02.08.2003. Die SZ recherchiert, wie die DDR Bücher vernichtete - entweder durch Verkauf in den Westen oder durch Fütterung des Reißwolfs. Die FR porträtiert die Hamburger Schule des Pop, die mit vielen neuen Platten aufwartet. In der FAZ präsentiert Arkadij Bartow Simulakren als festen Bestand der russischen Kultur.
SZ, 02.08.2003
Ulrich Raulff
enthüllt die kulturkriminellen Tätigkeiten der "
Zentralstelle Wissenschaftliche Altbestände", die Millionen von Büchern der DDR vernichtete oder verkaufte. "Die Rede ist, genau gesagt, von
6,3 Millionen Büchern, die zwischen Anfang der fünfziger und Ende der achtziger Jahre auf dem Gebiet der DDR von einer deutschen Dienststelle ausgehoben und
verschoben wurden. Nur der zehnte Teil davon wurde, wie eigentlich vorgesehen, zwischen den öffentlichen Bibliotheken der DDR umverteilt. 2,9 Millionen Bände wurden in den Westen verkauft. Und 2,8 Millionen gingen in den Reißwolf sprich
'VEB Sekundärrohstofferfassung'. Es dürfte die größte Kulturgut-Verschiebungs- und Vernichtungsaktion der Nachkriegszeit auf deutschem Boden gewesen sein."
Sichtlich überwältigt
beschreibt Holger Liebs die
Kunstsammlung von Gunter Sachs, die nun im Hamburger
Museum für Kunst und Gewerbe erstmals zu bestaunen ist. "Auf der Umlaufbahn des internationalen
Jet Sets begann Sachs, Erbe eines Kugellager-Produzenten und dessen Gemahlin aus der Opel-Dynastie, schon früh, Werke von Yves Tanguy,
Pablo Picasso, Max Ernst, Francis Bacon, Giorgio de Chirico sowie der am Beginn der sechziger Jahre noch frischen Künstlergruppe
Nouveaux Realistes und der Pop Art zu sammeln." Bisweilen liest sich der Artikel wie das "Who is who" des damaligen Zeitgeistes. "Als ein Jahr später der Turm des
'Palace'-Hotels in St. Moritz abbrannte, sicherte sich Sachs dort Wohnrecht - und trommelte für den Wiederaufbau seine
Künstlerfreunde zusammen. Neben Warhol waren noch Tom Wesselman, Michelangelo Pistoletto, Lucio Fontana,
Roy Lichtenstein, Cesar, Arman, Allen Jones und andere mit von der Partie. Sie schufen ein Pop-Interieur, das schnell zum
VIP-Pflichtbesuch avancierte. In Hamburg wurden nun drei der Räume weitgehend rekonstruiert."
Weitere Artikel: Patrick Illinger
macht sich zum Finale der Internet-Reihe Gedanken über die
Eigenintelligenz des Netzwerks - ganz im Geist der apokalyptischen Terminator-Streifen. Claudia Lanfranconi
kommentiert in der Reihe "Briefe aus dem 20. Jahrhundert" ein Schreiben von
Gerhard Marcks an
Alfred Hentzen aus dem Jahr 1959. Alexander Menden
erbaut uns mit einem Beispiel erfolgreicher
Kulturökonomie - Andreas Mölich-Zebhauser hat das Festspielhaus
Baden-Baden innerhalb von fünf Jahren finanziell konsolidiert. Christopher Schmidt
erklärt die neue Aktionsform des
Flashmobbings (dazu auch Barbara Roncaralos
Espresso-Artikel in der
Magazinrundschau). "ijo"
sinniert über wahrheitsvernarrte Leser und
lügende Autoren. C. Bernd Sucher
plaudert über die Damen, mit denen er in den Salzburger
Festspielpausen zu parlieren pflegt. "vobr"
annonciert das
"5. Frankfurter Teddy-Festival" auf dem Frankfurter Römerberg.Fritz Göttler
schreibt einen Nachruf auf die französische Schauspielerin
Marie Trintignant, die an den Kopfverletzungen gestorben ist, die sie bei einem Streit mit ihrem Freund davongetragen hat.
