Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.04.2005. In der Zeit kennt George Steiner nur ein Mittel gegen Schillers Rhetorik: auswendig lernen. Die taz und die Welt wissen, warum die Franzosen die Europäische Verfassung ablehnen werden. In der taz prangert Zafer Senocak die Haltung der türkischen Medien zum Völkermord an den Armeniern an. In der FR beklagt der russische Schriftsteller Anatolij Koroljow die "Verkitschung der Stalinzeit". Die SZ findet Franz Münteferings Antikapitalismus nicht echt.

Zeit, 28.04.2005

Als Aufmacher dient die Rede, die George Steiner zur Eröffnung der Schiller-Ausstellung in Marbach gehalten hat. Abgesehen davon, dass das klassische Ideal von der Erziehung des Menschengeschlechts seine Glaubwürdigkeit verloren hat, meint Steiner, sei das große Problem bei Schiller die Sprache, das große Schwingen und Schwärmen: "In dieser überschwänglichen Sprachfeier leuchten Homer und Vergil durch, auch Luthers Fassung der Psalmen. Das Problematische ist nur, dass wir heute in einem radikal antirhetorischen Klima leben, dass die 'Flügelkleider' der Sprache uns misstrauisch machen. Es ist der Stotterer Woyzeck, dem wir Glauben schenken. Unser Vertrauen gilt jenen Stimmen, die in kurzen, nackten Sätzen sprechen wie bei Kafka oder Beckett oder die uns, so wie Wittgenstein es tut, empfehlen zu schweigen. Meines Erachtens gibt es nur zwei Wege, um Schillers emphatische Rhetorik am Leben zu halten. Im Gegensatz zu Goethe dichtet Schiller für das Ohr. Oft steckt der Sinn im Rhythmus. Schiller muss man laut lesen, genau so, wie es die Rhapsoden des alten Griechenlands taten. Und nach dem Lesen muss man auswendig lernen."

Ganz und gar unhanseatisch finden Hanno Rauterberg und Claus Spahn die Hamburger Pläne für ein gigantisches Konzerthaus, für das ein ausgedienter Kakaospeicher auf 103 Meter aufgestockt werden soll. Kostenpunkt: 196 Millionen. Bauherren sollen die Architekten Herzog und de Meuron werden: "Geplant ist ein öffentlicher Platz auf 37 Meter Höhe, von dem aus sogar die Alster zu sehen sein wird, darüber ein Luxushotel, viele Luxuswohnungen, vor allem aber zwei Konzertsäle, eine Philharmonie für 2200 und ein Kammermusiksaal für bis zu 600 Besucher. So wird die Kaufmannstradition, verkörpert vom alten Speicher, künftig nur noch Sockel sein und als Parkhaus für die Besucher dienen; obenauf hingegen residiert plötzlich die Kultur. Eine seltsame, eine symbolische Verdrehung des Gewohnten: Als wäre es eine Allegorie auf ganz Hamburg, beginnt sich das Abweisende des Kaispeichers zu öffnen, das Stoische lockert sich, und das Rationale schlägt kühne Wellen."

Weiteres: Peter Kümmel sah im Fisher-TV einen mehltrockenen Uhl, eine Muräne und jede Menge Krokodile paradieren. In der Reihe zur "Zukunft des Kapitalismus" erklärt der indische Schriftsteller Amitav Ghosh, die Freiheit zum nie gehaltenen Versprechen des Imperialismus, weshalb Europa die Welt vor dem amerikanischen "Reich der Begierde" schützen muss. Elisabeth von Thadden stellt klar, dass der Papst als Familienoberhaupt für die moderne Frau nicht in Betracht kommt. Außerdem habe er nicht nur einen Bruder, er hatte auch eine Schwester, die ihm den Haushalt führte. Aber das ist ja "Privatsache". Jan Ross fasst die wichtigsten Bücher des Kardinal Ratzinger zusammen.

