02.07.2003. In der taz fordert Klaus Harpprecht den Rücktritt von "Dr. Frank-Felix Schirrmacher-Krull" als Herausgeber der FAZ. Die FAZ schildert, wie man mit Bourdieu die Kultur in Gefahr bringt. "Hier gibt es keine Heimkehr", seufzt die SZ nach Besuch des todgeweihten Palastes der Republik. In der NZZ beklagt Faraj Sarkohi die heuchlerische Iran-Politik Europas. Die FR widmet sich dem Rätsel der Wiederkehr der Sportschau sowie der Bahncard.
NZZ, 02.07.2003
Für die
NZZ berichtet der im deutschen Exil lebende iranische Autor
Faraj Sarkohi (mehr
hier) über die Schwierigkeiten der Positionierung
Irans zwischen
Europa und den
USA. Schon immer sei sein Land ein Spielball der jeweiligen Interessen gewesen. So wirft er den Amerikanern vor, für den herrschenden
Antiamerikanismus im Lande selbst verantwortlich zu sein, indem sie zusehr in die Geschicke des Landes eingegriffen hatten und auch schon mal einen
Putsch zur Ablösung einer unangenehmen Regierung stützten. Aber auch die
Europäer betrieben ihre Iranpolitik nur in
Eigennutz: "Diese Politik bestand in der Unterstützung der iranischen Regierung gegenüber dem Druck aus Amerika, der Förderung schrittweiser Reformen bei Fortbestehen der antiamerikanischen islamischen Regierung und der Beibehaltung des
Monopols europäischer Firmen auf die iranischen Erdöl- und Erdgasreserven unter Ausschluss der Amerikaner." Mitlerweile sei jedoch eine große Diskrepanz zwischen propagiertem Antiamerikanismus seitens der Herschenden und der Bevölkerung aufgetreten. Die Propaganda habe in Zeiten der
Reformbewegung, welche von den USA ausdrücklich unterstützt wird, eine
Gegenreaktion heraufbeschworen: "Der
Feind des Feindes wurde zum Freund".
Weitere Berichte: Markus Jakob
schreibt über die
Biennale von Valencia (mehr
hier), vom
Theater in Bielefeld (mehr
hier)
berichtet Elisabeth Schwind, und Peter Hagmann
schreibt über den
Auftritt des Dirigenten
Mariss Jansons mit dem
Tonhalle-Orchester Zürich: "was die Solistin
Elisso Wirssaladze an verwischten Läufen, verwackelten Synkopen und klanglicher Grobheit beigesteuert hat, war alles andere als
festspielwürdig."
Besprochen werden auch
Bücher, darunter
Volker Reinhardts Werk "Geschichte Italiens von der Spätantike bis zur Gegenwart" (mehr
hier),
Ed Sanders' "Tales of Beatnik Glory", eine satirische
Trilogie auf die wilden sechziger Jahre und
Judith Butlers Buch "Kritik der ethischen Gewalt" (mehr
hier). (Siehe auch unsere
Bücherschau ab 14 Uhr)
Martin Zingg widmet sich schließlich dem
Buch "Fümms bö wö tää zää Uu" einer Anthologie der Lautpoesie mit CD von
Christian Scholz und
Urs Engeler.
TAZ, 02.07.2003
Heute tobt das Leben vor allem auf der
Meinungsseite. Der Publizist und Thomas-Mann-Biograf
Klaus Harpprecht, dessen Name uns sonst aus den Spalten der
Zeit entgegenleuchtet,
ficht hier einen Strauß mit
FAZ-Herausgeber
"Dr. Frank-Felix Schirrmacher-Krull" aus
, den er für die Krise dieser Zeitung verantwortlich macht und der seiner Meinung nach aus der jüngsten Kündigung von fünfzig Redakteuren
persönliche Konsequenzen ziehen sollte: "Ein besessener Egomane, der zweimal
eine Redaktionselite
zum Exodus trieb. Seinem Expansionsrausch, der bis ins Jahr 2001 anhielt, als die Zeitung in die roten Zahlen sackte, machte erst Mitherausgeber Nonnenmacher 2002 ein Ende, als der Übermensch mit dem merkwürdig
unfertigen Posaunenengel-Gesicht das gesamte Feuilleton nach Berlin zu verfrachten plante, frech behauptend, so spare man Geld... Warum fordert keiner
Rechenschaft für die Konsequenzen seines Größenwahns, obschon die Herausgeber qua Statut verpflichtet sind, für das wirtschaftliche Wohlergehen des Blattes zu sorgen?"