Auf der
Medienseite verkündet Hans Hoff, was der
Fernseh-Herbst bringen wird. "jumo"
weiß, warum
Holtzbrinck in ganzseitigen Anzeigen vor dem "völlig unrealistischen"
Bauer-Verlag warnt. Bernd Dörries
stellt Saskia Strasse vor, die Fotochefin des
Playboys.
Auf der
Literaturseite ist ein Vortrag des Schriftstellers
Marcel Beyer (
Bücher) über den literarischen Umgang mit der
Vergangenheit abgedruckt, mit einer netten Anekdote aus einem Gespräch mit einem Schweizer Autor. "Ich, ein wenig perplex, brauche einen Moment, bis ich begreife, er betrachtet den
Holocaust schlicht als unvergleichlich prächtiges Material für die
Schönen Künste, und antworte, vielleicht zu heftig, ich wartete schon seit Jahren darauf, dass die Schweizer einmal damit begönnen, ihre diesbezügliche Geschichte auch auszupacken. Womit unser Gespräch - in
beiderseitigem Einvernehmen, könnte man sagen - beendet ist." Thomas Meyer
erinnert zudem an eine der prägenden Gestalten des deutschen Judentums,
Ismar Elbogen, zu dem im Herbst eine umfassende Studie erscheint.
Besprochen werden das nostalgieschwere neue
Kraftwerk-
Album "Tour de France Soundtracks", Stefan Haupts filmisches
Porträt der Sterbeforscherin
Elisabeth Kübler-Ross, die
Sprachoper "Unser Oskar" über den Bayern-Amerikaner
Oskar-Maria Graf in München sowie
Gerhard Polts kabarettistische
Urlaubsimpressionen "Da fahren wir nimmer hin".
In der
SZ am Wochenende lesen wir einen
Auszug aus
"Mara", einer demnächst erscheinenden Erzählung von
Wolf Wondratschek (
Bücher). "Ich darf mich vorstellen? Mit Vaternamen heiße ich Stradivari. Ich bin 1711 in Italien, in Cremona, in der Werkstatt meines Meisters
Antonio Stradivari zur Welt gekommen und eigentlich seit dem Tag meiner Geburt berühmt. Dafür kann ich nichts. Ich hatte Glück, ich hatte einen Namen und als Spitzname (oder Adelstitel, ganz wie Sie wollen) bald noch einen. Mara. Die Welt nennt mich Mara.
The Mara. Das berühmte, weltberühmte Mara."
Eine bizarre Persönlichkeit hat Christoph Schwennicke in Washington
getroffen.
Albrecht Gero Muth ist Portier im "Embassy Suites", aber nur zur Tarnung: denn eigentlich steht er als
Special Agent im Dienste Deutschlands, der USA und Russland. Oder er ist Count Albi. Oder... "Zu den wenigen wahren Aussagen des Albrecht Gero Muth gehört jene, er habe vom deutschen Geheimdienst BND
1000 Dollar für seine Mitarbeit erhalten. Pullach hat tatsächlich mindestens einmal an Muth gezahlt, für seine
wild erfundenen Berichte, die auch den Experten des Dienstes zunächst plausibel erschienen. Über seine Ehefrau, eine deutsche Journalistin, gut eingeführt in die gesellschaftlichen Kreise Washingtons, hatte sich Muth an den
Residenten des BND in Washington herangemacht und zunächst sein Vertrauen gewonnen. Als man sich in Pullach die Berichte genauer anschaute, merkte man zu spät, dass das alles
Gossip war."
Des weiteren: Tobias Kniebe
plädiert für die Rückkehr zu alten
Popcorn-Tugenden des Kinos - und die Abschaffung der philosophischen Selbstreflexion. Klaus Podak
sieht die
Evolution des Schreibens an einem neuen Höhepunkt angelangt - mit einer Schreibmaschine, die eigentlich für Schüler und behinderte Menschen entwickelt wurde. Alexander Gorkow
plaudert mit
Esther Zimmering (bekannt geworden durch ihren Auftritt in neuen Musikvideo von
Wolfsheim) über einfallslose Journalisten und
Senftenberg.
