Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.01.2005. In der taz erklärt Götz Aly den Holocaust als größten Massenraubmord der modernen Geschichte. In der Welt hält Ian Buruma eine islamische Demokratie im Irak für möglich. In der FR analysiert Richard Wagner das deutsche System der Privilegien und Pfründe. Die Berliner Zeitung verzweifelt am Deutschen Theater. Der Tagesspiegel sieht schon in der Berliner Schaubühne die neue Pilgerstätte des saturierten Bürgertums. In der FAZ preisen Tocotronic den produktiven Lebensüberdruss. Die NZZ beschreibt einen neuen Fall chinesischer Herschaftsansprüche. Und in der SZ fordert Timothy Garton Ash kategorisch: Kränkung für alle.

TAZ, 15.01.2005

In einem langen Gespräch mit Robin Alexander untermauert der Historiker Götz Aly auf der Tagesthemenseite noch einmal seine These, dass der Nationalsozialismus auch deshalb so gut funktionierte, weil zur Beruhigung der Bevölkerung massiv umverteilt wurde. Mit dem Geld aus Krieg und Holocaust. "Das Funktionieren des Nationalsozialismus und seine relative innere Stabilität erklären sich nicht aus Hitlers angeblichem, quellenfern neulich von Hans-Ulrich Wehler wieder aufgewärmtem Charisma, sondern aus der Massenkorruption. Die Deutschen ließen sich auf Kosten anderer Völker und um den Preis millionenfacher Morde bestechen. Wenn man die Gründe für Auschwitz wirklich verstehen will, soll man endlich aufhören, plakativ mit Namen wie 'Flick', 'Krupp' oder 'Deutsche Bank' zu operieren ... Die Steuerfreiheit für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen seit Dezember 1940 und die Lebensmittelzuteilung für Otto und Erna Normalverbraucher im Zweiten Weltkrieg führt sehr viel näher an die verbrecherische Dynamik des nationalen Sozialismus als die Untersuchung der Lebensversicherungspolicen von 'Allianz' oder 'Generali'." (Einen Essay von Götz Aly zu diesem Thema finden Sie hier.)

Die Autorin Kathrin Schmidt erweitert die Reihe zum Erhalt der Qualitätszeitung um die Geschichte von Frau Ypsi und Herrn Lon. Dirk Knipphals warnt Politiker und Unternehmen auf der Meinungsseite vor einem Missbrauch des Kulturbegriffs.

Im Feuilleton versammelt Helmut Höge einige Ausschnitte aus dem Tagebuch des Juristen Otto Bräutigam, der zwischen 1941 und 1942 in der deutschen Botschaft in Moskau arbeitete. "16.7.: Wir fuhren gleich zum Führer, der nach kurzer Zeit erschien, um mit uns Mittag zu essen. ? Von der Kaffeetafel ist noch nachzutragen, dass der Führer die völlige Eindeutschung der Krim als notwendig bezeichnete." Wenn heimliche Vaterschaftstests in Beziehungen einmal in Erwägung gezogen werden, ist eine einvernehmliche Lösung kaum zu finden, kommentiert Hans Günter Schmidt das Urteil des Bundesgerichtshofs. Tobias Rapp schwärmt von der "sexy Autoaggression" beim aufregendsten Indielabel New Yorks, James Murphys und Tim Goldsworthys DFA.

Im tazmag liefert Dietlind Lerner eine Reportage aus dem neuerdings ölreichen Äquatorialguinea, in der sie von den Schikanen bei ihrem Aufenthalt für eine Fernsehdokumentation berichtet. "'Bis morgen müssen Sie alle weg sein', erklärte der Beamte. Eigentlich galt Visum für unser Filmteam zehn Tage, doch bereits die ersten fünf hatten ausgereicht um klarzumachen: Die Blitzausweisung anzufechten wäre kompletter Irrsinn." Jürgen Kiontke unterhält sich mit dem Schauspieler Günter Lamprecht, der 75 Jahre alt wird, auch über Alkohol und Männergewalt. Nachdem Martin Reichert die kulturhistorische Entwicklung der Vaterschaft reflektiert hat, stellt er sich in Sachen Vaterschaftstest (hier einige technische Einzelheiten) auf die Seite der Männer. Außerdem druckt die taz wieder eine Siegergeschichte aus Wladimir Kaminers Schreibwettbewerb für Schüler, diesmal "'Mein' Berlin" von Vaceslav Safarov.

