25.07.2003. Die SZ fragt: Ist der RAF mit den Mitteln der Kunst beizukommen? In der NZZ macht sich Richard Wagner Gedanken über die Wahrnehmung des Balkans in Kerneuropa. Die taz schlendert durch die Musikszene von Kairo. In der FR lehnen die Historiker Eva und Hans Henning Hahn den Begriff der "ethnischen Säuberungen" für die Vertreibung der Deutschen ab. Die FAZ macht sich Sorgen um Peter Olson.
SZ, 25.07.2003
An dem Streit um die geplante
RAF-Ausstellung in den Berliner
Kunst-Werken findet Sonja Zekri vor allem interessant,
wie sie kritisiert wird. Ihrer Meinung nach richten sich die Vorwürfe nur vordergründig gegen eine
Verharmlosung des RAF-Terrors: "In Wahrheit geht es bei den Anwürfen um den Verdacht, dass dem Thema mit den
Mitteln der Kunst prinzipiell nicht gerecht zu werden sei. Die
Welt rückt unter dem Titel 'Wer den Mythos sucht, webt selbst daran' (
hier)
Gerhard Richters RAF-Zyklus in die geistige Nähe von DDR-Staatsmalerei, und die
FAZ warnt vor 'allerhand künstlerisch-literarischen Events'. In einem Atemzug werden Verniedlichungen
wie die
Woolworth-Schlappen des toten Andreas Baader in der längst vergessenen Modezeitschrift
Tussi de Luxe oder Christoph Roths glorifizierende Räuberpistole 'Baader' genannt mit Andres Veiels beklemmendem Doppelporträt 'Black Box BRD'. In diesem speziellen Fall, so insinuiert die Kritik, stellt sich zwischen Inhalt und Form automatisch ein
affirmatives Verhältnis ein. Damit aber rückt jede ästhetische Annäherung in den
Verdacht moralischer Verantwortungslosigkeit."
Jens Bisky
kommt die Berliner Ausstellung
"Kunst in der DDR" - nach "dem peinlichen Debakel der Weimarer Ausstellung 'Aufstieg und Fall der Moderne' und der feige abgesagten Sitte-Ausstellung in Nürnberg" nur recht: "Alle Versuche, Kunst aus der DDR nach den moralischen Maßstäben der Gegenwart zu verurteilen, sind als
spießige Tugendboldhaftigkeit längst lächerlich."
Johannes Willms
spannt in seinen Betrachtungen zur Weltlage den Bogen
von Napoleon zu Bush und kommt zu dem Schluss, dass beiden im Orient kein Erfolg beschieden sein konnte: "Wie immer man es wendet, es wächst der Verdacht, dass das vermeintlich selbstverständliche
Curriculum politischer Pädagogik mit den Hauptlernzielen Freiheit, Demokratie und der Garantie des 'pursuit of happiness' an bestimmte
kulturelle Voraussetzungen oder Erfahrungen gebunden ist."
Weitere Artikel: Lothar Müller
verabschiedet den Berliner Feuilletonisten und Spaziergänger
Heinz Knobloch (mehr
hier). Thomas Meyer erzählt, wie vor fünfzig Jahren ein junger Doktorand namen Jürgen Habermas in der
FAZ den Artikel "Mit Heidegger gegen Heidegger denken" veröffentlichte. Wolfgang Schieder
erinnert daran, wie sie sich der
italienische Faschismus vor sechzig Jahre selbst abschaffte. Christian Kortmann
klärt uns über die derzeit angesagteste
"Designerdroge" auf:
Rennräder der Firma
Cannondale. Fritz Göttler
schüttelt über die Dreamworks-Kalifen, die über "Sinbad" nicht nur ein
Turban-Verbot verhängten, sondern ihn auch von Bagdad ins
sizilianische Syrakus verpflanzten.
Christopher Schmidt
lässt den Regisseur Martin Kusej von seiner "Clemenza"-Inszenierung erzählen, von seiner Arbeit mit
Nikolaus Harnoncourt und wie er dem Schauspiel wieder mehr Glamour verleihen will. Wolfgang Schreiber
weiß, dass das erste große Musikfestival in Deutschland 1810 in Frankenhausen in Thüringen stattfand. Derselbe Autor
meldet, das Markus Stenz die Uraufführung der
Henze-Oper "L'Upupa" in Salzburg dirigieren wird.
