Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.08.2003. Der Bau des Holocaust-Mahnmals hat begonnen: Die FAZ sieht Peter Eisenman zu, wie er die Arbeiten überwacht und begeht den noch rudimentären Stelen-Wald. Im taz-Interview sagt Eisenman: "Es soll seltsam sein." Die NZZ glaubt, dass Leo Strauss den Neocons eher von der Politik abgeraten hätte. Die FR weiß: Es gibt schon wieder ein schwarze Liste in Hollywood, aber eine ganz subtile. In der SZ wehrt sich Münchens Oberbürgermeister Christian Ude gegen den Ruf der Kommunen als Kulturbanausen.

FAZ, 16.08.2003

Einem historischen Moment hat Niklas Maak beigewohnt: Nach jahrzehntelanger Diskussion und anderen Verzögerungen wurden unter Peter Eisenmans Aufsicht die ersten Stelen des von ihm ersonnenen Holocaust-Mahnmals in Berlin eingesetzt: "'Place of no meaning', hat Eisenman den Ort einmal genannt und damit gleich allen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen, die befürchtet hatten, hier solle der Holocaust in einem monumentalen symbolischen Grabfeld verbildlicht werden. Die ersten Stelen zeigen, daß diese Sorge unbegründet war. Wer zwischen sie tritt, fühlt sich nicht wie auf einem Friedhof. Seltsam fern wirkt plötzlich die Stadt. Man ist allein in einem eigenartigen, nie gesehenen Labyrinth, zwischen dessen Stelen gerade einen Meter breite Pfade hindurchführen."

Worum es bei dem Mahnmal geht, erzählt Helga Hirsch in einem ungemein beeindruckenden Porträt des polnischen (heute amerikanischen) Juden Norman Salsitz, der den Deutschen Rache schwor: "Sein Wunsch nach Vergeltung, pflegt Norman Salsitz zu behaupten, habe ein festes Ausgangsdatum: den 28. April 1942 nämlich, den Tag, an dem sein Vater umgebracht wurde. Zwei Gestapo-Männer waren damals auf den Hof gekommen, hatten den bärtigen Großhandelsbesitzer als einen der bekanntesten Juden des Schtetl in den Holzschuppen gestoßen und zweimal auf ihn geschossen. Da hatte der schwer Verwundete die Deutschen zu beschimpfen begonnen - dass sie den Krieg verlieren würden und dass Gott sehe, dass sie Mörder seien -, um schließlich mit gellender Stimme auf jiddisch zu rufen: 'Nekuma, nemt nekuma!' - Rache, nehmt Rache. Immer wieder: Rache, nehmt Rache! Bis die Gestapo-Männer fünf weitere Schüsse abgegeben hatten und sein Vater verstummt war." Auf der Seite Shtetlinks.org finden wir einige Fotos aus dem Schtetl, die Salsitz ins Netz stellte.

Weitere Artikel: Felicitas von Lovenberg meldet in der Leitglosse, dass zwei große amerikanische Verlage, die zu Holtzbrinck gehörenden Henry Holt und St. Martin's Press nur in reduzierter Besetzung nach Frankfurt kommen - wegen der halsabschneiderischen Hotelpreise, die entgegen allen Versprechungen nicht gesenkt wurden. Verena Lueken gratuliert Robert de Niro zum Sechzigsten. Gemeldet wird, dass Mel Gibson seinen Jesus-Film "Passion", gegen den es Proteste wegen angeblichen Antisemitismus gab, überarbeiten will. Paul Ingendaay schreibt zum Tod des marxistischen Spanien-Historikers Pierre Vilar (hier der Nachruf aus El Mundo). Kerstin Holm berichtet, dass das Putin-Regime nach den Medien nun die demoskopischen Institute auf Reihe bringt, damit bei Unfragen keine unangenehmen Wahrheiten ans Licht kommen: "Künftig werden Funktionäre entscheiden, wie man die Befindlichkeit der Russen erforscht." Heinrich Wefing liest amerikanische Zeitschriften (unter anderem das Internetmagazin Architecture Week, die sich mit dem GSW-Hochhaus der Architekten Sauerbruch und Hutton in Berlin auseinandersetzt). In der Reihe "Wir vom Bundesarchiv" stellt Christoph Schawe das leider recht dünne Protokoll einer Diskussion des Bundeskabinetts über seine innerdeutsche Politik vor. Kerstin Holm schreibt zum Tod des russischen Bildhauers Lew Kerbel, dem wir den Chemnitzer Marx-Kopf verdanken. Werner Spies schreibt zum Tod des Kunsthistorikers Kirk Varnedoe.

