Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.07.2006. In der SZ wundert sich Sonja Margolina darüber, wie die Deutschen einwanderungswillige Ausländer behandeln. In der taz spricht Bahman Nirumand mit dem iranischen Dissidenten Akbar Gandschi über seine Zeit im Gefängnis und die Chancen für die Demokratie im Iran. Die Welt fragt, wie lange Suhrkamp diesen literarischen Aderlass und die fortdauernde Erfolglosigkeit überstehen kann. In der FR blickt Doron Rabinovici frustriert auf den neuen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.

Welt, 03.07.2006

Erst gingen die Lektoren, dann die Autoren und nun der Geschäftsführer Rainer Weiss: Für Uwe Wittstock und Elmar Krekeler spitzt sich die Krise beim Suhrkamp Verlag besorgniserregend zu: "Man muss sich inzwischen fragen, wie lange Suhrkamp diesen literarischen Aderlass und die fortdauernde Erfolglosigkeit überstehen kann."

Wolf Oschlies weist auf ein Interview hin, dass Peter Handke der Zagreber Wochenzeitung Globus gab und in dem er einen neuen Roman ankündigt, zu dem ihn der "tragische" Milosevic inspiriert habe: "Darum war ich auch auf Wunsch seiner Familie beim Begräbnis in Pozarevac, um die Atmosphäre des Ortes aufzunehmen, wo er geboren wurde und lebte".

Weiteres: Nach all den verpatzten Elfmetern der Schweizer und Engländer stellt Thomas Brussig in seiner WM-Kolumne fest: "Man kann zwar Klavierstücke, Schönschrift, Anfahren am Berg und den gehockten Auerbach üben - aber nicht Elfmeter." Sven Felix Kellerhoff kündigt die erste Ausstellung des Bundes der Vertreibungen in Berlin an. Und Gerhard Midding erinnert an den Regisseur Anthony Mann ("El Cid"), der vor hundert Jahren geboren wurde. Zum Tod von Robert Gernhardt druckt die Welt einen Text von ihm aus dem Sammelband "Ich wollte mein Leben zurück", in dem Prominente von ihrer Krebserkrankung berichten: "Todesangst hatte ich nie. Ich litt nicht am Krebs, nur hin und wieder unter der Therapie."

NZZ, 03.07.2006

Urs Schoettli, NZZ-China-Korrespondent, knüpft in einem längeren Essay einige Hoffnung für die demokratischen Reformen Chinas an eine Wiederbelebung des Konfuzianismus. Marie Theres Fögen, Ordinaria für römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung in Zürich, bedauert die Abschaffung der Lehre des Römischen Rechts an ihrer Uni. Roman Bucheli resümiert das Literaturfestival in Leukerbad. Besprochen werden eine Ausstellung über Christian Kerez im Schweizerischen Architekturmuseum Basel und Konzerte des Open Air St. Gallen.
Stichwörter: Basel, Konfuzianismus

TAZ, 03.07.2006

Auf den Tagesthemenseiten spricht Bahman Nirumand mit dem iranischen Dissidenten Akbar Gandschi, der vor kurzem aus einer sechsjährigen Gefängnishaft entlassen wurde: "In der Einzelhaft hatte ich nur mich und meine Gedanken, es gab keine Bücher, kein Radio, kein Fernsehen. Ich war völlig isoliert in einem engen Raum. Meine Gedanken drehten sich natürlich um die Probleme meines Landes, um meine Familie und meine Freunde. Mich beschäftigte zum Beispiel die Frage, warum unser Land immer von Diktaturen beherrscht wurde. Schauen Sie, wir Intellektuellen haben immer das Volk glorifiziert und die Schuld dem herrschenden System gegeben. Doch ich denke, jedes politische System passt irgendwie zu dem Volk, das es regiert. Folglich müssen auch Diktaturen, die uns beherrscht haben, in Zusammenhang mit unserer Kultur und unserer Geschichte gesehen werden. Wenn wir also Demokratie wollen, müssen wir uns nicht nur mit dem Staat, sondern auch mit dem Volk auseinander setzen."

