Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.03.2003. Bei der SZ ganz viel Weiß, wo sonst das Streiflicht war - so tritt die Redaktion den Rückweg ins Regionale an. In der NZZ deckt Ulrich Beck eine friedensbringende Dialektik des Militarismus auf. In der taz erklärt der argentinische Publizist Horacio Verbitsky, was faul ist in seinem Land: alles, eigentlich. Die FR fragt, ob W. G. Sebald einfach so reale Biografien verwenden durfte, wie er es in "Austerlitz" tat. Und alle vermissen den Ruck in Schröders Rede.

SZ, 15.03.2003

Zu Beginn ein kleiner, aber feiner hausinterner Eklat. Viel Weiß auf der ersten Seite oben links, wo das Streiflicht seinen Platz hat. Das kommt heute mit wenigen anklagenden Sätzen aus. "Ausgehend davon, dass die NRW-Beilage dieses Blattes zum heutigen Samstag eingestellt wurde, obwohl die Kolleginnen und Kollegen beste Arbeit geleistet haben; in Erwägung ferner des Umstandes, dass die Redaktion der SZ bei weiteren Einschnitten irreparable Schäden fürs Blatt und den Journalismus insgesamt befürchtet (mehr dazu auf der Medienseite); eingedenk all dessen sah sich das Streiflicht heute außer Stande, aufs gewohnte, den Lesern und ihm selbst lieb gewordene Format anzuwachsen." Im Netz steht übrigens noch das Streiflicht von gestern. Streikbrecher in der Online-Redaktion?

Das Berliner Ensemble feiert gerade große Erfolge mit dem Theaterstück "Die Mutter", bei dem auch die alten "Propaganda-Hits" von Brecht und Eisler Abend für Abend beklatscht werden. Der musikalische Leiter Michael Gross spricht über den aktuellen Hanns Eisler und die Vereinbarkeit von Kunst und Propaganda: "Dieser Rhythmus hat die Fähigkeit zu uniformieren. Damit kannst Du das Individuum in die Masse auflösen, die Leute hören auf zu denken. Du bringst sie schon allein durch dieses Gestampfe in eine Manipulierbarkeit, die sehr weit gehen kann: Wenn diese Musik in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter erlebt wird, kann es zu Entäußerung kommen, Vergessen des Körpers, zu einem rauschhaften dionysischen Fest. Das ist für mich das große Problem mit Agitprop: dass du mit denselben musikalischen Mitteln für linke wie für rechte politische Ideen werben kannst. Das ist dem Eisler ja auch passiert mit einem Kampflied, das von den Nazis umgedichtet worden ist."

Weitere Artikel: Gustav Seibt fand die Kanzler-Rede zum Gähnen, "mulmig interessant war allein die Einleitung", von "Schmidtscher Wucht konnte keine Rede sein". In der Reihe Briefe aus dem 20. Jahrhundert kommentiert diesmal Andreas Bernard ein Schreiben von Uwe Johnson an Fritz J. Raddatz aus dem Jahr 1966. Ralf Berhorst wundert sich über den plötzlichen Abgang des Generaldirektors der Berliner Staatsbibliothek Graham Jefcoate. Susan Vahabzadeh argwöhnt, dass hinter der Oscar-Diskussion um Roman Polanskis Verführung einer Minderjährigen eine Meinungskampagne gegen einen aussichtsreichen Kandidaten steckt. Fritz Göttler gratuliert dem unverbesserlichen und zeitlosen Regisseur Philippe de Broca (mehr) zum Siebzigsten. Jens Schneider berichtet von der Entdeckung seltener Renaissance-Instrumente im Dom zu Freiberg, in den Händen von Engeln. Sebastian Werr hat auf einer Tagung Neues über die Bedeutung des Zeremoniells an deutschen Höfen erfahren. Thomas Kirchner weiß, dass das Dada-Haus in Zürich erhalten und zu einem Zentrum ausgebaut werden soll. Ijoma Mangold lässt uns wissen, dass der Börsenverein die Buchmesse in Frankfurt halten will.

Auf der Literaturseite findet sich ein Aufruf von Imre Kertesz (Bücher) an die osteuropäischen Staaten, die Öffnung zur EU nicht aus nationalistischer Selbstgefälligkeit zu verpassen. "In Ungarn - und anderswo - haben wir bereits gesehen und erlebt, dass die selbstbemitleidende Kultivierung geschichtlicher Traumata und Frustrationen in einer Nation die schlechtesten Kräfte freisetzt, die ausschließlich Katastrophen kennen und aus Katastrophen Nutzen ziehen. Warum vermögen wir nicht etwas Neues, etwas Hoffnungsvolleres zu beginnen?"

