Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.09.2006. Die Berliner Zeitung berichtet über die Absetzung von Hans Neuenfels' "Idomeneo"-Inszenierung in Berlin wegen Köpfung des Propheten Mohammed. Das deutsche Theater hat sich hiermit keinen Gefallen getan, meint die Welt. Die NZZ überlebte den Steirischen Herbst. Die SZ stellt Lars von Triers neueste Erfindung vor, die "Automavision". Die taz fordert mehr Investigation im Kulturjournalismus.

Berliner Zeitung, 26.09.2006

Nun gehen die Islamisten auch noch in die Oper! Und die Deutsche Oper Berlin setzt nach der von den Berliner Sicherheitsbehörden in Aussicht gestellten Möglichkeit einer Störung die "Idomeneo"-Inszenierung von Hans Neuenfels ab. Birgit Walter berichtet über die drei Jahre alte Inszenierung: "Im Schlussakkord lässt Neuenfels Idomeneo mit einem blutigen Bündel auf die leere Bühne treten. Aus diesem holt er die abgeschlagenen Köpfe von Neptun, Christus, Mohammed und Buddha hervor und stellt sie säuberlich auf vier Stühle." Und weiter: "Schon in der Premiere kam es zu Tumulten: Bei Jesus gab es Krach, bei Buddha Gemurmel und bei Mohammed war Ruhe im Saal."

NZZ, 26.09.2006

Paul Jandl berichtet begeistert vom Eröffnungswochenende des Steirischen Herbsts in Graz: "Kartoffeln, Fleischwölfe oder Zahnprothesen prasseln in der Helmuth-List-Halle von der Decke. Es flattern die Buchseiten, es stäubt der Regen und es rieselt der Sand. Und wenn nicht metallische Klänge einen 'Glöckchenschauer' erzeugen, dann sind es acht Windmaschinen, die Frisuren zunichte und das Spektakel zum sakralen Endzeiterlebnis machen."

Weiteres: Eva Clausen behauptet, dass die Römer dem Papst die Regensburger Rede verübeln, aus Angst um die eigene Sicherheit : "Der einfache Bürger fühlt sich - irgendwie - hintergangen und allein gelassen." (Sie selbst also auch?)

Besprochen werden Klaus Michael Grübers Inszenierung von Ferruccio Busonis "Doktor Faust" am Zürcher Opernhaus und Bücher, darunter Donald Antrims Roman "Mutter" und Peter Blundell Jones' Monografie des Architekten Gunnar Asplund (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 26.09.2006

In der Reihe "Kritik der Kritik" widmet sich Brigitte Werneburg dem Rezensionsfeuilleton und hier ganz besonders der Kunstkritik, die sich immer mehr in die PR-Maschine von Sammlern, Museen und Sponsoren einspannen lasse: "Der Journalismus wird vom Marketing umstellt, das ihm unaufhörlich ein Highlight nach dem anderen auf den Schreibtisch stapelt. Wer kann es noch wagen eine Monate im voraus über alle Medienkanäle gehypte Blockbustershow wie 'The Guggenheim Collection' in Bonn zu ignorieren? Schließlich bürgt sie für gesicherte Aufmerksamkeit und verschafft mancher Zeitung noch ein Zusatzgeschäft wie die Verlagsbeilage der Süddeutschen zeigt." Werneburg fordert daher neben der Kunstkritik mehr Investigation. (Wir stimmen aus vollem Herzen zu und hoffen auf einen investigativen Bericht zur Absetzung des "Idomeneo" an der Deutschen Oper.)

Weitere Artikel: Stefan Reinecke berichtet über ein Symposium in Köln zur Rolle der "Protagonisten im Dokumentarfilm". Regine Müller schickt einen Zwischenbericht von der RuhrTriennale. Alexander Cammann blättert müde im Merkur-Sonderheft zur "Physiognomie der Berliner Republik" und hält einzig Jens Biskys Text zum "Berlin Style" für einen potenziellen Klassiker. Auf der Meinungsseite fordert der Theologe Rolf Schieder anlässlich der bevorstehenden Islamkonferenz Integrationsleistungen auch von der deutschen Gesellschaft.

Besprochen wird die Jazz-CD "Third Stream" von Gunther Schuller und Joe Lovano.

Schließlich Tom.

