Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.08.2003. In der SZ erklärt Günter Gaus, warum er kein Demokrat mehr ist. Die NZZ glaubt an die Machtübernahme der Frauen. Die taz nicht. Die FR veröffentlicht Auszüge aus dem Tagebuch eines lakonischen Widerständlers gegen die Nazis. In der FAZ erzählt Hussain Al-Mozany, wie Chomeinis Enkel die iranischen Mullahs kritisiert.

SZ, 23.08.2003

Günter Gaus, ehemals Spiegel-Chefredakteur und Ständiger Vertreter der BRD in der DDR, erklärt, warum er seinen Glauben an die Demokratie verloren hat. Der Artikel gerät zu einer Abrechnung mit der politischen Gegenwart. "Ich bin vor allem deswegen kein Demokrat mehr, weil aus dem gesellschaftlichen Zusammenwirken von Wählern und Gewählten mehr und mehr eine Schauveranstaltung geworden ist. Stars, aus dem Fernsehen bekannt und ausgewählt nach dem Gelingen ihrer Auftritte, buhlen von Zeit zu Zeit um die Gunst des Publikums, das einst seinem Anspruch nach der demokratische Souverän gewesen ist. Unter Wahrung der demokratischen Formen ist der Inhalt dieses politischen Systems gegen wechselnde Events ausgetauscht worden."

Weitere Artikel: Tobias Kniebe glaubt, dass Florida-Rolf zum Sozialsystem gehört wie die notwendige Sicherheitslücke zu einem Computerprogramm. "Sollte der Staat hier vielleicht von anderen Systemen lernen, die ebenfalls ständig auf ihre Schwachstellen getestet werden?" Detlev Claussen kommentiert in der Reihe "Briefe aus dem 20. Jahrhundert" ein Schreiben von Theodor W. Adorno an Ernst Bloch aus dem Jahr 1962. Sonja Zekri erklärt, wie die geplante Umgestaltung des Musee Royal de l'Afrique Centrale, eine Bastion des Kolonialismus, das Bild des neuen geschichtsverantwortlichen Belgiens prägen könnte und warum das die Belgier in Aufruhr versetzt. "tost" fragt, warum das Auswärtige Amt Russland literarisch unterstützt, Kuba aber nicht. Thomas Urban schildert die polnische Diskussion um ein Berliner Vertriebenenzentrum, das die meisten Intellektuellen ablehnen. Andrian Kreye berichtet von den amerikanischen Feierlichkeiten zum fünfzigsten Geburtstag der Subkulturen. Ira Mazzoni rät, vor dem Jubel über den Fund der angeblichen Julius-Cäsar-Marmorbüste auf Pallenteria noch das Urteil der Experten abzuwarten. C. Bernd Sucher denkt in seinem Salzburger Theaterbazar bei einem kleinen Schwarzen über Sex auf der Bühne nach.

Auf der Medienseite schläft Holger Gertz beim 40-jährigen Aktuellen Sportstudio ein. "Was nehmen wir mit in die Geburtstagsnacht? Vierzig Jahre, das Sportstudio lebt, als Sendung hat auch Poschmann es gerettet. Den Mythos hat er dabei hingerichtet."

Besprochen wird Martin Wuttkes antriebslose Inszenierung der "Perser" in Neuhardenberg, Rick Famuyiwas charmante Filmkomödie "Brown Sugar", die preiswerte Neuausgabe von Christoph Martin Wielands Übersetzung der "Theatralischen Werke" von William Shakespeare, die dritte Festschrift für Carl Friedrich von Weizsäcker "Time, Quantum and Information" sowie "Lessings Horizonte", Karl Guthkes Überlegungen zum Lessingschen Toleranzgedanken (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

In der SZ am Wochenende lesen wir in einer Erzählung von Gernot Wolfram, wie die umstrittene Bergung der Fresken von Bruno Schulz (mehr) aus der ehemaligen SS-Villa in der heutigen Ukraine abgelaufen sein könnte. "An der Grenze nach Polen, als der Beamte seinen Pass mehrmals hin und her wendete und dann sein Gesicht lange mit dem Foto verglich, hatte Ariel geschwiegen. Wenig später hatte er den Hinterkopf an die Seitenscheibe gelehnt, um die Landschaft nicht sehen zu müssen. Wenn es nicht eine nationale Tat wäre, die Fresken Zimts zu retten, sagte er spöttisch in die Stille hinein, würde er sofort umkehren und seinen zwei Söhnen die Idee ausreden, in Europa zu studieren."