Besprochen werden Hans Neuenfels' Inszenierung von Mozarts "Idomeneo" in Berlin, die Uraufführung der Tschechow-Oper "Senja" in Münster, die Magritte-Ausstellung in Paris, und Bücher, darunter Herbert Haffners Biographie von Wilhelm Furtwängler, Alexej Slapovskys Christus-Roman "Der heilige Nachbar" und Bernhard Maiers Studie über "Die Religion der Germanen".

In der SZ am Wochenende verleiht Willi Winkler dem größten Poptheoretiker der Welt Diedrich Diederichsen den "Adorno des Monats" und zitiert im Folgenden genüsslich aus dessen Aufsatz "Pop ist ein Absturz": "'Später in Sub- und Gegenkulturen entsteht dann so was wie eine neue Sprache, eine der Sprache Bricolage und des fortgesetzten Umbaus...' Entschuldigung, liebe taz, aber gibt es dafür Geld? Oder war Diederichsen bloß so was von betrunken? Der beste Satz, den Adorno nie geschrieben hat, geht so: 'Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen'."

Brigitte Kronauer (Bücher) wandert literarisch durch die Flussmarschen der Niederelbe. Eine Tide-Versuchsanlage löst den Autor in ihr aus: "Schon immer haben mich solche künstlichen, illusionslos mit Illusionen spielenden Naturanlangen interessiert. Dieses kleine Naturmuseeum tut es besonders, und neuerdings ist es für mich, da anderes weggefallen ist, das Juwel der Umgebung. Dort vereinigen sich in zaubrischer Mischung Wissenschaftlichkeit und das Gemütvoll- Schwärmerische von Clematislauben und Seerosenteichen, kiebig- kleingärtnerische Wirsingreihen mit abrupt wechselnden Landschaften, Modell und souverän überwachter Wildwuchs. Es gibt überwältigende Naturandeutungen, in die man infantile Vorstellungen von ungezügelter Wildheit einfüllen kann."

Außerdem: Juan Moreno plädiert eindringlich für eine Verlängerung des Winterschlafs in diesem schon verlorenen Jahr. "Ratzen, knacken, pennen, schlummern" für den Frieden auf Erden. Marcus Jauer hat den Hausmeister des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums begleitet, den es immer wieder in die leere Schule zieht, um die Toten zu begrüßen. Christoph Schwennicke erklärt die versteckten Freuden des Anglerdaseins. Die Theaterschauspielerin Anne Tismer, zuletzt als "Nora" in Thomas Ostermaiers Ibsen-Bearbeitung zu sehen, redet schließlich über Franz-Xaver Kroetz und das Schweigen.

NZZ, 15.03.2003

Der Soziologe Ulrich Beck (mehr hier) erkennt im Irak-Konflikt eine dritte Alternative zum bisherigen Dualismus von Krieg oder Status quo aufleuchten, die er allerdings für nicht minder gefährlich hält: "Eine Politik der militärischen Bedrohung, die friedlich die Welt verändert. Diese Alternative beruht auf der gefährlich abschüssigen Unterscheidung zwischen Krieg und Kriegsdrohung und auf der nicht weniger abenteuerlichen Dialektik, dass mit der Perfektionierung der Kriegsdrohung verbunden werden kann, was sich ausschließt: das despotische Regime zu stürzen und den Krieg zu vermeiden. Das kann man in einer paradoxen Wortbildung vielleicht als 'militärische Aufklärung' begreifen: Nur das bedingungslose Ausspielen der unipolaren US-Militärmacht, die keinen Rivalen kennt, kann - das ist die zentrale Paradoxie - den Einsatz militärischer Gewalt überflüssig machen. Wer beides will - die Welt verbessern und den Krieg verhindern -, muss in Wort und Tat die Sprache der kriegerischen Weltverbesserung sprechen, die den Menschen absolut verlogen erscheint."

Weitere Artikel: Heribert Seifert berichtet, wie Nordrhein-Westfalen an die Folgen des "Reichsdeputationshauptschlusses" von 1803 und damit an seine Säkularisierung erinnert. Samuel Herzog hat der wiedereröffneten Wiener Albertina einen ersten Besuch abgestattet.