Besprochen werden Mike Nichols Film "Hautnah" und viele Wochenendbücher, darunter der zweite Teil von Ford Madox Fords Roman-Tetralogie "Parades End" gegen Ernst Jünger und mit Karl Kraus, der dritte Band der von Wilhelm Heitmeyer herausgegebenen Sozialstudie "Deutsche Zustände" mit dem Schwerpunkt Antisemitismus sowie Thomas Weiss' Roman "Schmitz" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Schließlich Tom.

Welt, 15.01.2005

John Updike, der gerade seinen zwanzigsten Roman veröffentlicht hat ("Sucht mein Angesicht") erklärt im Interview mit der Literarischen Welt, was Kunst für ihn ist: "In der Kunst geht es ... nicht darum, etwas zu erschaffen, das in anderen Worten zusammengefasst werden kann. Man versucht ein Ding herzustellen, das so geheimnisvoll ist wie andere Dinge, wie ein Fels zum Beispiel oder wie eine Eidechse."

Warum verehren wir gerade einen Naturwissenschaftler? Und warum unter allen Naturwissenschaftlern ausgerechnet Albert Einstein? "Mehr vielleicht als irgendein anderer Denker und Forscher der uns vorausgehenden Gegenwart hatte Einstein das Glück ..., dass 'Relativität', der Begriff, welcher bald zum dominanten Kürzel für seine Entdeckungen wurde, in den bewussten und vorbewussten Ängsten seiner Zeit enorme Resonanz fand", meint Hans Ulrich Gumbrecht. Diese Zeitgenossenschaft spiegelte sich sogar in Einsteins Gesicht. "Er scheint uns - aus der Ferne seiner Genie-Welten zurückgekehrt - anzusehen, freundlich und weltzugewandt. Nicht nur weltzugewandt durch ein für den Durchschnittsbürger relativ belanglos bleibenden politischen Engagement, sondern weltzugewandt und freundlich, als wolle er Ihnen persönlich mitteilen, dass er zwar leider bestätigen müsse, wie haarsträubend relativ die Dinge seien, aber doch von Gott eine Garantie dafür mitbringe, dass das Chaos der Relativität am Ende einer einfachen Ordnung gehorche."

Weitere Artikel: Ian Buruma hält eine islamische Demokratie im Irak für möglich, weil es einen Mann wie den Großajatollah Ali al-Sistani gibt, jenen "schiitische Geistliche, der sich weigert, selbst ein politisches Amt zu übernehmen", jedoch Mitte Oktober eine Fatwa verabschiedete, "die alle Männer und Frauen verpflichtet zu wählen und das Wählen mit solchen grundsätzlichen religiösen Pflichten wie dem Fasten während des Ramadan gleichsetzt. Gemäß dem Ajatollah ist es die Pflicht der Schiiten, auch die Interessen der Sunniten und der Christen zu beschützen." Im Forum fürchtet Hans Christoph Buch, dass die Völkermord-Prozesse in Ruanda keine Gerechtigkeit bringen werden.