NZZ, 02.08.2003
Die Tate Modern zeigt unter dem Titel
"Cruel and Tender" eine Ausstellung, die dem "
Realen in der Fotografie des zwanzigsten Jahrhunderts" gewidmet ist. Doch "den neutralen Blick auf die Welt gibt es nicht",
stellt Marion Löhndorf fest. "Es zeigt sich, dass die Verweisfunktion auch in Fotos, die einem dokumentarischen Blick zu verdanken sind, vorhanden ist oder vom Betrachter hineingelesen wird: Man möchte noch im objektivsten Bild immer mehr sehen als das Sichtbare, etwas, das die eigene Sprache spricht. 'Nichts ist
so geheimnisvoll wie eine genau beschriebene Tatsache', stellte der ebenfalls in der Ausstellung vertretene
Garry Winogrand einmal fest."
Weitere Artikel: Hans Christian Kosler hat einen
"österreichischen Sommer-Mythos" besucht, den
Altaussee, wo zum Beispiel Gustav
Mahler, Theodor
Herzl, Sigmund
Freud, Richard
Strauss, Arthur
Schnitzler, Jakob
Wassermann und Hugo von
Hofmannsthal Urlaub machten. Besprochen werden
Offenbachs "Contes d'Hoffmann" in Salzburg und
Bücher, darunter ein
Band mit Prosastücke und Aphorismen von
Logan Pearsall Smith und
David Davidars Romandebüt "Das Haus der blauen Mangos".
In der Beilage Literatur und Kunst
gratuliert Andrea Köhler dem Schriftsteller
Cees Nooteboom (
Bücher) zum Siebzigsten. Ulrich Kronauer hat sich auf eine lexikographische
Spurensuche nach dem Topos der
"Affenliebe" im 18. Jahrhundert begeben. Besprochen werden auch hier
Bücher, darunter
Thorsten Beckers Roman "Die Besänftigung",
A. F. Th. van der Heijdens Romanzyklus "Die zahnlose Zeit" und
Stephan Wackwitz' Roman "Ein unsichtbares Land" (siehe auch unsere
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
FR, 02.08.2003
Sommerlich mager heute: Kerstin Grether
erzählt den Schöpfungsmythos der
Hamburger Schule nach (die
Seminararbeit zum Thema), Keimzelle des wiedergeborenen deutschen Pop. "Eine Szene von großen, gitarrespielenden Jungs mit losem Mundwerk und lauten Messages, die sich dem
poetisch-politischen Popsong widmeten: Bands wie
Kolossale Jugend,
Blumfeld,
die Sterne,
Goldene Zitronen, Huah (
mehr) und Songschreiber wie
Bernd Begemann oder Entertainer
Rocko Schamoni. Mit
beeindruckender Eloquenz verweigerte man sich dem Business as usual, und trieb sowohl den Gitarrenrock als auch den Protestsong zu vielfältigen neuen Blüten. Beobachter berichten, dass es tatsächlich wie auf dem
Schulhof zugegangen sein muss: man diskutierte wortreich über den deutschen Zeitgeist nach der Wiedervereinigung, unterstützte sich gegenseitig und wollte gerne
'Teil einer Jugendbewegung' sein." Ach ja, man wollte auch Platten verkaufen, eine neue Welle derselben ist der Grund für den Artikel.
Weiteres: Der
Slowene an sich, sein Bier und die Bedeutung des
Duals beschäftigt Rolf Wörsdörfer in seinem Schlaglicht aus Ljubljana. "Ich bin; du bist; er, sie, es ist; wir sind;
wir zwei sind; ihr seid; ihr zwei seid; sie sind; sie beide sind." Daniel Kothenschulte
schreibt zum ungeklärten Tod der französischen Schauspielerin
Marie Trintignant. Renee Zucker ist bei all dem Schrecken auf der Welt
heilfroh, dass in New York nun die erste
Queer School eigens für schwule, lesbische, bisexuelle und transsexuelle Schüler aufgemacht hat. Gemeldet wird,
dass die Semperoper mit
Gerd Uecker einen neuen Intendanten hat und
dass der
Art Cologne mit
Gerard Goodrow ein neuer Direktor vorsteht.