Besprochen werden heute nur Bücher, darunter Jonathan Safran Foers Roman "Alles ist erleuchtet", eine Monografie des Fotografen Stefan Moses, Bernhard'Langs Profil "Jahwe - der biblische Gott" sowie Georges Didi-Hubermans Studie zu Aby Warburg "L'Image survivante" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Literatur und Kunst ist auf die schöne Idee gekommen, acht Exzentriker zu porträtieren, allesamt "standhafte und eigensinnige" Damen und Herren, die in vollem Ornat in ihrer Sonderlichkeit und in sich selbst kreisten: Die Dichterin Edith Sitwell, die ins Serail geflüchtete Lady Wortley Montagu, den Pianisten Charles-Valentin Alkan, den "genialischen Dilettanten" Egon Friedell, den fünften Duke von Portland William John Cavendish-Bentinck-Scott, die "tapferste Opernsängerin aller Zeiten" Florence Foster Jenkins, den Philosophen Philipp Mainländer und schließlich die Hetäre Gräfin Franziska zu Reventlow.

TAZ, 15.03.2003

Der argentinische Publizist Horacio Verbitsky erklärt im Interview, was faul ist im Staate Argentinien. Eigentlich alles, wie es scheint. Verbitsky wettert gegen die räuberische Bourgeoisie, die gierigen Militärs der Siebziger, die falsche Reformpolitik der Achtziger und die Privatisierung in den Neunzigern. "Die Privatisierung unter Menem ist nur noch vergleichbar mit dem brutalen und korrupten Vorgehen in der früheren Sowjetunion. Über die Privatisierung erreichte Menem, dass die Interessen der großen Wirtschaftsgruppen eine Zeit lang harmonisierten. Sie hatten eine Beute zum Teilen."

In den Dreißigern gab es zwei berühmte Kriegsschriftsteller. Helmut Höge erinnert an den "Schrifsteller in Uniform" Edwin Erich Dwinger, der die Schlacht ganz anders beschrieb als sein tschechischer Kollege Jaroslav Hasek. "Dwingers Trilogie 'Die Deutsche Passion' feiert den soldatischen Mann und beschwört die Treue zwischen Führern und Gefolgschaft. Während Hasek in den 'Abenteuern des braven Soldaten Schwejk' die List und den Überlebenswillen der kleinen Frontschweine preist."

Weiteres: Stefan Koldehoff amüsiert sich über die Pressestelle der Hamburger Kultursenatorin Dana Horakova, die seit den Untätigkeitsvorwürfen gegen ihre Chefin nun täglich jeden Atemzug derselben vermelden. Brigitte Werneburg hält die Picasso/Matisse-Doppelausstellung in Berlin für einen weiteren Ausdruck der Museumsmisere in der Hauptstadt.

Auf der Medienseite ätzt Sabine Jacobs ein wenig über den Verein Power Child, der vom Red Nose Day profitieren soll. Der Verein hat nämlich "kaum Projekte - aber eine äußerst präsentable Schirmfrau".

Für das arabisch-inspirierte tazmag war Daniel Bax bei EMI Arabia in Dubai zu Besuch und schildert bestürzt die große Vereinheitlichung, die dank Satelliten TV jetzt auch die arabische Welt erfasst - zumindest die Welt der Popmusik. "So unterschiedlich im Musikstil, so uniform sind arabische Musikclips in dem Lifestyle, den sie abbilden. Es ist die westlich-moderne Konsumkultur mit ihren Statussymbolen, der gehuldigt wird. Großzügig werden Villen mit Swimmingpool oder ganze Schlösser, Jeeps und Mobiltelefone ins Bild gerückt - ein Reichtum, der für die meisten Zuschauer unerreichbar ist. Garniert wird das gerne durch einen tiefen Griff in die romantische Klischeekiste, mit roten Rosen und weißen Pferden. Mit arabischer Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Wenn überhaupt mal ein Kopftuch auftaucht, dann ist es modisch gebunden wie bei Audrey Hepburn." So etwa?

