Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.08.2003. Für die SZ ist Arnold Schwarzenegger noch nicht einmal der schlechteste der  Kandidaten im kalifornischen Politbusiness. Die FAZ fragt, warum die Kunst eigentlich so gerne "Täter romantisiert". Die taz lauscht dem "Pedalsirren und Ritzelklirren" auf dem neuen Kraftwerk-Album. Die NZZ beobachtet, wie Flash-Mobs über New Yorker Edelboutiquen herfallen. Außerdem debattieren FAZ, FR und taz weiter über Ted Honderich.

FAZ, 08.08.2003

Patrick Bahners kommentiert auf Seite 1 der Zeitung noch mal den "Literaturbetriebsunfall" um Ted Honderichs Buch "Nach dem Terror", das von Jürgen Habermas kritiklos dem SuhrkampVerlag empfohlen und von diesem kritiklos gedruckt wurde: "Wären nicht nebenbei deutsche Buchhandlungen mit einem Traktat über das Recht zum Judenmord beliefert worden, könnte man diese Szene aus dem Endlosdrama der Dialektik der Aufklärung als komisches Intermezzo goutieren: Habermas nimmt an, bei Suhrkamp werde man das Buch noch einmal ordentlich prüfen; bei Suhrkamp glaubt man, auf Habermas könne man sich schon verlassen."

Im Feuilleton fragt Niklas Maak anlässlich der in den Berliner Kunst-Werken geplanten Schau zum "Mythos RAF", warum die Kunst (auch Gerhard Richter in seinem berühmten Zyklus) so viel lieber die Täter romantisiert als sich etwa mit den Opfern auseinander zu setzen. Andererseits aber warnt er davor, die Ironisierung des Mythos RAF durch Poptendenzen einfach abzutun: "Nichts ist für Ideologie und Mythos so schädlich wie Klamauk. Baader und Meinhof, stets darauf aus, Schrecken zu verbreiten, hätten die Verballhornung ihres Weltrettungsplans sicherlich nicht gern gesehen. Das geschmacklose 'Prada Meinhof'-Spektakel war vielleicht schon das Ende eines raunenden RAF-Mythos, an dem einige Künstler noch eifrig herummalen."

Weitere Artikel: Der emeritierte Strafrechtsprofessor Klaus Lüderssen zieht das Urteil gegen Magnus Gäfgen, den Mörder des kleinen Jakob von Metzler trotz seiner Popularität in Zweifel und fragt, ob nicht doch eine psychische Störung bei Gäfgen vorgelegen habe, so dass am Ende keine "besondere Schwere der Schuld" festzustellen wäre. Ilona Lehnart meldet, dass ein Cottbuser Archäologieprofessor anregt, die Reste der Berliner Mauer zum Weltkulturerbe zu erklären. Heinrich Wefing glossiert den Umstand, dass die amerikanische Presse das Gerücht, Arnold Schwarzenegger werde nicht als Gouverneur für Kalifornien kandidieren, als Tatsache verbreitete und offensichtlich niemand auf die Idee kam, ihn zu fragen. Gerhard Stadelmaier gratuliert dem Kritiker Rolf Michaelis zum Siebzigsten. Rainer Blasius gratuliert dem Historiker Eberhard Kolb ebenfalls zum Siebzigsten. Jan Nicolaisen begeht in einem architekturhistorischen Streifzug den Kloveniersburgwal in Amsterdam.

Auf der letzten Seite freut sich Konstanze Crüwell, dass das "womöglich bezauberndste Bild der deutschen Renaissance", Holbeins Schutzmantelmadonna, demnächst nicht mehr im Darmstädter Schlossmuseum, sondern im Frankfurter Städel ausgestellt werden soll, wo es endlich einen würdigen Zusammenhang bekäme - allerdings ist die Empörung in Darmstadt groß. Christoph Albrecht schreibt ein Profil über den sympathischen Humanisten (meint jedenfalls Albrecht) Edward Said, dessen Klassiker "Orientalismus" wiederaufgelegt wird. Und der überaus verdienstvolle Dietmar Polaczek schreibt ein weiteres Mal gegen die Gleichgültigkeit Europas angesichts von Silvio Berlusconis Korruptionsregime an.