In
Zeit und Bild ist heute nur eine Geschichte online zu lesen: Lilli Brands
Ode an ihren
Mops Max, der weiß, was Frauchen fühlt. "Als mein Mann mich das erste Mal in der neuen Wohnung besuchte,
pinkelte Max ihm auf die Schuhe."
Auf der
Medienseite unterhält sich Erik Eggers mit
Steffen Simon, Leiter der Bundesligaredaktion der heute startenden
Sportschau. "Wir haben uns sogar über
zwei, drei Inhalte Gedanken gemacht, bei denen ich zwischenzeitlich den Eindruck hatte, da kommen wir überhaupt nicht mehr dazu."
Die einzige Besprechung widmet sich
"Hyperrealismes. USA 1965-1975", einer gut bestückten
Schau amerikanischer Fotorealisten in Straßburg.
Im
Magazin berichtet Marian Blasberg aus der wilden Ostslowakei, aus
Medzilaborce, der Heimatstadt von
Andy Warhols Eltern, wo es bald ein Museum gibt, vor allem aber schaurige Geschichten. "Es muss am Vorabend des großen Krieges gewesen sein, als der neunjährige
Jan Varchola im strömenden Regen die Kuhherde seines Vaters über die ostslowakischen Felder trieb. Varchola hatte es eilig. Das Gelände war schwierig und die Sicht war schlecht, als plötzlich, mitten auf dem Feld, im
Moder, diese Axt da war. Varchola stolperte, er rutschte aus und fiel, mit dem Gesicht voran, in diese Axt hinein. Etwa zeitgleich fertigte ein schmächtiges Einwandererkind im fernen Pittsburgh, Pennsylvania, seine ersten Zeichnungen.
Andrej Warhola war ein schüchterner Junge, der häufig kränkelte."
Schalke-Chef
Rudi-Assauer packt aus und redet über sein fehlendes
Talent zum Staubsaugen, Geldsorgen und Frauen im Allerheiligsten. Klaus Betz hat das vergessene
Lebuser Land bereist, die Region links und rechts der Oder, die durch Hans-Christian Schmidts Film "Lichter" nun ein wenig Aufmerksamkeit erfährt.
TAZ, 02.08.2003
Auch Moskaus Berufsrevolutionäre werden mal alt, dann landen sie in
Peredelkino, dem Altersheim für verdiente Veteranen. Klaus-Helge Donath
porträtiert die silbergrauen Revoluzzer auf der
Tagesthemenseite. "Lukianow arbeitete als Beamter in einem Ministerium, das in der UdSSR die Berufsqualifikation koordinierte. Heute bezieht der
Oberstleutnant a. D. 6.000 Rubel (180 Euro) Rente im Monat, dreimal so viel wie Ninel. Auch er kann sich nicht beklagen. Vera Alexandrowna sitzt seit einigen Minuten auf dem Balkon. Unten steht Lenin, ein
fesches Denkmal des Gründervaters, Hände lässig in den Hosentaschen, den Mantelkragen nonchalant aufgeschlagen, das verleiht ihm Dynamik und Jugendlichkeit. Die vom Sockel heruntergefallenen Platten sind am Fuß des Denkmals ordentlich angelehnt. Lenin muss warten, bis die
Schwarzarbeiter aus Moldawien, Aserbaidschan und der Ukraine mit der Renovierung des Haupthauses fertig sind."
