Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.04.2003. Die SZ fragt: Ist der Frankfurter Kulturreferent ein als Barsch getarnter Hecht? Die FAZ präsentiert neue Methoden zur Erzielung von Fettlebern. Die FR weiß, warum die Amerikaner im Irak als Feind empfunden werden. Die NZZ sucht Identität in Westafrika.

SZ, 29.04.2003

"Gelegentlich sorgt man sich um ihn. Schläft er jetzt ein, oder versinkt er gerade in seiner eigenen Gedankenwelt?" In der Serie über Deutschlands Kulturreferenten porträtiert Jürgen Berger den Frankfurter Vertreter dieser Spezies Hans-Bernhard Nordhoff, der Berger freilich nicht ganz geheuer ist: "Vielleicht vermittelt er ja bewusst einen etwas schläfrigen Eindruck, um sein eigenes Kultursüppchen zu kochen. Verwendet man einmal mehr das Bild vom Frankfurter Haifischbecken, wäre Nordhoff ein als gründelnder Barsch getarnter Hecht - ein schweigsamer Jäger, der nicht preis gibt, ob und was er gerade denkt."

Weitere Artikel: Petra Steinberger beschäftigt sich mit der amerikanischen Mystifizierung seiner Kriegsgefangenen. Sonia Zekri besuchte die neugestaltete KZ-Gedenkstätte in Dachau und vermisst unter anderem "eine vernünftige Zufahrt". Fritz Göttler gratuliert dem amerikanischen Filmemacher Irvin Kershner zum 80. Geburtstag. Susan Vahabzadeh berichtet über die Anstrengungen von Baz Luhrmann ("Moulin Rouge"), Puccinis "La Boheme" an den Broadway zu bringen ("Hits und tolle Klamotten und wundervolle Kulissen"). "rfr" informiert über die bevorstehende Verwaltungsratssitzung, die über den Verbleib von Christoph Marthaler in Zürich entscheidet. Und auf der Medienseite werden Zenith und Inamo vorgestellt, zwei Fachzeitschriften über den Orient.

Evelyn Roll philosophiert in der Kolumne Zwischenzeit über die begrenzte Reichweite von Drohungen, und in seiner New-York-Kolumne Code Orange erklärt Andrian Kreye, inwiefern die Reiseabteilung der UN eine Art "Seismograph der Weltlage" ist. "akis" staunt schließlich über Details aus der neuen Studie der Deutschen Bank zum Thema "Umverteilung einer schrumpfenden Bevölkerung".

Ansonsten viele Kritiken heute. Besprochen werden das Kölner Auftaktkonzert der Deutschlandtournee von Paul McCartney, zwei Ausstellungen zum Expressionismus in der Fondation Beyeler und im Kunstmuseum Basel, Lin Hwai-mins Choreografie "Cursive" im Deutschen Nationaltheater Weimar, Sarah Kanes Stück "Zerbombt" am Bonner Theater und eine Inszenierung von Benjamin Brittens "Peter Grimes" an der Komischen Oper Berlin.

Und dann natürlich Bücher, darunter eine bisher nur auf französisch erschienene Polemik von Arno Münster über Heidegger, ein Balkan-Porträt von Richard Wagner und eine akribische Erschließung der "berühmtesten Zeitschrift der Goethezeit", dem Journal des Luxus und der Moden (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr)

TAZ, 29.04.2003

Ein reines Besprechungsfeuilleton heute. Im Aufmacher stellt Harald Fricke die Berliner Ausstellung "Wonderyears" im Kunstamt Kreuzberg und NGBK vor. Sie zeige, "wie die aktuelle israelische Kunst nach Möglichkeiten sucht, sich ohne ritualisiertes Gedenken an den Holocaust zu erinnern". "Es ist schwer zu sagen, wer mit den Exponaten der Ausstellung "Wonderyears" in der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst provoziert werden soll. (...) Niemand würde in Deutschland die Vernichtung der Juden im Dritten Reich bezweifeln, niemand würde die Opfer des Holocaust mit anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgleichen, niemand würde die Täterschaft der Deutschen leugnen. Das ist der Konsens aus 50 Jahren Vergangenheitsbewältigung. In Israel hat die Aufarbeitung zu keinem vergleichbaren Diskurs geführt. Dort wird die Shoah, so eine häufig im Katalog zu 'Wonderyears' vorgebrachte These, als Legitimation für politische Ziele benutzt und damit auch ein Stück weit entwertet. Die Kriege gegen Ägypten und Libanon oder die Besetzung palästinensischer Gebiete - alles geschah, um 'ein neues Auschwitz' zu verhindern."

Gerrit Bartels verreißt einen Auftritt des Sängers Maximilian Hecker im Berliner Kaffee Burger, findet aber immerhin dessen neue CD ganz anständig. Gut gefallen hat dagegen Daniel Bax ein ausverkauftes Berliner Konzert des "Daniel Düsentrieb des Pop", Peter Gabriel.