Auf der Medienseite bringt Hanns Zischler unserem Nationalkomiker Loriot, dessen Fernsehsendungen mal wieder wiederholt werden, eine kleine Hommage dar: "Mitunter nähert sich Loriots behändes Stolpern und seine lumbagoverdächtige, steif-elastische Beweglichkeit den Exerzitien des Schwerkraftphobikers Jacques Tati." Heike Hupertz berichtet, dass jetzt bei NBC Kürzestfilme in die Werbeblöcke eingestreut werden, um die Zuschauer bei der Stange zu halten. Andreas Rossmann stellt ein neues Kulturmagazin für NRW vor, k.west, das von ehemaligen Kulturredakteuren der geschleiften NRW-Seiten der SZ gemacht wird. Und Jürg Altwegg fragt: "Beteiligt Haim Saban TF1 an der Kirch-Übernahme?"

Besprochen werden eine Ausstellung mit Porträtfotos von Abe Frajndlich in Frankfurt, Mozarts "Titus" und Uraufführungen von Halffter und Henze in Salzburg, Jesper W. Nielsens Film "Okay", eine Ausstellung über die historische Lotte in Weimar ebendort, die Bachwoche Ansbach und eine Ausstellung die "Preußen an Peel, Maas und Niers" im Preußenmuseum Wesel.

FR, 08.08.2003

Die FR druckt eine gekürzte Fassung von Ted Honderichs Antwort auf Micha Brumlik, in der er sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus verwahrt: "Sicherlich wird Brumliks Anklage nun psychoanalytische Untersuchungen der Fragen nach sich ziehen, warum ich mit einer jüdischen Frau verheiratet war, warum ich mich wegen des Holocaust weigerte, in Deutschland Vorträge zu halten usw. Die Unverfrorenheit und Dummheit der Anschuldigung des Antisemitismus lässt für mich nur einen Schluss zu: nämlich den, dass es falsch wäre, auch nur einen einzigen Satz in Brumliks Brief ernst zu nehmen. Darüber hinaus halte ich es für widerwärtig, mich mit Personen in Beziehung zu setzen, deren politische Ansichten ich nicht teile. Weiter ist es unwürdig, wenn versucht wird, Druck auf ein Verlagshaus von exzellentem internationalen Ruf auszuüben" (Der gesamte Text findet sich hier, mehr zur Debatte steht hier).

Der Schriftsteller Richard Wagner sieht dagegen Ted Honderich in schönster Tradition linker Gewaltfantasien: "Die Reduktion der Welterschütterung auf die Umtriebe des Raubtiers Kapitalismus und der Ruf nach Gewalt zur Beseitigung aller Übel, kurz Revolution genannt, hat seit den frühen Sechzigern den Beifall einflussreicher intellektueller Gruppen gefunden. Man lese nur die Texte des von der "Gallistl'schen Krankheit" befallenen Martin Walser aus den siebziger Jahren, als er der DKP nahe stand. Eine sachliche Beschreibung der Konfliktpotentiale außerhalb Europas ist bis heute kaum möglich, weil man die Ursachen stur in den Auswirkungen der westlichen Kultur und der von ihr eingerichteten Konsumgesellschaft sucht... Das Böse, das man seit dem Vietnam-Krieg gerne in den Vereinigten Staaten lokalisierte, findet nun seine endgültige Verortung im American way of life."

Weiteres: Adam Olschewski feiert das neue Album von Kraftwerk "Tour de France Soundtracks", das er erstaunlich gefühlvoll findet. In Times mager fragt Daniel Kothenschulte, ob der "Kandidator" Arnold Schwarzenegger "als Schauspieler gut genug" ist, "um ein schlechter Politiker zu werden".

Besprochen werden ein manieristischer "Tito" von Nikolaus Harnoncourt und Martin Kusej bei den Salzburger Festspielen, Jonas Akerlunds Drogenfilm "Spun" und John Stockwells Sportlerfilm "Blue Crush" und Bücher, darunter Eduard Bernsteins Briefwechsel mit Karl Kautsky und Gabriele Metzlers Untersuchung "Der deutsche Sozialstaat" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 08.08.2003

