Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.10.2005. Im Tagesspiegel erzählt der koreanische Schriftsteller Kim Young Ha, wie Jimmy Carter in Korea eine westliche Toilette bekam. Die FR versucht vergeblich, im Internet eine Bahnfahrkarte für Frankreich und Deutschland zu kaufen. Die taz träumt von talentierten deutschen Autoren, die sich nicht zu fein sind für das Fernsehen zu schreiben. Die Welt träumt von talentierten britischen Regisseuren, die "Effi Briest" verfilmen. In der SZ erinnert sich der irakische Schriftsteller Najem Wali an seinen Folterer, dem jetzt der Prozess gemacht wird.

TAZ, 19.10.2005

Zum Start der Frankfurter Buchmesse wünscht Dirk Knipphals in einem Kommentar auf der Seite 1 der Kulturnation etwas mehr Spaß: "Problematisch ist nicht die Vermischung von Hoch- und Spaßkultur. Problematisch ist, dass sie in Deutschland noch viel zu sehr als Gegner begriffen werden. Das führt einerseits dazu, dass die ernsthafte Kultur auf einen immer kleineren klassischen Kanon zusammenschrumpft - von Goethe bis Thomas Mann. Und sich andererseits viele talentierte Autoren zum Beispiel zu fein sind, populäre Fernsehserien interessanter zu machen."

Lesen ist in erster Linie Frauensache hält Mirjam Meinhardt auf den Tagesthemenseiten fest: "Der Studie 'Leseverhalten in Deutschland' zufolge lesen Männer vor allem bis zum Ende des Studiums - und dann wieder nach ihrer Pensionierung". Und Dirk Knipphals rechnet nach, wie kleine Buchhandlungen zu Gunsten großer Ketten verschwinden. Und natürlich gibt es heute die Beilage zur Buchmesse: die literataz.

Im Kulturteil erklärt uns Gerrit Bartels den Sinn und Zweck des Deutschen Buchpreises: "ein deutsches Pendant zu international renommierten Preisen zu schaffen, etwa dem Booker Preis". Und Reinhard Krause porträtiert die französische Indie-Pop-Sängerin Keren Ann und ihr viertes Album "Nolita".

Und hier Tom.

NZZ, 19.10.2005

Matthias Messmer würdigt den chinesischen Schriftsteller Ba Jin, der im Alter von 101 Jahren in Schanghai gestorben ist. "Wie bei fast allen führenden Schriftstellerkollegen seiner Zeit modellierte und schärfte sich Ba Jins Werk aus den Erfahrungen Chinas mit den Fesseln der Vergangenheit, mit Bürgerkrieg, Elend, Armut und Revolutionen. Dazu gesellte sich bei Ba Jin die Faszination für das sozialistisch-utopische Ideengut französischer und russischer Denker (in Frankreich lebte der Autor von 1926 bis 1928 und verfasste dabei seinen ersten Roman 'Verfall'). Seinen politischen Überzeugungen entsprechend wählte der junge Mann als eigenes Pseudonym eine Symbiose von Silbenbestandteilen zweier bedeutender russischer Anarchisten: Bakunin und Kropotkin."

Weiteres: Joachim Güntner hält in seinem Auftaktartikel zur gerade angelaufenen Frankfurter Buchmesse den im Vorjahr begonnenen Handel mit verfilmbaren Stoffen für einen aussichtsreichen Nebenmarkt, der den stetigen Verlust ausstellender Verlage kompensieren könnte. Peter Hagmann hat auf den Donaueschinger Musiktagen (Homepage) ein beginnendes Schisma der Neuen Musik beobachtet - "zwischen den hochartifiziellen Leisen und den Lauten, die sich mehr und mehr an den Kriterien populärer Musik orientieren".

Buchbesprechungen widmen sich Werner Dahlheims biografischer Studie über "Julius Cäsar", Jostein Gaarders Kinderroman "Im Schloss der Frösche" sowie Jonathan Strouds Gegenentwurf zu Harry Potter "Das Auge des Golem", der zweite Teil der Bartimäus-Trilogie (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Tagesspiegel, 19.10.2005

Der Schriftsteller Kim Young Ha erzählt, wie sein Vater und die restlichen Grenztruppen Südkoreas sich auf den Besuch Jimmy Carters im Jahr 1979 vorbereitet haben. "Einer aus der Truppe stellte eines Tages unvermittelt die Frage, was zu tun sei, wenn Jimmy Carter ein menschliches Bedürfnis überkomme. Die Soldaten, die die Höhe bewachten, verfügten nur über eine provisorische Toilette. Mein Vater leitete die Anfrage an seine Vorgesetzten weiter. Diese hörten sichtlich betroffen zu und gaben dann den dringenden Befehl, dass auf Höhe 191 sofort eine Toilette nach westlichem Muster zu errichten sei. Schließlich war es undenkbar, dass ein Präsident der USA eine traditionelle koreanische Toilette zu benutzen hatte. Die Zeit drängte." Am Samstag durfte Kim schon vom dynamischen Seoul schwärmen.

FR, 19.10.2005

In der Reihe "Mein Europa" denkt Martina Meister heute über das "französische Grundgefühl", Pässe, Bahnfahrkarten, Familienbücher und andere unfertige Regelungen zwischen In- und Ausländern nach. "Manchmal kommt es auch mir vor, als wäre dieses ganze Europa ein schlechter Scherz. Tatsächlich ließe sich problemlos eine regelmäßige Glosse über das ganz banale, tägliche Scheitern bestreiten. Frankreich und Deutschland zum Beispiel, europäischer geht es nirgends. Man muss nur den Rhein überqueren. Aber man versuche nicht, im Internet eine Bahnfahrkarte zu kaufen, die nur wenige Kilometer über die Nachbargrenze hinausgeht."

Ein ganzes Dossier leistet sich die FR zum Auftakt der Buchmesse. Christoph Schröder berichtet, dass immer weniger Titel kleinerer Verlage in die Auslagen der Buchhandlungen aufgenommen werden. Jan Hildebrand kürt die Online-Buchhändler und die großen Ketten zu den Gewinnern der vergangenen Saison. Judith von Sternburg porträtiert den gerade zurückgetretenen Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Dieter Schorman. Heinrich Kreibich, Geschäftsführer der Stiftung Lesen, beklagt die unzureichende Förderung öffentlicher Bibliotheken. Und auf Seite drei vermeldet Ina Hartwig: "Die Literatur lebt."

Weitere Artikel: Christoph Schröder kommentiert die "wohltuend unprätentiöse" Verleihung des ersten Deutschen Buchpreises an den Österreicher Arno Geiger für den Roman "Es geht uns gut". Hartmut Lück resümiert die diesjährigen Donaueschinger Musiktage. Heribert Kuhn würdigt Adalbert Stifter zum 200. Geburtstag als "grandios verzweifelten Schriftsteller". Daniel Kothenschulte freut sich über die Neuauflage von William Claxtons Fotobuchklassiker "JazzLife" (Taschen). In Times mager räsoniert Christian Thomas über den Begriff "Augenhöhe".

Zu Büchern siehe die heute beiliegende Literaturbeilage: Belletristik und Politisches Buch. Im Aufmacher bespricht Ursula März Ingo Schulzes Roman "Neue Leben". Wir werten die Beilage in den nächsten Tagen aus.

Welt, 19.10.2005

Der blanke Neid hat Elmar Krekeler bei Joe Wrights Austen-Verfilmung "Stolz und Vorurteil" (mit einer "anbetungswürdigen" Keira Knightley) gepackt. "Gebt einem Briten 'Effi Briest' in die Hand, das 'Käthchen von Heilbronn' und die 'Wahlverwandtschaften', lasst sie ihn die Rollen besetzen mit Schauspielern aus dem Team von 'Tatsächlich Liebe' - nur so als Beispiel: Liam Neeson, Alan Rickman, Emma Thompson, Keira Knightley, die bewunderungswürdige Laura Linney, Hugh Grant. Lasst ihn Landschaften entdecken in der Eifel, am Rennsteig, im Harz, lasst ihn einfach machen, es wird hinreißend."

Weiteres: Arno Geiger hat am Montag für sein Buch "Es geht uns gut" den ersten Deutsche Buchpreis; Tilman Krause ist mit seinen Kollegen zufrieden: "Es wurde, was selten genug passiert, von der Kritik umgehend als das Meisterwerk erkannt, das es ist." Anlässlich der Berliner Ausstellung seiner Serie "A History of Sex" spricht der Künstler Andres Serrano im Interview mit Rainer Haubrich über das Glück sexueller Verwirklichung und seine Bilder: "Ich bin nicht per se auf Provokation aus. Obwohl ich kein praktizierender Christ bin, fühle ich mich von der katholischen Ästhetik sehr angezogen." Nicht enttäuscht ist Michael Pilz vom neuen Depeche-Mode-Album "Playing the Angel": "Maschinen-Melodien für die Massen." Und Gerhard Besier, Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, erinnert an die Stuttgarter Schulderklärung der Evangelischen Kirche vom Oktober 1945.

SZ, 19.10.2005

Der irakische Schriftsteller Najem Wali, der selbst in irakischer Haft saß und seit 1980 im Exil lebt, beschreibt, wie er den heute beginnenden Prozess gegen Saddam Hussein erlebt. "Wenn man auf einem Kontinent wie Europa Zuflucht gefunden hat, denkt man vielleicht an die Aufklärung, an die hier überwundenen Diktaturen oder, wie ich, an die europäische humanistische Literatur. Bis man verdutzt feststellt, dass eben dieses Europa gemeinsam mit seinem Verbündeten, den USA, Saddam nicht nur verteidigt und in Kriegen unterstützt, sondern ihm auch noch Waffen und Foltermaterial geliefert hat. Später vergisst man, die erlittene Folter verblasst; auch ich glaubte stolz, ich hätte alles bewältigt. Doch dann, nach Jahren, ist die Erinnerung eines Abends mit einem Schlag zurückgekehrt. Als mir beim Zappen die Gestalt jenes Mannes begegnete, der mir Tage, Monate, Jahre meines Lebens geraubt hat, war alles wieder da. Da saß er vor dem Untersuchungsrichter, scheinbar unbesiegbar, alles überdauernd, und schwang Nazireden."

In vier Beiträgen wird das Gastland der Frankfurter Buchmesse, Südkorea, vorgestellt. Besprochen werden zwei Romane des koreanischen Schriftstellers Hwan Sok-yong, außerdem ist ein kurzes Interview mit dem Autor zu lesen. Ijoma Mangold empfiehlt zwei Erzählungsbände zum Einstieg in die koreanische Literatur. Der Schriftsteller Christoph Peters porträtiert die Hauptstadt Seoul, die zwar "nicht schön" sei, aber "zum Glück" an einem großen Fluss liegt.

Weiteres: Jürg Königsdorf stellt Herzog & de Meurons Neubau des De Young Museums in San Francisco vor. Wolfgang Schreiber resümiert die Donaueschinger Musikktage. Fritz Göttler berichtet von der Viennale in Wien. Volker Breidecker kommentiert die Verleihung des ersten Deutschen Buchpreises an Arno Geiger für "Es geht uns gut". Und Jens Bisky wartet auf eine Nachfolge für Kulturstaatsministerin Christina Weiss.

Auf der Schallplattenseite werden Jazz-Remixes vorgestellt, außerdem neue Alben von Orange Juice, Nine Horses, Attwenger und - in der Kolumne "Das dreckige Dutzend" - unter anderem von The Fall, Spillsbury und Marlene Dietrich.

Besprochen werden zudem die Ausstellung "Rundlederwelten", die heute im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnet wird, die Uraufführung von Peter Ablingers Stadtoper in Graz, die an mehreren, täglich wechselnden Schauplätzen der Stadt gespielt wird, das "Musiktheater" "Quixote in der Stadt" im Hamburger Thalia Theater, eine Ausstellung der vier Turner-Preis-Kandidaten Simon Starling, Darren Almond, Gillian Carnegie und Jim Lambie in der Londoner Tate Gallery und die erste Tanztheaterchoreografie von Werner Schröter für Johann Kresnik im Theater Bonn.

FAZ, 19.10.2005

Auf der Medienseite berichtet Irene Hell über den Erfolg des "Discovery Campus" in Leipzig. Bei diesem Treffen internationaler Dokumentarfilmer "'sind alle da, die Rang und Namen haben', sagt Patrick Hörl. Die BBC ist mit vier Dokumentarchefs angerückt, Arte, ARD, ZDF, französische, norwegische, russische und amerikanische Sender waren ebenfalls vertreten. Sogar Programmchefs aus China und von dem arabischen Nachrichtensender Al Dschazira wurden gesichtet. Der MDR-Programmreferent Arnold Seul weiß, warum: 'Du musst kommen, sonst kommt keiner', sage Claas Danielsen, der Direktor des Leipziger Dokumentarfilmfestivals, der den Campus mit aufgebaut hat, eindringlich jedem einzelnen: 'Dann ist plötzlich die Creme de la Creme da. Das kriegt er wirklich jedesmal hin.'"

Weitere Artikel: Hannes Hintermeier berichtet über die Eröffnungsreden bei der Frankfurter Buchmesse. Tilman Spreckelsen lobt Koreas erfolgreiche Literaturvermittlung: Dank üppiger Fördermittel konnten die Werke der wichtigsten Autoren ins Deutsche übersetzt werden. Felicitas von Lovenberg zieht nach der Lektüre von Alan Hollinghursts Roman "Die Schönheitslinie" vage Parallelen zwischen Margaret Thatcher und Angela Merkel. In der Reihe "Wir aus dem Archiv" zeigt uns Ludwig Biewer von Kaiser Wilhelm II. entworfene Ärmelstulpen für Botschafter, die der Kaiser auf den Rand eines Papiers gezeichnet hat. Zhou Derong berichtet, dass Harry Potter in China nicht weniger erfolgreich ist als im Rest der Welt. Oliver Jungen berichtet über einen Gelehrtenstreit auf einer Fachtagung über Konstantin, dem im Sommer 2007 eine große Ausstellung in Trier gewidmet wird. Es ging um die Frage, wie christlich der erste christliche Kaiser denn tatsächlich war.

Die 29. Leipziger Jazztage hatten zum erstenmal Polen als Nationenschwerpunkt, berichtet Ulrich Olshausen. Ulla Fölsing meldet die beendete Restaurierung des klassizistischen Landhauses Baur in Altona. Mark Siemons schreibt zum Tod des chinesischen Schriftstellers Ba Jin. Martin Thoemmes stellt die drei katholischen Lübecker Jungpriester vor, die der Papst "wahrscheinlich" demnächst selig sprechen wird: Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange waren zusammen mit dem evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink 1943 wegen ihres Widerstands gegen die Nazis hingerichtet worden.

Auf der letzten Seite porträtiert Teresa Grenzmann den Holzbildhauer Christian Stückl, der die Münchner Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft inszeniert. Jennifer Wilton schreibt über den Frauenmangel in Ostdeutschland: "Bald, sagen Beobachter, werden sich hier zwei Männer um eine Frau balgen müssen." Und Christian Schwägerl war bei einem Auftritt des Physikers Stephen Hawking in Berlin.

Besprochen werden Robert Schwentkes Film "Flightplan", eine Retrospektive des Malers Max Bill im Kunstmuseum Stuttgart, Georg Friedrich Händels Opera seria "Orlando" am Aalto-Theater in Essen und Molieres "Tartuffe" in der Inszenierung von Robert Schuster am Deutschen Theater Berlin.

Im Aufmacher der Buchmessenbeilage bespricht Hubert Spiegel Kazuo Ishiguros "meisterhaften" Roman "Alles, was wir geben mussten". (Wir werten die Beilagen in den nächsten Tagen aus.)