In Bilder und Zeiten (wenn man so sagen darf) werden neben dem Text von Helga Hirsch über Norman Salsnitz Prosastücke von Ror Wolf vorabgedruckt.

Auf der Medienseite meldet Jürg Altwegg, dass die Schweizer Gruppe Ringier einen deutschsprachigen New Yorker unter Leidung des ehemaligen Welt-Chefredakteurs Wolfgang Weimer plant und eventuell auch die zum Verkauf stehende Zeitschrift Du erwerben will. Und Gisa Funck stellt neue, von den Privatsendern ersonnene Berufsbilder wie den "Caster" oder den Quizfragenerfinder vor.

Auf der Schallplatten-und-Phono-Seite geht's um A Cappella-Männerchöre von Sibelius, um eine neue CD des unermüdlichen Jeff Beck und um zwei Alben von Adam Green und Jeffrey Lewis.

Besprochen werden ferner die große Holbein-Ausstellung im Mauritshuis ("Nehmen wir Holbein also bloß nicht als Realisten. Dafür hatte jene Zeit ein viel zu abfälliges und weises Konzept von der Oberfläche", ruft Dirk Schümer, während kcd. in einem kleinen Artikel die jüngste Phase der Darmstädter Proteste gegen die Verlegung der Schutzmantelmadonna nach Frankfurt schildert), eine Ausstellung im Potsdamer Neuen Palais über das von Wilhelm II. als antipolnische Trutzburg gebaute Schloss in Posen, ein Konzert Alfred Brendels mit seinem cellospielenden Sohn Adrian beim Klavier Festival Ruhr, der Film "Lara Croft Tomb Raider", Das Eröffnungskonzert der Popkomm und Bücher, darunter, spät aber doch, Enzensbergers "Geschichte der Wolken", und ein Bildband über Henri Cartier-Bresson.

In der Frankfurter Anthologie stellt Joachim Sartorius ein Gedicht von Johannes Bobrowski vor - "Holunderblüte"

"Es kommt Babel, Isaak. Er sagt: Bei dem Pogrom, als ich Kind war, meiner Taube riss man den Kopf ab..."

TAZ, 16.08.2003

Die taz überlässt das Reden heute anderen. Auf der Tagesthemenseite fragen Philipp Gessler und Jörn Kabisch Peter Eisenman, den Architekten des jüdischen Mahnmals in Berlin (mehr hier), ob er schon mal von Stelen geträumt hat. Nach immerhin 15 Jahren Projektlaufzeit gibt sich Eisenman aber noch immer visionär. "Es soll seltsam sein. Wenn Sie auf Caspar David Friedrichs Gemälde schauen: Sie sind seltsam, sublim. Es gibt darin pittoreske Qualitäten, aber auch verstörende Qualitäten. Das ist die Grenze zwischen Gut und Böse. Dieser schmale Grat. Ich wäre gern auf diesem Grat gelaufen mit dem Projekt. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt. Es soll auf sublime Art zugleich verlockend und verstörend sein."

Frank Schäfer erkundigt sich bei Wolf Wondratschek (Kurzporträt), seines Zeichens "Arschloch der Achtzigerjahre" und nun anerkannter Lyriker (ein Beispiel im Plaboy), wie alles begann. "Mit tausend Exemplaren, die ich selber habe drucken lassen. Mit ein paar Gedichten für Freunde, die Titel trugen wie 'Chucks Zimmer'. Ich wachte erst aus diesem schönen Traum auf, als die angeliefert wurden: tausend Stück! Ich kann vielleicht fünfzig oder hundert verschenken, aber was mache ich denn mit dem Rest? Den habe ich dann dem Lutz Kroth von Zweitausendeins angeboten, der sagte: Um Gottes willen, muss das sein, was soll ich denn mit dem Zeug? Und ich sage, nimm die, biete die über deine 'Merkhefte' an. Er sagt, gut, das mache ich, aber wenn es nicht geht, schicke ich sie dir wieder zurück. Einen Monat später rief er mich an und sagte: Ich weiß auch nicht, die sind weg! Wunderbar. Da würde ich vorschlagen, sagt er, drucken wir nochmal tausend. Prima. Unser Deal war ja auch wunderschön, fifty-fifty."