So genau weiß Frank Sawatzki auch nicht, was er von der neuen Pop-Sensation M.I.A. halten soll, hält aber fest: "'Arular' ist die erste Collage der globalen Pop-Kultur, in der Dancehall-Reggae, US-HipHop, der Baile Funk aus Rio mit Spurenelementen von Grime und Bhangra Beat zu einem großen geräusch zusammenwachsen. 'Ba-na-na-ba-na-na / say it again now.'" Wie "Führers Geburtstag" im neuen Luxusresort auf dem Obersalzberg begangen wurde, hat Peter Roos erlebt: Mit einer geschlossenen Veranstaltung aus Polizei und Staatsschutz und einem barschen Portier: "Keine Warteliste, es sagt keiner ab, es wird keiner krank!" Der in Cambridge lehrende Wirtschaftshistoriker Adam Tooze setzt seinen Streit mit Götz Aly um dessen Buch "Hitlers Volksstaat" fort. Nicht sozialstaatliche Gefälligkeiten haben die Deutsche in Hitlers Arme getrieben, sondern die Angst vor dem amerikanischen Kapitalismus und der Globalisierung. Vom Kunstmarkt gibt Claudia Herstatt Gewinnwarnung für Fotografien.

Besprochen werden Jonathan Nossiters filmischer Frontbericht von der Weinindustrie "Mondovino", und in der "Discothek" Michael Tippetts Requiem "A Child of Our Time", Charlie Chaplins Klassiker "Der Große Diktator" und Christian Brückners Lesung von Walter Benjamins "Berliner Kindheit um Neunzehnhundert".

Im Aufmacher des Literaturteils bescheidet Ursula März etlichen Kapitalismus-Kritikern und Reichtumsverächtern, dass Armut allein auch nicht glücklich macht. Am Rande bekennt Iris Radisch, dass sie die Nase voll von der neuen deutschen Adoleszenliteratur hat. Und im Dossier lehrt uns Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, sozusagen als Auto-Papst: "Geiz ist ein Todsünde".

Welt, 28.04.2005

Ein Nein der Franzosen zur EU-Verfassung wäre "primär ein Gottesgericht über Präsident Jacques Chirac", meint der Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz. Unzufrieden seien die Franzosen mit der "negativen Wirtschaftsleistung der Regierung" und ihrem Versuch, den Beitritt der Türkei "mit der Brechstange" herbeizwingen zu wollen. "Viele Franzosen fürchten um die eigene Identität und werfen dem Präsidenten vor, in neo-gaullistischer Großmannssucht ein von Frankreich geführtes 'Europe puissance' errichten zu wollen. Nach Chiracs Träumen könnte die EU nach dem Beitritt der Türkei im Nahen und Mittleren Osten ein großes Rad schlagen - in Augenhöhe zu Amerika, gegen das sich, so hat er kürzlich formuliert, 'das menschlicher und besser organisierte' Frankreich und Europa zur Wehr setzen müssen. Doch die französischen Wähler setzen sich zur Wehr."

TAZ, 28.04.2005

Ist die Europäische Verfassung "der Schlüssel, um Sozialpolitik in Frankreich und überall in Europa voranzubringen", wie Martin Schulz, Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, behauptet? Die französischen Wähler wollen das nicht glauben, schreibt Daniela Weingärtner auf den Tagesthemenseiten. "In den Köpfen der Franzosen hat sich die Wirtschaftsflaute, die Billigkonkurrenz aus dem Osten, die Verlagerung von Produktionsstandorten dorthin und die Türkeidebatte zu einem einzigen Hasswort verfestigt, und das lautet: constitution, Verfassung. Die von Europaphilosophen aller Lager und Nationalitäten so lang und gern gewendete Frage, ob sich Erweiterung und Vertiefung befruchten oder ausschließen, haben Europas Bürger längst für sich entschieden. Zu viel Veränderung auf einmal tut nicht gut, meinen sie und machen sich daran, der Union eine Denkpause zu verordnen."