Ab heute blickt die Welt wieder nach
Bayreuth, die
SZ eröffnet die
Festspiele mit einer ganzen Reihe von Artikeln. So
erklärt Reinhard J. Brembeck, dass es der
"adelig elitäre Zugang" ist, der Festivals besonders in den heiteren Sommermonaten so attraktiv macht: "Man lebt nicht dem Gelderwerb, sondern ganz, den eigenen Interessen und Neigungen und man kommt entspannt und allenfalls
vom ennui geplagt in die Vorstellung." Bernd Feuchtner
legt den Teppich für
Claus Guth aus, der heute Abend mit dem "Fliegenden Holländer" sein Bayreuth-Debüt geben wird. Carlos Widmann
beruhigt die Bayreuth-Anhänger: Konkurrenz müssen sie vom
Spoleto-Festival nicht fürchten,
Gian Carlo Menotti habe es erfolgreich in die
"Mediokrität" geführt.
Besprochen werden die
Filmkomödie "Natürlich blond 2" mit Reese Witherspoon,
Dimiter Gotscheffs Beckett-
Inszenierung in Bregenz, eine
Ausstellung zu dem Kritiker
Oskar Panizza in Bayreuth und Bücher, darunter Marcel Beyers
Essay-Band "Nonfiction" und
Udo Bermbachs politologische
Wagner-Studie "Blühendes Leid" (siehe auch unsere
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
TAZ, 25.07.2003
Thomas Burkhalter
schlendert durch die
Musikszene von Kairo, die sich offenbar gegen den staatlichen Dirigismus und islamischen Fundamentalismus ebenso behaupten muss wie gegen den Lärm der 16-Millionen-Stadt. "Der etwas schläfrig in die Welt blickende
Mahmoud Rifat verkörpert nicht gerade das Bild eines Umstürzlers. Mit seinen Aufnahmen
ägyptischer Alltagsgeräusche stellt er seine Heimat ungefiltert und ungeschönt dar. An seinem Computer setzt er die Klänge neu zusammen und formt neue
Hörbilder. Rifat arbeitet in den Bereichen Videokunst und Tanz. Früher ist er auch als Schlagzeuger aufgetreten, heute schwärmt er von diesen Zeiten. Vor acht Jahren noch habe die alternative Musikszene in Kairo floriert: 'Wir spielten in Bars, auf Schiffen, ja sogar Open Air. Wir
kleideten uns wild und schmierten uns Make-up ins Gesicht.
Die Regierung bekam Angst, als die Bewegung größer wurde und sie sah, dass
Drogen im Spiel waren. Mindestens fünfzig Sängerinnen und Musiker wurden verhaftet. Das war der
Tod unserer Musikszene.'" (
Hier ein Link zu einem unabhängigen ägyptischen Kunstportal).
Angesichts des Streits um die geplante
RAF-Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken
fühlt sich Stefan Reinecke gleich ein "
bisschen wie 1977: als die bundesdeutsche Öffentlichkeit in zwei Lager zerfiel: viele
Hysteriker, die angesichts des RAF-Terrors die Republik in Gefahr sahen, und wenige, die sich
hilflos dem Bekenntniszwang zu entziehen suchten". Reinecke: "Man ist mal wieder auf der
Jagd nach Sympathisanten."
In der Serie "Zukunft der Arbeit"
erzählt Monika Rinck, was passiert, wenn ein alternatives Projekt von einem unerwarteten
Geldsegen heimgesucht wird: Es greifen
kaufmännische Regeln und Geld wandelt sich in eine
"neurotische Substanz". Der Faden in der Karriere von
Prince erscheint Harald Fricke gerissen: "Spätestens mit seiner Konversion zu den
Zeugen Jehovas und dem jazzrockvernebelten Follow-up-Album 'The Rainbow Children' hat sich Prince
im Spiel mit Identitäten, Stilisierungen und Übertreibungen
verheddert." Und Christoph Wagner
plaudert mit dem amerikanischen Comiczeichner
Robert Crumb über das Sammeln von
Schellackplatten. Besprochen wird Ventura Pons
Film "Früchte der Liebe".
Und schließlich
Tom.
NZZ, 25.07.2003
Der Schriftsteller
Richard Wagner macht sich Gedanken über den ewigen
Peripherie-Status des
Balkan: "Erst im 19. Jahrhundert erreichen ihn die Konzepte des Westens, in Gestalt der Nationalstaatsidee und auf diese reduziert. Die modernen Institutionen, die in der Region geschaffen wurden, sind inhaltlich fragwürdig geblieben. Die Balkan-Nationen gelten als
Meister der Simulation, eine für die Peripherie typische Erscheinung". Das bedeutet für Wagner, dass in den Balkan-Nationen unter der dünnen Schicht des staatstragendem Europakonzepts der "
Terror der Mentalität" regiert. Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb gehört der Balkan zu Europa, weil es die einzige Referenz der Balkan-Staaten ist: " Weil die EU den Europagedanken für sich reklamiert, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Peripherie des Kontinents zu
integrieren. Andernfalls wird die Quelle der Instabilität, die vor allem der Westbalkan darstellt, nur noch größeren Schaden in Europa anrichten".
