19.07.2006. Im Tagesspiegel findet Michel Friedman die Antwort der Israelis auf die Angriffe der Hisbollah verhältnismäßig. In der FAZ stimmt Amos Oz ihm zu. In der FR fürchtet der Militärhistoriker Martin van Creveld, die Israelis könnten zu wenig Gewalt anwenden. Die taz beschreibt den lässigen Umgang chinesischer Filmemacher mit der Zensur. Die NZZ stellt uns ihre zirkadiane Uhr vor.
Tagesspiegel, 19.07.2006
Der
Raketenbeschuss Israels durch die Hisbollah ist eine Kriegserklärung,
schreibt Michel Friedman auf der Meinungsseite. "Ich finde, die Reaktion Israels, die Zerstörung von Infrastrukturen durchzuführen, ist eine
verhältnismäßige Antwort auf diese Aggression. Israel vermeidet es, soweit es geht, die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zu ziehen. Anders als die Hisbollah-Terroristen, die bewusst Zivilisten töten, lässt sich Israel in dieser Beziehung nichts vorwerfen. Dass trotzdem Zivilisten ums Leben kommen, ist zutiefst traurig und zu bedauern. Aber ist es nicht die Hisbollah, die sich hinter dem
Schutzschild von Frauen und Kindern versteckt und die damit billigend in Kauf nimmt, dass diese verletzt werden, wenn in Wirklichkeit sie gemeint ist?"
Gerade hatte Kulturstaatsminister
Bernd Neumann einen
180-Millionen-Zuschuss für den deutschen Film verkündet. Jetzt konnte er der Berliner Staatsoper
50 Millionen Euro für die Sanierung ihres maroden Hauses zusichern. Wenn man mal genau hinguckt, macht sich der oft als farblos kritisierte Kulturstaatsminister ziemlich gut in seinem Amt,
meint Christiane Peitz. "Neumanns biedere, unverblümte Art mag bei den
Künstlern anecken. Aber einem Schöngeist wäre es kaum gelungen, dem Finanzminister so schnell so viele Millionen zu entlocken. Stolz zieht der Bremer Bilanz: 'Für 2007 ist eine
Steigerung der Kulturausgaben des Bundes um
3,4 Prozent geplant. Auch im laufenden Jahr haben wir eine reale Steigerung des Kulturhaushalts.' In Zahlen sind das
1,0675 Milliarden Euro. Und auf die Frage, wie ihm das gelingen konnte, meint er nur: 'Peer Steinbrück hat ein offenes Ohr für die Kultur, schon in NRW hat er sich intensiv auch für kulturelle Angelegenheiten eingesetzt.' Einer wie Neumann kann
den Haushältern sogar Kultur verkaufen: Was seinem Image in der Szene schadet, nützt ungemein, wenn es um ihre Förderung geht."
FR, 19.07.2006
Der israelische Militärhistoriker
Martin van Creveld findet die gegenwärtigen Schläge
Israels gegen die Hisbollah im Libanon "
keineswegs überzogen". "Was auch immer die Damen und Herren in Brüssel sagen werden, das Problem im Libanon ist nicht Israels 'überzogener' Einsatz von Gewalt. Im Gegenteil, das eigentliche Problem könnte Israels extreme Abneigung sein, ein
ausreichend hohes Maß an Gewalt einzusetzen, um dieses Angelegenheit ein für allemal zu lösen. Ein Grund für diese Abneigung mag in der gut begründeten Angst liegen, dafür international verurteilt zu werden."
In einem Interview
erklärt der Sportwissenschaftler
Thomas Alkemeyer, warum man
Breker zeigen dürfe und solle und warum er "
nicht Pop" werden könne. "Wahrscheinlich hat die Riefenstahl'sche Ästhetik sehr viel mehr Bezüge zur Pop-Ästhetik als die Bildhauerkunst. Die Schnitte beim Film, der Wechsel von Ober- und Untersicht, die Techniken der Verlangsamung und Beschleunigung - daraus lassen sich Linien bis zur modernen Videoästhetik ziehen. Das geht den Breker-Statuen eher ab."
Weitere Artikel: Anne Lehmhöfer
erzählt von der Geburtsstunde des Verlags
Brandes & Apsel, der in diesem Jahr sein
zwanzigjähriges Bestehen feiert. In Times mager
räsoniert Judith von Sternburg über den Versuch englischer Schulen, per
Spiegel- und Ringverboten die Ablenkung vom Unterricht zu unterbinden.