"Wären wir das
Europa, von dem
Habermas, Rorty und andere träumen, hätten wir jetzt den ersten Austrittskandidaten: Italien",
lästert Mathias Greffrath auf der
Meinungsseite. Ob Berlusconi oder nicht, sie alle folgen dem "Washington Consensus", findet er: "Die Aufregung über den 'Paten' wird sich nach ein paar Zeitungswochen legen, denn Berlusconi steht treu zur globalen Verfassung: dem
Washington Consensus. Solange der gilt, mit seinen Artikeln Sozialabbau,
Kastration des Staates, Privatisierungs-Raubzug, globale Reservearmee - so lange sind alle Entgegensetzungen von Europa und Imperium, die durchs Feuilleton geistern,
substanzlos."
Andere Themen: Delef Kuhlbrodt
singt ein
Lob des Nikotins und nennt neun Gründe, sich eine anzustecken; von Meike Jansen
erfahren wir, dass
das Goethe-Institut von Salvador de Bahia im Nordosten Brasiliens zu einem wichtigen Zentrum für Medienkunst geworden ist, und Harald Fricke
ist sauer, weil Wal Mart
vorneherum den Taliban markiert und hintenrum bei der Bettgeschichtenleserschaft auf Kundenfang geht.
Besprochen wird die
Ausstellung "
Yanomami - l'esprit de la foret" in der
Fondation Cartier/Paris und
Ang Lees Film "Hulk".
Und hier kommt noch
TOM.
FR, 02.07.2003
Sportschau, Bahn-Card und Bisky: für Harry Nutt
sind die gegenwärtigen
Phänomene unheimlicher Wiederkehr insgesamt durch etwas Unfrohes und Verquältes gekennzeichnet. "Anstelle lustvoller Kombinatorik herrscht
nackte Angst, und wo schöpferische Zerstörung eine Lösung sein könnte, dirigieren Abwehrkünstler die Geschäfte. Die jüngsten Retro-Phänomene sind flüchtige Begleiter einer gesellschaftlichen Krise, in der das zentrale Problem nicht die dürftigen Konzepte zur Krisenbewältigung sind, sondern die
Unfähigkeit zur Kommunikation der Krise."´
Andere Themen: Antje Kraschinski hat sich mit der Frage
befasst, ob die deutsche Berichterstattung über den
Nahostkonflikt in Deutschland
Antisemitismus schürt. Rudolf Walther
begrüßt Adolf Muschg (mehr
hier) im Amt des Präsidenten der
Akademie der Künste. In der Kolumne
Times Mager zieht Alexander Kluy anlässlich des
Berliner Sandskulpturenfestivals Parallelen zu einer
subtilen Berlin-spezifischen Polithappening-Kunstform:"Vieles in den Sand zu setzen". Andreas Hartmann
erklärt uns, warum
Matthew Herbert nach seinem neuen Album "Goodbye Swingtime"
das Zeug dazu hat, der neue
Posterboy einer gepflegt antiamerikanischen und friedensbewegten Subkultur zu werden.
Gemeldet wird schließlich, dass in den Archiven der französischen Nationalbibliothek
sechs unveröffentlichte Lieder der französischen Chanson-Sängerin
Edith Piaf (1915-1963) gefunden wurden.
Besprochen werden die
Ausstellung "
Entertaining America. Jews, Movies, and Broadcasting" im New Yorker
Jüdischen Museum ("Wie jüdisch sind die
Seinfelds, diese irgendwie typischen New Yorker, die Anfang der neunziger Jahre zum beliebtesten Sit-com Programm aufstiegen? Über diese Frage kann man genüsslich streiten, gemeinsam lachen und dabei auch noch sich selbst im Spiegel anschauen. Wer kann das schon beim Anblick der
Lindenstraße?", fragt
Hanno Loewy), die
Ausstellung "
Bauhausstil - zwischen International Style und Lifestyle
" im
Bauhaus Dessau, Benjamin Quabecks Achtziger-Jahre-
Film "Verschwende Deine Jugend" sowie drei Hörbücher
mit Fifties O-Tönen (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).
SZ, 02.07.2003
Jens Bisky
erzählt vom Berliner
Palast der Republik, dessen asbestsanierte Hülle ab Freitag wieder besichtigt werden kann: "Man kann darauf wetten, dass sich die klaren Fronten verwischen und Illusionen
lautlos sterben werden. Der Ostdeutsche, wenn er denn einer unter den sechzig Millionen war, die das Haus im Lauf seiner Geschichte besuchten, wird sofort erkennen, dass der leer geräumte Palast nirgends mehr an die DDR erinnert. Hier gibt es keine Heimkehr. Wer an Großem Saal und Jugendtreff, am Theater im Palast, an
Bowlingbahn und
Glasblume hängt, wird nichts finden, das seinen Gefühlen antwortet."
Weitere Artikel: Ulrich Deuter
berichtet, wie in Nordrhein-Westfalen eine Institution
dramatisch heruntergehungert werden soll, die er zum Besten zählt, was
Rhein-Ruhr kulturpolitisch zu bieten hat: das
Kultursekretariat NRW. Tobias Kniebe macht seinem Ärger über Spam-Mails
Luft. Tobias Timm
war bei einem Symposion zum
USA Patriot Act in Berlin. Holger Liebs hat erlebt, wie ein Vortrag
Bill Violas einigen der Zuhörer
Tränen der Erschütterung in die Augen trieb, und "zig"
findet, dass der
Obersalzberg eine Dokumentationstätte braucht. Jens Bisky
liefert Eindrücke vom 13.
Kleist-Festival in Frankfurt/Oder. Andrian Kreye
schreibt über Schwierigkeiten, die der Poet Laureate von New Jersey,
Amiri Baraka (
hier die Poeten-Homepage), wegen eines Gedichtes über den 11. September hat. Martina Knoben
war auf dem
Münchner Dokumentarfilmfestival. Tilmann Buddensieg
würdigt den verstorbenen Kunsthistoriker und Denkmalpfleger
Martin Sperlich. Thomas Steinfeld
verbeugt sich anläßlich ihres achtzigsten Geburtstags vor der Dichterin und Nobelpreisträgerin
Wislawa Szymborska. Ulrich Raulff
gratuliert dem Historiker
Karl Otmar Freiherr von Aretin zum achtzigsten, Fritz Göttler
dem Filmregisseur
Eckhart Schmidt zum fünfundsechzigsten Geburtstag
Besprochen werden
Stephan Stroux' Inszenierung von Erik Regers "Union der festen Hand" im Welterbe Rammelsberg/Goslar,
Ang Lees Film "Hulk" und
Bücher, darunter eine neue
Biografie des türkischen Staatsgründers
Atatürk und eine amerikanische
Studie über
Musik und das
deutsche Nationalbewusstsein (mehr ab 14 Uhr in der
Bücherschau des Tages).
FAZ, 02.07.2003
Paul Ingendaay, der nicht nur
FAZ-Kulturkorrespondent in Madrid, sondern auch Herausgeber der neuen deutschsprachigen
Patricia-Highsmith-
Ausgabe ist, liest mit kennerischer und harter Kritik die erste Biografie über die Autorin,
Andrew Wilsons bisher nur auf englisch vorliegenden Band
"Beautiful Shadow". Immerhin erfährt man hier, wie traurig Highsmiths Kindheit war und mit
welchen Büchern sie sich tröstete: "Hin- und hergezerrt zwischen Texas und New York, mal in der Obhut der tatkräftigen Großmutter, dann wieder als unerwünschte Zeugin von
erbittertem Ehestreit, baute sich das Mädchen in Gedanken seine eigene Welt. Frühe Lektüren waren ein Bildband über die
Toten des Ersten Weltkriegs, die Erzählungen von
Edgar Allan Poe sowie 'The Human Mind', populärwissenschaftliche Fallstudien des Dr. Karl Menninger über
Schizophrene, Kleptomanen und Pyromanen." Sie hat früh mit ihren Recherchen begonnen!
Wiebke Hüster beschreibt in einem wütenden Text über das
Tanzfestival von
Montpellier, das wegen des
Streiks von Kulturarbeitern quasi ausfiel, eine Art Wiederauferstehung
Pierre Bourdieus. Denn die Streikenden nannten sich
culturendanger nach einem
Essay des Soziologen "La culture est en danger", wonach die
europäische Kultur der Globalisierung zum Opfer fällt: "Sollte dasselbe globale Profitstreben, dessen Erträge über Jahrzehnte für die soziale Absicherung nicht nur der Intermittents im französischen Wohlfahrtsstaat sorgte, womöglich nie etwas anderes zum Ziel gehabt haben, als die
Kunst abzuschaffen? Das Pathos, mit dem in Frankreich
um Prozente gekämpft wird, als ginge es um das Abendland, stammt aus solchen Überzeugungen: So bedroht und schwach, aber auch so rar, nützlich und kostbar sei die Position unabhängiger Kulturproduzenten noch nie gewesen, befand Bourdieu. Für die Überprüfung dieser These war es aber schlecht, dass das
Festival ausfiel."
Weitere Artikel: Christian Geyer erkennt in der Leitglosse
keinen Antisemitismus in der breiten Berichterstattung über den
Fall Friedman. Michael Gassmann schildert anhand von Auseinandersetzungen am Bonner Institut für
Musikwissenschaft die Krise im Selbstverständnis dieser Disziplin. Patrick Bahners gratuliert dem Historiker
Karl Otmar von Aretin zum Achtzigsten. Andreas Rossmann meldet, dass die
Wuppertaler Bühnen mit denen Remscheids und Solingens zusammenarbeiten wollen. Richard Kämmerlings gratuliert der Lyrikerin
Wislawa Szymborska zum achtzigsten Geburtstag. Uwe Ullrich berichtet über Streit um die Bebauung von
Dresdens Neumarkt.
Gemeldet wird, dass
Bremen mit seinem
Marktplatz auf die
Welterbe-Liste möchte.
Auf der
Stilseite stellt
Hans Ulrich Gumbrecht die knifflige Frage: "Wie können wir bei der Beschreibung tatsächlichen
Essens Genauigkeit erreichen?" Auf der
letzten Seite begeht Mark Siemons den asbestgereinigten und dennoch todgeweihten
Palast der Republik. Felicitas von Lovenberg
stellt die diesjährige
Bachmann-Preisträgerin Inka Parei vor. Und Joseph Hanimann liest neue
Pisa-Studien, die unter anderem Länder
Ostasiens einbezog, deren Ergebnisse die Deutschen nur beneiden können: "Am hellsten strahlt wohl das abendländische Volksschulmodell heute
im Orient."
Auf der
Medienseite unterhält sich Michael Seewald mit dem Unterhaltungschef des Bayerischen Rundfunks
Thomas Jansing, der über Geldmangel klagt. Jordan Mejias schildert die Lage der permanent um die Existenz kämpfenden
öffentlich-rechtlichen Sender in den
USA.
Besprochen werden eine
Ausstellung über das Werk des Architekten
Gottfried Semper in München und Nicolas Joels Inszenierung von
Wagners "Ring des Nibelungen" am Theatre du Capitole in Toulouse.