FR, 15.01.2005

Der Schriftsteller Richard Wagner sieht die Nebenverdienste der Politiker als Ausdruck der Privilegienwirtschaft, zu der Deutschland sich mittlerweile entwickelt hat. "In unserer Gesellschaft gibt es ein ausgeklügeltes System der Privilegien und Pfründe, dessen sich ganze Schichten stillschweigend bedienen, seien es Manager, Beamte, Politiker, Experten oder Gewerkschaftsfunktionäre. Das ist kein Geheimnis, und es war auch kein Problem, so lange alle irgendwie partizipieren durften, mit Weihnachtsgeld und dreizehntem Gehalt oder eben der Arbeitslosenhilfe." Und "das beginnt schon mit den Journalisten und ihren diversen Rabattansprüchen bei Waren oder Reisen."

Weitere Artikel: Christian Thomas freut sich auf die neue europäische Zentralbank, die das Büro Coop Himmelb(l)au ab 2006 in Frankfurt baut, vielleicht als riesiges Victory-Zeichen. Denn "Coop Himmelb(l)au gehörten bis zuletzt ohne Zweifel zu den unbezähmbaren Fassadenentwerfern, den unbezähmbaren Materialnutzern und unbezähmbaren Grundrissgrenzüberschreitern." In Österreich jährt sich 2005 so Einiges, weiß Stephan Hilpold. Zur Feier des Staatsvertrags geht etwa eine Replik des Belvedere-Balkons auf Reisen, auf dem Außenminister Leopold Figl 1955 verkündete: "Österreich ist frei." Katrin Hildebrand und Harry Nutt schreiben zum Tod von Edelschneider Rudolph Mooshammer. Guido Graf gratuliert der dänischen Lyrikerin Inger Christensen zum siebzigsten Geburtstag.

Die CDU-Politikerin Johanna Wanka übernimmt am Montag die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz. Nach angeblichen Äußerungen für mehr Zentralität im Bildungssystem beruhigt sie ihre Schützlinge im Interview auf der Tagesthemenseite wieder. Etwa in der Frage der Studiengebühren. "Ich habe nie von einem einheitlichen Gebührensystem gesprochen." Aber "es könnte beispielsweise sein, dass wir über Gebühren-Korridore reden, also zunächst eine Grenze nach oben setzen." Im restlichen Tagesthema meint Andreas Schwarzkopf, das die KMK die Chance auf eine Selbstreform vertan hat. Katja Irle schildert die Suche nach einheitlichen deutschen Bildungsstandards. Und Yvonne Globert beschreibt die derzeitige schulpolitische Kleinstaaterei.

Besprochen wird die neue CD von Tocotronic "Pure Vernunft darf niemals siegen".

SZ, 15.01.2005

Timothy Garton Ash verteidigt die BBC und ihre Aufführung der umstrittenen und polemischen "Jerry Springer"-Fernsehoper. Sie "war obszön, beleidigend, blasphemisch -- und die BBC lag vollkommen richtig damit, es zu zeigen. Sie lag richtig, weil Obszönität, Beleidigung und Blasphemie hier nicht dazu verwendet werden, zu unterhalten, sondern um zu zeigen, wie verstörend diese Art populärer Fernseh-Kultur nach amerikanischem Vorbild ist, wie leer eine völlig atomisierte Konsumenten-Gesellschaft ist, in der, wie es in einem Refrain heißt, das Leben daraus besteht 'zu essen, zu verdauen und fernzusehen.'" Im übrigen gelte: "Entweder versucht man, alle vor Kränkung zu schützen, oder man lässt den gleichen Grad von Kränkung für alle zu. Ich bin ein emphatischer Verfechter der letzteren Variante."

Weitere Artikel: Die Aufbauarbeiten für Christos Kunstaktion "The Gates" sind im New Yorker Central Park angelaufen, was Andrian Kreye animiert, die hindernisreiche Vorgeschichte des Projekts zu resümieren. Christoph Koch untersucht, wie Apple seine Produkte als Religion inszeniert, bis hin zu BiblePod, ein kostenloses Programm, mit dem man sich die komplette Bibel auf seinen iPod herunterladen kann. Gottfried Knapp meint, Frankfurt müsste mit der ab 2006 errichteten neuen Europäischen Zentralbank nach den Plänen von Coop Himmelb(l)au zufrieden sein. Christoph Bartmann überreicht der Lyrikerin Inger Christensen zum siebzigsten Geburtstag einen Glückwunschartikel. Heribert Prantl gratuliert dem Juristen Ernst Benda zum 80. Geburtstag.