Ina Hartwig
beschäftigt sich mit der neuen "
katholischen Mode" in der deutschen Literatur ("Protestantismus gilt als unhip, Katholizismus als heiß") und bespricht in diesem Zusammenhang unter anderem die Aufsatzsammlung "Schöne Literatur" von
Martin Mosebach, einem der "konsequentesten, auch raffiniertesten Protagonisten der fraglichen Welle". Besprochen werden außerdem
Neuübersetzungen von
Claude Simons Roman "Der Palast" und
Julien Greens frühen
Erzählungen "Fremdling auf Erden" (mehr dazu in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr.)
TAZ, 19.07.2006
Susanne Messmer
berichtet über die
chinesische Filmszene und ihren Umgang mit den zunehmend durchlässiger und pragmatischer werdenden
Zensurbehörden. Galt vor wenigen Jahren noch die Auffassung, dass "die Zensur ein Stein im Fluss sei und der Film das Wasser, das seinen Weg findet", beginne man nun, miteinander zu kommunizieren. "Fragt man in Chinas Filmszene nur ein wenig herum, gewinnt man schnell den Eindruck, dass sich heute niemand mehr über die Zensur erbost, weil sie die Wahrheit beschneidet oder
Gewalt,
Sex und Kritik auf der Leinwand auch nur ansatzweise verbieten könnte. Heute ärgert man sich nur noch über die Zensur, wenn sie die Entwicklung
der chinesischen
Filmindustrie behindert. Wenn ein Film aus dem Westen verboten wird, ist man sogar belustigt."
Weitere Artikel: Hortense Pisano
resümiert die fünftägige, von der Schirn Kunsthalle und der Messe Frankfurt organisierte Veranstaltung
"Kulturzone 06". Dort referierten und diskutierten 120 Wissenschaftler, Literaten, Publizisten, Künstler, Designer und andere Kulturschaffende über verschiedene Perspektiven des
zerfallenden Begriffs von Kultur und näherten sich diesem Unterfangen laut Reporterin mit "Appetithäppchen". Alexander Leopold
würdigt in einem
Nachruf den Hard-Boiled-Krimi-Autor und Mike-Hammer-Erfinder
Mickey Spillane. Und in
tazzwei informiert Jochen Schönmann über die
Popakademie Mannheim, in der fast ausnahmslos Gastredner - etwa Xavier Naidoo und Smudo - Vorlesungen halten, die aus der Szene kommen. Auf der
Medienseite annonciert Hannah Pilarczyk weitere Sparmaßnahmen bei der
FR, die inzwischen an den Dumont-Schauberg-Konzern verkauft wurde.
Auf
Seite 1 ruft der israelische Autor
Uri Avnery Israel zu Verhandlungen auf: "Am Ende kann eine Lösung nur im Einvernehmen mit den Schiiten und indirekt mit
Syrien und Iran zustande kommen. "
Schließlich
Tom.
Welt, 19.07.2006
Reinhard Wengierek
erzählt die Geschichte des "
Jedermann"-Spektakels in Salzburg. Wieland Freund
diskutiert nochmals die Frage, ob man
Kathrin Passigs Gewinnertext in Klagenfurt als Literatur oder nur als
Literaturattrappe betrachten darf. Sven Felix Kellerhoff
kommt auf das Leben des
Arno Breker zurück, dem demnächst die erste Ausstellung seit 1945 gewidmet wird. Hendrik Werner
schreibt den Nachruf auf den Krimiautor
Mickey Spillane. Manuel Brug
würdigt das Engagement
Placido Domingos für die
Zarzuela, die spanische Form der Operette. Ulrich Baron
berichtet, dass der
Hoffmann und Campe-Verlag den Verlust der Rechte am
Guinness-Buch der Rekorde durch eine deutsche Ausgabe von "
Ripley's - Einfach unglaublich" (mehr
hier) kompensieren will.
Auf der
Medienseite berichtet Gerti Schön, dass die
New York Times Personal abbauen, ihr Format verkleinern und ihr Angebot ausdünnen will. Auf der
Forumsseite porträtiert Norbert Jessen den Hisbollah-Führer Sayed Hassan Nasr-Allah.
NZZ, 19.07.2006
Der Biochemie-Professor
Gottfried Schatz stellt uns für die Reihe "Lebensfragen" seine verschiedenen
Körperuhren vor: "Die
zirkadiane Uhr meiner Zellen birgt noch viele Geheimnisse, doch diese verblassen gegenüber denen meiner irreversiblen
Stundenglas-Uhr. Meine Zellen können sich sowohl in meinem Körper als auch im Reagenzglas nur fünfzig- bis hundertmal teilen. Wer zählt diese Teilungen? Sind es meine
Chromosomenfäden, die bei jeder Zellteilung kürzer werden?"
Weitere Artikel: Eine einzige überzeugende Arbeit
hat Marc Zitzmann beim Festival in
Avignon gesehen,
Josef Nadjs Choreografie "Asobu". Der Rest war Mittelmaß. Hubertus Adam schreibt zum Tod des Architekten
Kazuo Shinohara.
Besprochen werden die Malereiausstellung "
Borrowed Images" in der Münchner
Sammlung Goetz und Bücher, darunter Indrek Jürjos
Biografie des livländischen Gelehrten und Aufklärers
August Wilhelm Hupel und zwei Bücher über die nationale Befindlichkeit der Deutschen:
Richard Wagners "Der deutsche Horizont" und
Matthias Matusseks "Wir Deutschen", denen Manfred Koch eine
sehr schöne Besprechung widmet (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
SZ, 19.07.2006
Anlässlich der Meldung über einen irakischen
Selbstmordattentäter, der vor Zündung des Sprengsatzes in einem Cafe zuerst noch ein
Glas Wasser trank, denkt Christopher Schmidt darüber nach, wie ein Attentäter
durch ein "
störendes Detail" zum Menschen wird. "Wann hätte es je
ein Glas Wasser in die Topnews geschafft? Noch bemerkenswerter als der Vorgang selbst ist, dass er die endlose Prozession unbekannter Gewalttäter, die wie Gespenster unsichtbar unter den Zivilisationskrusten rumoren, gebannt in die Statistik und den abstumpfenden Rhythmus der Wiederholung,
für einen
hellhörigen Moment unterbrochen hat. Indem da einer, der nur tot eine Erwähnung wert ist, eine Vorgeschichte bekommt, teilt sich der Nachrichtenstrom, auf dem Tote und Tiefausläufer im Gleichmaß der informierten Gleichgültigkeit vorüber treiben, wie der Vorhang von Xerxes' unscheinbarem Nomadenzelt, als die Griechen ihn zur Seite schoben."
Weitere Artikel: Michael Struck-Schloen porträtiert den Komponisten, Pianisten und
Festivalerfinder Thomas Larcher. Georg Klein würdigt den verstorbenen Krimi-Autor
Mickey Spillane als
Rächer für "die Demütigungen des modernen Mannes". Doris Kuhn berichtet vom
Münchner Filmfest Sex, Crime und Verschwörung in der Reihe der neuen
Filme aus Frankreich. Jens Christian Rabe gratuliert dem rumänischen Schriftsteller
Norman Manea zum 70. Geburtstag. Zu lesen ist außerdem ein Nachruf auf die Schauspielerin
Elfriede Kuzmany.
Auf der
Schallplattenseite geht es um ein Soloalbum von Radiohead-Sänger
Thom Yorke, ein "fulminantes Comeback" der britischen Gruppe
Scritti Politti, die neue CD des Produzenten
Aloe Blacc, das zweite Album der kanadischen Band
Billy Talent und eine neue CD der legendären St. Petersburger Band
Leningrad. In der Rubrik "Das dreckige Dutzend" werden unter anderem CDs von
Ramblin' Jack Elliott,
Big Bill Broonzy und
Ali Farka Toure. Und Karl Bruckmaier porträtiert den Musiker
Gram Parsons, der vor 33 Jahren starb, dessen "radikal anderer künstlerischer Weg" ihn "so einzigartig" gemacht habe und "auch abhebt von den anderen Rock-Toten der frühen siebziger Jahre".
Besprochen werden die
Ausstellung "
The Guggenheim Collection" in der Bonner
Bundeskunsthalle,
Claude Chabrols Film "
Geheime Staatsaffären" über den Elf-Aquitaine-Skandal mit
Isabelle Huppert und
Bücher, darunter der zweite Band von
Herbert Hömigs Biografie über
Heinrich Brüning. (siehe unsere
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)

Im politischen Teil hat
Adam Krzeminski nach dem
Kartoffelkrieg zwischen
taz und
Polen einen Tipp an deutsche Humoristen: "Überlegt vielleicht etwas genauer, solange ihr über ein Land und seine Menschen witzelt, das ihr nicht kennt. Das könnte auch der
Treffsicherheit nur nützen." Auf der berühmten
Seite 3 kommentiert die
SZ den neuen Nahostkonflikt mit einer kraftvollen Montage zweier Fotos: Oben ein verletzter
Junge im Libanon, unten ein
israelisches Mädchen, das eine für die Hisbollah bestimmte Bombe signiert.
FAZ, 19.07.2006
Schon oft hat die
israelische Friedensbewegung israelische Militäroperationen kritisiert, aber diesmal ist es anders, erklärt der Schriftsteller
Amos Oz. "Diesmal marschiert Israel nicht in den Libanon ein. Israel will die Hizbullah zerschlagen, um sich vor täglichen Überfällen und
Raketenangriffen auf Dutzende unserer Städte und Dörfer zu schützen. Die israelische Friedensbewegung sollte die israelischen Verteidigungsmaßnahmen voll und ganz unterstützen, solange die Operation vorrangig der Hizbullah gilt und die libanesische Zivilbevölkerung soweit wie möglich verschont wird (keine leichte Sache, da sich die Hizbullah allzuoft
hinter libanesischen Zivilisten verschanzt)."
Jetzt mögen sie sogar die Deutschen! "Die
Schweiz verfügt über ein neues,
offensives Selbstbewusstsein", verkündet fast ungläubig Jürg Altwegg. "Die Doktrin 'Abwehrhaltung' hat ausgedient: Das System des 'Riegels', mit dem sie auf dem grünen Rasen die sprichwörtlich gewordenen '
ehrenhaften Niederlagen' anstrebte und das dem 'Reduit' in den Köpfen der helvetischen Abschottungs-Ideologen entsprach, ist überwunden. Die Vergangenheitsbewältigung hat das Land geläutert und seinen
Fußball befreit. Und mit ihm den Blick auf Deutschland: Nur wer sich selber verändert, kann Veränderungen bei anderen wahrnehmen. 'Deutschland, wir kommen' war 2005 das 'Wort des Jahres'."
Weitere Artikel: Gerhard Stadelmaier zappt sich flott assoziierend durch Stücke und Stoffe der
Theatersaison. Brit. berichtet von Protesten gegen den "
Theatermord"
in Thüringen: Die Betroffenen sollen künftig mit einem Drittel der bisherigen Fördermittel auskommen. Frank Stier informiert uns über die
Ausgrabung eines Theaters aus der Römerzeit in Sofia. Joseph Croitoru gratuliert dem Schriftsteller
Norman Manea zum Siebzigsten. Gerhard Stadelmaier schreibt einen kurzen Nachruf auf die Schauspielerin
Elfriede Kuzmany. Michael Althen schreibt zum Tod des Krimiautors
Mickey Spillane.
Auf der Medienseite fragt sich Michael Hanfeld, ob
DuMonts Einstieg für die
Frankfurter Rundschau wirklich so positiv ist: "Die Erträge sollen gesteigert und die Kosten weiter gezügelt werden. Das klingt nach einem langen Anlauf und
zwei bleiernen Jahren, 2006 dürfte man ohne Verluste wohl noch nicht abschließen." Melanie Mühl berichtet, dass
Cicero-Autor Bruno Schirra und Johannes von Dohnanyi vom Schweizer
Sonntagsblick nun doch nicht wegen Beihilfe zum
Geheimnisverrat vor Gericht müssen. Das Potsdamer Landgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Auf der letzten Seite stellt Jürgen Kaube die Münchner Soziologin
Jutta Allmendinger vor, neue Direktorin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (
WZB). Kerstin Holm hat in Moskau eine
Playboy-Party besucht und
staunt über die Härte der Häschenherzen.
Besprochen werden
Claude Chabrols Film
"Geheime Staatsaffären" und ein Konzert von
Joe Jackson in Köln.