Besprochen werden darüber hinaus Bücher, darunter "Blue Tango", eine traurige Geschichte des Iren Eoin McNamee nach einem authentischen Fall, Sven Amtsbergs "Mädchenbuch" und James Der Derians als "brillant" bezeichnete Studie "Virtuous War" über das "Military-Industrial-Media-Entertainment-Network in den USA als technologisches Herz der Finsternis". In der Abteilung Politisches Buch gibt es schließlich noch Rezensionen einer Bestandsaufnahme der ehemaligen Ombudsfrau für Menschenrechte, Gret Haller: "Die Grenzen der Solidarität. Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation und Religion" und eine Studie von Thomas Schuler: "Immer im Recht. Wie Amerika sich und seine Ideale verrät" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Und hier TOM.

FR, 29.04.2003

Die Soziologen Andrew Arato und Hauke Brunkhorst analysieren die Unterschiede, die dazu führten, dass - anders als in Deutschland und Japan - die US-Truppen im Irak als Feind empfunden werden. So seien "sowohl die inneren Voraussetzungen als auch die äußeren Bedingungen der Okkupation ganz andere. Während in Deutschland und Japan nach zwölf beziehungsweise fünfzehn Jahren Diktatur die Erinnerung an den untergegangenen Verfassungsstaat und die 'Herrschaft des Rechts' noch lebendig war, ist das nach über 40 Jahren Baath-Partei in Irak nicht der Fall." Dem "Neuordnungsprozess" sehen die Autoren kritisch entgegen: "Für revolutionär gesonnene Imperialisten wie Bush, Cheney, Wolfowitz und Garner gilt ohnehin die demokratietötende, wohlfahrtsfeindliche Maxime, dass man sich den Krieg etwas kosten lassen muss, nicht aber den Frieden. Mit diesem Personal ist kein demokratischer Rechtsstaat zu machen. Auch seinen hoffnungsvollen Vorläufer in Deutschland, einen sanft paternalistischen Adenauerstaat mit Westintegration und Wirtschaftswunder, wird es in Irak nicht geben."

Michael Mayer untersucht den "Pragmatismus", mit dem Amerika sein "Recht auf Krieg im Krieg" verfertigt habe. "Pragmatisches Handeln wird dort zum Problem, wo, Kantisch gesprochen, seine alltagspraktische Maxime zum allgemeinen Prinzip überhöht wird: zum Prinzip der Prinzipienlosigkeit. Das 'Paradigm lost', der Verlust letztgültiger Maßstäbe von Urteil und Tat, gerät zum letzten beglaubigten Paradigma. Die Spannung zwischen Sein und Sollen wird nivelliert: als ergäbe sich die Richtschnur allen Tuns allein aus seinen Wirkungen. Als heiligte der Zweck die Mittel. Als wäre einzig wahr, was nützt. Als fiele das Gelingen einer Handlung mit seiner Rechtfertigung zusammen. Beobachten wir momentan nicht genau das?" (Wahnsinn, was die Amerikaner sich alles gedacht haben!)

Weitere Artikel: Jutta Hess verteidigt das Konzept der Literatursendung im Fernsehen und hofft auf Elke Heidenreichs neue Sendung "Lesen", die heute im ZDF startet. Judith Jammers informiert über den "neuesten Coup" von Werbemann und Kunstsammler Charles Saatchi, der seinen Young British Artists in der Nähe des Bahnhof Waterloo ein eigenes Museum spendiert hat. Alexander Kluy empört sich, dass die Augsburger Stadtväter den Wert ihrer finanziell angeschlagenen Puppenkiste offenbar nicht zu würdigen wissen. Und in seiner "Zonen"-Kolumne erinnert sich Michael Tetzlaff an seine Schulzeit. Gemeldet wird schließlich noch die Verleihung des rheinland-pfälzischen Kunstpreises an Rafik Schami.

Besprochen werden eine Frankfurter Ausstellung von Architekturvisionen aus dem Museum of Modern Art in der Kunsthalle Schirn, die Inszenierung von Brittens Oper "Peter Grimes" in Berlin, die Tanz-Sprech-Oper "Decreation" von William Forsythe im Frankfurter Bockenheimer Depot, Atiq Ramihis Stück "Asche und Erde" am Schauspielhaus Hamburg. und Wolfgang Büschers Reisebericht von Berlin nach Moskau (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

NZZ, 29.04.2003

Frank Wittmann skizziert am Beispiel dreier afrikanischer Länder - Senegal, Gambia, die Kapverdischen Inseln - wie unterschiedlich die Probleme sind, die einer eigenen Identität im Wege stehen. Zum Senegal etwa schreibt er: "So war vor kurzem in der angesehenen Tageszeitung Walfadjri zu lesen, dass Werte wie Humor, Kreativität und Vitalität dem Westen verloren gegangen, in Senegal aber noch wirksam seien. Diese sich auf einige Stereotype beschränkende Analyse übersieht aber, dass der Kulturkontakt zu einer Verinnerlichung von europäischen Denk- und Verhaltensweisen geführt hat. Materialismus, Rücksichtslosigkeit, Stress oder Vulgarität werden zwar als 'westlich' abgelehnt, sind aber in der dynamischen Metropole Dakar eine unübersehbare Alltäglichkeit."