Welt, 26.09.2006

Aus Angst vor möglichen Störungen durch Islamisten hat die Deutsche Oper ihren "Idomeneo" vom Spielplan genommen, berichtet Manuel Brug online. In Hans Neuenfels' Inszenierung rollen nämlich die Köpfe von Poseidon, Buddha, Jesus und Mohammed. "Neuenfels äußerte auch Vermutungen, ob die ganze Affäre nicht von ganz anderer Seite nur vorgetäuscht sei: 'Mir kommt das als islamistische Aktion sehr elitär, sehr wissend vor, zumal die Inszenierung schon so lange nicht mehr gespielt worden ist.' Ob Kirsten Harms hier nicht etwas zu vorschnell gehandelt hat? Berlin ist nicht Dinslaken. Eine solche Absetzung bekommt in der deutschen Hauptstadt an einem so bedeutenden Haus eine viel symbolischere Bedeutung als unter Umständen das mögliche Risiko einer Störung, gegen die man sich hätte wappnen können. Das Theater als moralische Anstalt eines aufgeklärten westlichen Geistes hat sich hiermit jedenfalls keinen Gefallen getan."

Weiteres: Michael Pilz war auf George Michaels erstem Konzert seit fünfzehn Jahren in Barcelona. Gesche Wüpper berichtet von einem Kolloquium, auf dem Dirck Halstead, Herausgeber des Internetmagazins The Digital Journalist, den Fotografen prognostizierte, in zehn Jahren nur noch Videos zu machen. Eckhard Fuhr berichtet von der "sprachpolitische Offensive", in die das Goethe-Institut wieder gehen möchte. Uta Baier besucht die Ausstellung "Von Monet bis Mondrian" im Palais Brühlsche Terrassen, die Dresdens einstige Privatsammlungen rekonstruiert. Berthold Seewald stellt Bücher vor, die sich der islamischen Geschichte Indiens und seiner Moguln widmen (Oder tat er dies bereits gestern? Man findet sich ja nicht mehr zurecht).

SZ, 26.09.2006

Lars von Trier ist der Filmemacher, der sich an selbst gesetzten Regeln zu künstlerischer Freiheit aufrichtet. Einst hat er "Dogma" erfunden. Nun heißt die Regel "Automavision" und wird auf von Triers neuesten Film "Direktoren for det hele" (etwa "Der Chef vons Janze"), eine Komödie aus der Arbeitswelt angewandt, die Fritz Göttler auf dem Filmfestival von Kopenhagen gesehen hat: "Und das geht ungefähr so: Der Regisseur und seine Mitarbeiter setzen für eine Szene die beste Kameraposition und die optimale Platzierung der Schauspieler fest, ganz den klassischen Regeln entsprechend, was Höhe, Blickachse, Brennweite, Raumtiefe etc. angeht. Dann drücken sie die Taste eines Computers, der mit einem mathematischen Zufallsprogramm zu Bild und Ton gefüttert ist und der nun einige Parameter vorgibt, durch die diese so vollkommen harmonische Einstellung wieder deformiert und aus der Balance gebracht wird. Da sind also die Akteure ein wenig an den Rand des Bildes gedrückt oder es gibt eine Menge Luft über ihren Köpfen, Jump-cuts sorgen für eine gewisse Ruckeligkeit und die Brüche im Licht und in den Farben schrecken die Augen - denn das gedrehte Material wird nachträglich nicht mehr bearbeitet und angeglichen."

Weitere Artikel: Der Medizinhistoriker Wolfgang U. Eckart berichtet über Kräfte in den USA, die fordern, dass Medizinexperimente an Strafgefangenen, wie sie vor Jahrzehnten üblich waren, wieder zugelassen werden ("Eine neuerliche Öffnung der Gefängnisse für Humanexperimente würde der amerikanischen pharmazeutischen Industrie den Zugriff auf eine immense Zahl leicht verfügbarer und preiswerter menschlicher Versuchskaninchen eröffnen.") Gemeldet wird, dass die Deutsche Oper Hans Neuenfels' "Idomeneo"-Inszenierung wegen Anspielungen auf den Islam abgesetzt hat. In der "Zwischenzeit" schwärmt Evelyn Roll von Google Earth. Christopher Schmidt schickt einen ausführlichen Bericht über den Saisonbeginn am Theater Basel unter dem neuen Leitungsteam um Georges Delnon und Elias Perrig. Martin Mosebach setzt sein Indisches Tagebuch fort.

Auf der Literaturseite berichtet Volker Breidecker vom Festival LiteraTurm in Frankfurt. Kristina Maidt-Zinke war zugegen, als die Corine-Bücherpreise in München feierlich verliehen wurden, und Burkhard Müller verfolgte eine Weimarer Tagung der "Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften" über den "Kanon". Auf der Medienseite erzählt Hans-Jürgen Jakobs, dass Bertelsmann seinen Club wieder in die Gewinnzone gebracht hat.