Stefan Reinecke schickt zur Debatte um Ted Honderichs Buch "Nach dem Terror" noch einige Bemerkungen nach. Eigentlich habe ja die "intellektuell blamable" Schrift den "Adelsschlag, als Auslöser eines Skandals gedient zu haben, nicht verdient", meint Reinecke. "Der Verlierer dieser Affäre ist Suhrkamp. Suhrkamp hat sich nun von Honderich distanziert, weil 'dem Verlag die Haltung des Autors zum palästinensischen Terrorismus nicht rechtzeitig deutlich wurde'. Das sieht nicht mehr nach geordnetem Rückzug aus, eher nach kopfloser Flucht. Micha Brumlik hat zu Recht Erfolg gehabt, wenn auch mit einem etwas unscharfen Antisemitismus-Vorwurf. Falsch wäre es nun, wenn der Eindruck haften bliebe, dass Suhrkamp keine israelkritischen Bücher publizieren darf. Es gibt genug Gründe für fundierte, auch radikale Kritik an Israel. Sie gehören auch in einen Verlag, der Adorno publiziert. "

Harald Fricke widmet sich dem "Tour de France"-Album von Kraftwerk: "Hat sich in der elektronischen Herrenrunde etwa die ökologische Erneuerung durchgesetzt? Von Autobahn und TransEuropaExpress bis ins Internet - und nun hinaus an die frische Luft, zurück zur Natur? Nein, nicht wirklich. Eher schon macht sich Armstrong als muskelbepackter Sportsheld im gelben Trikot mit seinem ledernen Gesicht und dem Cyborg-Lächeln gut in der Ahnenreihe aus Schaufensterpuppen und Robotern. Selbst Ulrich wäre eine prima Identifikationsfigur, rein romantisch betrachtet: immer ein wenig verträumt und leicht in Gedanken wegdriftend, dazu der mechanische Fahrstil, ist auch er - als Rad fahrendes Mantra aus Pedalsirren und Ritzelklirren - eine Art Homunkulus."

Weiteres: Daniel Bax erzählt vom Gipfeltreffen der Blasmusik im serbischen Guca, wo jedes Jahr im August die beste Blaskapelle der Saison gekürt und jede Menge Speck und Bier verputzt werden. Der Sieger erhält die "Goldene Trompete". In der Serie "Die Zukunft der Arbeit" weiß Gerrit Bartels, warum Ärzte Journalist oder Kabarettist werden. Auf der Medienseite verabschiedet Gerhard Dilger den Medienzar Roberto Marinho, mit dem einer der mächtigsten und umstrittensten Figuren Brasiliens gestorben ist.

Besprochen werden Politische Bücher, darunter der von Marc Ferro herausgegebene Band "Schwarzbuch des Kolonialismus" und Tobias Debiels Untersuchung der "UN-Friedensoperationen in Afrika" (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

Schließlich Tom.

NZZ, 08.08.2003

Merkwürdige Dinge hat Andrea Köhler in New York beobachtet: "Eines schönen Tages im Mai stellte eine Gruppe von rund hundertzwanzig Leuten, die sich als Reisegesellschaft aus Maryland ausgab, einen Nobel-Schuhladen in Soho auf den Kopf und war in Sekundenschnelle verschwunden. Im Juni hielt eine angeblich aus den Suburbs angereiste zweihundertköpfige Kommune in einer Macy's-Teppichabteilung nach einem 'Liebes-Teppich', sprich: einer von Persern geknüpften amourösen Spielwiese Ausschau; auch sie verschwand wie der Blitz. Dann brachen zwei Wochen später um die zweihundert Menschen im Hyatt-Hotel an der Central Station urplötzlich in fünfzehnsekündigen Beifall aus, eine illustre Menschenansammlung die so leise und spurlos verschwand, wie sie die Balustrade erobert hatte. Und vorletzte Woche gab es im Central Park ein zehnminütiges imitiertes Vogelkonzert zu zweihundert Stimmen." Was war das? "Flash-Mob", erklärt Köhler, ein Gesellschaftsspiel, das die Spontan-Performance in unsere Städte zu bringen versucht und bei dem jeder mitmachen kann.

Weitere Artikel: Joachim Güntner stellt die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz" in Magdeburg vor. Ursula Seibold-Bultmann beschreibt die von Henry van de Velde gebaute Villa Esche, die nach der Restaurierung jetzt öffentlich zugänglich ist. Und Claudia Schwartz schüttelt den Kopf über die Berliner Bauverwaltung, die die Akademie der Künste verschimmeln lässt.

