Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.03.2004. In der NZZ beschreibt Irmela Hijiya-Kirschnereit , was die Japaner in "Lost in Translation" gerne sehen und was nicht so gern. In der FAZ behauptet Ariel Dorfman, dass Pablo Neruda aus ihm gesprochen habe, um die Spanier in Schutz zu nehmen. In der SZ stellt Tanja Dückers eine Literarisierung des Politischen fest. In der FR möchte Reinhard Jirgl die Vertreibungsthematik weniger in den Medien und mehr in der Literatur reflektiert sehen.

NZZ, 24.03.2004

In einem "Schauplatz Japan" erzählt die Japanologin Irmela Hijiya-Kirschnereit von den Imagesorgen der Japaner, die in Hollywoodfilmen wie dem international weithin beachteten "Lost in Translation" eine Verzeichnung des japanischen Charakters befürchten. Andererseits, wundert sich die Japanologin, scheinen sie an der "geschönten visuellen Präsentation" keinen Anstoß zu nehmen: "Nun haben die Aufnahmen, seien es die Großstadt-Glitzerkulisse, die Spielautomatenhöllen, der Golfplatz mit dem Fuji im Hintergrund, der Schrein und der Tempelgarten bis hin zu der Ikebana-Blumensteck-Stunde, für Japaner ja keinerlei Neuigkeitswert oder kulinarisch-unterhaltende Aspekte. Im Gegenteil, ein etwas kritischerer Blick würde diese Optik wohl als touristisch-eklektische und, ja doch, geschönte Perspektive entlarven. Doch hier vermischen sich im japanischen Blick vermutlich die Reiseprospekt-Atmosphäre eines Kurztrips nach Kyoto und die allgegenwärtigen Bilder aus der Werbung mit einem Wunschbild vom eigenen Alltag.

Weiteres: Hansjörg Gadient hat sich in München den Garten der Swiss Re angesehen (Bilder), der von der umstrittenen Landschaftsarchitektin Martha Schwartz angelegt wurde. Schwartz habe unter anderen für das MIT einen Garten entworfen, "der ausschließlich aus Plasticpalmen, Stahlhecken und Kunstrasen besteht. In einem anderen Garten huldigt eine Heerschar goldener Frösche einem weißen Globus, und in ihrem allerersten Garten lagen 36 Bagels auf violettem Aquariumkies zwischen alten Buchsbaumhecken.", berichtet Gadient und konstatiert, dass sie sich in München "gereift und gemäßigt" präsentiert. Joachim Güntner zieht schon mal eine Zwischenbilanz zur Initiative des Verlags der Süddeutschen Zeitung, Klassiker zu Tiefstpreisen anzubieten: "Wem nützt es", fragt er. "Den Schnäppchenjägern vielleicht".

Besprochen werden Bücher, darunter die Stadtgeschichte "Bern - die Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert" und Michael Frayns Roman "Das Spionagespiel" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 24.03.2004

Im Aufmacher der Buchmessenbeilage plädiert der Schriftsteller Reinhard Jirgl in einem längeren Essay über die deutschen Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland dafür, diesen Diskurs jenseits der "eindimensionalen Wahrheit" der Kollektivschuld zu führen: "Hinsichtlich dieser Vertreibungsthematik werde ich nicht müde zu betonen, dass dies nach Kriegsende in der Gesellschaft niemals ein Tabu darstellte. Nein, eher schlimmer: Denn ein Tabu, bei einiger Courage, lässt sich erfolgreich brechen. Wie aber ist es um Themen bestellt, die gesellschaftlich ungelitten sind und demzufolge kaum jemand etwas von den Erfahrungen derer hören will, die selbst ihrer Lebenszeit, dem einzig echten Eigentum des Menschen, enteignet wurden?" - Das gegenwärtige Interesse am Vertriebenenthema sieht Jirgl in die falsche Richtung gelenkt und in den falschen Medien verhandelt. Weniger in akademischen Diskursen und Bildermedien, vielmehr mit dem geschriebenen Wort sollte die Vergangenheit erinnert werden, fordert Jirgl, "um alles bisweilen noch in der Lähmung des Schreckens verhaltene, stumme Wissen in distinkter, ideologiefreier Weise als Erfahrung sprechbar zu machen".