Weitere Artikel: Paul Jandl war bei einer Tagung über den NS-Bücherraub in Wien. Beatrice Eichmann-Leutenegger stellt das Programm des Theatertreffens "auawirleben" in Bern vor, das in diesem Jahr seinen zwanzigsten Geburtstag feiert.

Besprochen werden die Ausstellung des kanadischen Fotografen Jeff Wall im Wiener Museum für moderne Kunst, der Film "Ten" von Abbas Kiarostami, eine "Salome" nach Oscar Wilde in Luzern, Les Ballets C. de la B. mit "Foi" von Sidi Larbi Cherkaoui in Berlin und Bücher, darunter Andre Kubiczeks Roman "Die Guten und die Bösen" und Manuel Castells' Studie über "Das Informationszeitalter" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 29.04.2003

Auf der letzten Seite beschreiben Erwin Seitz und Harald Wohlfahrt neue, tierschonende Methoden der Fütterung von Enten zur Erzielung von Fettlebern. Als Beispiel zitieren sie zumal den Elsässer Bauern Lucien Doriath, der die Tiere von Hand durch einen Schlauch, der mit einem Trichter verbunden ist, füttert: "Durch Knopfdruck rieselt der Mais mit Hilfe einer Hydraulik eine halbe Minute lang in den Kropf, während der Bauer den Kropf massiert, um die Körner zu verteilen und um zu fühlen, wann es genug ist. Die Enten, die neu im Stall sind, laufen scheu in die Ecke, wenn die Männer ins Gatter steigen und sie am Hals fassen wollen. Doch nach der Fütterung wirken sie nicht verstört, eher verwundert."

Monika Osberghaus schildert, mit wie drastischen Drohungen der Bloomsbury-Verlag deutsche Buchhändler davon abhalten will, den neuen Harry Potter zu lesen, bevor sie ihn verkaufen. Niemand protestiert, denn "keiner will es sich mit dem Lieferanten von Harry Potter verscherzen, der jedem einzelnen Verwertungsglied in der Kette soviel Geld herbeizaubert, allen voran natürlich seiner Schöpferin Joanne K. Rowlings, die inzwischen mit einem geschätzten Vermögen von 280 Millionen Pfund reicher ist als die Queen, wie die 'Rich List' der Sunday Times jetzt feststellte."

Weitere Artikel: Christian Geyer kommentiert ein Urteil des Karlsruher Oberlandesgerichts, nach dem es Abtreibungsgegnern aus Gründen der Meinungsfreiheit gestattet ist, Abtreibung als Mord zu bezeichnen. Michael Jeismann gratuliert dem Historiker und Hitler-Biografen Ian Kershaw zum Sechzigsten. Dietmar Polaczek berichtet um einen Streit um die "Geburtsmadonna" aus der Kirche Santa Maria nahe dem Städtchen Monterchi - die Frage ist, wo das berühmte Gemälde künftig hängen soll. Jürgen Richter meldet, dass der Deutsche Wetterdienst das Gebäude seines Zentralamtes in Offenbach abreißen will. Eleonore Büning stellt die Pläne der vier Berliner Sinfonieorchester für die kommende Saison vor.

Auf der Medienseite schildert Jürg Altwegg die Lage auf dem umkämpften Schweizer Markt für Sonntagszeitungen, auf dem selbst die "alte Tante" NZZ "ihre Tugenden über Bord" werfe. Christian Albrecht stellt das neue Magazin MenActive vor. Auf der Bücher-und-Themen-Seite liest Ingeborg Harms einige theoretische Modebücher aus den letzten Jahren und kommt zu dem Ergebnis, dass Pop auch in der Mode out sei. Auf der letzten Seite berichtet Regina Mönch über neue Methoden des Berliner Senats, seine Haushaltslöcher zu stopfen - jetzt will man den Studenten Gebühren abknöpfen, die direkt in die Kassen des Senats wandern sollen. Und Dieter Bartetzko porträtiert die babylonische Göttin Ischtar.

Besprochen werden der "fulminante" Auftakt der Deutschlandtournee von Paul McCartney, William Forsythes Ballettabend "Decreation" in Frankfurt, eine Studio-Ausstellung mit und über Vermeers "Geographen" in Kassel, ein "Wozzeck" in Wiesbaden und David Edgars Stück "Das Gefangenendilemma" in Essen.