Im Kulturteil spricht der Amsterdamer Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser über Trauma und Verdrängung im Mainstreamkino: "Themen also, die als politische Debatten über Vergangenheitsbewältigung einerseits und Vergangenheitsbewahrung andererseits in Europa präsenter denn je sind. Es ist schon erstaunlich, wie stark diese Themen selbst bei so massentauglichen Filmen wie 'Pulp Fiction', 'The Sixth Sense' oder 'Forrest Gump' die Erzählungen durchdringen." Jan Feddersen verabschiedet die Schauspielerin Maria Schell. Auf der Meinungsseite kritisiert der deutsch-türkische Schriftsteller Zafer Senocak (mehr hier) den Versuch der türkischen Regierung, die Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den Armeniern im Jahr 1915 besonders in Deutschland zu manipulieren und zu diesem Zweck die hier lebenden Türken nationalistisch zu instrumentalisieren.

Besprochen werden Frederic Gonseths Dokumentation "Mission des Grauens", welche die Schweizer Neutralität während des Zweiten Weltkriegs ins Zwielicht rückt, Jonathan Nossiters Dokumentarfilm "Mondovino" und Joseph H. Reichholfs Studie "Die Zukunft der Arten" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Schließlich Tom.

FR, 28.04.2005

"Marx is in the air" behauptet FRplus und widmet dieser These einen Großteil ihrer Ausgabe.

So wurde Marx' "Das Kapital" gerade ins Mongolische übersetzt. War nicht ganz einfach, erzählen Dondog Batjargal und Helmut Höge. "Hier einige Wort-Beispiele: Bauer hieß im Mittelalter erst, da aus China kommend, ironisch 'Gazar saagch' (Erd-Melker) und nun 'tariachin' - zusammengesetzt aus 'tariaO' (Getreide) und 'chin' (Macher); Ausbeutung heißt 'Möljlög' und bedeutet so viel wie einen Knochen abnagen; Gehalt oder Lohn heißt 'ajliin höls' - Arbeits-Schweiß; die Wirtschaft heißt auf Mongolisch 'Ediin zasag', wörtlich: Ding-Macht; Steuern heißen 'tatvar', vom Infinitiv 'tatah' - etwas überziehen oder überspannen; das Kräftemessen beim Seilziehen zum Beispiel heißt 'ols tatah'."

Der russische Schriftsteller Anatolij Koroljow beschreibt die "Verkitschung der Stalinzeit", die zur Zeit vor allem von russischen Filmen geleistet wird: "Dies liegt wohl daran, dass unter Stalin der definierende Stil der sowjetischen Epoche geprägt wurde, der Stil des allumfassenden Volksglücks und der permanenten Zurschaustellung der Errungenschaften der Partei. Menschen werden zu Exponaten der Epoche, zu lebenden Argumenten gegen die westliche Lebens- und Daseinsform, zur Trophäe der kommunistischen Partei - und jetzt zur Trophäe derer, die sich zumindest den angeblich ruhmreichen Teil dieser Vergangenheit zurückwünschen. Dem zeitgemäßen Zuschauer wird vor Augen geführt, dass die Epoche des massenhaften Terrors doch glücklich gemacht hat. Und die hohen Einschaltquoten zeigen, dass viele Russen eine solche Märchenbotschaft gerne hören; so wie sie auch Spielshows lieben und alles andere, das einen gemeinsamen Nenner hat: nur nicht die russische Wirklichkeit von 2005 zeigen."

Außerdem: Christian Schlüter widmet sich der neuen Kapitalismuskritik. Katrin Hildebrand stellt uns das Modell einer Spardose in Form einer Miniaturausgabe des Chemnitzer (the City formerly known as Karl-Marx-Stadt) Karl-Marx-Monuments vor, auf dessen Sockel "Mein Kapital" gemeißelt ist.