Neues im Streit um die
Ernst-Bloch-Biografie von
Arno Münster (nachzulesen
hier): Joachim Güntner
meldet, dass die
Nestsuche des Autors
erfolgreich war: Der Philo-Verlag möchte das Buch gerne herausbringen. Laut Verlagsleiter Axel Rütters ist jedoch noch redaktionelle Arbeit an Münsters Biografie nötig.
Weitere Artikel: Besprochen werden die
Paul-Klee-Ausstellung im
Kunstmuseum Bern,
Frank Gehrys neues
Konzert- und Theaterhaus für das Bard College am Hudson (mehr
hier) und das
Paleo-Festival in Nyon.
Auf den
Filmseiten beschreibt Marc Baumann die Karriere von
Beat Frutiger: Vom Tellerwäscher zum Millionär, oder bessergesagt vom Berner Architekturstudent zum
Art Director von
"Terminator 3". Für den bisher teuersten Film aller Zeiten arbeiteten Frutiger und die Crew fünf Monate lang durchschnittlich vierzehn Stunden am Tag: "Das Ergebnis, das sich mit den mehrheitlich real inszenierten Actionszenen wohltuend von computergenerierten Blockbusterfilmen wie 'Matrix' unterscheidet, lässt sich sehen".
Weitere Artikel: Andreas Maurer
warnt vor Risiken und Nebenwirkungen des
Extremkinogängertums. Besprochen werden außerdem das
Filmfestival von Locarno und die Filme
"Terminator 3" und
"Ticket to Jerusalem" von Rashid Masharawi.
Auf der
Medien- und Informatikseite erklärt uns Stephan Russ-Mohl, wie
ökonomische Triebkräfte zunehmend die
Wissenschaftskommunikation umkrempeln.
FR, 25.07.2003
Zur Zeit werden zwei Projekte eines
Zentrums gegen Vertreibungen angeboten: Der
Bund der Vertriebenen stellt es sich als
nationale Gedenkstätte vor, der SPD-Abgeordnete
Markus Meckel plädiert dagegen für ein "
Europäisches Zentrum gegen Vertreibung". Beide Vorschläge verschleiern jedoch die historischen und politischen Zusammenhänge, weil sie mit dem Schlagwort
"ethnische Säuberungen" argumentieren,
erklären die Historiker
Eva Hahn und
Hans Henning Hahn: "Die Vertreibung, 1945 durchgeführt und in Potsdam sanktioniert, war die Frucht einer Ratlosigkeit angesichts des Krieges und seiner Vorgeschichte. Dies mit dem Schlagwort ethnische Säuberung zu europäisieren, ist keine adäquate historische Interpretation. Es
verschleiert, verdeckt, vernebelt und führt letztlich dazu, den Nationalsozialismus und seine Praxis 'ebenbürtig' zu machen."
Abgedruckt ist weiter ein
Artikel, den die Architekten
Rafi Segal und
Eyal Weizman in der Zeitschrift
Index on Censorship veröffentlicht haben. Die beiden Autoren "stellen darin ihre Arbeit 'A Civilian Occupation' vor - eine mit Landkarten und Fotografien detailliert illustrierte Untersuchung
israelischer Siedlungen in der Westbank. Ursprünglich war diese Arbeit von der Israelischen Architektenvereinigung als Beitrag Israels zum Berliner Internationalen Architekturkongress 2002 ausgewählt, wurde dann jedoch zurückgezogen; die Ausstellung wurde abgesagt und der Katalog aus dem Verkehr gezogen mit der Begründung, 'A Civilian Occupation' sei ein als Architekturstudie
verkleidetes politisches Pamphlet. Die Ausstellung wurde rekonstruiert und im Februar 2003 in New York gezeigt. Zurzeit ist sie in den Berliner
Kunst-Werken zu sehen", erklärt die FR im Vorspann. Die Autoren beschreiben darin wie die Architekten der Siedlungen "Architektur und Planung als
territoriale Waffe eingesetzt (haben): Gestalt und Position von Siedlungen werden benutzt, um eine palästinensische Verkehrsverbindung zu zerschneiden, ein Dorf wird durch sie umzingelt, eine größere Stadt oder strategische Kreuzung unter Blickkontrolle gebracht." Solche Architektur ist ein
"krimineller Akt", erklären die beiden.