Desweiteren im Feuilleton: Holger Int'Veld schreibt zum Thema Zukunft der Arbeit, wie er nach vielen Irrungen und Wirrungen zu seinem Traumjob gekommen ist: Schokoladenhändler. Harald Peters huldigt Ludivine Sagnier (mehr hier), der Nymphe vom Swimming Pool.

Auf der Medienseite rümpft Steffen Grimberg die Nase über NTV-Heroin Sandra Maischberger, die bei Springer-Chef Mathias Döpfner so unrühmlich auf Kuschelkurs gegangen ist.

Die einzige Besprechung widmet sich Jens Sparschuhs Roman "Eins zu eins".

Im tazmag verfasst Nadja Klinger eine historiegespickte Hommage an den Berliner Friedrichstadtpalast, das "Skelett der Glamourwelt" und einfach nicht totzukriegen. Katharina Schuler widerlegt mit viel Aktenmaterial die Legende, die Nationalsozialisten hätten ihre Opfer im Verborgenen verurteilt. "Öffentliche Bloßstellung war im NS-Staat ein häufig angewandtes Mittel, unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren. Dem Volk wurde ein Spektakel geboten." Judith Luig schildert, was eine Unternehmensberaterin bewegt, für ein Jahr als Lehrerin in ein Entwicklungsland zu gehen. Thomas Schaffroth unterhält sich lange und abgehoben mit dem französischen Sozialphilosophen Andre Gorz über die Spannung zwischen Human- und Sachkapital im Spätkapitalismus sowie die posthumane Zivilisation. Gesine Kulcke gratuliert der Zahnspange zum 275. Geburtstag und behauptet allen Ernstes, Drähte im Mund würden sexy machen.

Schließlich Tom.

NZZ, 16.08.2003

Uwe Justus Wenzel zieht ein sehr lesenwertes Resümee der Debatte um den angeblichen Einfluss des Philosophen Leo Strauss' auf die Neocons in der Bush-Regierung. Strauss stelle die Frage nach dem Verhältnis zwischen Politik und Philosophie neu, so Wenzel unter anderem. Aber was wird, wenn - wie Platon einst forderte - ein Philosoph Politiker wird? Strauss hätte abgeraten, so Wenzel: "Es könnte sein, dass diese Figur lediglich die schlechten Eigenschaften eines Philosophen mit den schlechten Eigenschaften eines Politikers vereint: Vom Philosophen hätte sie den Glauben übernommen, die beste aller Ordnungen lasse sich ins Werk setzen (dass die Neokonservativen deutliche Züge eines 'inversen', eines umgekehrten Marxismus tragen, ist nicht unbemerkt geblieben); vom Politiker die machiavellistische Machttechnik, die das Mittel durch den Zweck geheiligt sein lässt. Die guten Eigenschaften - radikales Fragen einerseits, besonnenes Moderieren andererseits - blieben dann auf der Strecke."

Weitere Artikel: Sehr ausführlich berichtet Peter Hagmann von Claudio Abbados Arbeit mit dem Lucerne Festival Orchestra, das auch in seiner musikalischen Praxis ein in Deutschland viel zu wenig gewürdigtes Anti-Salzburg darstellt - "schlechterdings sensationell" fand Hagmann Debussys "La mer" mit diesem Orchester. Beatrix Langner gratuliert Reiner Kunze (mehr hier) zum siebzigsten Geburtstag. Andreas Mauerer verfährt ebenso mit dem ebenso alt gewordenen Roman Polanski. Besprochen werden außerdem Bücher, darunter ein Briefband von Max Weber und die ins Deutsche übertragene "Glossolalie" von Andrei Belyi.

In Literatur und Kunst erklärt Peter Bichsel (mehr hier), "warum ich ein schriftdeutscher Autor bin": "Zwar bin ich Schweizer. Aber ich bin überzeugt, dass ich eine Menge schlechte und weniger schlechte Qualitäten habe, die mich mehr von anderen unterscheiden als meine Nationalität. Darunter auch Eigenschaften, die ich gemeinsam mit anderen habe und pflege, zum Beispiel, dass ich Sozialist bin." (Also, ich wär lieber Schweizer!)