Im Feuilleton glossiert Harry Nutt neue Aspekte des Themas Beutekunst. Peter W. Janssen würdigt die Schauspielerin Maria Schell, die gestern im Alter von 79 Jahren gestorben ist. Christian Thomas bilanziert die Flutschäden in der berühmten Zisterzienserabtei Eberbach. Ein kurzer Nachruf ist dem paraguayischen Romancier Augusto Roa Bastos gewidmet. Thomas Medicus hat im Hamburger Institut für Sozialforschung einer Tagung "Bevölkerkungspolitik und Wohlfahrtsstaat" zugehört, in der es um die Bewältigung der demografischen Herausforderungen an den Wohlfahrtsstaat durch Familien-, Einwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik ging.

Besprochen werden Michael Thalheimers Inszenierung von Eugene O'Neills autobiografischem Suchtdrama "Eines langen Tages Reise in die Nacht" am Hamburger Thalia Theater, die Ausstellung "Götterpläne und Mäusegeschäfte. Schiller 1759 - 1805" im Schiller-Nationalmuseum in Marbach, Stephen Hopkins Film "The Life and Death of Peter Sellers" und Jonathan Nossiters Wein-Film "Mondovino".

SZ, 28.04.2005

Ein ungutes Gefühl empfindet der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter (mehr hier) beim jähen antikapitalistischen Ritt Münteferings durch das wahlumkämpfte Nordrhein-Westfalen: "Der instrumentelle Charakter des Manövers ist zu offensichtlich. Wahlkampfmanager der SPD haben sich vor einiger Zeit von Demoskopen ausrechnen lassen, wie viele frühere sozialdemokratische (Stamm-)Wähler mittlerweile in das Lager der enttäuschten Nichtwähler abgewandert sind. Sie haben die antikapitalistischen Motive dieser Klientel ermittelt bekommen. Und man hat durch die Befragungsexperten erfahren, dass Unmut über die arbeitsplatzvernichtenden Großunternehmer auch in der CDU-Anhängerschaft keineswegs selten zu finden ist. Das hat den erfahrenen Wahlkämpfer aus dem Sauerland beherzt zum kapitalismuskritischen Vokabular greifen lassen. Doch kann das Land kaum weniger gebrauchen als ein taktisch erzeugtes Versprechen, das letztlich politisch folgenlos bleibt. Eben darunter leidet die Republik seit Jahren: An der Ergebnislosigkeit von Hoffnungen und der Ziellosigkeit eines diffusen Verdrusses."

In einem neuen "Eckpunktepapier" wurde den Berliner Gedenkstätten jetzt weitgehende Autonomie zugesichert. Die Bundesstiftung "Dokumentation der NS-Verbrechen" wird ihnen keine Änderung abverlangen. Die Kritik von Götz Aly und von Ulrich Herbert an dem wissenschaftlichen Dilettantismus der Einrichtungen wurde ignoriert. Für den entsetzten Jens Bisky vereint das Papier "Selbstzufriedenheit Honeckerschen Ausmaßes mit einer Leidenschaft fürs Kleinteilige". Mit Verweis auf ihr "bürgerschaftliches Engagement" hätten die Gedenkstätten jede zukünftige Überprüfung ihrer Arbeit verhindern können. "'Bürgerschaftlich' heißt heute, vom Staat Geld dafür zu bekommen, dass man nicht kritisiert und evaluiert werden darf. Man steht immer schon auf der richtigen Seite. Die West-Berliner Inzestkultur hat einen Etappensieg errungen."

Weitere Artikel: Sonja Zekri kniet in der Bonner Bundeskunsthalle vor "10.000 Jahre Kunst und Kultur Jordaniens". Volker Breidecker hat sich mit dem designierten Direktor der drei Frankfurter Kunsthäuser Schirn, Städel und Liebighaus, Max Hollein über die Zukunft der Frankfurter Museen unterhalten."Ein großer Cinesast ist gestorben!" - Fritz Göttler trauert um Rambo-II-Regisseur George Pan Cosmatos. Lothar Müller verabschiedet den großen paraguayanischen Schriftsteller Augusto Roa Bastos (mehr hier). Stefan Koldehoff ist schon einmal durch die neue Luxusherberge "Wynn Las Vegas" des Hotelmagnaten Steve Wynn gestreift, die mit "sehr, sehr teuren" Gemälden u.a. von Cezanne und Renoir bestückt ist, und heute offiziell eröffnet wird. In ihrer Donnerstagskolumne liefert Susan Vahabzadeh Neuigkeiten aus der Filmwelt - etwa die Nachricht, dass Michael Bay Hitchcocks Filmklassiker "Die Vögel" klonen will.

"Sie verkörperte all das, was im Nachkriegsdeutschland wieder an Wert gewinnen sollte", schreibt Christine Dössel auf Seite drei zum Tod Maria Schells, "Treue und Hingabe, Liebe, Wärme, Inbrunst und Fröhlichkeit. Diese Schauspielerin hatte nichts Verruchtes an sich, ihr Sex-Apeal war der einer lebensdurstigen Heiligen". In der SZ-Reihe "Die letzten 50 Tage" spricht Albert Speer über seinen Vater und Heinrich Breloers Film "Speer und Er".

Besprochen werden Stephen Hopkins Film "The Life and Death of Peter Sellers", Dominique Derudderes Film "Bluthochzeit", David LaChapelles Tanzorgie "Rize", Jonathan Nossiters Dokumentarfilm über den Wein als Kunst- und Kulturform "Mondovino", ein Beethoven-Konzert mit Andras Schiff im Münchner Herkules-Saal und Bücher, darunter Olaf Breidbachs Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung "Bilder des Wissens" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

NZZ, 28.04.2005

Die NZZ schaut heute nach Brüssel, wo eine Neuinszenierung der "Zauberflöte" unter der Leitung von Rene Jacobs von sich reden macht. Der Spezialist für alte Musik stand nun erstmals vor einem "Orchester konventionellen Zuschnitts", und Peter Hagmann ist zufrieden: Jacobs' Einsatz von Originalinstrumenten, die deutlich höheren Tempi und die Mitwirkung eines Hammerflügels führten "zu einem merklich veränderten Klangbild, das wegführt sowohl vom Pompösen des freimaurerischen Rituals als auch von der Leichtigkeit des Volksstücks. Um die kümmert sich der Regisseur und Bühnenbildner William Kentridge - und da liegt das andere Wagnis der Produktion." Er setzt auf den Hell-Dunkel-Kontrast: "Sozusagen im Inneren eines alten, mit Balg versehenen Fotoapparats soll diese 'Zauberflöte' spielen."

In einem Interview kokettiert der Musiker Rufus Wainwright, dass er selbst nicht genau wisse, wieso seine Musik so klingt, wie sie klingt: "Ich habe immer ein kleines Stimmchen im Hinterkopf gehört, das mir eingeflüstert ha: 'Rufus, pass nur auf auf dich, dann wird deine Musik auf sich selber aufpassen.' Was meine spezielle Melodik anbetrifft - ich weiß ja selber nicht, woher das kommt, auf jeden Fall macht da irgendwo jemand Überstunden für mich. Ich weiß, man kann meine Musik nicht beschreiben. Sie verflüchtigt sich, das mag ich. Es ist ein Grund dafür, dass man sich auch nach vier Alben noch für mich interessiert. Wenn es dem Vermarktungsapparat gelungen ist, einen in eine Schublade zu stecken, ist ja alles vorbei."

Peter W. Jansen schreibt den Nachruf auf Maria Schell, "die sich danach verzehrte, um alles in der Welt 'wahr' zu sein und ihr Inneres bis zur Selbstentblößung und Selbstaufgabe preiszugeben". Kersten Knipp verabschiedet den paraguayischen Schriftsteller Augusto Roa Bastos. Besprochen wird Roddy Doyles irische Geschichte von "Rory & Ita" (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 28.04.2005

Dirk Schümer setzt die Familiendebatte der FAZ mit einem Artikel über italienische Zustände fort. Hier ist die Geburtenrate bekanntlich noch geringer als in Deutschland, und einer der Hauptschuldigen ist paradoxerweise die Kirche, die sich mit der Moderne nicht arrangieren mag: "Wo alles auf die Arbeitsteilung zwischen männlicher Arbeit und weiblicher Mutterschaft ausgerichtet war, gab es naturgemäß auch keinen Grund für Krippen und Kindergärten. Bis heute haben gerade einmal achtzig Prozent aller Bambini einen Platz in der Vorschule, Krippen für Kleinkinder gibt es so gut wie keine, und die katholische Kirche, die bis ins Schulwesen weite Aufgabenfelder des Sozialstaates innehat, tut gemäß ihrer Mutterschaftsideologie auch wenig für die Kinderbetreuung."

Weitere Artikel: Thomas Wagner berichtet im Aufmacher, dass Max Hollein, seit dreieinhalb Jahren Leiter der städtischen Kunsthalle Schirn, nicht nur Direktor des Städel und des Liebieghauses wird, sondern auch weiterhin die Schirn leiten wird. Dieter Bartetzko schreibt zum Tod von Maria Schell. In der Leitglosse erinnert Andreas Kilb an die Debatte über den angeblich eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen, die vor zehn Jahren von Daniel Goldhagen ausgelöst wurde. Felicitas von Lovenberg stellt Ian McEwans neuen Roman "Saturday" (Auszug) vor, der ab heute in der FAZ vorabgedruckt wird. Jürgen Kaube läutet eine neue Serie ein, für die FAZ-Redakteure noch einmal die harten Bänke deutscher Hörsäle drücken werden, um deutsche Professoren bei der so vornehmen Tätigkeit der Lehre zu begutachten. Andreas Platthaus schreibt zum Tod des Disney-Zeichners Romano Scarpa. Paul Ingendaay schreibt den Nachruf auf den paraguayischen Augusto Roa Bastos.

Auf der Kinoseite resümiert Michael Althen das Dokumentarfilm-Festival von Nyon und bestätigt nebenbei, dass der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul, dessen Filme in Deutschland nicht laufen, von den Franzosen zu Recht verehrt wird. Außerdem interviewen Andreas Kilb und Peter Körte den Regisseur Ridley Scott zu seinem Film "Königreich der Himmel". Und Peter Körte fürchtet, dass einer Reihe missglückter Hitchcock-Remakes eine weitere Reihe missglückter Hitchcock-Remakes folgen wird.

Auf der Medienseite zitieren Michael Hanfeld und Katharina Iskandar eine Studie, nach der die Deutschen heute noch mehr fernsehen als vor zehn Jahren. Und Jürg Altwegg berichtet, dass der Chef von Bertelsmann Frankreich, Axel Ganz, seine Zeitschriften anwies für ein "Ja" bei der Abstimmung zur europäischen Verfassung Stimmung zumachen, womit er einige Irritation auslöste.

Auf der letzten Seite berichtet Regina Mönch von einer zweiten Anhörung zur Lage der Berliner Gedenkstätten, die durch Artikel von Götz Aly (hier) und anderen heftig in Frage gestellt worden waren - doch die bewährten Kräfte haben sich offensichtlich erfolgreich formiert: "Alles ist gut, so wie es ist." Und Kerstin Holm berichtet über die Ausstellung einiger in Berlin erbeuteter Kunstwerke der Antike im Moskauer Puschkin-Museum.

Besprochen werden eine Retrospektive des Fotografen Martin Munkacsi in Hamburg, das Poesiefestival al-Mutanabbi in Zürich, eine Kinderoper von Marius Felix Lange und Elke Heidenreich in Köln, eine Ausstellung über den jordanischen Architekten Rasem Badran in Berlin, Botho Strauß' Stück "Ithhaka" in Krefeld und Jose Pozos Trickfilm "El Cid".