Besprochen wird die Ausstellung "Tibet - Klöster öffnen ihre Schatzkammern" in Essen.

FR, 26.09.2006

Der Schriftsteller Matthias Altenburg fürchtet im Gespräch mit Matthias Arning und Christian Schlüter eine gewaltige Entpolitisierung des Landes durch die Große Koalition: "Wenn eine Gesellschaft keine Alternativen mehr denkt, verdummen auch diejenigen, die mit den Verhältnissen einverstanden sind. Der Mangel an Alternative lässt selbst das Bestehende verkommen. Das sehen wir im Augenblick. Das Tafelsilber wird verkloppt. Die Krankenhäuser privatisiert. Für die Gesundheit sollen jene sorgen, die an der Krankheit verdienen."

Weiteres: Nicht ungetrübt ist Nikolaus Mercks Freude über die Eröffnung von Gottfried Böhms "marianischer Rose" als neuem Sitz des Potsdamer Hans-Otto-Theaters: "Ein neues Theater in Ostdeutschland! Welch ein Wunder! Ja! Und: Wer jetzt kein Haus hat, bekommt auch keines mehr. Im Gegenteil." Stephan Hilpold berichtet vom ersten Wochenende des Steirischen Herbsts. Andreas Eckert resümiert den 46. Deutschen Historikertag in Konstanz. In seiner Kolumne analysiert Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, den Druck, sexuell zu sein: " Der Druck, Mann oder Frau zu sein, ist immer noch gewaltig, der Druck, geschlechtlich zu sein, ist total." In Times mager kommentiert Harry Nutt die Todesgerüchte um Osama bin Laden: "Der Rückzug des einst mächtigen Mannes ins dunkle Loch ist von Bildern kraftvoller Archaik begleitet." Besprochen wird Andreas Homokis "leider nicht sonderlich geglückte" Inszenierung von Brecht-Weills "Mahagonny".

FAZ, 26.09.2006

Verena Lueken erzählt von den Dreharbeiten zu Martin Scorceses "The Departed" im vergangenen Sommer. In der Leitglosse bewundert Lorenz Jäger Martin Walsers rhetorisches Vermögen. Edo Reents stellt in seinem Aufwärmer für die in einer Woche beginnende Buchmesse fest, dass wir alle über Indien noch wenig wissen. Heinrich Wefing hält die offiziellen Gewinner des Wettbewerbs für die Gestaltung des Berliner Schlossplatzes im Vergleich zu den bisherigen Vorschlägen für "anspruchslos". Alexandra Kemmerer hält nach einer völkerrechtshistorischen Tagung über das Mittelalter ein friedliches Zusammenleben der Religionen nun doch für möglich. Eberhard Rathgeb weilt auf dem Lande und sinniert über Hühner, Eier und den Ausbrütungsvorgang. Wolfgang Sandner verabschiedet den ungarischen Jazzmusiker Aladar Pege.

Auf der Medienseite berichtet Olaf Sundermeyer, dass Polens Premierminister Jaroslaw Kaczynski den Intendanten des Staatsfernsehens TVP, Bronislaw Wildstein, wegen einer offenbar zu regierungskritischen Linie hart angeht. Tilmann Lahme bespricht den von der ARD ins Spätprogramm verbannten Fernsehfilm "Wut".

Auf der letzten Seite erforscht Gustav Falke die Oranienstraße in Kreuzberg. Julia Bähr stellt den Musiker Roger Cicero vor. Und Katja Gelinksy erinnert an die flächendeckende Religiosität in den USA. Nur jeder zehnte Amerikaner ist in keiner religiösen Organisation.

Besprochen werden die deutsche Erstaufführung von Hans Werner Henzes Oper "L'Upupa" in der Hamburger Staatsoper unter Josef Köpplingers Regie und Simone Youngs muskalischer Leitung, zudem zwei Uraufführungen, nämlich Fritz Katers alias Armin Petras' Stück "Tanzen" beim "Steirischen Herbst" in Graz und Gerhild Steinbuchs "Kopftot" in Mainz, außerdem Andreas Homokis Version von Kurt Weills "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" an der Komischen Oper Berlin, ein Auftritt der englischen Britrockband "Rifles" in Berlin sowie als Buch Jan Philip Reemtsmas "Das unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit".