Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.05.2006. Goethe zieht sich zurück, das Konfuzius-Institut kommt. Allerdings mit einem recht schmalen Etat, wie die Welt berichtet. Dass das katholische Radio Maryia Hörerspenden nicht in die Danziger Werft investiert, sondern lieber an der polnischen Börse verspielt, weiß die NZZ. Die taz lauscht John Cages e und e' in Halberstadt. Im Tagesspiegel findet Jürgen Gosch die sieben blutig-nackten Männer seiner "Macbeth"-Version nur natürlich. Caspar David Friedrich als Erneuerer lernt die SZ in einer epochalen Ausstellung in Essen kennen.

Welt, 05.05.2006

China richtet in Deutschland erste Konfuzius-Institute ein, mit denen es das Bild das Landes verbessern will. Sehr viel investieren will man allerdings nicht, berichtet Kirstin Wenk: "Das Angebot richtet sich vor allem an nicht-universitäre China-Interessierte, auch wenn die Programme in Kooperation der gastgebenden Hochschulen mit den chinesischen Partnern entstehen. So sendet die Peking University eine Lehrkraft nach Berlin. Auch Dozenten der Freien Universität unterrichten in Berlin-Dahlem. Zudem spendet das chinesische Bildungsministerium ein Startkapital von 80.000 Euro, nach drei Jahren soll sich das Institut durch Kursgebühren selbst tragen." Peter Dittmar erklärt in einem zweiten Artikel, mit wem wir es bei Konfuzius eigentlich zu tun haben.

Weitere Artikel: Eckhard Fuhr kommentiert den allmählichen Rückzug der Goethe-Institute aus Westeuropa. Stefan Keim berichtet vom Beginn der Ruhrfestspiele, die durch eine Londoner Inszenierung von Shakespeares "Richard II." mit Kevin Spacey eröffnet wurden. Roland Pawlitschko stellt ein Projekt des Werkbunds in München vor, der mit einem Entwurf des Japaners Kazunari Sakamoto an die Tradition der Werkbundsiedlungen anknüpfen will. Hanns-Georg Rodek interviewt J. J. Abrams, den Regisseur von "Mission: Impossible III". Besprochen werden die große Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in Essen, ein neues Album der französischen Band Phoenix und eine "Entführung" im Burgtheater.

Im Forum macht sich der französische Politologe Dominique Moisi Gedanken über das ökonomische Zurückbleiben Europas gegenüber China und Indien. Auf der Magazinseite porträtieren Julia und Rüdiger Sturm den Schauspieler Anthony Hopkins, der in seinem neuesten Film "Der Beweis" einen verrückten Mathematiker spielt.

NZZ, 05.05.2006

Auf der Medien- und Informatikseite berichtet "flü" von den Skandalen rund um das katholische Radio Maryja in Polen, das mit antisemitischen Essays und finanziellen Transaktionen sogar den Vatikan verärgert hat. "Anfang April hatte die einflussreiche, liberale Gazeta Wyborcza aufgedeckt, dass Spendengelder in der Höhe von bis zu 40 Millionen Franken, die das Radio für die angebliche Rettung der Danziger Werft, der Wiege der Gewerkschaft Solidarnosc, gesammelt hatte, zum Teil an der Börse verspielt, zum Teil in die Radiostation investiert worden sind. Die Werft selbst bekam vom Geld keinen Groschen. Laut der Zeitung investierte der Kassier von Radio Maryja, Pater Jan Krol, Millionen in Aktien einer polnischen Baufirma, die später Konkurs ging. Polens liberale Opposition forderte im Parlament umgehend die Einsetzung einer Untersuchungskommission, doch die Mehrheiten im Sejm werden diesem Vorhaben das Genick brechen."

Außerdem: Aufgrund technischer Schwierigkeiten wird das mobile Fernsehen via Handy wohl erst 2010 durchstarten, meint "liv". Mit einem Wettbewerb sucht Google den besten Programmierer Europas, informiert "S.B.". Eine Notiz besagt, dass Homosexuelle in Kamerun nun über die Zeitungen zwangsgeoutet werden.

Klaus Zehelein
, der scheidende Intendant der Staatsoper Stuttgart, erklärt im Feuilleton Marianne Zelger-Vogt, wie man eine Auslastung von 90 Prozent hinbekommt. "Es braucht die Häuser, die ihr Repertoire und ihr Ensemble pflegen - das gehört ja zusammen. So lange wir können, müssen wir daran festhalten, dass ein Haus vierhundert Jahre Operngeschichte mit ganz unterschiedlichen stilistischen Anforderungen darzustellen imstande ist. Dadurch erfährt man, wie reich das Musiktheater eigentlich ist... Als ich mein Amt übernahm, hatte ich schon ein bisschen Angst, dass das Publikum die Stars, die vorher hier aufgetreten waren, vermissen würde."

Weiteres: Einen resignierten und "trüben" Eindruck hat die Leitung des Goethe-Instituts bei der Sparmaßnahmen-Pressekonferenz auf Joachim Güntner gemacht. Die Schriftstellerin Ruth Schweikart erzählt vom WM-Finale 1974 auf dem Aarauerhof.

Besprochen werden eine Ausstellung zum Architekten und Pritzker-Preisträger Thom Mayne und seinem Architekturbüro Morphosis im Pariser Centre Pompidou sowie eine Aufführung von Alexander Zemlinskys "Lyrischer Symphonie" in der Zürcher Tonhalle.

TAZ, 05.05.2006

Margot Dannenberg kümmert sich in Halberstadt um die Aufführung des langsamsten Musikwerks der Welt. Es heißt "Organ2/ASLSP", wurde von John Cage komponiert und dauert seit 2003. Der letzte Ton soll in mehr als 630 Jahren verklingen. Und heute verklingen schon mal das e und das e'. Thomas Gerlach ist angereist: "Das wirklich Große kommt klein daher. Jesus kam auf einem Esel nach Jerusalem geritten, und der Klang, der die Jahrhunderte durchziehen wird, geht fernab der Konzertsäle aus der Klosterkirche St. Burchardi hervor; bald 800 Jahre steht es, die letzten zwei Jahrhunderte war es Brauhaus und Schweinestall. Kein hoch bezahlter Maestro besorgt hier das Konzert, sondern die 56-jährige ehemalige Sekretärin Margot Dannenberg aus Wegeleben bei Halberstadt. Sie trägt Pailletten auf dem T-Shirt und lässt beim Lachen ihren Goldzahn leuchten, er leuchtet oft."

Im Kulturteil wirft Eva Behrendt einen Blick auf das heute beginnende Berliner Theatertreffen. Jan-Hendrik Wulf berichtet von der vielbesuchten Pressekonferenz des Goethe-Instituts in Berlin. Und Daniel Bax kommentiert Reaktionen auf die jüngst vorgestellte spanische Version der amerikanischen Nationalhymne.

Und Tom.

Tagesspiegel, 05.05.2006

Heute Abend wird das Berliner Theatertreffen mit Jürgen Goschs Düsseldorfer "Macbeth"-Inszenierung eröffnet, die sieben nackte, blutige Männer bestreiten. Im Interview mit Peter von Becker weist der Regisseur jegliche Effekthascherei von sich. "Ich finde, dass der Schauspieler Ernst Stötzner mit seinem weißen Körper und langen graublonden, irgendwie Otto-Waalkes-haften Haaren als König Duncan, mit nichts bedeckt als einer goldenen Krone, einen großen Eindruck macht. Der ist schön wie aus einem Bild von David Hockney. In einer anderen Szene treten alle Sieben mit jungen Bäumen auf, die sie als Wald von Birnham vor Macbeths letzter Schlacht vor sich tragen. Eben das wäre unmöglich mit irgendwelchen Kostümen. In Hemd und Hose wären sie nicht so in der Natur gestanden. Die Selbstverständlichkeit der Nacktheit hat uns selbst überrascht. Da fragt man dann nicht mehr nach dem Grund. Wie bei einem Gemälde von Lucian Freud."

FR, 05.05.2006

Elke Buhr liebt die neue Platte der Red Hot Chili Peppers und die Muskeln der Band: "Die Besucher des kleinen Clubgigs in Hamburg zumindest, wo die Band kürzlich das neue Album vor 500 geladenen Gästen bewarb, zeigten sich äußerst beeindruckt von den tätowierten Flummis, die sich ihnen unter dem Namen Red Hot Chili Peppers vorstellten."

Harry Nutt beschäftigen die Verwerfungen im Goethe-Institut. Stefan Schickhaus unterhält sich mit der Chinesin Liu Sola über ihre Oper "Fantasy of the Red Queen", die heute in Frankfurt uraufgeführt wird. Martina Meister berichtet über die Absetzung von Peter Handkes Stück "Das Spiel vom Fragen oder Die Reise ins sonore Land" an der Comedie francaise, die in Frankreich zu neuen Diskussionen über Handkes proserbisches Engagement führte. Stefan Keim besuchte erste Ereignisse der Ruhrfestspiele. In der Kolumne Times mager kommentiert Ursula März das Ende des Berliner "Goya"-Clubs.

SZ, 05.05.2006

Holger Liebs hat sich die große Caspar David Friedrich-Ausstellung in Essen angeschaut und gibt folgende Einschätzung: "Man hat den Maler der Gebirgskreuze, melancholischen Uferszenerien und des kalt starrenden 'Eismeers' als unrettbaren Mystiker diffamiert, zum Patrioten und Vorläufer nationalsozialistischer Volkskunst erklärt, nicht zuletzt auch als bloßen Illustrator philosophischer Ideen des 'Erhabenen' gesehen. Die epochale Ausstellung im Essener Museum Folkwang will Friedrich dagegen vor allem als radikalen Erneuerer der Bildkonstruktion darstellen, der seine seltsam erzählungsfreien, aller Staffage entleerten Landschaften 'gebaut' hat wie ein Architekt."

Weitere Artikel: Jeanne Rubner stellt das erste deutsch-französische Geschichtsbuch vor, ein Lehrbuch für die Abiturklassen, das für beide Länder identisch ist. Stefan Koldehoff kommentiert fantastische Auktionsergebnisse für Picasso und andere Künstler bei Versteigerungen in New York. Günter Beyer verfolgte ein Symposion zum 100. Geburtstag des Politologen Wolfgang Abendroth. Helmut Böttiger berichtet von einer Pressekonferenz des Goethe-Instituts, das vor allem die Arbeit in Westeuropa neu definieren will. Martin Köhl macht auf den Tenor Thomas Mohr aufmerksam, der in Erfurt einen mehr als überzeugenden Parsifal gesungen habe. Auf der Literaturseite berichtet der Verleger Christoph Buchwald über Reichtum und Krise des niederländischen Buchmarkts.

Eine ganze Seite ist der Münchner Musiktheater-Biennale gewidmet. "Es macht einfach Spaß, sich auf verrückte Klanggebilde einzulassen, unerhörten Langsamkeiten nachzuspüren, dem Unvertrauten zu begegnen", freut sich Reinhard J. Brembeck im Eröffnungsartikel. Wolfgang Schreiber stellt den italienischen Komponisten Aureliano Cattaneo vor. Egbert Tholl interviewt den Komponisten Christoph Staude zu seiner Oper "Wir" nach einem Roman von Jewgenij Samjatin. Reinhard Schulz bespricht die Kammeroper "Gramma" von Jose M. Sanchez-Verdu.

Besprochen werden außerdem Bücher, darunter Jürgen Müllers Studie "Deutscher Bund und deutsche Nation 1848-1866".

Auf der Medienseite stellt Hans-Jürgen Jakobs mögliche Käufer der Pro 7-Sendergruppe vor. Und Peter Burghardt gratuliert der spanischen Zeitung El Pais zum Dreißigsten. Auf der renommierten Seite 3 erklärt Achim Zons, warum es stimmig ist, dass der Fernsehkomiker Olli Dittrich "jetzt mit einer Country-Band Deutschland beim Schlager-Grand-Prix vertritt".

Berliner Zeitung, 05.05.2006

Der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz schildert die Geschichte der Psychoanalyse in der DDR als Abbild gesellschaftlicher Umstände. "Anfangs sollten Methoden dominieren, die die Rationalität des Menschen betonen ('rationale Psychotherapie' nach Müller-Hegemann), dann Methoden der Konfliktvermeidung, der Entspannung und suggestiven Beeinflussung (wie Autogenes Training und Hypnose). Später auch konfliktdämpfende Gesprächs- und Beratungsformen. Ende der 60er-Jahre - als Ausläufer der 68er Bewegung in Westeuropa und vor allem des Prager Frühlings - begann der Kampf um eine emanzipatorische Psychotherapie. Er ging im wesentlichen von praktizierenden Psychotherapeuten aus. Es war eindeutig eine Bewegung von unten."

FAZ, 05.05.2006

In mühsam-humoriger Herablassung mokiert sich Patrick Bahners über eine Leitkulturdebatte im Bonner Haus der Geschichte, an der unter anderem Volker Kauder ("Ein Kurs im Stillsitzen gehört nun wirklich in den Kindergarten") und Renate Künast ("Man muss Geduld mit Renate haben, die Kleine ist etwas übermotiviert.") teilnahmen. Rose-Maria Gropp bezweifelt, dass Sigmund Freud ohne Frauen die Psychoanalyse erfunden hätte. Eduard Beaucamp kritisiert die privaten Kunstsammler in Deutschland, deren "konfektionierte Marktprodukte" zu einer Niveausenkung in den Museen führten, und stellt ihnen eine "Charakterfigur" wie den Briten Sir Denis Mahon gegenüber, der "nicht eigennützigem Nachruhm, sondern der gezielten Verfassung der Museen" zuarbeite. Mehr als zwanzig Uraufführungen stehen auf dem Programm der 38. Wittener Tage für neue Kammermusik, meldet Aro.

Auf der Medienseite berichtet Gina Thomas von einem Benefizspiel zum 40. Jahrestag des WM-Finales von 1966. Die Deutschen gewannen 4:2 - und natürlich kam man auch diesmal nicht aus ohne John Cleeses Formel: "Don't mention the war".

Auf der letzten Seite stellt Jürgen Kaube eine neue Variante von Hans Magnus Enzensbergers Poesie-Automaten vor: Hier kann man Gedichte zur WM texten lassen. Kostprobe: "Roberto Baggio - scharmünzelt daneben! Meinetwegen. Die Pinguine kümmern sich nicht um diese Mannschaft. Der Schiedsrichter ist ohne Zweifel eingeschlafen. Eine Milliarde Menschen ärgert sich meist in der VIP-Lounge. Ganz Brasilien staunt: Endlich!" Heinrich Wefing verkündet das Ergebnis der "sehr kontroversen Diskussionen" über die Schließung von Goethe-Instituten in Westeuropa zugunsten neuer Häuser in China, Indien und der arabischen Welt: Es wurde "kein Beschluss" gefasst, verkündete Jutta Limbach. Adriana Altaras erzählt im Interview von Ad de Bonts Fußballstück "Garuma", das sie inszeniert hat: "Der Fußball wird als Autorität in der ganzen Welt akzeptiert, aber nicht unbedingt der einzelne Protagonist - wenn einer versagt, so die Zuschauer, soll eben der nächste sein Glück probieren. Nicht anders ist es bei Trainern, Intendanten, Managern: Wer die Macht haben will, muss sie handhaben können."

Besprochen werden die große Caspar-David-Friedrich-Werkschau im Essener Folkwang Museum, Gavin Hoods oskarprämierter Film "Tsotsi", Karin Beiers Inszenierung der "Entführung aus dem Serail" im Burgtheater und Bücher, darunter Thomas Hüetlins "Gute Freunde", eine "wahre Geschichte des FC Bayern München" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).