Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.05.2005. In der Zeit kritisiert Günter Grass den Kapitalismus. Charles Taylor auch. In der Welt kritisiert Jürgen Habermas den Neoliberalismus. Den Kapitalismus auch. In der NZZ stellt Richard Rorty richtig: Der Liberalismus ist eine Sache des Herzens. In der FR fragt Andrea Breth, was Macht mit Menschen macht und antwortet mit Schiller. Die taz entsagt dem Konsumverzicht. Die FAZ findet das Berliner Holocaust-Mahnmal nicht monumental und sucht nach Alternativen zur Moskauer Siegesfeier.

Zeit, 04.05.2005

Die Zeit wartet heute schon mit ihrer Ausgabe zum 8. Mai auf: Auf der Seite eins liest der Schriftsteller Günter Grass der Nation die Leviten, das sein Parlament zu einer Filiale der Börse habe verkommen lassen. "Was ist aus der uns vor sechzig Jahren geschenkten Freiheit geworden, zahlt sie sich nur noch als Börsengewinn aus? Unser höchstes Verfassungsgut schützt nicht mit Vorrang die bürgerlichen Rechte, ist vielmehr zu Niedrigpreisen verschleudert worden, auf dass es, dem neoliberalen Zeitgeist genehm, vor allem der sich 'frei' nennenden Marktwirtschaft dienlich wird. Doch dieser zum Fetisch gewordene Schummelbegriff verdeckt nur mühsam das asoziale Verhalten der Banken, Industrieverbände und Börsenspekulanten. Wir alle sind Zeugen, wenn weltweit Kapital vernichtet wird, wenn so genannte feindliche und freundliche Übernahmen Tausende Arbeitsplätze vernichten, wenn die bloße Ankündigung von Rationalisierungsmaßnahmen als Entlassung von Arbeitern und Angestellten die Kurse steigen lässt und dies reflexhaft als hinzunehmender Preis für 'das Leben in Freiheit' gewertet wird." Der Bundestag brauche, meint Grass, eine Bannmeile , nicht um sich vor dem Volk, sondern vor Lobbyisten schützen.

Im Aufmacher des Feuilltons nähert sich Michael Naumann mit Unbehagen dem Berliner Holocaust-Mahnmal, das am nächsten Dienstag eröffnet wird: "Wer heute durch die schmalen Gänge zwischen den Betonblöcken geht, wird, sofern er für die Formen moderner Kunst empfindlich ist, wenn nicht provoziert, so doch tief beeindruckt sein. Der 'optische Schauder' (Duchamp) des gigantischen Feldes ist ein Gemütszustand, der sich angesichts der ernsthaften Verspieltheit der Stelen bei vielen Besuchern verlässlich einstellen dürfte. Zugleich ist es rätselhaft wie das numinose Stonehenge. Aber sechs Millionen Tote sind kein Rätsel." Der Philosoph Giorgio Agamben notiert dazu: "Unvergessliches und Erinnerbares sind nicht dasselbe. Eines der großen Verdienste von Eisenmans Denkmal ist es, uns daran zu erinnern, dass das wahrhaft Unvergessliche keinem Archiv anvertraut werden kann."

Außerdem: Jutta Scherrer beschreibt, wie sich Russland eine ruhmreiche Vergangenheit zurechtschustert, in der es die Annexion der baltischen Länder, Katyn oder den Warschauer Aufstand nicht gegeben hat. Klaus Harpprecht erinnert sich, wie der Nationalsozialismus 1945 ganz plötzlich in Luft aufging: "'Niemand ist ein Nazi', zürnte Martha Gellhorn. Die Amerikanerin konnte und wollte nicht begreifen, was auch wir bis auf den heutigen Tag kaum verstehen: Die besiegten Deutschen hatten in der Tat vergessen, dass sie Nazis waren. Die Amnesie war nicht gespielt." Der Historiker Heinrich Schwendemann sieht Albert Speers Vernebelungsstrategie auch in Heinrich Breloers Dokudrama "Speer und Er" fortwirken. Volker Ulrich zeichnet nach, wie dienlich der Publizist Joachim Fest und der Verleger Wolf Jobst Siedler Albert Speers Legendenbildung waren.

Andere Themen gibt es aber auch noch: In der "Kapitalismus"-Reihe beklagt der kanadische Philosoph Charles Taylor, dass sich die Freiheit schleichend in eine Wahlfreiheit verwandelt: "Damit erweckt der Kapitalismus den Eindruck, als sei das Leben des Einzelnen nur deshalb schon erfüllter und glücklicher, weil seine Wahlmöglichkeiten zahlreicher werden - mögen auch die Unterschiede zwischen den Alternativen banal sein."

Peter Kümmel porträtiert den Theaterregisseur Claudio Valdes Kuri, der Mexiko für den idealen Theaterort hält: "Wir Mexikaner haben seit Jahrhunderten die Erfahrung gemacht, dass wir alles, was wir tun, für andere tun. Das hat uns zu Chaoten werden lassen, aber auch zu barocken Meistern der Improvisation." Hans-Joachim Müller stellt fest: Frank Gehrys Herforder Musemsbau ist kein Meisterwerk. Besprochen werden Ridley Scotts Kreuzritter-Schinken "Königreich im Himmel", Jack Johnsons neues Album "In Between Dreams", Mariah Careys Platte "The Emancipation of Mimi" und Luis Bunuels Filmklassiker "Das Gespenst der Freiheit".

Im Literaturteil setzt sich Michael Wildt mit Götz Aly auseinander, der eine Linie gezogen habe vom nationalsozialistischen Konzept der "Volksgemeinschaft" hin zum modernen Sozialstaat. Für Wildt gibt es da keinerlei Verbindung: "Wer die bürgerliche Forderung nach Egalite nur als Programm sozialer Gleichheit wahrnimmt, zeigt, welch geringe Rolle in seinem Denken politische Freiheit spielt. Das moderne Konzept des Sozialstaates, auch und gerade in seiner sozialdemokratischen Variante, ist untrennbar verknüpft mit liberalen Freiheitsrechten seiner Bürger. Dass Götz Aly mit seiner Volksstaatsthese derart viel Zustimmung erhält, lässt auf das Ausmaß der Orientierungskrise schließen, in der sich die Bundesrepublik im Umbau ihrer Wohlfahrtsstaatlichkeit und Neudefinition ihres politischen Selbstverständnisses befindet."

Und Fritz J. Raddatz feiert Jakob Wassermanns "großes" Buch "Mein Weg als Deutscher und Jude".

FR, 04.05.2005

In einem langen Interview spricht Andrea Breth über Schillers "Don Carlos", den sie in Wien inszeniert hat, Werktreue und Macht. "Beim Carlos ist es für mich die Frage, was Macht mit den Menschen macht. Warum ändern sich Menschen schlagartig, wenn sie Macht bekommen? Das macht mich wirklich nervös. Das erlebt man ja auch am eigenen Leib, man muss aufpassen, man bekommt die absurdesten Probleme, je berühmter man wird. Beim Vorsprechen sind die angehenden Schauspieler fast ohnmächtig vor Angst, wenn sie vor mir stehen. Die Projektion, die auf einen Menschen ausgeübt wird, die Vereinsamung, die er durch sein Machtsystem verursacht, das interessiert mich. Deswegen wollte ich, dass Carlos und Posa ganz junge Leute sind. Und dass nicht ein Opa vor ihrer Nase sitzt sondern einen Mann in den besten Jahren. Jemand mit achtzig muss sich nicht mehr so furchtbar aufregen, wenn seine junge Frau was macht. Das ist theaterhistorisch verklebt."

Jeder "alte Sandalenfilm" ist ehrlicher als Ridley Scotts Kreuzritter-Drama "Königreich der Himmel", findet Daniel Kothenschulte. Man müsse schon, "vorsichtig formuliert, eine gewisse Verwegenheit mitbringen, um in einer Zeit, da ein westliches Staatsoberhaupt erstmals wieder zu einem erklärten Kreuzzug aufruft, eine internationale Großproduktion über ihre unrühmlichen Vorbilder in Angriff zu nehmen."

Weitere Artikel: Klaus Walter untersucht Product Placement Strategien im Pop. In Times mager kommentiert Hans-Jürgen Linke Hamburger Prügelszenen gegen Studenten als "erste tiefere Eindrücke", die der "gerade entstehende CDU-Staat" hinterlasse. (Komisch - ist der Stadtstaat nicht schon längst CDU-regiert? Oder war das Ganze gar nicht in Hamburg? Rätselhaft!)

