Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.07.2003. Als "seltsam zauberhaft" kommentieren die großen Zeitungen die Rettung der Berliner Opernlandschaft in ihrer verbürgten Dreifaltigkeit. In der Zeit wendet sich Architekt Frank O. Gehry gegen die Deckelung von Leuten mit Talent. Die NZZ beobachtet in den Neubauten der Stadt Minsk eine bizarre Überlagerung von sakraler und realsozialistischer Anmutung. In der FAZ kritisiert der irakische Autor Hussain Al-Mozany noch einmal die deutsche Position zum Irak-Krieg.

Zeit, 03.07.2003

In einem ganzseitigen Interview spricht der Architekt Frank O. Gehry unbefangen über kleinkarierte Architektur, seine jüdischen Wurzeln, Geld, Malerei, die Konkurrenz und seine Kritiker: "Statt gesichtslose Architektur zu verurteilen, schimpfen sie über die Eigentümlichkeit meiner Bauten. Offenbar bevorzugen sie das massentaugliche Mittelmaß. Mir kommt das undemokratisch vor ... Ja; diese Gleichmacherei ist sehr antiamerikanisch und unpatriotisch. Man soll Leute mit Talent nicht abdeckeln, man soll sie ermutigen, das beste aus sich herauszuholen, etwas ganz eigenes zu entwickeln."

In ihrem Nachruf auf Katharine Hepburn schreibt Ilse Aichinger (mehr hier): "Mit Spencer Tracy lebte sie auch; dass er verheiratet war, störte sie nicht, was ich verstehen kann ... Mir persönlich wäre nur Robert Mitchum noch lieber."

Jörg Lau warnt vor einer "Fusion" der Deutschen Oper mit der Staatsoper in Berlin: "Wer versucht, Barenboims Staatskapelle mit Thielemanns Charlottenburger Orchester zu verschmelzen, macht am Ende beide kaputt." Der Bund müsse die Staatsoper "vor den Berliner Fusionsplänen retten, statt diese Pläne auch noch zu unterstützen. Dann kann Berlin vielleicht sogar seine Deutsche Oper retten." Berlins OB Klaus Wowereit hatte kürzlich verkündet: "Wir brauchen in Berlin das Symbol der Opernschließung". Dieser Satz, erklärt im Interview Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, "kommt kulturpolitisch aus der Hölle".

Weitere Artikel: Die Lyrik lebt, jubelt Jens Jessen angesichts von 3.000 Besuchern bei der Eröffnung des Poesiefestivals in Berlin. Hannelore Schlaffer sieht in den Senioren den Adel von heute. Richard Herzinger nimmt Stellung zur Frage, ob die sogenannten Neocons um Bush nun Straussianer oder gar Trotzkisten sind. Alles Unsinn, meint er. "Strauss war der Prototyp dessen, was Karl Popper den 'orakelnden Philosophen' nannte. Im übrigen seien die Neocons keineswegs eine so homogene Gruppe, wie jetzt behauptet werde. Susanne Messmer stellt die Band "Wir sind Helden" vor. Peter Kümmel porträtiert den Bochumer Intendanten Matthias Hartmann, der ab 2005 das Hamburger Schauspielhaus übernehmen soll. Claudia Herstatt beschreibt neue Vermittlungsformen, mit denen Besucher in Galerien gelockt werden sollen. Mirko Weber singt dem Intendanten Bernd Loebe ein Loblied, weil er die Frankfurter Oper wieder "zum Blühen bringt".

Besprochen werden die "faszinierende" Ausstellung "ex oriente" in Aachen über die Reise des Elefanten Abul Abbas von Bagdad an den Hof Karls des Großen, Ang Lees Film "Hulk", Steven Soderberghs Film "Voll Frontal" und die Ausstellung "Auf eigene Gefahr" in der Frankfurter Schirn.

Im Aufmacher der Literaturteils stellt Tobias Gohlis mehrere Bücher zur Besteigung des Nanga Parbat vor. Ulrich Greiner kommt mit einer schweren Depression aus Klagenfurt zurück: "Der Erdball wird von Kriegen überrollt, der Dichter verzieht sich aufs Sofa." Im Politikteil hält Anne-Marie Slaughter (Princeton University) ein ungemein positiv klingendes Plädoyer für ein Demokratiebündnis von EU und USA, um die UN zu reformieren. Der Wissen-Teil stellt ein neues Universitätsranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft vor: Die erfolgreichsten Universitäten stehen im Süden der Republik, aber Berlin schneidet auch nicht so schlecht ab. Wer sich jetzt sofort bei der LMU in München anmelden will, sollte vielleicht noch die nächste Zeit-Ausgabe abwarten. Dort werden unter der Überschrift "Noch nicht einmal Mittelmaß" deutsche Universitäten im internationalen Vergleich vorgestellt. Im Dossier schildert Andreas Molitor, was vierzig Jahre Sanierungspolitik im Kreuzberger Viertel rund um das Kottbusser Tor angerichtet haben. Und im Leben eröffnet Wolfram Siebeck ein Sommerseminar zur Rettung der bürgerlichen Küche.

SZ, 03.07.2003

Der Berliner Senat hat einen Gesamthaushalt von 21 Milliarden Euro (und 50 Milliarden Schulden!). Davon werden 370 Millionen für die Kultur ausgegeben, das sind 1,76 Prozent des Gesamthaushalts. Dazu 300 Kultur-Millionen vom Bund. Dieser Betrag wird jetzt nochmals um 22 Millionen Euro jährlich aufgestockt. Die drei Opernhäuser sind damit vorläufig gerettet, erklärt Reinhard J. Brembeck in seinem gut recherchierten Artikel, vorausgesetzt, die geplante Opernstiftung bringt durch Einsparungen noch einmal 15 Millionen zusammen. Das allerdings, so Brembeck, "steht bisher nur auf dem Papier". Dennoch ist er zuversichtlich. Mit den Bundesmillionen könnten "in den nächsten Jahren sozialverträglicher Stellenabbau, Modernisierung und Entschuldung finanziert werden. Ein Berliner Wunder."

Mit Bitterkeit kommentiert Ulrich Raulff die von Antje Vollmer ins Leben gerufene Enquete-Kommission des Bundestages zur Lage der Kultur in Deutschland. "Sie soll den einzigartigen Reichtum der Kulturlandschaft Deutschland dokumentieren - und ihre rasch fortschreitende Verwüstung." Was soll das nützen, fragt sich Raulff. Eine Kulturpolitik, die den Namen verdiente, gebe es längst nicht mehr, "ob die Stelle des Kunsthistorikers in Marburg verlängert wird, entscheidet nicht der Wissenschaftsminister, sondern der Finanzminister". Und "auch wenn die neue Enquete nur das Relief der bedrohten Kulturlandschaft ausleuchten soll - sie nährt die Vorstellung von einem für die Kultur zuständigen Gesamtsubjekt namens Staat. Wer für den Erhalt von kulturellen Einrichtungen plädiert, sagt: Staat. Und wer für ihre Schließung ist, sagt wieder: Staat. Es ist die alte deutsche Lieblingsvokabel. Eine Zeit lang dachten wir, es gäbe noch andere. War ein süßer Irrtum."

Weitere Artikel: Der Mainzer Archäologe Michael Müller-Karpe spricht mit Sonja Zekri über die Grausamkeit der Assyrer und den Goldschatz der Königinnen von Nimrud (mehr hier), der heute von den Amerikanern publicityträchtig in Bagdad präsentiert werden wird. Dirk Peitz jongliert mit Gerüchten, dass die Kölner Musik-Messe Popkomm nach Berlin umzieht. Alex Rühle reibt sich die Augen angesichts der neuesten politisch-korrekten Sprachkreation "Elter". Außerdem meldet "brie", dass Jeff Koons' geplante Kranskulptur "mit Schnurrbart und Gummitierchen" kleiner werden soll, Hamburg also mit Schrumpfung um Weltgeltung kämpft. Dreharbeiten verwandeln ihn in einen Hulk, erzählt Film-Regisseur Ang Lee im Interview mit Markus Rothe: "Ich werde immer von dem angezogen, was ich noch nicht gemacht habe. Aber diese Mischung aus Begeisterung und Angst macht leider auch aggressiv. Dann tritt das große Ego des Filmemachers auf den Plan. Bei den Dreharbeiten ähnele ich Hulk - ich verwandle mich." Beim Blick auf die Szenarien aktueller Produktionen des jungen deutschen Kinos hat Rainer Gansera festgestellt, dass es dort überdurchschnittlich oft um Mütter geht, die nicht locker lassen wollen.

Besprochen werden Benjamin Quabecks Achtziger-Jahre-Film "Verschwende Deine Jugend"; das Musikfestival "Romanischer Sommer" in Köln, ein Konzert von R.E.M. in Hamburg, Deepa Mehtas Film "Bollywood Hollywood" und Bücher, darunter Niall Fergusons bisher nur auf Englisch erschienene Geschichte des britischen Empire und der Roman "Zwölf" des Teen-Autors Nick McDonell (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 03.07.2003

"Der völlig unerwartete und seltsam zauberhafte Satz lautete: 'Berlin darf seine drei Opern behalten.' Die Staatsministerin verkündetet ihn stolz, und das darf sie auch sein", findet Martina Meister angesichts der wunderbaren 22 Millionen, die Christina Weiss für den Berliner Kulturhaushalt erkämpft hat.

"Vergesst den Irak - Schlagzeilen von gestern", schreibt Marcia Pally in ihrem jüngsten Flatiron-Letter aus New York. "Auch wenn Wir, das amerikanische Volk, zum diesjährigen Unabhängigkeitstag von einer Flut von Nachrichten über den Informationsmissbrauch unserer Regierung überschwemmt worden sind, ist das gar nicht so wichtig ... All das verblasst vor der Sondermeldung des Tages: Der Supreme Court hat erwachsenen Homo- und Heterosexuellen das Recht auf einverständlichen Oral- und Analverkehr in ihren Privaträumen zugesprochen."

Weitere Artikel: In der Kolumne Times Mager nimmt Christian Schlüter die Mafia-Hysterie in der Deutschen Hauptstadt aufs Korn. Besprochen werden Ang Lees Film "Hulk", eine Ausstellung in der "Ursula-Bickle-Stiftung" in Kraichtal-Unteröwisheim, die Bernhard Willhelm (mehr hier), einen neuen Stern mit internationaler Strahlkraft am deutschen Modehimmel, feiert. (Leider haben weder die Stiftung noch Wilhelms Berliner Agentur Girault Totem eine funktionierende Internetadresse. So liebt man in Deutschland seine Sterne!) Und Heinz Ludwig Arnold freut sich über ein endlich mal wieder rundum lesenswertes Buch: Günter Grass' Briefwechsel mit Helen und Kurt Wolff (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 03.07.2003

"Die Liste der 'besseren' Filme wäre lang, sicher ebenso die der 'schlechteren'", schreibt Dorothee Wenner über Jeff Kanews, von Artur Brauner produziertem Film über das NS-Massaker an über 33.000 Juden in Babij Jar. "Aber interessanterweise funktionieren diese Vergleiche nicht - oder nur bedingt. Und dabei ist es wohl nur zum Teil die historische Schuld, die es einem schwer macht, sich abfällig über den Versuch zu äußern, den namenlosen Opfern von Babij Jar Schauspielergesichter zu leihen, damit Zeitgenossen, vor allem aber den Nachgeborenen, Geschichte nahe gebracht wird. Das Problem liegt vielmehr darin, dass sich die Thematik auf komplizierteste Weise mit den Machtstrukturen des Medienzeitalters verknüpft."

Weitere Artikel: Rolf Lautenschläger atmet mit der deutschen Hauptstadt auf, dass Christina Weiss die drei Opernhäuser gerettet hat. Diedrich Diederichsen hat Stuart Hagmans 1969 gedrehten Film über die kalifornischen Studentenunruhen "Strawberry Statement" wiederentdeckt ("Eine bizarre Trouvaille"). Brigitte Werneburg war im Wasserschloß von Groß Leuthen auf der X. Rohkunstbau. Auf der Internetseite erzählt Ina Rogg die Geschichte eines findigen Geschäftsmanns, der in Bagdad das erste Internetcafe nach dem Krieg eröffnet hat: Nach Jahren der medialen Totalabschottung suchen hier nun erste Iraker den Anschluss an die Welt. Besprochen wird Marco Bechis Spielfilm "Junta".

Und last not least: TOM.

NZZ, 03.07.2003

Für die NZZ berichtet Thomas Veser heute über die Bemühungen der weißrussischen Hauptstadt Minsk, städtebaulich Anschluss an den Westen zu erhalten. Das sieht ziemlich byzantinisch aus. Der nicht minder totalitär als seine Vorgänger regierende Staatspräsident Alexander Lukaschenko lässt eine riesige Bibliothek in Form eines Diamanten bauen und plant unter dem Unabhängigkeitsplatz, einen vierstöckigen Einkaufskomplex. Und "dass Großbauprojekte von nationaler Bedeutung nicht etwa durch das Parlament, sondern vom Staatspräsidenten persönlich genehmigt werden, kann inzwischen keinen Weissrussen mehr verwundern", meint Thomas Weser. Dies führe manchmal zu absurden Auswüchsen: Auf einer künstlich aufgestauten Insel im Fluss Swislotsch gibt es seit 1996 ein Denkmal für die in Afghanistan gefallenen weissrussischen Soldaten, bei "deren Gestaltung sich sakrale Symbolik und die Formensprache des sozialistischen Realismus überlagern."

Weitere Berichte gelten der Marlene-Dietrich-Ausstellung im Pariser Musee Galliera und dem durch Kürzungen immer kleiner werdenden Spielplan des Mailänder Piccolo Teatro.

Besprochen werden vor allem Bücher, darunter James Peter Zollingers Biografie "Johann August Sutter. König von Neu-Helvetien", Benjamin Prados Roman "Nicht nur das Feuer", Werner Bätzings Werk "Die Alpen - Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft" (mehr hier) sowie zwei Bücher von Ludwig Laher "Aufgeklappt" (mehr hier) und "Feuerstunde". (Mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Desweiteren heute mehrere CDs vorgestellt, so neue Aufnahmen mit Hugo Wolf "Italienischem Liederbuch", eine Aufnahme von Michael Nymans Oper "Facing Goya" und mehrere CDs von Komponisten aus der ehemaligen DDR.

FAZ, 03.07.2003

Der irakische Exilautor Hussain Al-Mozany ("Mansur oder Der Duft des Abendlandes") analysiert noch einmal die deutsche Position zum Irak-Krieg, um scharfe Kritik an Joschka Fischer zu üben und zu einem niederschmetternden Schluss zu kommen: "Die Bequemlichkeit, mit der man die amerikanische Weltpolitik beurteilt, sich andererseits aber jeglicher eigenen Verantwortung für die Beseitigung von Unrecht entzieht, war die wahre Stütze des gestürzten Diktators von Bagdad."

Weitere Artikel: Hannes Hintermeier schildert die neuesten Ereignisse im Kartelldrama um Random House und Heyne Ullstein List - Random House will jetzt nur noch den Heyne-Verlag kaufen, was in der Branche aber gerade als Bestätigung gilt, "dass es Random House an erster Stelle um den Ausbau der Marktposition im deutschen Taschenbuchbuchmarkt" gehe. Eleonore Büning freut sich, dass durch rettende Intervention der Bundskulturministerin Christina Weiss die Berliner Opernhäuser nun offensichtlich doch erhalten werden können. Eberhard Rathgeb beschreibt unter Zuhilfenahme kühner Metaphern die Pläne der Stadt Hamburg für eine "Hafencity": "Nun also hebt (die Stadt) ein Bein, während das andere im Zentrum an der Binnenalster haften bleibt, und setzt das zuckende Bein, in das die Zukunftsmusik gefahren ist, über die Elbe: Wachse, Hamburg, blühe."

Jürgen Kaube kommentiert die zehn Regeln zur Weltverwaltung, die Robert D. Kaplan in der neuesten Nummer von Atlantic Monthly aufgestellt hat. "tw" schreibt Zum Tod der Bildhauerin Christa von Schnitzler. Jürgen Richter berichtet, dass die Fachwerkkirche Sankt Johannis in Halberstadt den Schwamm hat und dringend saniert werden müsste - es ist aber kein Geld da. In einer Meldung werden die diesjährigen Träger des Praemium Imperiale bekannt gegeben (darunter Claudio Abbado und Ken Loach). Eine andere Meldung besagt, dass Ivan Nagel bei der Verleihung des Friedenspreises die Laudatio auf Susan Sontag halten wird.

Auf der letzten Seite findet Wolfgang Sandner eine in Rheinland-Pfalz geplante Fusion zweier Orchester fragwürdig. Dieter Bartetzko berichtet über den Fund bisher unbekannter Aufnahmen von Edith Piaf (darunter eine erste Version von "L'accordeoniste"). Und Andreas Rossmann erzählt, dass Norbert Hilchenbach , der erfolgreiche Intendant der Osnabrücker Bühnen, wegen der Sparpolitik der Stadt sein Engagement nicht verlängert. Auf der Filmseite resümiert Michael Althen das Münchner Filmfest. Und Peter Körte meldet, dass Werner Herzog einen Dokumentarfilm über das Monster von Loch Ness (ehrlich!) drehen will. Auf der Medienseite setzt Michael Ludwig die Reihe über die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten dieser Welt mit dem polnischen Beispiel fort.

Besprochen werden Ang Lees Comic-Verlimung "The Hulk", Ein Mainzer Konzert John Cales zum Start seiner Deutschlandtournee und eine Ausstellung über Paul Celan und Gisele Celan-Lestrange im künstlerischen Dialog in Karlsruhe.