Weitere Artikel: Roman Luckscheiter denkt über das literarische Erbe der 68-er in der deutschsprachigen Literatur nach und empfiehlt zumal Bernward Vespers autobiografisches Roman-Konvolut "Die Reise" zur neuerlichen Lektüre. Und Marli Feldvoss befasst sich mit den "Charakteren in den Verfilmungen von Patricia Highsmith". Besprochen werden einige Bücher, darunter Boualem Sansals Roman "Der Schwur der Barbaren" über die "Agonie Algeriens".

FR, 16.08.2003

Auf der totgesagten Popkomm verdächtigt Silke Hohmann erstmal alles und jeden, ein Kunstprodukt der Musikindustrie zu sein. Um dann doch noch im "Blue Shell" bei kleinen, guten Bands wieder Hoffnung zu schöpfen und schließlich ganz entspannt Wolfgang Clements Plänen zur Rettung des deutschen Musizierens zu lauschen. "Die Hälfte aller im Radio gespielten Stücke soll aus neuen, unbekannten Titel bestehen, die Hälfte davon wiederum deutschsprachig. Den Raubkopien will man mit weiteren Änderungen des Urheberrechts entgegen wirken, und ein Musik-Exportbüro, das Musik aus Deutschland international bekannt macht, soll nach dem Vorbild der Niederlande, Frankreichs oder der Schweiz mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit eingerichtet werden."

Es gibt wieder eine schwarze Liste in Amerika, und das bekommen besonders unpatriotische, weil liberale Hollywoodschauspieler zu spüren. Die Methoden sind subtil, weiß Gerhard Midding unter anderem von der Drehbuchautorin Norma Barzman: "Es gibt noch keine offiziellen Berufsverbote. Niemand würde die Kriegsgegnerschaft als direkten Grund nennen. Die Studios argumentieren vielmehr, dass eine Schauspielerin beispielsweise zu alt oder zu unpopulär für eine bestimmte Rolle ist."

Weiteres: Christian Schlüter glaubt nicht, dass der große Blackout in den USA Angst verursacht hat, eher schon Nachwuchs. Klaus Bachmann schildert den Protest der Brüsseler Bürger gegen die EU-Erweiterung und den Zuzug von geschätzten 2368 neuen Eurokraten. In ihrer Zimt-Kolumnne hat Mac-Userin Renee Zucker für die minderbemittelten PC-Benutzer und ihre Probleme mit Lovsan nur Verachtung übrig. Aus einer Meldung erfahren wir, dass Peter Eisenman für das Holocaust-Mahnmal in Berlin zehn unterschiedliche Stelen-Modelle zur Auswahl hat.

In Zeit und Bild macht uns Uwe Neumahr launig mit Giovanni Della Casa bekannt, der sich nicht nur als Bischof, Inquisitor und Verfasser obszöner Gedichte versuchte, sondern sich auch mit einer Art Ur-Knigge um das gute Benehmen verdient gemacht hat. "Es gehoeret sich auch nicht / wenn du die nase gewischet hast / daß du das schnupftuch von einander ziehest / und hinein guckest / gleich als ob dir Perlen oder Rubinen vom gehirn hetten abfallen moegen."

Auf der Medienseite berichtet Thomas Roser, wie der ehemalige Sender Gleiwitz nun der deutsch-polnischen Versöhnung dienen soll, nachdem er 1939 als Auftaktfanal des Zweiten Weltkriegs herhalten musste.

Besprochen werden die Concept-Art-Schau an der Berliner Akademie der Künste, Elias Canettis fragmentarische Erinnerungen "Party im Blitz", eine gelungene Aufsatzsammlung zu "Freiheit, Gleichheit und Autonomie" sowie "67/89", die siebzehn kollektiven Erinnerungsbilder des Fotografen Kai-Olaf Hesse für fantastische 144 Euro (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Im Magazin überwältigt Ludivine Sagnier (mehr hier) in einem Interview einmal mehr mit ihrem koketten Charme. "FR: Wir haben gelesen, dass Sie als Französin deutsches Essen mögen. Sagnier: Das soll ich gesagt haben? Also offen gestanden bin ich manchmal überrascht, was für ein Mix hier serviert wird. Andererseits ist das auch nicht schlimmer als die englische Küche."

Außerdem: Frederik Jötten porträtiert einen Bayern aus dem Bilderbuch, der Moslem ist und an der Versöhnung von Türken und Trachtlern arbeitet. Und Dela Kienle erstellt eine Typologie der Amateurfunker. Petra Mies erklärt zum Schluss, wie man Korsika nackt genießen kann.