Cord Riechelmann fragt sich, warum in Zeiten der Geflügelpest (wegen der beinahe die WM abgesagt worden wäre), kein Tier so bemitleidet wurde wie Braunbär Bruno. Und kommt zu dem Schluss: "Ein Unterschied zwischen Bären und Geflügel ist nämlich schlicht, dass sich Bären wegen ihrer biologischen Einzelgängerdisposition nie zur industriellen Fleischproduktion eignen werden. Insofern ist es billig und für das derzeit weltweit konkurrenzlos agierende System der Warenproduktion völlig gleichgültig, wenn an den großen Landraubtieren Tierschutzziele eingeklagt werden."

Weitere Artikel: Dorothee Wenner erzählt vom Film "Rang de Basanti", der Bollywood und Autorenfilm vereint. In einer Kolumne zu "Leitkultur, angst, etc" versucht Tobias Rapp noch immer nachzuvollziehen, wie Dirigent Christian Thielemann in einem Zeit-Interview in zwei Sätzen vom deutschen Klang über Goethe zu den 68er kommt, die ihm das Wort "Negerkuss" verbieten wollen. Susanne Messmer berichtet aus Peking von ihrer Dolmetscherin, die mit fünfundzwanzig endlich erwachsen werden und ihr zweites Studium abschließen will. Und auf der Meinungsseite untersucht Daniel Bax die Frage, wie wir von der Liebe unserer Migranten zur deutschen Nationalmannschaft lernen können.

Und noch Tom.

SZ, 03.07.2006

Deutschland ein Einwandererland? Sonja Margolina mag es nicht fassen, dass keine aktive Einwanderungspolitik geführt wird und dass integrationswillige Migranten in Wohnheime gesteckt werden - bis zur Abschiebung: "Fälle, in denen begabte und voll integrierte Jugendliche in das Land ihrer Herkunft abgeschoben werden, erregen ab und zu Aufsehen. Die meisten Dramen spielen sich jedoch abseits der Öffentlichkeit ab. Dieser absurde Verschleiß an Humankapital in der alternden Gesellschaft, die unter dem Mangel der öffentlichen Mittel ächzt, trifft ein Land wie Deutschland ins Mark, weil es vor allem attraktiv für die geworden ist, die gerne Sozial- und Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Es gibt kein Einwanderungsland, das die Menschen aus aller Herren Länder aufnimmt, um sie nicht arbeiten zu lassen."

Weitere Artikel: Im Aufmacher meditiert Tomas Avenarius über die Spirale der Gewalt im Gaza-Streifen. Anke Sterneborg unterhält sich mit Bruce Willis und Produzent Jeffrey Katzenberg über ihren Film "Ab durch die Hecke". Antje Weber berichtet von einem Treffen spanischer Kinderbuchlektoren mit deutschen Verlegern in München, bei dem auch manche Lizenzen für deutsche Kinderbücher verkauft wurden. Juliane Matthey besucht den Limes, der in dieser Woche als Weltkulturerbe gefeiert wird. Stefan Koldehoff erzählt die Geschichte des psychisch kranken Kunstattentäters Hans-Joachim Bohlmann, der trotz internationaler Fahndung gerade wieder in Amsterdam ein Bild beschädigte.

Besprochen werden einige alte deutsche Fußballfilme auf DVD, ein Konzert mit Esa-Pekka Salonen und Frank Peter Zimmermann in München, Eugene d'Alberts Oper "Tiefland" in Zürich, der Film "Schiffe aus Wassermelonen" des türkischen Regisseurs Ahmet Uculay.

Berliner Zeitung, 03.07.2006

Ein Autor namens Spider erzählt die Geschichte eines Kinderlosen, der bei einer kurzen Liebesaffäre einen Fehler macht - er benutzt ein Kondom: "Früher hätte man sich nach solch einer Gelegenheit alle zehn Finger geleckt. Der perfekte One-Night-Stand. Mit Kondom. Das wäre damals perfekt gewesen. Damals, als sie noch nicht angekündigt hatten, Kinderlosen die Rente zu kürzen."

Und Gerd Koenen bespricht zwei Neuerscheinungen über Fidel Castro.
Stichwörter: Castro, Fidel, Koenen, Gerd, Rente

FR, 03.07.2006

Der Wiener Schriftsteller Doron Rabinovici blickt frustriert auf den Nahen Osten, wo sich die Lage wieder einmal zuspitzt: "Womöglich bleibt nur die Hoffnung, die Verschärfung könnte ein Umdenken bewirken, könnte in Gaza verdeutlichen, dass sich Angriffe auf Israel nicht auszahlen, und in Israel in Erinnerung rufen, dass ein unilateraler Rückzug einen Friedensprozess nicht ersetzen kann. Vielleicht wird beiderseits wieder klarer, dass allein die Teilung des Landes in zwei Staaten eine Lösung des Konflikts verspricht."

Weiteres: In Times mager glossiert Harry Nutt den neuen Willen zum Weitermachen. Besprochen werden Marco Goeckes erste Choreografie für das Stuttgarter Staatsballett, die Schau "Berlin-Tokyo" in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die Ausstellung "Die Sache will's" in der Frankfurter Galerie Bärbel Grässlin.

FAZ, 03.07.2006

Der Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel wundert sich in einer Vorwegnahme seines Vortrags für die Mainzer Poetik-Dozentur über die in jüngster Zeit oft gestellte Frage nach dem Autobiografischen in der Literatur. "Sie setzt voraus, dass ich über eine eigene, längst in meinem Inneren ausformulierte Lebenserzählung verfüge, auf die ich je nach Bedarf zurückgreifen kann. Dem ist aber nicht so. Darum neige ich dazu, auch bei offensichtlichen Übereinstimmungen von Literatur und Leben beziehungsweise Autor und Romanfigur in meinen Büchern nichts Autobiografisches entdecken zu können. Was damit zusammenhängt, dass ich auch in mir selbst nichts Autobiografisches entdecke."

Weitere Artikel: Zu lesen ist eine gekürzte Fassung von Kathrin Passigs Text "Sie befinden sich hier" (hier der ganze Text), mit dem die Übersetzerin und Journalistin vor einer Woche den Bachmann-Wettbewerb gewann. Kerstin Holm informiert, dass sich Korruption unter russischen Beamten in den vergangenen fünf Jahren verzehnfacht hat. Jürg Altwegg erfährt aus Schweizer Zeitschriften mehr über den Kalten Krieg. Martin Vogel vermisst in der Selbstdarstellung des Deutschen Patentamts die Erwähnung der nach 1933 vertriebenen Patenthalter. Andreas Rossmann wohnt der Entweihung der von Gottfried Böhm entworfenen Kirche St. Ursula in Kalscheuren bei (Wikipedia).

Im Medienteil kolportiert Michael Hanfeld, dass die Einschaltquoten der Fußball-WM wahrscheinlich beträchtlich höher liegen, als es die Gfk misst. Amerikas Zeitungen wehren sich gegen den Vorwurf des Geheimnisverrats, berichtet Jordan Mejias.

Auf der letzten Seite stellt Wiebke Hüster die weltweit einzige Tanzkompagnie für über vierzigjährige Tänzer vor, die nach fünfzehn Jahren in Den Haag nun aufgelöst wird. Javier Marias (mehr) ist nun Mitglied der Königlichen Spanischen Akademie, meldet Paul Ingendaay. Dieter Bartetzko missfällt der Zustand der Konstanzer Doms.

Besprochen werden eine Ausstellung über die Geschichte der Souvenirs im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst und dem für Kommunikation, Jonathan Kents Inszenierung von Puccinis "Tosca" am Covent Garden, die Franco Zeffirellis langgespielten Klassiker aus den Sechzigern ersetzt, eine Ausstellung über "Bayerns Krone 1806" in der Residenz München, Henner Wincklers Film "Lucy", und Bücher, darunter Pietra Rivolis "Reisebericht eines T-Shirts" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

In der FAS hält Harald Staun das Autorenkollektiv ZIA, dem die Bachmann-Gewinnerin Kathrin Passig angehört, für mehr als einen Scherz. "All jene aber, die dachten, dass die deutschen Großverlage für ewige Zeiten das Monopol auf die Produktion von Nachwuchsliteratur besitzen; all jene, denen die ZIA-Agenten mit ihren T-Shirts vorkommen wie ein Flashmob, wie eine Invasion aus einem Paralleluniversum, die sollten dann doch gelegentlich ihre pauschalen Dünkel gegen eine Literatur überdenken, die woanders entsteht als in stillen Kämmerlein. Man kann die Ironie der ZIA zwar albern finden, aber man darf sich nicht von ihr täuschen lassen: Sie ist nur der Schutzschild, hinter (und an) dem eine neue Generation von Autoren sehr ernsthaft arbeitet."