Außerdem: Lutz Hachmeister findet die geplante Ausstellung zur RAF grotesk. Zu einen, weil Baaders jakobinische Streber schon immer nur ihre eigene Ausstellung waren, zum anderen, weil sie dann endlich da sind, wo sie hinwollten: im Schoß des Staates. Willi Winkler porträtiert den zart dichtenden Frauenfeind und -freund Wiglaf Droste. Gertrude Fein erleidet einen Alptraum in Form einer Dauerkochsendung. Rebecca Casati erfährt von Debbie Harry im Interview, dass wirklich guter Spaß nur aus Schmerz entsteht.

NZZ, 23.08.2003

Mario Vargas Llosa ist am 25. Juni in den Irak gefahren um für die spanische Zeitung El Pais seine Eindrücke festzuhalten. Abgedruckt wird das siebenteilige Tagebuch seit dem 3. August. Uwe Stolzmann hat es gelesen und ein paar Fragen an den Dichter. "Wenn einer so eine Reise tat, was hat er zu berichten? Dass er 'tiefstes Mittelalter' entdeckte und eine furchteinflößende Art zu glauben, 'rein, echt, uneigennützig, extrem'. Ist das neu? 'Die Iraker können jetzt auch frei im Internet surfen.' Ist das wichtig? Über Vargas Llosas Dolmetscher erfahren wir: 'Professor Rashid ist einer jener Aufrechten, die das moralische Rückgrat dieses von der Diktatur zerrütteten Landes sind.' Zeigt sich hier der scharfzüngige Essayist, der berühmte Biss des Dichters mit dem Kaimanlächeln?"

"Das von männlicher Dominanz geprägte Verhältnis der Geschlechter scheint eine fundamentale Wendung zu nehmen. Frauen leuchtet die Zukunft, während Männer Statuszweifel plagen", stellt Joachim Güntner angesichts einer Flut von Neuerscheinungen zum Thema und der von Frank Schirrmacher in der FAZ losgetretenen Debatte (mehr hier) fest. Güntner, der Schirrmacher zustimmt, wundert sich, "wie bemüht die deutschen Publizistinnen sind, das von Frauen Erreichte klein zu reden. Wenn Andrea Fischer betont, vor wenigen Wochen sei erstmals eine Rundfunkintendantin gekürt worden, dann präsentiert sie das Faktum klagend: So spät! Und es gibt auch nur diese eine! Ebenso gut könnte sie freudig feststellen: Hier ist eine Bastion gefallen; warten wir ab, welche als Nächstes folgt." Die Chefredaktion der NZZ?

Besprochen werden die Jawlensky-Ausstellung in der Kunsthalle Krems, eine Ausstellung zum 70. Geburtstag von Josef Paul Kleihues im Hamburger Bahnhof in Berlin und die Adorno-Biografien von Stefan Müller-Doohm, Detlev Claussen, Lorenz Jäger und Reinhard Pabst (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr, Leseproben hier).

In der Beilage Literatur und Kunst beschreibt Markus Jakob einen neuen transatlantischen Kulturaustausch: Es geht um lateinamerikanische Schriftstellern wie Alfredo Bryce Echenique, Juan Villoro und "den (nach der Niederschrift dieses Textes verstorbenen)" Roberto Bolano, die sich in Barcelona niedergelassen haben. Militärdiktaturen in der Heimat sind nicht mehr der Grund. So erklärte ihm der Chilene Roberto Bolano: "'Der Topos des aus seiner Heimat verstoßenen Lateinamerikaners verursachte mir immer Bauchgrimmen. Nie habe ich mich selbst irgendwo als Ausländer, geschweige denn als Exilant gefühlt, es sei denn - ich war ein furchtbar besserwisserisches Kind - im Alter von zwölf Jahren in Chile.'"

Dazu passend werden Bücher besprochen von Juan Rulfo (hier) und Rubem Fonseca (hier).

Weitere Artikel: Ekkehard Eickhoff stellt uns die Venezianerin vor, die Goethe 1790 so beeindruckt hat, "dass er ihren Namen noch 34 Jahre später in einem Aufsatz erwähnte": Giustiniana Gräfin von Rosenberg und Orsini, geborene Wynne. Jochen Hörisch stellt ein paar Zahlenspiele zum Alter Eduards in Goethes "Wahlverwandtschaften" an: "Die Quersumme von 18 (Ottiliens Alter), 36 (Eduards Alter) und 54 (ihr gemeinsames Alter) ist jeweils 9. Erschienen ist der Roman, der so dezent wie abgründig mit den Zahlen 9 und 18 spielt, im Jahr 1809, also just in time." Und Beatrix Langner denkt über die Assymetrie der Lüste in den Liebesbeziehungen von Dichtern nach.

FR, 23.08.2003

Über 7000 dänische Juden entkamen 1943 ihrer Deportation und Ermordung, indem sie aus Kopenhagen in die Küstenorte flüchteten. Nach Gilleleje etwa, wo Ursula Wöll nun auf die Aufzeichnungen eines Gutsbauern gestoßen ist, der selbst Juden versteckte. In ihrem langen Zeit-und-Bild-Artikel über die dramatischen Ereignisse findet sich auch ein Auszug aus dem Tagebuch des lakonischen Widerständlers: "In der Spülküche wurde beraten. Drei junge Männer waren die Wortführer und säuberten ihre Pistolen. Mein Vorarbeiter und ich wurden gebeten, an der Beratung teilzunehmen. Alle Flüchtlinge sollten in der Scheune und im Kuhstall schlafen. Falls die Gestapo käme, würde man sie erschießen, sofern es nicht mehr als drei Mann wären."

Im Feuilleton bemerkt Michael Rutschky, dass die Medien sich mit den Einzelheiten des Blutbads in Liberia zurückgehalten haben - aus Mangel an Erklärungen. Und "ohne die großformatigen Erklärungen werden die Einzelheiten des Schlachtens nämlich einfach pornographisch."

Weitere Artikel: Navid Kermani lässt in Vierzig Leben Nr. 35 Bruno im Kühlhaus aufwachen, mit der gleichen Schwermut im Gesicht, die ihn sein Leben lang auszeichnete. Alexander Kluy glaubt, dass das Drama um den Bau des Internationalen Ausstellungs- und Dokumentationszentrums Topographie des Terrors in Kreuzberg nun doch ein Happy End haben könnte. Ernst Piper erinnert an die Liste im Deutschen Reichsanzeiger vor 60 Jahren, die mit der öffentlichen Ausbürgerung von Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann und anderen den Beginn der Judenverfolgung markierte. Jens E. Sennewald empfiehlt den Besuch der Ausstellung zum zwanzigjährigen Bestehen der FRAC, bevor die regionalen Kunst-Fonds Frankreichs vielleicht ganz kaputtgespart sind. Renee Zucker bedauert in Zimt, wie alte Helden im Laufe der Zeit unweigerlich entweiht werden.

Auf der Medienseite untersucht Martin Hecht den Wandel des Torjubels im Laufe der 40-jährigen Geschichte des deutschen Fußballs, eng verwandt mit dem Prozess der Individualisierung der Gesellschaft.

Besprochen werden "N.E.W.S. - New Directions in Music", das sehr entspannte neue Album des Künstlers, der sich mal Prince rufen ließ, dann Symbol und jetzt gar nicht mehr heißt, eine Ausstellung mit Tom Sachs' bodenständig-augenzwinkernden Installationen in Berlin, Virginia Woolfs wenig zimperliche Tagebücher aus den Jahren 1931 bis 1935, Günter Göddes sorgfältige und aufschlussreiche Edition der Briefe und Selbstzeugnisse von Mathilde Freud, der ältesten Tochter Sigmund Freuds sowie ein Fotoband mit den ersten Arbeiten von Laurie Simmons "In and Around the House" (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

Im Magazin-Gespräch teilt der umstrittene Ex-Minister, Buchautor und Verschwörungstheoretiker Andreas von Bülow (mehr) heftig aus: an die CIA, die westlichen Regierungen, ja sogar an den Spiegel, den die FR aber für glaubwürdiger hält als Bülow. "Mag sein, aber das juckt mich nicht. Außerdem: So weit käme es gerade noch, dass statistische Mehrheiten über Wahrheitsgehalt und Glaubwürdigkeit entscheiden. Im Falle des 11. September beteiligt sich der Spiegel an der amtlichen Desinformation der Bush-Regierung. Leider hatte Adenauer Recht: Das ist ein Blatt für Dr. Lieschen Müller."