Das Feuilleton: Kirsten Küppers
stellt einen
findigen Philosophen vor, der krisengeschüttelten Existenzen bei der Lösung von existenziellen Fragen behilflich ist - per
Hausbesuch. Jenni Zylka
verrät verbotenerweise ein paar Tricks, die sie auf dem internationalen
Zauberertreffen in Den Haag durchschaut hat. Susanne Messmer
resümiert das literarische Schaffen von
Ralf Rothmann (
Bücher), der "Aufbruch ohne Ende" propagiert und gerade sein neues Buch
"Hitze" herausgebracht hat. Dorothea Hahn
würdigt die französische Schauspielerin
Marie Trintignant, die an den Verletzungen gestorben ist, die sie bei einem Streit mit ihrem Freund davongetragen hatte.
Auf der
Medienseite empfiehlt Arno Frank bissig eine Fusion des
atlantikgrauen Schlachtschiffs FAZ mit dem ebenso konservativen Springer-Verlag. Martin Weber
berichtet von der
Telemesse in Köln. Jürgen Bischoff
weiß, warum das Digitalfernsehen an den Privatsendern scheitern könnte.
Besprochen wird Sandra Wernecks
Film "Amores Possiveis - Mögliche Lieben".
Im
tazmag erinnert sich Anja Maier an die bizarren
Weltfestspiele der DDR 1973 (
Hintergrund).
Knutschende Sozialisten, lächelnde Vietnamesen und übervolle Verpflegungsbeutel, dazu Kundgebungen rund um die Uhr. "Spaß an der Statistik hatte man östlich der Elbe immer. Ob es auch Spaß brachte, sich jeden Tag mit einer anderen Völkergruppe zu
solidarisieren, sei dahingestellt. Am 29. Juli etwa wurde sich im Berliner Lustgarten mit den "Völkern, der Jugend und den Studenten Vietnams, Laos und Kambodschas" solidarisiert, nur einen Tag später mit den arabischen Ländern, am 31. Juli wurde die Solidarität mit den nationalen Befreiungsbewegungen bekundet. Alles in Massenkundgebungen. Und - wegen des
heißen Wetters - sicher kein Vergnügen."
Außerdem: Susanne Klingner
recherchiert anhand eines Falles über die Hintergründe der
Selbstverbrennungswelle (die
Lage in Deutschland) junger Tschechen, die endgültig an der Welt zu verzweifeln scheinen. Ute Scheub ist
entzückt, dass Afrika nun
Entwicklungshilfe für Deutschland leistet - so geschehen auf einem Berliner Workshop zu "Gender in der konstruktiven Konfliktbearbeitung" (
Gender und Frieden). Till Below
erklärt den Großstadtcowboys, wie hart das
Leben als Bergbauer wirklich ist (
Fakten zur Realität).
Schließlich
Tom.
FAZ, 02.08.2003
Von wegen
rückständiges Russland! Als der Westen in den siebziger und achtziger Jahren die Selbstgenügsamkeit der
Zeichensysteme entdeckte, hinkte er Russland etwa dreihundert Jahre hinterher. Was Simulakren sind, wusste man in Russland nämlich schon "seit der Petrinischen Epoche", behauptet der Schriftsteller
Arkadij Bartow.
Die für Russland längst typische Abwesenheit von Realität lasse sich auch bei der Dreihundertjahrfeier in St. Petersburg erkennen: "In unserem verarmten und zerfallenden Imperium finden täglich feierliche 'Präsentationen' statt, mal wird die
Handelsbörse präsentiert, mal ein
Joint-venture, ein Kinofestival, eine Ausstellung, eine neue
Zeitschrift, ein
Club, eine Partei, eine Bewegung. All diese Formen westlicher Zivilisation, auf die Russland in einem siebzig Jahre langen Vakuum gewartet hat, werden jetzt gierig aufgesogen. Aber sie werden
nicht eingebürgert, sondern 'präsentiert' wie einst die Potemkinschen Dörfer. Nie ist die Rede von einer
Fortexistenz der Börsen, Clubs und Vereine, da die meisten sich sofort wieder auflösen. Die einzige Spur, die sie hinterlassen werden, ist das
Faktum ihrer Präsentation."
Hans-Peter Riese
war bei der
Malewitsch-Ausstellung im
New Yorker Guggenheim: In Berlin sei die Schau ja "ohne größeres Aufsehen über die Bühne gegangen", schreibt er - als hätte die
FAZ kein Aufsehen erregen können, wenn sie gewollt hätte. In den USA jedenfalls hat die
New York Times einen Streit ausgelöst über die Rolle, die die Kölner
galerie gmurzynska in der tragische Geschichte der
Sammlung Chardschijew spielt, aus der viele der Malewitsch-Gemälde kommen, berichtet Riese. (Eine Zusammenfassung des
New York Times-Artikels finden Sie
hier.)
Weitere Artikel: Patrick Bahners meditiert anlässlich der vom
Vatikan veröffentlichten "Erwägungen" zur
Homo-Ehe (wird selbstverständlich abgelehnt) über den Unterschied zwischen Vernunft und Erfahrung. Jürg Altwegg wirft einen Blick in
Schweizer Zeitschriften, die die künftige Rolle der Schweiz in
Europa diskutieren. Andreas Kilb
schreibt zum Tod der Schauspielerin
Marie Trintignant. "Wir vom Bundesarchiv" stellen einen Brief des
Deutschen Fußballbundes vor, der sich artig für die Glückwünsche von
Kanzler Adenauer zum Auftaktsieg gegen Argentinien bei der WM 1958 bedankte. Wolfgang Sandner schreibt zum Tod des amerikanischen Autors
Harold C. Schonberg. Auf der
Gegenwartsseite untersucht
Jörg Friedrich am Beispiel zahlreicher Kriege nach dem Ersten Weltkrieg, ob das
"kollektive Sicherheitssystem" der UN tatsächlich zur
Kriegsverhütung beigetragen hat.
In den Ruinen von Bilder und Zeiten schreibt Dietmar Dath eine
Kulturgeschichte des Zombies zwischen Jacques Tourneur und Homer Simpson. Und Ernst Horst berichtet über einen Selbstversuch: Die
Stadt München hat beschlossen, all ihre PC's von Windows auf
Open-Source-Software umzustellen. Um zu begreifen, was auf die Beamten zukommt, hat Horst auf seinem PC
Linux installiert und hat dann mit
Mozilla die Internetseite der Stadt besucht: "Fehler! Hyperlink-Referenz ungültig. Hier wird die Stadt für ihre neuen Freunde noch etwas nachbessern müssen. Gleich auf der Startseite funktioniert das Feld 'Aktuell' nicht. Dafür kann man an anderer Stelle das Bild des obersten Dienstherrn Christian
Ude künstlerisch verschönern. Das ist der Unterschied zu einer Diktatur. In
Bagdad musste man den Chef immer so an die Wand hängen, wie man ihn geliefert bekam."
Besprochen werden eine Ausstellung von
Michael Croissant im Berliner Georg-Kolbe-Museum,
Vincenzo Terraccianos Filmkomödie "Die Rebellion", eine Aufführung von
Shakespeares "Heinrich V." im New Yorker Central Park,
Bücher, darunter
Norbert Gstreins Roman "Das Handwerk des Tötens" und
Florian Illies' "Generation Golf zwei" (siehe auch unsere
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
Auf der
Schallplatten- und Phono-Seite geht es um eine
CD der Band "Thrills", eine Einspielung von Widmungswerken
Elliott Carters und
Isang Yuns, eine CD der Berliner Band "Sitcom Warriors", und um eine CD des Cellisten
Daniel Müller-Schott, der Werke von Haydn und Beethoven aufgenommen hat. Magnus Klaue untersucht die Kindlichkeit in der Popmusik, wie sie einst von Monroe und Bardot, heute von Spears und Aguilera verkörpert wird.
In der
Frankfurter Anthologie stellt Gerhard Schulz ein Gedicht von
Wolfgang Bächler vor:
"Die Frucht
Gestern hab ich den Mond
vom Himmel gepflückt
und über die Äpfel gelegt.
Von Trauer und Licht bewohnt
hat er sich leise bewegt.
Ich hab ihn zerstückt.
..."