Weitere Artikel: Harry Nutt
schreibt den Nachruf auf den Schriftsteller und Feuilletonisten
Heinz Knobloch. Eine kurze Meldung
besagt, dass
Arno Münsters vom Suhrkamp Verlag abgelehnte
Bloch-Biografie jetzt im
Philo Verlag erscheinen wird. Besprochen werden eine
Ausstellung zu dem "Dandy und Exzentriker, dem Schriftsteller und Mäzen"
Joseph Breitbach in
Marbach, der
Film "Natürlich blond 2", die
Ausstellung "Rohkunstbau" im brandenburgischen Groß Leuthen (mehr
hier), die
CD "Gesprochene Lieder" und
politische Bücher, darunter ein
Band über
Beschneidungen in den USA und Europa (siehe auch unsere
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
FAZ, 25.07.2003
Jordan Mejias
hat das lange Porträt der
New York Times über den Random House-Chef
Peter Olson gelesen (auf das wir hier am Montag
hinwiesen), kann sich aber keinen rechten Reim darauf machen. "Olsons Ehe, die Rituale seiner
obsessiven Körperertüchtigung, seine Liebe zu
Steiff-Tieren, und zwar vorzugsweise zu Raubtieren, werden zur journalistischen Laienpsychiatrie freigegeben.", stöhnt Mejias und fragt: "Warum hat Olson dann so redselig und
geradezu exhibitionistisch daran mitgewirkt? Will er, der so gern übers Feuern redet, am Ende selber gefeuert werden?"
Weitere Artikel: Frank Schirrmacher meditiert über eine mehrfach gefallene Äußerung des hessischen Ministerpräsidenten
Roland Koch: "Deutschland geht in das schwierigste Halbjahr seiner Geschichte
seit 1948." Gina Thomas schildert das Drama um Raffaels
Nelkenmadonna, die der
Herzog von Northumberland gern für
35 Millionen Dollar an das
Getty Museum verkaufen würde, während die Engländer ihm inzwischen immerhin 21 Millionen bieten. Jordan Mejias kommentiert den Mord an einem
New Yorker Stadtpolitiker, der von einem Rivalen im Rathaus erschossen wurde. Andreas Rossmann schildert den neuesten Aberwitz der
Kölner Kulturpolitik: Man will das
Historische Archiv der Stadt auflösen. "Die Bestände sollen
eingemottet, Schenkungen
zurückgegeben werden und künftige Erwerbungen
unterbleiben." Jochen Hieber meldet, dass eine von
Arno Münster verfasste Biografie über
Ernst Bloch nun im
Philo Verlag erscheint, nachdem
Suhrkamp sich in letzter Minute zurückzog. Ilona Lehnart meldet, dass es zu Verzögerungen beim Bau des neuen Hauses der Berliner
Akademie der Künste am Pariser Platz kommt. Regina Mönch schreibt zum Tod des Schriftstellers
Heinz Knobloch. Dietmar Polaczek schildert die Krise der Mailänder
Scala, die trotz ausgedünnter Spielpläne
Defizite produziert und selbst die gewöhnlich tief ergebene
italienische Presse nicht mehr überzeugt.
Auf der
letzten Seite erinnert Stefan Weidner an den irakischen Dichter
Badr Shakir as-Sayyab, der die arabische Lyrik in der "Free Verse"-Bewegung revolutionieren half und 1964 starb. Hannes Hintermeier porträtiert
Daniel Küblböck, die literarische Hoffnung des Herbstes, jedenfalls bei Random House. Thomas Wagner schildert, wie die Hamburger Kultursenatorin
Dana Horakova die
Museumslandschaft der Stadt neu ordnet. Auf der
Medienseite kommentiert Dietmar Polaczek das neue
italienische Mediengesetz, das
Silvio Berlusconi überraschenderweise nicht zu schaden scheint ("Die
Pluralität bleibt jedenfalls gewahrt. Die Italiener konnten sich bisher schon mit grüner, roter oder gelber Seife waschen, vorausgesetzt, sie kommt vom
selben Fabrikanten.")
Besprochen werden zwei Ausstellungen über die 350-jährige Geschichte der
Münchner Musiktheaterstiftung (mehr
hier und
hier) , eine Ausstellung über die Beziehung der Städte
Prag und Wien in der
Österreichischen Nationalbibliothek, der
Dreamwork-Zeichentrickfilm
"Sinbad" ("Dutzendware", meint Andreas Platthaus) und
Vivaldis Oper "Tito Manlio" beim das Festival im toskanischen Bergstädtchen
Barga.