SZ, 16.08.2003

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude wehrt sich vehement dagegen, die Kommunen als Sündenböcke für ihre miserable Finanzlage zu benutzen. "Das Urteil wird sofort im Feuilleton vollstreckt: Dem Berliner Senat wird vorgeworfen, kurzerhand alles abzuschaffen, was das Wesen unserer Zivilisation ausmacht. Der Kölner Rotstift wird zur Guillotine erklärt und die Stadt auf dem kulturellen Niveau von Nowosibirsk verortet. Der Frankfurter Kulturdezernent spielt den 'kulturpolitischen Vandalen', und in München sind sowieso nur Banausen am Werk, weil zwei von 25 Bibliotheken geschlossen wurden und der Etat der Philharmoniker an die selben Grenzen stößt wie alle anderen Budgets auch."

Weitere Artikel: Willi Winkler inspiriert der amerikanische Blackout zum Rekurs auf die Schöpfung, Prometheus und das Netz der belgischen Autobahnen, vom All aus betrachtet. Fritz Göttler weiß, warum Conan nicht mehr im amerikanischen Fernsehen läuft und Bill Clinton stundenlang mit dem amtierenden Governeur Kaliforniens telefoniert. Stefan Rebenich stellt in der Reihe Briefe des 20. Jahrhunderts ein Schreiben von Hermann Bengtson an Walther Wüst aus dem Jahr 1941 vor. Jens Bisky fordert von Weimar nicht nur Bewahrung des Alten, sondern Aufbruch zu Neuem. Kristina Maidt-Zinke gratuliert Reiner Kunze (mehr hier) zum Siebzigsten. Christine Dössel schwankt, ob Michael Thalheimer, der mit "Woyzeck" erstmals in Salzburg inszeniert, nun Moralist oder Rationalist ist. Stefan Koldehoff schreibt zum Tod von Kirk Varnedoe, der prägende Kurator des MoMA. C. Bernd Sucher ängstigt sich in seinem Salzburger Theaterbazar, ob er wohl noch das Winternitz-Zitat bekommt, rechtzeitig zum Treffen der Kolumnen-Gruppe b.

Auf der Medienseite lesen wir einen Fernsehtipp von Alexander Gorkow, der Stefan Krohmers "Familienkreise" mit Götz George und Jutta Lampe als ein "Meisterstück des Naturalismus" preist. Hans Leyendecker würdigt den verstorbenenen Gerhard Mauz, den größten Gerichtsreporter der Nachkriegszeit.

Besprochen werden Martin Kusejs und Nikolaus Harnoncourts umstrittene Version von "Don Giovanni" in Salzburg, die kleintierzooartige Schau autobiografischer Kunstwerke in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst, und Bücher, darunter Detlev Claussens mäßige, Stefan Müller-Doohms redliche und Lorenz Jägers populäre Adorno-Biografie (mehr in unserer Bücherschau des Tages heute ab 14 Uhr).

In der SZ am Wochenende polemisiert Martin Urban differenziert gegen die narzisstische Wissenschaft und die ihr eingeschriebenen Kitschrituale. "Neben dem Verniedlichungskitsch gibt es auch den Erhabenheitskitsch. Beide Varianten sind, so zeigte jüngst der Soziologe Martin Doehlemann aus Münster, in den Geisteswissenschaften besonders beliebt. Als Beleg für Erhabenheitskitsch zitierte Doehlemann den Philosophen Peter Sloterdijk mit dem hoch bedeutsamen Satz: 'Wo wir nicht mehr stehen können, steigt uns die Evidenz über den Kopf, dass das große Unbedachte der philosophischen Durchdringungen harrt.'" Noch Fragen?

Dazu: Evelyn Roll glaubt, dass der Zeitpunkt gekommen ist, dass die Frauen die Macht übernehmen. "So großartig ist es ja auch wieder nicht, was die Männer derzeit bieten." Rainer Stephan hält eine Laudatio auf die Gewürzgurke, die grüne Gemüsebeere, und entwirft nebenbei noch eine Sommerloch-Theorie der Katastrophen. Und Alexander Gorkow plaudert mit Francoise Wilhelmi de Toledo übers Fasten. Manchmal wird Toledo schwach. "Ein Kilo Hähnchenflügel. Würzsalz drauf. Ab in den Ofen. 200 Grad. Nach 45 Minuten sind sie salzig und knusprig" (hier ein diesbezüglicher Artikel von ihr).