Der Gründer der bedeutenden Townhouse Gallery in Kairo ist ein Kanadier. William Wells spricht über seine Erfahrungen mit Kairo und der Kunst: "Als ich vor vier Jahren anfing, gab es keine Kunstszene. Es gab zwei, drei private Galerien, das war alles. Andererseits hat diese Stadt um die 17 Millionen Einwohner, und die Hälfte davon ist unter 25. Was hängen die an die Wände? Bestimmt nicht dasselbe wie ihre Eltern, sondern etwas, was ihrer Vorstellung von einem modernen Lebensstil entspricht. Für diese Leute wollte ich eine Galerie eröffnen - mit jungen Künstlern. Es kam ganz anders. Und das nur wegen des Ortes, den ich wählte, einer kleinen Gasse in der Altstadt. Die anderen Galerien liegen alle an Hauptstraßen. Kein Mensch glaubte, dass ein solcher Ort mit Kunst vereinbar wäre - viel zu dreckig. Es ist ein in sich geschlossenes Viertel, mit eigener Lebensanschauung, eigener Körpersprache - wie die Midaq-Gasse im gleichnamigen Roman des Nobelpreisträgers Nagib Machfus eigentlich."

Außerdem: Wael Kodeih hat sich von einem libanesichen Rapper erklären lassen, wie die Gesellschaft funktioniert (dazu ein Überblick über die besten Clubs im Libanon). Musa Shteiwi berichtet, dass sich das Internet jetzt auch im arabischen Raum ausbreitet. Kristina Bergmann informiert uns über die Situation des Kinos in Ägypten. Daniel Bax porträtiert den ägyptischen Sänger und Schauspieler Mohamed Mounir, der jetzt auf Deutschlandtournee geht. Dazu gibt es Informationen zu arabischen Karikaturisten, zur Homosexualität, zum Pop und zu Seifenopern.

FR, 15.03.2003

Zwei Artikel befassen sich mit Schröders Rede. Christian Schlüter hat beobachtet, wie aus ständigen Wiederholungen ein Mythos erwuchs: "Wirtschaftliche Globalisierung und internationale Politik herrschen wie unbezwingbare Kräfte über dem Standort Deutschland. Ein gar mächt'ges Schicksal dräut." Petra Kohse dagegen hat sich an einen Pastor erinnert gefühlt, dem die Wahrheit von höchster Stelle offenbart worden ist, um sie dem Volk mitzuteilen. "Der Regierungschef als Erwählter und Märtyrer, als Outcast. Es ist ein halb frömmlerisches, halb romantisches Verständnis von Staatsdienerschaft, das Schröder gestern mausgrau murmelnd zur Schau stellte."

Rebekka Göpfert fragt sich, ob W. G. Sebald (Bücher) sich für seinen Roman "Austerlitz" (mehr hier) so schamlos aus dem Leben der Susi Bechhöfer bedienen hätte dürfen, wie er es offensichtlich ohne Erlaubnis der Emigrantin getan hat. Grundsätzlich gefragt: "Darf ein Autor reale Biografien umarbeiten, sie den Spielregeln seiner Ästhetik unterwerfen? Muss er vorher um Erlaubnis bitten? Kann er einen fiktiven Namen verwenden und gleichzeitig eine wirkliche Biographie nachzeichnen? Soll er an irgendeiner Stelle im Buch, etwa in einer Danksagung, auf die reale Person hinweisen?"

Weitere Artikel: In Zeit und Bild würdigt Ole Frahm den besten deutschen Comic-Zeichner des vergangenen Jahrhunderts, Erich Ohser (mehr hier), der heute vor 100 Jahren geboren wurde. In Zimt erinnert sich Renee Zucker, was ein Catch 22 ist. Rudolf Maria Bergmann ist sehr angetan von der wiedereröffneten Wiener Albertina, allein "die Fassade ist ein Kunstwerk aus Maß und Proportion und Reduktion".

Besprochen werden Hans Neuenfels' Inszenierung von Mozarts "Idomeneo" an der Deutschen Oper Berlin, und Bücher, etwa Reinhard Jirgls großartiger Roman "Die Unvollendeten", Wilfried Hinschs Rawls-Interpretation "Gerechtfertigte Ungleichheiten. Grundsätze sozialer Gerechtigkeit" und Walker Evans Bildband mit seinen "Polaroids".

Im Magazin schwingt ein selbstbewusster Daniel Libeskind mit der inneren Musik, die auch in seinen Entwürfen wie dem neuen WTC steckt. Aber, trotz aller Musik: "Die Leute unterwerfen sich der Architektur nicht mehr wie früher, und ich baue keine Kathedrale zur Einschüchterung." Für das Größte hält er die Achitekur aber immer noch. "Ich beziehe mich auf den Schriftsteller Henri Louis Bergson. Er sagt sinngmäß, dass das Universum eine Maschine ist, die Götter produziert. Mir scheint, dass Architektur die Maschine ist, die dieses Universum produziert."

