Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.10.2006. Gabor Steingart erklärt den Weltkrieg der Ökonomien nun auch in der FAZ. In der Welt plädiert Ulf Poschardt gegen schwaches Denken. Die Welt porträtiert außerdem den jüdischen Satiriker und Cowboy Kinky Friedman, der Gouverneur von Texas werden will. In der SZ nimmt Kurt Flasch nochmals die Regensburger Rede des Papstes auseinander. Der Tagesspiegel erklärt, was es mit Kai Hensel auf sich hat.

Welt, 17.10.2006

Uwe Schmitt erzählt, wie der jüdische Satiriker, Cowboy und Krimiautor Kinky Friedman Gouverneur von Texas werden will: "Richard 'Kinky' Friedman (61) zählt seit Jahrzehnten zum originellsten Personal des an Originalen reichen 'Lone Star State'. Und in den düsteren Zeiten, da der 'Krieg wider den Terror' der Politik jeden Spaß austreibt, braucht Amerika einen Kandidaten, der 'Neger' (negro) für ein charmantes Wort hält und Hurrikan-Katrina-Flüchtlinge in Houston als 'Crack-Deppen und Gauner' erkennt. Einen schamlosen Kerl wie Friedman, der vor einem Jahr zur Therapie von Sexstraftätern empfahl: 'Steckt sie in den Knast, werft den Schlüssel weg, zwingt sie, einem Neger zuzuhören, der mit sich selbst spricht.' Vorsicht Satire."

Weiteres: Michael Stürmer möchte darauf hinweisen, dass es Arme schon immer gegeben habe und dass sie - im Gegesatz zu den Haderlumpen - durchaus ihren Platz in der ehrbaren Gesellschaft hatten; Jesus habe das ähnlich gesehen. Ulf Poschardt poltert gegen die intellektuelle Friedfertigkeit des Westens: "Noch nie war das schwache Denken in Deutschland so populär wie heute." Thomas Kielinger berichtet, dass jetzt auch der britische Telegraph in die digitale Zukunft blickt. Wilfried Urbe meldet, dass sich auf der Programmmesse Mipcom deutsche Filme über den Zweiten Weltkrieg hervorragend verkauft haben. Besprochen werden Stefan Herheims "Carmen"-Inszenierung in Graz und Aufnahmen der Sopranistin Anja Harteros.

Für Welt.de hat sich Max Dax mit dem Schauspieler Ewan McGregor und seinem Freund John Boorman unterhalten, die zusammen auf dem Motorrad die Welt umrundet haben.

TAZ, 17.10.2006

Auch nach der Aufführung kann Frieder Reininghaus nicht nachvollziehen, warum Kirsten Harms, Intendantin an der Deutschen Oper Berlin, ausgerechnet Alberto Franchettis Nationalismus-Oper "Germania" inszeniert hat: "Ihre Inszenierung bezieht sich, ohne dies wirklich deutlich zu machen, auf den Weg vom 'berechtigten' Nationalismus der Lützow'schen Studenten zum Chauvinismus, der in die Weltkriege führte. Wäre dabei das militärische Engagement etwa im Nahen Osten mitinszeniert worden, hätte dem verstaubten Theater zumindest in die Gegenwart geholfen werden können. Solche ästhetische Überlegungen zu politischen Konflikten blieb Kirsten Harms schuldig, so wie ihr schon vor ein paar Wochen im Streit um die Absetzung von 'Idomeneo' der Mut gefehlt hatte, die Freiheit der Kunst gegen angebliche Bedrohungen zu verteidigen. Sie ist als Regisseurin im Minenfeld kontaminierter politischer Ideen so überfordert wie als Intendantin."

Weiteres: Barbara Schweizerhof berichtet vom Filmfestival in Rom, bei dem sie Martin Scorseses offenbar recht gelungenes Remake von Johnny Tos Triaden-Film "Infernal Affairs" gesehen hat: "An Selbstbewusstsein mangelt es nicht." Im Interview mit Corinna Stegemann spricht Autor Martin Suter über erste Schreibversuche, Bestseller und psychedelische Pilze. Wolfgang Ullrich sinniert über Warenästhetik, Jugendlichkeitsfantasien und die Verführungskraft des Kapitalismus. Detlef Kuhlbrodt war auf dem Berliner Kongress "Post Porn Politics".