Weitere Artikel: Martin Altmeyer schöpft Hoffnung für die Zukunft der Psychoanalyse auf zwei Kongressen in New Orleans und Miami Beach. Hubertus Adam gratuliert schon mal der experimentierfreudigen Zaha Hadid, die am 31. Mai dieses Jahres in der Eremitage St. Petersburg als erste Frau "den gerne als 'Nobelpreis der Architektur' apostrophierten Pritzker-Preis" erhalten wird.

Besprochen werden eine Ausstellung zeitgenössischer iranischer Kunst im Haus der Kulturen der Welt, eine Ausstellung der späten Werke Andy Warhols im Düsseldorfer Museum Kunst Palast, die Debüt-CD von Wynton Marsalis bei der Traditionsfirma Blue Note und das Hörbuch "Sprechende Stimmen" mit Lesungen russischer Autoren (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 24.03.2004

Brigitte Werneburg freut sich, dass Caspar David Friedrichs Gemälde "Der Watzmann" in der Berliner Alten Nationalgalerie bleiben kann. Das Bild war 2002 an die Erben der ehemaligen jüdischen Besitzer restituiert, dann von der DekaBank in Frankfurt erworben worden, die es den Berlinern als Dauerleihgabe überlässt: "... ein gelungenes Beispiel für die auch von Gerhard Schröder lobend beschworene 'Private-Public-Partnership'", findet Werneburg.

Weitere Artikel: Gerrit Bartels schreibt zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse heute abend. In der tazzwei porträtiert Ulrike Herrmann die niederländische Politikerin Ayaan Hirsi Ali, die "falsche Toleranz" gegenüber islamischen Einwanderern bekämpft.

Besprochen werden die Ausstellung "Schritte zur Flucht von der Arbeit zum Tun" im Kölner Museum Ludwig und ein Konzert des Cellisten Charles Curtis, der im Foyer der Freien Volksbühne ein Werk La Monte Youngs spielte.

Schließlich Tom.

FAZ, 24.03.2004

In einem hoch pathetischen Artikel zu den Massakern von Madrid behauptet der chilenische Autor Ariel Dorfman (mehr hier), Pablo Neruda habe jüngst während einer Gedichtrezitation aus ihm gesprochen und hätte im übrigen die Spanier gegen den Vorwurf in Schutz genommen, sie hätten der Al Qaida durch die Abwahl Aznars den ersten Wahlsieg beschert. "Diese Erklärung ist nicht nur eine Beleidigung der Reife und des Muts der Spanier, sondern auch der Intelligenz. So etwas wagt man von einem Volk zu sagen, das sich zu Millionen gegen die Mörder und Verbrecher von Eta gestellt hat? So eine Lüge wird über die Frauen und Männer verbreitet, deren Eltern und Großeltern drei Jahre lang dem Überfall der spanischen Faschisten und der Macht Hitlers und Mussolinis standhielten, während die Welt sie ihrem Schicksal überließ?"

Weitere Artikel: Birgit Svensson porträtiert die irakische Dichterin Amal Al-Jubouri (mehr hier), Gründerin der Zeitschrift Diwan, die aus dem deutschen Exil heimkehrte und in Bagdad ein deutsch-irakisches Kulturzentrum aufbaut. Joseph Croitoru zitiert Äußerungen israelischer Philosophen gegen ihren Kollegen Assa Kasher, der sich in einer Militärzeitschrift zum Sprachrohr der Politik der gezielten Tötungen machte - In Ha'aretz äußerten sich unter anderen der Politologe Reuven Pedahzur und die Publizistin und Politikwissenschaftlerin Orit Shochat. Christian Geyer kritisiert in der Leitglosse den Ökonomismus der Sabine-Christiansen-Talkshows. Hannes Hintermeier wirft einen Blick auf die Leipziger Buchmesse, die heute eröffnet wird und sich wieder als Publikumsmesse bewähren wird. Rainer Blasius resümiert ausführlich eine gemeinsame Tagung des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS) und des Münchener Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) über den Vernichtungskrieg und die Beteiligung der Wehrmacht an Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Rose-Maria Gropp gratuliert der Künstlerin Rebecca Horn zum Sechzigsten.

Auf der Medienseite kommentiert Michael Hanfeld den Abgang des Pro 7-Sat 1-Chefs Urs Rohner als weitere Etappe in der Machtergreifung durch den Medienmogul Haim Saban. Berichtet wird auch über eine Pressekonferenz der EU-Korruptionsbehörde Olaf, die den Journalisten Hans-Martin Tillack wegen missliebiger Informationen über Korruption in der EU festnehmen ließ und nun nach Rechtfertigungen sucht.

Auf der letzten Seite schreibt Hans Ulrich Gumbrecht (mehr hier) ein Institutionenporträt der Scuola Normale Superiore in Pisa, einem ebenfalls von Napoleon gegründeten Gegenstück der Ecole Normale Superieure in Paris - sie konnte sich ihren elitären Status bis heute bewahren. Katja Gelinsky berichtet, dass heute der Supreme Court über die Gesetzlichkeit der Gottesanrufung im täglich geleisteten Fahneneid an Amerikas Schulen befindet. Und Erwin Seitz porträtiert den Winzer Bernhard Breuer, dessen trockene Rieslinge aus dem Rheingau sogar bei Alain Ducasse auf der Karte stehen.

Besprochen werden eine Ausstellung mit iranischer Gegenwartskunst im Berliner Haus der Kulturen der Welt, François Dupeyrons Film "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran", Verdis "Simone Boccanegra" in Mannheim und Händels "Radamisto" in Zürich ("Es wird in jedem Takt mit höchster Emphase musiziert, kontrastreich, mit genau gesetzten Affekten, raffiniert ausgehörten Holzbläserpassagen, farbig im Klang, geschmeidig in der Artikulation. Christies spezielles Gefühl für die Prosodie einer Musik führt in Verbindung mit dem Gesang zu einer immer wieder faszinierenden Beredsamkeit der instrumentalen und vokalen Textur", schreibt ein atemlos begeisterter Gerhard Rohde über die musikalische Leitung durch William Christie).

Auch die FAZ präsentiert heute ihre Literaturbeilage zur Leipziger Buchmesse. Im Aufmacher bespricht Hubert Spiegel den Debütband "Wie viel Vögel" der fünfundzwanzigjährigen Franziska Gerstenberg.

SZ, 24.03.2004

Die Schriftstellerin Tanja Dückers widerspricht ihren Kollegen Juli Zeh und Robert Menasse, die kürzlich in der Zeit eine Politikabstinenz in der deutschen Literatur diagnostiziert hatten (hier). "Nicht die Ignoranz, sondern die Literarisierung des Politischen lässt sich konstatieren", meint Dückers, um dann festzustellen: "Die neue Literatur beschäftigt sich fortwährend mit Politik - in viel stärkeren Maße als vor 15 Jahren, und in viel stärkerem Maße, als allerorts im Feuilleton geunkt wird - aber sie entwirft keine Utopien mehr, sie ist nicht zukunftsorientiert. Anstatt zu provozieren, wird erinnert. Warum dies so ist? Eine mögliche Antwort wäre, dass die Literatur ihre politisch-investigative Kompetenz, wie sie noch in vielen (eher amerikanischen) Romanen der Fünfziger und Sechziger Jahren zu finden war, längst wieder an den Journalismus abgegeben hat, den ihr überlegenen Spezialisten für Aktualität. "

Weiteres: Stefan Ulrich diskutiert die Rechtmäßigkeit der israelischen Praxis des gezielten Tötens. Petra Steinberger erhebt Einwände gegen den aus USA herübergeschwappten Begriff des Islamo-Faschismus. Alex Rühle zerpflückt Bayerns Pläne zur Bildungsreform. In der Randglosse amüsiert sich Sonja Zekri über die neue Strickmode der Young Urban Knitters: "Lernen wir im Umgang mit rechten und linken Maschen nicht für die Politik, genauer: fürs Leben?"

Der amerikanische Liedermacher Jackson Browne will nicht verstehen, warum kubanischen Künstlern die Einreise in die USA verweigert wird. Volker Breidecker hat sich einen Vortrag des Historikers Fritz Stern über Albert Einstein angehört. Franziska Augstein berichtet von einer Tagung in Hamburg, mit der das Hamburger Institut für Sozialforschung und das Münchner Institut für Zeitgeschichte die Wehrmachtsausstellung zu Ende gehen ließen. Und Ijoma Mangold war auf dem Wiener Festival "Literatur im März".

Besprochen werden zwei Ausstellungen zum Werk von Tilman Riemenschneider in Würzburg, die Choreografie der Schwestern de Keersmaeker zum Fall von Troja, der Fantasy-Film "Back to Gaya", ein Mahler-Konzert mit Zubin Mehta in München, eine große Schau von präraffaelitischer Landschaftsmalerei in der Tate Britain und Bücher, darunter Beate Bergers Geschichte des Bikinis (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).