Besprochen werden Mozarts "Clemenza di Tito" in der Felsenreitschule und die Aufführung von Peter Handkes Stück "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" in St. Gallen.

Auf der Filmseite porträtiert Andreas Maurer Irene Bignardi, die Direktorin des Filmfestivals Locarno. Besprochen werden Adam Shankmans Komödie "Bringing Down the House", Joel Schumachers Telefonthriller "Nicht auflegen!" und ein Band mit Texten des Filmemachers und Publizisten Hartmut Bitomsky (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 08.08.2003

Einige Kalifornier winden sich jetzt wohl vor Scham, und angesichts des politischen Chaos im Sonnenstaat haben sie laut Andrian Kreye auch allen Grund dazu. Denn neben Arnold Schwarzenegger tritt ein ganzer Haufen lustiger Gestalten die Kandidatur zum Gouverneursamt an: "Allen voran der republikanische Herausforderer und Finanzier der Kampagne für die Neuwahl, Darrell Issa, der in seiner Jugend zweimal als Autodieb verhaftet wurde und später mit Autoalarmanlagen ein Millionenvermögen verdiente. Dann der Hustler-Verleger Larry Flynt, der als Gouverneur das Haushaltsloch mit dem Erlös aus Glücksspielautomaten stopfen möchte. Oder Angelyne, ein schwerreiches Busenwunder, dessen Ruhm einzig auf einer Plakatwand in Hollywood mit überdimensionalen Glamourfotos beruht; oder der zwergwüchsige ehemalige Kinderstar Gary Coleman aus der Vorabendserie 'Diff'rent Strokes'."

Weiteres: Jens Bisky ruft von München aus ein herzliches "Jammerossis" herüber. Er will am Schlagabtausch über das Ende der Kulturförderprogramme erkennen, "welche Mentalität die dauerhaften Nothilfe-Programme Ost erzeugen und stabilisieren: eifrige, besorgte Verantwortungslosigkeit". Holger Liebs hat gegen Robert Fleck als neuen Direktor der Hamburger Deichtorhallen zwar nichts einzuwenden, hegt aber trotzdem noch gravierende Bedenken. Jens Koldehoff weiß von einem tollen Kunstraub zu berichten: Das Museo de Arte Contemporaneo von Caracas hat jahrelang eine Fälschung von Matisses "Odaliske in roten Hosen" ausgestellt. Nichts genaues weiß man nicht, aber Interpol und Art Loss Register arbeiten daran. Rainer Erlinger klagt, dass Arzt zu sein gar nicht mehr so schön ist wie früher, und er weiß: "Die Mattscheibe lügt." Von "akis" erfahren wir, dass in Krakau ein neuer Studiengang eingerichtet wird. "Einziger Inhalt des Lehrplans: die Bedeutung des Papstes 'für das moderne Polen, die katholische Kirche und die Welt'".

Dirk Peitz stöhnt über die "altlinke Folklore", die die attac-Sommerakademie in Münster aufgeboten hat. Der Bochumer Anästhesiologe Michael Zenz (mehr hier) verteidigt die umstrittenen medizinisch-ethischen Richtlinien, mit der die Schweiz künftig Sterbehilfe regeln will. Sabine Doering-Manteuffel lässt ihren Gedanken über Frauen, Macht und die Geierwally freien Lauf. Jens Bisky notiert mit einer gewissen Schadenfreude gegenüber bibliophilen Tugendbolden, dass, wie und warum Goethe für die Todesstrafe war. Ulrich Kühne beschleicht der Verdacht, dass das 7000-Jahre-alte Sonnenobservatorium aus Sachsen-Anhalt wohl eher ein Festplatz ist. Und die Preisfrage der Jungen Akademie lautet: "Was im Tier blickt uns an?"

Besprochen werden die Salzburger Aufführung der "Clemenza di Tito" von Harnoncourt und Kusej, die Ausstellung "Wohnträume - Wohnräume" im Museum für Gestaltung in Zürich eine Schau von Terry Winters' Papier-Arbeiten in der Münchner Pinakothek der Moderne und Bücher, darunter Hermann Lenz Porträt von "Stuttgart", Tilmann Rammstedts Prosa-Debüt "Erledigungen vor der Feier", Margit Kerns Untersuchung Protestantischer Bildprogramme "Tugend versus Gnade" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).