Und Tom.

FR, 17.10.2006

Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen findet Georg-Friedrich Kühn Kirsten Harms' Inszenierung von Alberto Franchettis Oper "Germania" an der Deutschen Oper Berlin gar nicht so schlecht. "Franchettis Musik hat durchaus Kraft. Sie nippt mal am deutschen Liedgut, bedient sich bei Wagner - zwischen Meistersingern und Walküre -, bei Puccini oder sogar auch bei Mussorgsky und Tschaikowsky. Und doch versucht sie immer einen eigenen Ton zu finden. Das Erstaunlichste der Aufführung ist, wie der neue GMD Renato Palumbo das Orchester der Deutschen Oper zu einem frischen und nuancierten Klang animiert. Offensichtlich hat man zueinander gefunden. Von den Sängern verdient Lob vor allem Bruno Caproni als Worms, während Carlo Ventre als Loewe und auch Lise Lindstrom als Ricke doch allzu sehr forcieren. Viel Beifall gab es am Ende für die Sänger. Kirsten Harms und ihr Team mit Bernd Damovsky (Bühne) und Gabriele Jaenicke (Kostüme) mussten aber auch Buhs einstecken."

Weiteres: Christian Thomas schreibt zur Wiedereröffnung des Bode-Museums in Berlin. Martina Meister zitiert die Reaktionen erboster französischer Historiker auf das geplante Gesetz, die Leugnung des Genozids an den Armeniern unter Strafe zu stellen. Harry Nutt weist im Hinblick auf die jüngste Unterschichten-Debatte darauf hin, dass den Sozialwissenschaften das wachsende Problem der Exklusion schon lange bekannt ist. Hans-Jürgen Linke stellt Rumi Ogawa vor, die Schlagwerkerin des Ensemble Modern in Frankfurt.

Besprochen wird zudem Volker Löschs "komplett sterile" Aufführung von Bertolt Brechts "Heiliger Johanna der Schlachthöfe".

SZ, 17.10.2006

Der Historiker Kurt Flasch setzt seine vor drei Wochen in der Berliner Zeitung begonnene Sektion der Regensburger Rede des Papstes fort und wundert sich, dass bei so vielen offensichtlichen Fehlern weder die Kantianer noch die Protestanten auf die Straße gegangen sind. Tolerant sei das Christentum ebenso eher selten gewesen. "Nicht nur einzelne Päpste wie Pius IX., sondern Päpste plus Konzilien verkündigten mit höchstem Lehranspruch, kein Getaufter könne einen gerechten Grund haben, seinen Glauben in Zweifel zu ziehen oder gar zu wechseln. Es gab keine Wahlfreiheit. Der Häretiker musste 'belehrbar' sein oder sterben."

Kirsten Harms wollte mit ihrer Inszenierung von Alberto Franchettis Oper "Germania" an der Deutschen Oper in Berlin nach zwei Jahren den eigentlichen Beginn ihrer Intendanz feiern, reportiert Jörg Königsdorf. "Das Resultat ihrer Bemühungen ist allerdings schlichtweg erschütternd: Statt einer Distanzierung oder gar einer 'neuen Erzählweise' liefert Harms biederstes Erzähltheater, das völlig damit zufrieden ist, die abstruse Handlung artig über die Bühne zu bringen. Die Kostüme von Gabriele Jaenecke sind den historischen Vorbildern abgeschaut, die Bühne von Harms' Ehemann Bernd Damovsky orientiert sich weitgehend an den düster belichteten Leerstandsräumen der späten Götz-Friedrich-Ära, und drinnen dürfen die Sänger nach Herzenslust das Alphabet der Operngebärdensprache durchbuchstabieren. Das Publikum reagiert stellenweise mit hämischem Gelächter."