Die Schrifstellerin Szuzsa Bank erfreut uns mit einer Kurzgeschichte über zwei Busenfreundinnen die sich trennen müssen. Eine erinnert sich später an ihre Gefährtin: "Auf unseren Spaziergängen, Streifzügen, Ausflügen ließ sie keines aus, nicht das auf dem Aussichtsturm im nahe gelegenen Wald, nicht das auf der Besucherterrasse des Flughafens. Jedes Mal stellte sie sich auf dieses winzige Podest aus Stahl, mit ihren dicken Schuhen, Sommer und Winter, hielt sich fest an den Griffen, die mit ihrem Rost ein Rot auf ihren Fingern ließen, rechts und links, und zog sich hoch daran."

Weiteres: Monika Klutzny gibt Tipps, wenn das eigene Kind in der Schule gemobbt wird. Frauke Hass berichtet vobn ihrer Begegnung mit einem Blauwal am St. Lorenz Strom. Till Hein erzählt von den Treks durch die Wüste Tunesiens - für Anfänger.

FAZ, 15.03.2003

Nach Schröders Rede und Merkels Antwort hat Mark Siemons erkannt, dass die Lage wirklich ernst ist: "Wirklich düster sieht es erst aus, wenn die Zahl der munteren Mienen ringsum in die Höhe schnellt, der beschwingten Stimmen, die an Zuversicht und Optimismus appellieren. Wenn solches geschieht, ist klar, dass der Boden schwankt."

Zum sechzigsten Geburtstag der Schauspauelerin Kirsten Dene beschreibt Gerhard Stadelmaier sein typisches "Dene-Gefühl": "Dieses Gefühl rechnet immer wie mit einer Eruption: einem Ausbruch von etwas Überschüssigem, Gefährlichem, Geheimnisvollem, Unterdrücktem - aber nicht in tausdend verletzende Splitter zerberstend, sondern aufsprühend in schillernd humanen Feuerwerksgarben. Leuchtend über alle Grenzen hinweg."

Weitere Artikel: Dass Hessen und Frankfurt dem Poker um einen Umzug der Buchmesse nach München so tatenlos zusehen, lässt Hannes Hintermeier fragen, ob dahinter "Taktik, Indolenz oder Dummheit?" steckt. Jürgen Kaube rechnet mit den Unternehmensberatern von Roland Berger ab, die für die Berliner Universitäten ein Sparkonzept entwickeln sollten, ohne auch nur einmal dort gewesen zu sein.

Thomas Wagner porträtiert den kanadischen Künstler Rodney Graham, dem er niederschmetternde Einsichten in die Kontingenz des Lebens verdankt und dessen Werk gerade im Düsseldorfer K21 zu sehen ist. Martin Sabrow erinnert an den "Tag von Potsdam" vor siebzig Jahren, an dem Hitler seinen Frieden mit Hindenburg macht und damit auch das konservative Bürgertum hinter sich brachte.

Erna Lackner sieht die Wiener Albertina nach ihrer Wiedereröffnung vom lichtempfindlichen Stiefkind in eine seidig glänzende Prinzessin verwandelt. Jürg Altwegg blickt in französische Zeitschriften, die sich noch einmal mit Jean Genets legendärem Artikel über das Massaker von Schatila beschäftigen.

Die Konkurrenz von der Frankfurter Rundschau hat eine Landesbürgschaft beantragt hat, und Alexander Bartl fragt auf der Medienseite, ob solche staatlichen Subventionen für die Presse eigentlich in Ordnung gehen (Die FAZ hätte Frankfurt wohl gern alleine?). Uwe Walter gibt uns einen Vorgeschmack auf die neue "Enterprise"-Staffel, die erzählen will, wie im Jahr 2051 alles anfing.

Besprochen werden Hans Neuenfels Choreografie des "Idomeneo" an der Deutschen Oper Berlin, Alan Parkers Film "Das Leben des David Gale" (in dem Andreas Platthaus das wunderbare, "wie aus Wurzelholz geschnitzte" Gesicht des Schauspielers Matt Craven entdeckt hat), das neue Album von Placebo "Sleeping With Ghosts" und neue Aufnahmen von Beethoven, Lortzing und Mayr.

Und Bücher, darunter die beiden neuen Biografien Katia Manns von Inge und Walter Jens und von Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck, Thomas Manns "Zauberberg" in der neuen kommentierten Frankfurter Ausgabe sowie Kinderbücher (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).