Besprochen werden Bücher, darunter zwei Publikationen zur Frage, ob der 8. Mai "Stunde Null, Untergang oder Befreiung" gewesen sei und eine Studie von Claus Leggewie und Erik Meyer zum Wandel der deutschen Erinnerungskultur anhand der Debatte über das Holocaust-Mahnmal (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

TAZ, 04.05.2005

In einem kleinen Essay nimmt sich Christiane Tewinkel aktuelle Thesen vom "Konsumverzicht als Kulturkritik" vor und interpretiert sie als eine Variante "anderer erfolgreicher Rezessionsclownerien". Sie zitiert unter anderem eine Analyse von Hannes Siegrist, Kulturhistoriker an der Universität Leipzig und Experte für die Geschichte des Konsums. "Nachgerade en vogue ist es Hannes Siegrist zufolge einmal mehr geworden, nicht zu konsumieren, und der Teufelskreis aus Pessimismus, vorbeugendem Sich-Einstellen auf immer noch schlechtere Zeiten und moralinsaurer Weltentsagung, in den man sich damit begibt, passt praktischerweise exakt zur Lage der Nation. Wenn sowieso nichts mehr geht, erinnert man sich nur zu gern der unbezahlbaren inneren Werte."

Ob seiner Gewaltszenen, die sich eben nicht "zum Delirium steigern", reichlich "abgestumpft" beurteilt Christina Nord den neuen Film von Ridley Scott "Königreich der Himmel". Sie findet, es werfe Fragen auf, wie sich Scott seines Themas, der Kreuzzüge, annehme. "Mündet das nicht zwangsläufig in Propaganda fürs christliche Abendland? Rechtfertigt es nicht indirekt die Intervention im Irak? Behauptet es nicht die Vormachtstellung des Westens über die arabische Welt?" Besprochen wird außerdem "Whisky" von Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll, ein wortkarger Film aus Uruguay, der "große Kunst im Kleinen" mache.

Und Tom.

Welt, 04.05.2005

In einem Interview mit dem polnischen Publizisten Adam Krzeminski spricht Jürgen Habermas über die rückgratlose Politik der deutschen Regierung gegenüber Russland und China, die heilende Kraft der Erinnerung und die Bedeutung der Religion in Europa. Für Habermas muss die erwünschte weltanschauliche Neutralität der EU-Staaten nicht in eine "säkularistische Weltanschauung" münden. "Ich glaube, dass der liberale Staat schon aus eigenem Interesse behutsam mit allen Ressourcen umgehen sollte, aus denen sich die moralische Sensibilität seiner Bürger speist. Diese Ressourcen drohen um so eher auszutrocknen, je mehr die Lebenswelt ökonomischen Imperativen unterworfen wird. Nach neoliberalem Dogma zieht sich heute die Politik aus lebenswichtigen Bereichen wie Bildung, Energie, öffentlichem Verkehr und Kultur, auch aus der Vorsorge für die Standardrisiken des Arbeitsleben, immer weiter zurück und überlässt die sogenannten Modernisierungsverlierer sich selbst. Wenn wir den Kapitalismus nicht zähmen, fördert er eine ausgelaugte, eine entleerende Modernisierung. Angesichts dieser Tendenz zum Verdorren aller normativen Sensibilitäten verändert sich auch die politische Konstellation zwischen Aufklärung und Religion. Als ein säkularer Bürger sage ich, dass sich Glauben und Wissen selbstreflexiv der jeweils eigenen Grenzen vergewissern müssen."

NZZ, 04.05.2005

In der NZZ-Serie "Perspektiven des Liberalismus" ergreift heute der amerikanische Philosoph Richard Rorty das Wort. Den kleinsten gemeinsamen Nenner verschiedenster liberaler Traditionen und Gruppierungen sieht er in ihrer Fähigkeit zum Mitleiden: "Sie teilen zwar keine Weltanschauung, doch ist ihnen die gefühlsmäßige Reaktion gemeinsam. Liberalismus ist eine Angelegenheit des Herzens, nicht des Geistes. Die verächtliche Bezeichnung, die Liberalen von Konservativen in den Vereinigten Staaten derzeit an den Kopf geworfen wird: 'weltverbessernde Weicheier' ('do-gooding bleeding hearts'), trifft es genau." Allerdings müsse man sich Mitleid leisten können. "Der große Feind des Liberalismus ist Angst - die Angst, es gebe nicht genug zu verteilen. Das daraus resultierende Gefühl der Unsicherheit hat sich beim Mittelstand sowohl in Europa als auch in Amerika breit gemacht. Schwer zu sagen, ob die Traditionen beiderseits des Atlantiks stark genug sein werden, um die Ängste zu überwinden, die die Fähigkeit der Menschen untergraben, diejenigen, welche anders sind als sie selbst, als Mitbürger zu betrachten."

Besprochen werden die mit "Begierde im Blick" betitelte und ganz im Zeichen des Surrealismus stehende Triennale der Fotografie in der Hamburger Kunsthalle, neue Hörspielfassungungen von Robert Musils Werken "Der Mann ohne Eigenschaften" und "Drei Frauen" - ein "an sich großartiges Projekt, das Gefahr läuft, an der eigenen Opulenz zu ersticken", meint Christiane Zintzen, Wagners "Tristan und Isolde" in einer Inszenierung der Künstlerin Rosalie am Theater Basel, die Neuaufnahme zweier Opern von Gluck, die neue CD der Alphorn-Formation "Mytha Horns", eine fünf CDs umfassende Publikation von Konzertmitschnitten aus Herbert Blomstedts siebenjähriger Amtszeit als Kapellmeister am Leipziger Gewandhaus, die in diesem Sommer zu Ende geht, und Bücher, darunter Thomas Brechenmachers Studie "Der Vatikan und die Juden" sowie Enrique Vila-Matas' Roman "Paris hat kein Ende" (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 04.05.2005

"'Cool Britannia' ist tot, doch die britische Kultur steht nach acht Jahren Tony Blair besser da denn je", verkündet Alexander Menden. Denn Labour hat "die kulturelle Infrastruktur des Landes kontinuierlich reformiert und ausgebaut ... Durch verstärkte Subventionen hat Labour für freien Eintritt in sämtlichen staatlichen Museen und Galerien gesorgt. Seit 2001 sind die Besucherzahlen der großen Londoner Museen wie Tate Gallery und Tate Modern, dem British Museum, dem Victoria&Albert Museum und der National Gallery um erstaunliche 75 Prozent auf jährlich insgesamt 34 Millionen angewachsen." Außerdem wurde die Lotterie so reformiert, dass mehr Mittel für das Arts Council frei wurden, ein regierungsunabhängiger Kulturrat, der kulturelle Projekte im ganzen Land fördert. Gut viereinhalb Milliarden Euro konnte er seit Blairs Regierungsantritt verteilen, berichtet Menden. Seltsamerweise gehe Tony Blair im Wahlkampf dennoch auf Distanz zur Kultur, weil er befürchte für "elitär" gehalten zu werden.

Die ägyptische Schriftstellerin Salwa Bakr erklärt, warum islamistische Terrororganisationen in Ägypten leichtes Spiel haben, mittellose Frauen zu rekrutieren: "Erfolgreich instrumentalisieren sie die Gefühle dieser Frauen, weil diese einerseits auf der untersten sozialen Stufe stehen, andererseits aber dem stärksten Druck ausgeliefert sind, den die Gesellschaft mit ihren Werten und Vorstellungen auf Frauen ausübt."

Weiteres: Unter der hübschen Unterzeile "Sie lieben Blockflöten-CDs, kosten Hunderttausende und machen trotzdem glücklich" reagiert Alex Rühle auf die "deutsche Kinderangst" und plädiert: "Leute, rechnet nicht, macht einfach. Rechnen macht arm. Machen macht glücklich. Nicht Deutschland. Einen selber." Gerhard Matzig weiß, was den Futurismus der Münchner Allianz-Arena ausmacht: eine "denkwürdige Archaik". Susan Vahabzadeh stellt das neue Filmverleih-System vor, mit dem Steven Soderbergh künftig arbeitet und das vorsieht, Filme auf allen Zugangsebenen starten zu lassen: im Kino, auf DVD, als Satellitenübertragung und als Pay-per-View-Film. Hans Schifferle resümiert das Filmfestival "Crossing Europe" in Linz. Und in einer Randspalte informiert Johannes Willms über den Verlauf einer Kulturkonferenz, zu der Jacques Chirac in den Elysee-Palast geladen hatte.

Besprochen werden eine Ausstellung über "Italienbilder der Goethezeit" in der Neuen Pinakothek München und Filme: der iran-irakische Film "Schildkröten können fliegen" von Bahman Ghobadi und "Königreich der Himmel" von Ridley Scott. Bei Fritz Göttler kommt der vom Regisseur selbst als "Blackbuster-Action der Toleranz" angekündigte Film noch am besten weg; aber auch er sieht, dass Scott "seinem Talent als Geschichtenerzähler weniger vertraut als einem ungewohnten Hang zur Leinwandpredigt". Außerdem Bücher, darunter die Zürcher Fassung von Brechts "Geschichten vom Herrn Keuner" und Hubert Fichtes und Leonore Maus Studie "Psyche. Annäherung an die Geisteskrankheit in Afrika" (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