Weitere Artikel: Andrian Kreye bezeugt den letzten Abend des New Yorker Rock- und Punkclubs CBGB. Peter Laudenbach stellt den 28-jährigen Dramatiker Christoph Nußbaumeder vor, dessen Stück "Liebe ist nur eine Möglichkeit" heute in der Inszenierung von Thomas Ostermeier an der Berliner Schaubühne Premiere feiert. Anke Hilbrenner hält nach der Bonner Tagung "Fama" das Gerücht zumindest teilweise für rehabilitiert. Tatjana Rexroth meldet sich vom gutbesuchten Kammermusikfestival in Jerusalem. Und Oliver Hochkeppel meldet, dass der Bluespianist Dick Hayman durch Deutschland tourt. Herrmann Unterstöger philologisiert über Wörter wie "Schraube" oder "harsch".

Im Medienteil erfährt Hans-Jürgen Jakobs im Gespräch mit NDR-Intendant Jobst Plog, dass er in seinem Hause mehr als die von den Ländern geplanten 0,75 Prozent fürs Internet ausgeben will und die PC-Gebühr wohl termingerecht kommen wird.

Besprochen werden eine Ausstellung mit fotografischen Porträts von Robert Mapplethorpe, eine Aufführung von Otto Nicolais Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" am Münchner Gärtnerplatztheater, John A. Davis' Zeichentrickfilm "Lucas, der Ameisenschreck", und als Bücher György Dalos' "1956 - Der Aufstand in Ungarn" sowie Nadine Gordimers Roman "Fang an zu leben" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

NZZ, 17.10.2006

Reines Rezensionsfeuilleton heute: Kerstin Stremmel hat die Ausstellung "Das achte Feld" im Kölner Museum Ludwig besucht und angesichts der dort ausgestellten Auseinandersetzungen mit Sexualitäten und Gender in der zeitgenössischen Kunst nichts vermisst außer einem "Familienrabatt". Ein "Waldidyll auf der Bühne" hat Marianne Zelger-Vogt in Katharina Thalbachs Inszenierung von Leos Janaceks "Schlauem Füchslein" im Zürcher Opernhaus bewundert. Am liebsten in eine "Psychologenpraxis oder vor das Sozialamt" verbannen würde Barbara Villiger Heilig Jon Fosses Familiendrama "Besuch", das Elias Perrig im Theater Basel inszeniert hat.

Besprochen werden außerdem neue Romane von Chico Buarque und Gary Shteyngart (mehr dazu ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Tagesspiegel, 17.10.2006

Auf der dritten Seite porträtiert Verena Mayer den Berliner Dramatiker Kai Hensel: "Seinen Namen kennt kaum jemand. Er taucht nicht in der Kulturszene auf, weder beim Theatertreffen noch in 'Theater Heute', dem meist gelesenen Fachmagazin der deutschsprachigen Theaterwelt. Und doch ist Kai Hensel eine wichtige Größe in der deutschen Theaterlandschaft. Jedes Jahr rechnet nämlich der Deutsche Bühnenverein nach, welches Theaterstück in der vergangenen Spielzeit am häufigsten aufgeführt wurde. Das Ergebnis: Nichts von Goethe, nichts von Schiller, auch nichts von Brecht. Es war 'Klamms Krieg' von Kai Hensel."

FAZ, 17.10.2006

Im Rahmen interredaktioneller Höflichkeiten (Schirrmacher-Buch als Aufmacher im Spiegel, ein Interviewband von SZ-Chefredakteur Hans-Werner Kilz als Vorabdruck in der FAZ) gibt die FAZ dem Spiegel-Ressortleiter Gabor Steingart endlich einmal ein öffentliches Forum. "Kampf dem Raubkatzenkapitalismus!" lautet der appellhafte Titel des dreispaltigen Aufmachers, in dem Steingart für einen Protektionismus gegen China und Indien aus westlich-moralischer Überlegenheit - und nur nebenbei ökonomischen Erwägungen - plädiert: "Der Raubkatzenkapitalismus aus Fernost hat die Spielregeln zu seinen Gunsten verändert und muss nun in die Schranken verwiesen werden. An Themen, über die mit den Befehlshabern der gelenkten Marktwirtschaften zu reden wäre, herrscht kein Mangel: Vom milliardenteuren Ideenklau über systematische Umweltzerstörung bis hin zu Kinderarbeit und der offen zur Schau gestellten Unterdrückung freier Gewerkschaften reicht die Liste dessen, was wir heute akzeptieren und in dieser Bedingungslosigkeit nicht akzeptieren müssten. Es geht um nichts Geringeres als den Schutz unserer Wertewelt. Der Westen ist nicht so wehrlos, wie er sich fühlt." Die FAZ weist auch auf Steingarts neuestes Buch zum Thema, "Weltkrieg um Wohlstand" hin. Bitte bestellen Sie hier.

Weitere Artikel: Philipp Blom berichtet, dass der Historiker Tony Judt ("Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart") nach Anrufen jüdischer Organisationen einen Vortrag über die "Israel-Lobby in Amerika" im polnischen Konsulat von New York nicht halten durfte (mehr dazu hier und hier und hier). Gemeldet wird, dass Grass' Briefe an Karl Schiller, die in der FAZ neulich zitiert wurden und zu einer Urheberrechtsklage Grass' gegen diese Zeitung führten, an mehreren Stellen öffentlich zugänglich und zitiert seien. Christian Schwägerl denkt in der Leitglosse über das "abgehängte Prekariat" nach, das in Wahrheit ein "neues Kaloriat" sei. Heinrich Wefing meldet, dass die fußballförmige Telekom-Verkleidung vom Fernsehturm am Alexanderplatz entfernt wurde. Jürgen Kaube resümiert den Soziologentag in Kassel. Klaus Ungerer verfolgte in seiner Kolumne "Nichts als die Wahrheit" aus dem Amtsgericht Berlin-Moabit den Prozess gegen die Leiterin einer Straßenverkehrsbehörde, die falsche Gebührenbescheide ausgestellt hatte. Michael Althen schreibt zum Tod des Filmregisseures Gillo Pontecorvo. Wolfgang Schneider verfolgte eine Berliner Konferenz zur jüdischen Literatur in der Nazi-Zeit.

Auf der DVD-Seite legt Dominik Graf einen Essay über das ungarische Kino nach 1956 vor ("aus der Katastrophe von 1956 war in wenigen Jahren etwas gewachsen, das in der europäischen Filmgeschichte seinesgleichen sucht - ein Kino, erwachsen durch und durch, voll bitterer Lebenserfahrung, aber mit wunderbar sanften Figuren"). Außerdem wünscht sich Andreas Platthaus eine DVD über eine von David Cronenberg kuratierte Warhol-Ausstellung in Toronto. Und Verena Lueken bespricht Christopher Nolans Film "Following" ebenfalls auf DVD. Auf der Medienseite porträtiert Nina Rehfeld den CNN-Nachrichtensprecher Anderson Cooper (ein schöner Mann!) Ivo Briedis schreibt in der Reihe "Weltempfänger" über die Bedeutung des Radios im einst besetzten Lettland. Gemeldet wird, dass der russische Journalist Waleri Panjuschkin seine politische Kolumne in der Zeitung Kommersant aufgibt, dass der Chef der Nachrichtenagentur Itar-Tass Anatoli Woronin ermordet wurde und dass die Tochter von Anna Politkowskaja unter Polizeischutz steht.

Auf der letzten Seite berichtet Andreas Platthaus vom "Pictoplasma"-Festival in Berlin, einem Treffen von Erfindern von Zeichentrick- und Animationsfiguren. Rainer Hermann verzeichnet einhellige türkische Kritik - bis hin zu Orhan Pamuk - am französischen Gesetz, das die Leugnung des Genozids an den Armeniern unter Strafe stellt. Und Reinhard Wandtner erklärt, was es mit sogenannten SAR-Köpfen auf sich hat - Gummibälle, an denen die Strahlung von Handys gemessen wird.

Besprochen werden ein Auftritt der Punkband Panic! At the Disco, Kirsten Harms' Inszenierung von Alberto Franchettis Oper "Germania" an der Deutschen Oper Berlin, das Stück "Verbrennungen" des libanesischen Autors Wajdi Mouawad im Staatsschauspiel Nürnberg, Verdis "Otello" in Dresden und Brechts "Heilige Johanna der Schlachthöfe" in Volker Löschs Inszenierung in Stuttgart.