Auf der Literaturseite stellt Jenny Hoch ein Berliner Forschungsprojekt vor, in dessen Rahmen Briefe ostdeutscher Amerika-Auswanderer auch über das Internet gesammelt werden sollen. Auf der Kunstmarktseite bilanziert Dorothea Bäumer ein erfolgreiches Jahr 2004 und notiert, dass vor allem die Moderne reüssiert. "E.B." resümiert die Stuttgarter Antiquariatsmesse. Und natürlich verabschiedet sich auch die SZ gebührend von Rudolph Mooshammer. Arno Makowsky und Achim Zons wundern sich eine dritte Seite lang über das "Gesamtkunstwerk nach Münchner Art".

Besprochen werden eine Schau mit Fotografien von Erich Salomon in der Berlinischen Galerie, Marc Pommerenings Inszenierung von Peter Hacks nachgelassenem Stück "Tatarenschlacht" am Theater Erlangen, Simon Rattles Versuch mit Richard Wagners "Parsifal" an der Wiener Staatsoper ("Ein Abend mit großen Momenten. Aber kein ganz großer Abend", urteilt Gerhard Persche), Ulrike Ottingers Neuverfilmung der Gaunerkomödie "Zwölf Stühle", und Bücher, darunter Hartmut Steineckes Biografie über E.T.A. Hoffmann "Die Kunst der Fantasie" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

In der SZ am Wochenende lesen wir Reflexionen von Max Goldt. "Erstaunlich ist, wie wenig Wörter es im Deutschen gibt, die sich brauchbar auf Tag reimen. Nachlässig norddeutsch ausgesprochen würden zwar 'Quark' und 'Sarg' funktionieren, aber den südlichen Sprachraum würde das R doch auf die ästhetische Palme bringen."

Ansonsten berichtet Kai Strittmatter aus Khao Lak. Peter und Michael Müller skizzieren eine der längsten und teuersten "Justizpossen" der BRD. Claus Heinrich Meyer entdeckt die Hinterlassenschaft des Berliner Fotografen Willy Römer.

Berliner Zeitung, 15.01.2005

Im Kulturteil verzweifelt Harald Jähner am Deutschen Theater. Der jetzige Intendant Bernd Wilms "hat versäumt, die Konflikte im und um das DT zu einem Thema seines Theaters zu machen. Er interpretiert die Kritik an der ästhetischen Beliebigkeit, die ihm aus dem Ensemble entgegenschlägt, nur als Schmerz über den Bedeutungsverlust und die Sehnsucht nach der geschlossenen hierarchischen Welt des Ostens". Sein kurzzeitig designierter Nachfolger Christoph Hein hat Jähner mit seinem Rücktritt bewiesen, dass er "die Verantwortung und die Arbeit, die damit auf ihn zugekommen wäre ... offensichtlich unterschätzt (hat). So enttäuschte er gewaltig." Und Kultursenator Thomas Flierl ließ seinen Kandidaten Hein "im Regen stehen. Kein offensives Wort von ihm, das in der Lage gewesen wäre, die tiefen Gräben zu umgehen, und eine Perspektive für das Theater zu benennen, in der Christoph Hein als Individuum und idealer Intendant zugleich aufgetaucht wäre. Flierl redete wie Frankenstein von der 'experimentellen Versuchsanordnung' Christoph Hein."

Im Magazin erzählen Christiane Kubrick und Jan Harlan, welche Art Film Stanley Kubrick am meisten liebte: Gruselfilme. "Er wollte einen Film drehen, wo die Leute ihr Geld wiederkriegen, wenn sie ganz durchhalten können."

