Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.06.2006. In der Berliner Zeitung erklärt Professor Rosa von Praunheim, warum er seine Studenten so gern ins Gefängnis steckt. Die Welt erinnert an den Berliner Mäzen James Simon. Die NZZ kann Busta Rhymes zwar immer noch nicht leiden, findet seine neue CD aber großartig. Die taz meldet: Bei Liberation rollt ein historischer Kopf, nämlich der von Serge July. Die anderen Zeitungen feiern Fronleichnam.

Berliner Zeitung, 15.06.2006

Seit sechs Jahren ist Rosa von Praunheim Professor an der Filmhochschule Babelsberg. Nun offenbart er seine pädagogischen Methoden: "Meine erste Regieklasse schickte ich mit Hilfe des Fernsehsenders Arte nach Hollywood, wo die Gruppe neun wunderbare Kurzfilme machte. Im vergangenen Herbst ließ ich meine verwöhnten Studenten in die ärmste Stadt der Welt reisen, nach Kalkutta: mit großartigen Ergebnissen. Dann steckte ich meine neuen Studenten in einen leerstehenden Knast in Neustrelitz. Jeder bekam eine eigene Zelle und musste in totaler Isolation mit nur einem Schauspieler einen Film erfinden. Ich bewachte die Arbeiten auf dem Gefängnisgang und schaute ab und zu durch die Essensklappen nach dem Rechten."

Auf der Medienseite meldet Johannes Wetzel, dass der journalistische Dinosaurier Serge July die von ihm gegründete Zeitung Liberation verlässt - auf Wunsch des neuen Herausgebers Edouard de Rothschild.

Welt, 15.06.2006

Iris Alanyali greift in die Debatte um Feridun Zaimoglus Roman "Leyla" ein und mag an bewusste Plagiate in der Migrantenliteratur nicht glauben. Übereinstimmungen erklären sich vielmehr aus dem biografischen Hintergrund der Autoren, meint sie: "Wir sind Hobby-Türken. Wir sind, aus Trotz und aus immer stärkerem Interesse an unserer Herkunft, zu bewussten Türken geworden - und gemacht worden. Also erzählen wir davon. Und erfahren, wie ähnlich wir uns sind."

Berthold Seewald erinnert an den Berliner Textilindustriellen und Mäzen James Simon, dem die Stadt unter anderem die Büste der Nofretete verdankt: "Es geht bei James Simon nicht nur um mäzenatisches, sondern auch und vor allem um soziales Engagement. Jahr für Jahr stiftete er, der 1911 an sechster Stelle der Berliner Millionärsliste geführt wurde, ein Drittel seines Einkommens der Armenhilfe. Damit war er nicht nur ein Förderer, sondern ist auch ein Vorbild, gerade in unseren Zeiten." Morgen wird eine Bronzetafel zur Erinnerung an Simon eingeweiht.

Weitere Artikel: Thomas Brussig denkt in seiner heutigen WM-Kolumne über den Nutzen von Fans nach. Besprochen werden der Film "Malen oder Lieben" mit Daniel Auteil und Sabine Azema und der Thriller "The Sentinel" mit Michael Douglas als Bodyguard der First Lady. Gemeldet wird, dass das Erscheinen der Zeitschrift Der Freund, die ohne den Springer Verlag nicht hätte existieren können, planmäßig eingestellt wird.

Auf der Medienseite berichtet Manfred Quiring, dass der Kreml mit einer Druckerei-Holding den zentralstaatlichen Zugriff auf die Medien weiter forcieren will. Christian Seel meldet, dass der kritische Sportreporter Hajo Seppelt bei der ARD kaltgestellt wird. Und für die Magazinseite besucht Hilmar Poganatz die Retortenstadt Astana, mit der der autoritär regierende kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew die Größe seiner Person gebührend würdigen lässt.

NZZ, 15.06.2006

Jonathan Fischer kann den Rapper Busta Rhymes zwar immer noch nicht leiden, aber sein neues Album "The Big Bang" findet er großartig: "Wegen Dr. Dres genialen Funk-Minimalismen. Wegen der adrenalingetränkten Old-School-Beats von Erick Sermon oder J. Dilla. Wegen Soul-Nummern wie 'Been Through The Storm' und 'The Ghetto', in denen Stevie Wonder und Rick James weit mehr als nur die obligatorische Gesangsbeilage beisteuern. Vielleicht sollte sich Busta Rhymes öfter mal an seine Kindheitsidole erinnern: So überzeugend wie auf 'New York S***' oder 'You Can't Hold The Torch' klang er jedenfalls schon lange nicht mehr."

Weiteres: Der serbische Schriftsteller Bora Cosic bekennt, dass er als kleiner Junge keinerlei Sport trieb, nicht einmal Rad fahren hat er gelernt, und dass seine Fußballbegeisterung auch schon lange nachgelassen hat. Joachim Güntner begrüßt das neue Internet-Portal des Marbacher Literaturarchivs, das heute online geht. Besprochen werden eine Ausstellung zu Rembrandts Schaffenskrise nach der "Nachtwache" im Amsterdamer Rembrandt-Huis und Ernst Augustins Romane in neuer Ausgabe.

TAZ, 15.06.2006

Bei Liberation rollt ein historischer Kopf", schreibt Dorothea Hahn auf der Medienseite. "Serge July - Mitgründer und seit 33 Jahren ununterbrochen journalistischer Chef des Blattes. Rausgeschmissen hat ihn ausgerechnet jener Mann, den er selbst im vergangenen Jahr wegen 20 Millionen Euro geholt und zum Hauptaktionär von Liberation gemacht hat. 'Edouard de Rothschild hat mich gebeten zu gehen', erklärte July am Dienstag vor einem eisig schweigenden Redaktionskomitee. July fügte hinzu, er hoffe, dass sein Abgang sowie der seines letzten Managers den Weg für die dringend nötige weitere Aufstockung des Kapitals öffne. Seither herrscht Katastrophenstimmung in den Redaktionsräumen am Pariser Place de la Republique."

"Wir erleben, wie der islamische Radikalismus und die säkulare Autokratie allmählich etwas Neuem und Demokratischerem Platz machen," verteidigt auf der Meinungseite der amerikanische Historiker Victor Davis Hanson George Bushs National Security Strategy ('Bush-Doktrin') von 2002, nach der Freiheit und Demokratie im Nahen und Mittleren Ostens gefördert werden sollen, wenn nötig auch mit präventiven Militärschlägen: "Die USA sind der Hauptkatalysator dieses volatilen, gleichwohl lange überfälligen Umbruchs. Sie haben das Risiko fast völlig allein auf sich genommen; der Lohn ist eine stabilere Welt für alle. Man macht gern viel Aufhebens von dem weltweiten Antiamerikanismus und dem Hass auf George W. Bush. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass dieser Furor hauptsächlich auf Westeuropa, den autokratischen Nahen Osten und unsere eigenen intellektuellen Eliten beschränkt ist." (Der Originalbeitrag erschien im November 2005 in der US-Zeitschrift 'Commentary')

Besprochen werden die große Schau "Berlin-Tokyo" in der Berliner Neuen Nationalgalerie, (die sich mit den Wechselwirkungen zwischen japanischer und deutscher Kunst befasst, und die Henrike Thomsen trotz einiger herausragender Arbeiten insgesamt enttäuschend fand), Jörg Kobels Dokumentarfilm "Kippenberger - Der Film" über den Künstler Martin Kippenberger, Clemens Klopfensteins Film "Geschichte der Nacht" von 1979, der jetzt auf DVD erschienen ist, Paul Weitz' subversive Komödie "American Dreamz".

Und Tom.