Außerdem: Der Schriftsteller Markus Seidel (mehr) schildert in einem kurzen Text, warum er nie wieder beim Tapezieren helfen noch den Spruch seines Onkels vergessen wird. "Immer, wenn du denkst, das war's, gibt's noch eine weitere Überraschung!" Und Thomas Wolff berichtet staunend, wie brave Bürger sich beim Westernschießen im badischen Philippsburg in waschechte Cowboys verwandeln.

TAZ, 23.08.2003

Auf der Meinungsseite kommentiert Heide Oestreich die unerwartet langlebige Satire um die schleichende weibliche Unterwanderung dieser Republik, ausgelöst von Frank Schirrmacher am Anfang des Sommerlochs. "Sie kommen. Sie dringen in unsere Köpfe ein und in unser Fühlen. Sie verändern uns. 'Was heute einer denkt, läuft vorher über ihre Fließbänder', heißt es. Sie haben lange unter uns gelebt, unerkannt, getarnt. Jetzt werfen sie die Tarnung ab. Man kann sie sehen. Sie sind blond. (...) So weit, so abstrus. Leider ist diese Debatte nicht nur lustig. Denn das Paradigma, das ihr zugrunde liegt, ist mitnichten nur im Hirn zweier aus dem Ruder gelaufener Schreiber zu finden. Es regiert, im wahrsten Sinne des Wortes."

Weiteres: Genevieve Hesse fordert innerhalb der Reihe zur Zukunft der Arbeit die Anerkennung der emotionalen Arbeit - natürlich zum Nutzen der Gesellschaft. Dirk Knipphals geht die umstandslose Entsorgung des Polit-Rabauken Ronald Schill zu glatt. Sebastian Domsch nimmt das schwebende Übernahmeverfahren der Ullstein-Heyne-List-Gruppe durch Random House zum Anlass, den Grund der Begierde, den Heyne Verlag, einmal näher vorzustellen. Katrin Bettina Müller nutzt ihr Porträt von Michael Laub (mehr), um die Vielfältigkeit des Regisseurs und Choreografen mit seinen Aufführungen zwischen Trash, Hollywood und Bollywood auf der einen und klassischer Hochkultur auf der anderen Seite zu zeigen.

Auf der Medienseite beklagt Matti Lieske den Niedergang des "Aktuellen Sportstudios" (mehr), begleitet von schleimigen Entertainern. Silvia Helbig spricht mit Thomas Röhlinger, Gründer des ersten Kinderradios Deutschlands und allein dem Kindeswohl verpflichtet.

Eine vereinsamte Besprechung widmet sich Susan Sontags Essay "Das Leiden anderer betrachten".

Im tazmag lesen wir eine schöne Reportage von Uwe Rada, der auf Spurensuche in Osteuropa unter anderem mit Schindlers List Tours durch das jüdische Krakau gezogen ist. Bloß Juden hat er keine gesehen (Hintergrund Juden in Osteuropa). "Die werden nicht gebraucht, schließlich gibt es ja sieben Synagogen, zwei jüdische Friedhöfe, jede Menge koschere Restaurants, das Cafe Singer, wo man über ausrangierten Nähmaschinen die Köpfe zusammenstecken kann und natürlich das Alchemia am Plac Nowy, inzwischen eine der beliebtesten Kneipen in ganz Krakau. 'Ich schaue auf die Stadt wie eine Bühne, eine Bühne, die wir nicht mehr zu bauen brauchen', sagte Steven Spielberg, als er 1993 in Kazimierz sein Heldenepos 'Schindlers Liste' drehte. 'Krakau hat sein Geschichtsbuch für uns geöffnet und erlaubte uns, darauf zu tanzen.' Spielbergs Sätze klingen wie eine Vorwegnahme dessen, was aus Kazimierz, der Filmkulisse, heute geworden ist: eine jüdische Kulisse, der die hundertachtzig noch in Krakau lebenden Juden bestenfalls Staffage sind, die Verlängerung des Films in die Wirklichkeit."

Weitere tazmag-Artikel: Andre Paris notiert, was Benjamin Lebert seit dem ersten Buch so gemacht hat. Der ist nämlich nicht mehr das hellblond gefärbte "Herrlein-Wunder" von einst, sondern ein unauffälliger Jugendlicher mit "düsterem Fragezeichen zwischen Stirn und Kinn". Katharina Schuler erinnert an Sigmund Jähn (mehr, das gleichnamige Kosmonautenzentrum hier), der vor 25 Jahren als DDR-Kosmonaut die ersten deutschen Worte aus dem Weltall sprach (Hintergrund Deutsche im Weltall), wenn auch mit leicht Vogtländischer Färbung . Marion Menne hat Medjugorje besucht, den Ort, den sechs Jugendliche mit ihren Visionen zum Mekka der Maria-Anhänger und zum Paradies der Wallfahrts-Industrie (mehr) gemacht haben. Karl Hübner porträtiert schließlich den passionierten Sandsammler Ralf Herrmann.

FAZ, 23.08.2003

Der in Köln lebende irakische Autor Hussain Al-Mozany stellt uns einen iranischen Oppositionellen, der einen berühmten Namen trägt: den fünfundvierzigjährige Hussein Mustafa Chomeini, Enkel des Ayatollah Chomeini. "'Die islamische Revolution ist schon gestorben', sagte er vor kurzem in Bagdad. Der iranische Geistliche hielt sich jüngst im Irak auf, wo er mit seinem Großvater fünfzehn Jahre verbracht hatte, und machte sich die Redefreiheit, die die Besatzungsmächte im Irak ermöglicht haben, zunutze, um das Mullah-Regime scharf zu attackieren. In außergewöhnlich unverblümter Sprache wirft er den Theokraten von Teheran Machtmissbrauch und Verrat am Volk vor. In einem Brief an den geistlichen Führer Chamenei verlangt er einen Volksentscheid über die 'Islamische Republik' und fordert die eindeutige Trennung von Politik und Religion."

Der israelische Schriftsteller Amos Oz denkt darüber nach, wie der "paranoide Islamismus" kuriert werden kann: "Wir müssen vor allem auf die gesunden Elemente setzen, auf die schweigenden Mehrheiten, auf die pragmatischen Kräfte in all diesen infizierten Gesellschaften und Kulturen, wir müssen sie stärken und ihnen Mut machen. Statt mit dem Finger auf den Islam oder die Juden oder den 'Westen' zu zeigen, sollten wir überall die Gemäßigten unterstützen, ihnen dabei helfen, die infizierten Mitglieder der Familie zu bezähmen, zu heilen."

Weitere Artikel: Ellen Kohlhaas schreibt begeistert über die Konzerte Claudio Abbados mit dem neuen Lucerne Festival Orchestra. Ingeborg Harms wirft einen Blick in deutsche Zeitschriften. Jürgen Richter meldet die Wiederherstellung des Stadtgottesackers in Halle. Ottfried Dascher erzählt die Geschichte des Galeristen Alfred Flechtheim. Mark Siemons beschreibt, wie die ehemalige Raketenentwicklungsanlage der Nazis in Peenemünde zur "vielfältigen Museumswelt" wurde. Auf der Medienseite protestiert der Theologe Johannes Richter D.D. in einem offenen Brief gegen die "Ostalgie-Show" im ZDF, die ihn in "alte Vergangenheit und Einsamkeit" zurückversetzt hat.

Besprochen werden die Ausstellung mit Werken von Gaspare Traversi in der Staatsgalerie Stuttgart, Martin Wuttkes Inszenierung der "Perser" auf dem Flugplatz Neuhardenberg ("Der schönste Moment: als ein kleiner Lieferwagen mit der beleuchteten Aufschrift 'Ende' über das Rollfeld gefahren kam", schreibt Eva Menasse), die Uraufführung von Georg Friedrich Haas' Oper "Die schöne Wunde" in Bregenz, eine Wanderausstellung mit westfälischen Buchschätzen, eine Ausstellung von Daniel Spoerris surrealen Objekten in der Villa Pavoni und Bücher, darunter Susan Sontags Essay "Das Leiden anderer betrachten" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Die Schallplatten- und Phono-Seite geht's um die neue CD von Neil Young, neue Einspielungen von Händel mit Alan Curtis, Marc Minkowski und Emmanuelle Haim und eine CD mit Texten von Charles Bukowski, die Christian Brückner liest. Und Eleonore Büning denkt am Beispiel von Bruckners Neunter über das "Tönesetzen als Gottesdienst" nach.

In der Frankfurter Anthologie stellt Henning Heske ein Gedicht von Goethe vor:

"Neue Liebe, neues Leben

Herz, mein Herz, was soll das geben, Was bedränget dich
so sehr? Welch ein fremdes neues Leben - Ich erkenne
dich nicht mehr. Weg ist alles, was du liebtest, Weg,
worum du dich betrübtest, Weg dein Fleiß und deine Ruh
- Ach, wie kamst du nur dazu?
..."