Tagesspiegel, 15.01.2005

Fünf Jahre neue Berliner Schaubühne. Rüdiger Schaper zieht eine Zwischenbilanz: Es ist ein Erfolg, aber ein zwiespältiger. Nicht die Inszenierung zeitgenössischer Dramatiker hatte den Durchbruch gebracht, sondern Ibsens "Nora". "Stückwahl und Ästhetik erwiesen sich als prophetisch. Mit Ibsen zielt die Schaubühne auf das neue, saturierte Bürgertum in BerlinMitte und Charlottenburg. Das trifft schon eher den Erfahrungshorizont des Publikums und der Theatermacher Mitte Dreißig, Anfang Vierzig als das new british drama mit seinen hoffnungslos Ausgestoßenen." Für Schaper ist die "neue Schaubühne ist womöglich zu schnell erwachsen geworden, durch die Anforderungen und den Legitimationsdruck des Großbetriebs; 81 Prozent Platzausnutzung im Jahr 2004 sind allerdings ein schönes Ergebnis."

Außerdem: ein Interview mit der Choreografin Sasha Waltz, die über ihre Arbeit an der Schaubühne spricht und ihr nächstes Projekt, die Oper "Dido & Aeneas".

NZZ, 15.01.2005

Hoo Nam Seelmann berichtet von einem neuen Fall chinesischer Herrschaftsansprüche. Das Regierungsblatt 'Guangming' hatte in einem historischen Artikel behauptet: "Die Bewohner des Königreichs Koguryo stellten eine Minderheit im Nordosten Chinas dar, und ihre Geschichte ist folglich ein Teil der chinesischen Geschichte." Die Koreaner waren entsetzt: "Das Gründungsvolk Koguryos gilt als Stammvolk Koreas, und im Selbstverständnis der Koreaner besaß Koguryo eine distinkte eigene Kultur, als deren legitime Erben die Koreaner sich selber betrachteten. Der heute übliche Name 'Korea' geht auf das Königreich Koryo (918 bis 1392) zurück, das sich ausdrücklich als Nachfolge von Koguryo verstand. In Korea fragt man sich, warum China die Geschichte eines alten und längst untergegangenen Königreiches auf sein Banner geschrieben hat. Geht es hier tatsächlich um die Suche nach der historischen Wahrheit?"

Marc-Christoph Wagner berichtet von der heftigen Debatte um Kopenhagens neues Opernhaus, das der Milliardiär Märsk McKinney Möller den Dänen geschenkt hat. Die Akustik sei einzigartig, gesteht Wagner, zitiert aber auch die Zeitung Politiken mit scharfer Kritik am Architekten Henning Larsen: "Das Opernhaus ist eine Missgeburt. Seine übergeordnete Formsprache ist Machwerk. Im Stadtbild ist es anmaßend. Und sein wesentliches Charakteristikum, das Dach, ist unoriginal.'"

Weiteres: Michael Braun verneigt sich zum Siebzigsten vor der dänischen Dichterin Inger Christensen. Zum eigenen 225. Geburtstag erinnert die NZZ an ihre Anfänge mit dem Abdruck ihrer ersten "Nachricht", die eher ein Editorial war: "Es wird uns zwar, so wie anderen Zeitungs- Schreibern, nicht möglich seyn, die Weltbegebenheiten früher anzuzeigen, als sie geschehen sind; oder, als sie auswärtige Zeitungen der Welt berichten..."

In der Beilage Literatur und Kunst besucht Anne Hufschmid die Grande Dame des Surrealismus, Leonora Carrington, in Mexiko und ist ganz klein geworden unter deren Blick: "Es sind noch dieselben Augen wie auf den alten Fotos, als brünette Zwanzigjährige mit wilder Mähne und voll entschlossener Schönheit." Thomas David porträtiert den amerikanischen Schriftsteller John Updike.

Besprochen werden der Zyklus "Over the Rainbow" der beiden japanischen Maler Yoshitomo Nara und Hiroshi Sugito in der Münchner Pinakothek der Moderne und Bücher, darunter Neues zum Thema Willensfreiheit und Gehirn, Michael Hagners Anatomie "Genialer Gehirne", Neuausgaben on Ezra Pound, Marianne Moore und Robert Lowell und Alexander Waughs Familienbiografie "Fathers ans Sons" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 15.01.2005

Mark Siemons spottet über die Hilflosigkeit, mit der in Berlin die Umbennenung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße forciert wird: "So sieht der Geschäftsführer der taz in einer Rudi-Dutschke-Straße, mal abgesehen davon, dass damit 'auch die jüngste Vergangenheit Berlins gewürdigt' würde, vor allem 'ein Symbol für die gesellschaftliche Versöhnung der Generationen' - darauf wäre der Studentenführer selber wohl nicht gekommen."

Auf der Plattenseite sprechen die beiden Tocotronic-Musiker Dirk von Lowtzow und Jan Müller über ihr neues Album "Pure Vernunft darf niemals siegen", das Leben in Freiburg und den Ennui: "Den Lebensüberdruss empfinde ich als etwas Produktives, weil man ja dahinter schauen will, ins Jenseits. Und die Welt, wie sie sich einem hier bietet, ist eben im Prinzip langweilig."

Weitere Artikel: Oliver Tolmein findet es in Sachen heimlicher Vaterschaftstest sehr merkwürdig, dass "im innerfamiliären Bereich Rechte auf Nichtwissen und auf informationelle Selbstbestimmung hochgehalten werden, die gleichzeitig gegenüber anderen staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren kaum noch eine Rolle spielen." (Zu lesen ist sein Text auch hier) Martin Kämpchen annonciert Günter Grass' dritte Reise nach Kalkutta. L.H. erzählt von Martin Mosebachs Lesung seines Dramas "Rotkäppchen und der Wolf". In seiner Geschmackskolumne erklärt Jürgen Dollase die Küche des Hamburger "Jacob's Restaurant" für wegweisend, vor allem den Winterlichen Gemüseeintopf mit schwarzem Trüffel. Joseph Croitoru blätter durch osteuropäische Zeitschriften, die sich mit Popmusik und Film unterm Kommunismus beschäftigen. Harald Hartung gratuliert der dänischen Dichterin Inger Christensen zum Siebzigsten, die alle eines besseren belehrt, die experimentelle Poesie für lustfeindlich halten. Ingeborg Harms vermisst jetzt schon die "skurrile Grandezza, mit der Rudolph Moshammer der Ereignissucht einer saturierten Münchner Szene entgegentrat".

Auf den Seiten der ehemaligen Tiefdruckbeilage beschreibt Michael Gassmann die Schwierigkeit, kompositorischen Einfluss zu erkennen und nachzuweisen. Martino Stierli erkennt bei Wiederlektüre in Robert Venturis "Lernen von Las Vegas" einen "fesselnden Beitrag zur Stadtarchitekturgeschichte".

Außerdem besprochen werden Dennis Gansels "Napola"-Film (den Andreas Kilb überhaupt nicht für zu genrelastig hält: "Natürlich ist das wahrhaft Monströse an der Terrorherrschaft deren Normalität, aber Normalität ist kein Kinothema."), Peter Hacks "Tatarenschlacht", aus der Marc Pommerening für das Erlangener Theater einen "ganz ansehlichen Theaterabend gemacht hat, eine CD mit Barockmusik aus Mexiko. Und Bücher, darunter Gedichte von Nicolas Born, Werner Herzogs "Die Eroberung des Nutzlosen" und Helene Hanffs "Briefe aus New York" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Für die Frankfurter Anthologie stellt Manfred Fuhrmann Goethes Gedicht "Und wer franzet oder britet" vor, das folgendermaßen beginnt:

"Und wer franzet oder britet
Italienert oder teutschet,
Einer will nur wie der andre
Was die Eigenliebe heischet."