Spiegel Online, 04.05.2005

Claus-Christian Malzahn diagnostiziert anhand der neuen Romane von Christoph Hein (hier) und Uwe Tellkamp, die beide den Terrorismus zum Thema machen, eine Demokratie-Skepsis bei ostdeutschen Autoren. Zu letzterem schreibt er: "Uwe Tellkamps Roman 'Der Eisvogel' ist der bisher frontalste literarische Angriff auf eine demokratische deutsche Verfassung, seit Ernst Jünger 1932 mit seinem Buch 'Der Arbeiter' ein Werk vorlegte, in dem die fragile Ordnung seiner Zeit beiseite gefegt und die Fundamente einer neuen Gesellschaft gelegt werden sollen."

FAZ, 04.05.2005

Heinrich Wefing besucht das Berliner Holocaust-Mahnmal und auch seinen "Ort der Information", die nächste Woche eingeweiht werden, und schildert seine Eindrücke: "Wer einen 'fußballfeldgroßen Albtraum' erwartet hatte, wie ihn Martin Walser 1998 in seiner Paulskirchen-Rede prophezeite, eine 'Monumentalisierung der Schande', der sieht sich überrascht. Artig schmiegt sich das Denkmal in das unregelmäßige Viereck, das die Straßen ringsum bilden. Wie beiläufig erheben sich an den Rändern die Betonvierkante aus den Fußwegen, kaum knöchelhoch, gerade so, als tauche hier etwas sichtbar an die Oberfläche, das auch anderswo im Untergrund stecken könnte."

Karol Sauerland schreibt aus Polen über die im Westen nur mit müdem Interesse wahrgenommenen osteuropäischen Debatten zum Kriegsende und die pompösen Moskauer Siegesfeiern in der nächsten Woche, und er berichtet, dass in Polen und den baltischen Ländern über alternative Veranstaltungen nachgedacht wird, "denn man glaubt nicht daran, dass in Moskau irgendeine kritische Stimme wird zu Wort kommen können". Sauerlands eigene Idee dazu: "Trotz alledem ist die beste Antwort auf Putins Lust am Siegestaumel die Unterstützung all dessen, was an Solidarnosc oder die orange Revolution erinnert. Hier liegt Europas Zukunft beschlossen."

Weitere Artikel: Lorenz Jäger klagt in der Leitglosse deutsche Intellektuelle an, in ihrem Aufruf an die Franzosen, für die europäische Verfasssung zu stimmen, auf antideutsche Reflexe gesetzt zu haben. Jürg Altwegg meldet, dass Google Print auch französische Bücher einscannen will. Gina Thomas schildert kurz vor den britischen Wahlen das gespaltene Verhältnis der britischen Linksintellektuellen zu Tony Blairs New Labour. Abgedruckt wird ein kleines Grußwort Otto Schilys zur Eröffnung einer Ausstellung zum 125. Geburtstag des Architekten Bruno Taut. Monika Osbergrhaus hat einem Treffen deutscher Kinder- und Jugendtheater in Berlin beigewohnt. Michael Jeismann gratuliert dem Historiker Gerd Krumeich zum Sechzigsten. Klaus Ungerer schildert in der Gerichtskolumne "Nichts als die Wahrheit" einen Prozess um die Berliner Wettmafia.

Auf der Kinoseite bringt Bert Rebhandl eine Hommage auf die in Deutschland viel zu wenig bekannte Regisseurin Claire Denis, der in Wien eine Filmschau gewidmet wird. Und Michael Althen interviewt sie zu ihrem neusten Film "L'intrus".

Auf der Medienseite interviewt Michael Hanfeld den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff zu seinen Vorstellungen über eine Reform des NDR.

Auf der letzten Seite analysiert der pakistanische Journalist Najam Sethi, Mitbegründer der Friday Times aus Lahore, die pakistanisch-indische Annäherung. Paul Ingendaay resümiert spanische Diskussionen über die Schwulenehe. Und Gerhard Rohde würdigt den Komponisten Wolfgang Rihm, der ein Stück zur Einweihung des Holocaust-Mahnmals geschrieben hat.

Besprochen werden ein Konzert der wiederauferstandenen Supergruppe Cream in London, Ridley Scotts Kreuzfahrer-Epos "Königreich der Himmel", eine Ausstellung über Freuds Exiljahre in London, eine Ausstellung der Fotografin Evelyn Hofer in Berlin, ein Konzert der Fado-Sängerin Mariza in Frankfurt und eine Ausstellung mit Möbeln der Ebenisten Abraham und Roentgen im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst.