italien freut sich Peter Iden. In Turin, Mailand, Bologna, Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Rovereto (dazu mehr hier) entstehen neue Museen und Kunsthallen. "Antizyklisch zur weltweiten Wirtschaftslage entsteht also in Italien nun eine aufwendige Infrastruktur für die Präsentation moderner Kunst, gemessen an deutschen Verhältnissen mit einiger Verspätung, dafür aber mit umso mehr Schwung und architektonischer Bravour." In der Kolumne Times Mager befasst sich Dieter Rulff mit dem ersten schwarz-grünen Großstadt-Bündnis in Köln.

Besprochen werden außerdem Bücher, darunter der Briefwechsel zwischen Heinrich Mann und Felix Bertaux, eine "klingende" Biografie zu Karl Valentin sowie Dieter Daniels Mediengeschichte "Kunst als Sendung" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 05.02.2003

In Berlin zeigt die Deutsche Guggenheim Werke aus der suprematistischen Phase von Kasimir Malewitsch. Für Christian Semler Anlass, zu den kosmischen Dimensionen der gegenstandslosen Malerei vorzustoßen: "Eins wird in der Ausstellung klar, Malewitsch war kein Ingenieurs-Künstler, kein Reduktionist. Piet Mondrian, sein Freund, mit dem er oft in einem Atemzug genannt wird, erscheint eher als Antagonist denn als Weggenosse. Es geht nicht um Geometrie, sondern um Gefühle, um 'reine' Gefühle. Malewitsch ist kein Chemiker, als den ihn Viktor Schklowski schon 1919 bezeichnet hat, sondern Alchimist." Seine Malerei galt ihm, wie Semler schreibt, als "Ausdruck kosmischer Harmonie, das Weiß galt ihm als das Universum, zu dem man intuitiv gelangen könne, wenn man das Blau des Himmels durchstoße."

Tobias Rapp versucht Aufklärung über die unübersichtliche Gefechtslage auf dem umkämpften HipHop-Feld zu leisten: "Nas und Jay-Z streiten sich darüber, wer der König von New York ist. Ja Rule und DMX sind sich nicht grün, weil sie sich gegenseitig der Nachmacherei bezichtigen. Der Konflikt zwischen 50 Cent und Ja Rule begann mit ganz konventionellen Beleidigungen. Jermaine Dupri glaubt, er sei ein besserer Produzent als Dr Dre. Und Benzino attackiert Eminem wegen dessen Hautfarbe." Micha Haarkötter beschreibt, wie unter dem Label "books on demand" der Buchmarkt mit digital produzierter Billigware, für die die AutorInnen selber zahlen, unterwandert wird.

Besprochen werden Andreas Kriegenburgs "Macbeth"-Inszenierung am Thalia Theater in Hamburg und Karl Valentin in einer tönenden Gesamtausgabe.

Und schließlich Tom.

SZ, 05.02.2003

In Europa ist das Gründen von Städten seit der Renaissance ja ein wenig aus der Mode gekommen. Um so erstaunlicher findet Thomas Steinfeld, was sich gegenwärtig an der Meerenge zwischen Dänemark und Schweden ereignet. "Was ist das für ein Eifer, für ein Übermut und für ein Wille zum Risiko, der an der europäischen Peripherie entflammt ist?" Denn in dem Brachland südlich von Malmö entsteht das Pienza des 21. Jahrhunderts: "Die Stadt am Öresund, vorangetrieben nicht durch ein Ideal von urbanem Leben, sondern durch eine Art von idealer Bauausstellung, ist in einem ganz anderen Sinne utopisch: Das Träumerische an ihr ist, dass sie überhaupt gebaut wird. Und gebaut wird sie nicht als Metropole, nicht als Manhattan am Schlick der Ostsee, sondern als Kommune." Einen Einblick in die Zukunft gibt es hier.

In einem etwas konfusen Text befasst sich Armin Adam mit der modernen Gestalt des Krieges. Seiner Meinung nach unterscheiden sich Kriege "weniger in den Gründen und Motiven, die sie auslösen, als in der Art Kriegsführung, die durch die Entwicklung der Waffen bestimmt ist". Und so verabschiedet er flugs Clausewitz und den politischen Zweck als Motiv des Krieges und wagt die Behauptung, dass, wer den Krieg verstehen will, "sollte die Kriegsführung in Rechnung stellen und sich fragen, ob nicht umgekehrt das politische Motiv oft erst durch die technologischen Möglichkeiten Schub und Plausibilität gewinnt." Also nicht "Blut für Öl", sondern "Blut für die neuen Kampfflugzeuge"?

Weitere Artikel: Warum es mit dem Likud keinen Frieden im Nahen Osten geben kann, erklärt Richard Chaim Schneider mit Zeev Jabotinsky, dem Begründer des "revisionistischen Zionismus", der als Ideologie bis heute die Likud-Partei beherrsche. "Anders als Ben Gurion hielt Jabotinsky Versuche einer Verständigung bei der Staatsgründung für vergeudete Zeit und militärische Überlegenheit für die entscheidende Voraussetzung für deren Gelingen." Fritz Göttler meldet, dass Hollywood die Geschichte von Sylvia Plath und Ted Hughes verfilmen will, was der Tochter gar nicht gefällt. Wolfgang Schreiber erinnert an den Pianisten Claudio Arrau (mehr hier), der morgen hundert Jahre alt werden würde.

Auf der Medienseite stellt Hans-Jürgen Jakobs den Guru vom Vorarlberg vor, den Verleger Eugen Russ, zu dem seine deutschen Kollegen in Scharen pilgern, denn Russ macht mit seinen "Vorarlberger Nachrichten" Gewinn. Und Claus Klebers Debüt als Anchorman beim heute-journal findet Claudia Tieschke ganz gelungen.

Besprochen werden die Uraufführung von Bernhard Studlars "Transdanubia Dreaming"an der Wiener Burg, eine Ausstellung zu Leonardo da Vinci im New Yorker Metropolitan Museum, ein Konzert der Berliner Staatskapelle mit Barenboim in Wien, die Thriller-Fortsetzung "Anatomie 2", eine Aufnahme des "Wohltemperiertem Clavier" mit Pierre Hantai, eine Vivaldi-Edition des Labels Opus 111, ein Mozart-Album des Concerto Köln. Und Bücher: darunter FX Karls Roman "Memomat", ein Bildband, über Island, eine Bibliografie zu Paul Cassirer, eine dokumentarische Biografie zu Leonardo da Vinci.