Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.10.2006. Jo! Putin ist ein lupenreiner Demokrat, und dabei bleibt Gerhard Schröder laut Spiegel-Gespräch. Die taz porträtiert die 21-jährige französische Erfolgsautorin Faiza Guene - die Francoise Sagan der Banlieue. In der SZ erklärt Tony Judt den Unterschied zwischen Länder- und Wirtschaftslobbys. Die NZZ ist verbittert: Walter Benjamin, der Antiakademiker, ist längst zum Opfer neuer Akademiker geworden.

TAZ, 23.10.2006

Auf den vorderen Seiten stellt Dorothea Hahn die 21-jährige Faiza Guene vor, eine Französin algerischer Herkunft, die die französische Kritik wegen ihrer frühen Erfolge die "Francoise Sagan der Banlieue" getauft hat. "Ihr Erstlingsroman, 'Kiffe kiffe demain' (Paradiesische Aussichten), verkaufte sich in Frankreich mehr als 230.000 mal, wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt und steht in diesem Jahr auf dem Lehrplan der französischen Mittelschulen. Im August ist Faiza Guenes zweiter Roman erschienen. 'Du reve pour les oufs' (sinngemäß: Träume für Verrückte) ist politischer als das erste Buch. Aber im Mittelpunkt steht wieder eine junge Frau in der Banlieue, die in der ersten Person aus ihrem Leben erzählt: von Arbeitsberatern und Aushilfsjobs. Von dem kleinen Bruder, der auf die schiefe Bahn gerät. Von dem Vater, der seit einem Sturz auf dem Bau behindert ist. Und von Cousinen, die schon in der Pubertät die Details ihrer Hochzeiten planen."

Weiteres: Marco Stahlhut präsentiert Berliner Veranstaltungen, Kongresse und Ausstellungen zu Walter Benjamin. Im Medienteil ärgert sich Steffen Grimberg über die schwammigen Beiträge des designierten ARD-Chefs Fritz Raff zur Gebührendebatte.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Bildern und Installationen von Andreas Slominski im Frankfurter Museum für Moderne Kunst sowie die Aufführung von Christoph Marthalers Liederabend "Am Spiegelgrund" zur Eröffnung des Festivals "Spielzeit Europa" in den Beelitzer Heilstätten.

Und Tom.

NZZ, 23.10.2006

"Kaum etwas Berichtenswertes" hat Sieglinde Geisel vom Berliner Benjamin-Festival mitgebracht, ärgert sich aber ausführlich über die Einfalls- und Mutlosigkeit der dort versammelten Akademiker: "Hier manifestiert sich jenes akademische Milieu, das Benjamin seinerzeit vorsorglich aufgefordert hatte, seine Habilitationsschrift zurückzuziehen - mit seinem risikobereiten Denken und seiner geschmeidigen Sprache hätte er wohl auch heute kaum Chancen auf eine Professur."

Weiteres: Joachim Güntner hörte bei der Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung alte Gelehrte die Radikalität des Alters und Oskar Pastior preisen. Über die boomende Kunstszene in Frankfurt berichtet Marli Feldvoss und interviewt mit Max Hollein einen ihrer Protagonisten.

Besprochen werden Orestie-Inszenierungen in Berlin, Frankfurt und Leipzig, das erste Konzert der St. Galler Bach-Stiftung, eine Inszenierung von Martin Heckmanns' "Kränk" am Theater Biel Solothurn, Verdis "Ernani" im Theater St. Gallen sowie ein Konzert des Pianisten Murray Perahia in der Tonhalle Zürich.

Welt, 23.10.2006

Dem Lyriker Oskar Pastior wurde an diesem Wochenende postum der Büchner-Preis verliehen. Jetzt veröffentlicht die Welt ein kurzes Interview, in dem Pastior Tanya Lieske erklärt, warum er zum Sprachexperimentator wurde. "Das hängt mit der relativen Mehrsprachigkeit zusammen, mit der wir in Siebenbürgen aufgewachsen sind und denken gelernt haben. Neben der Muttersprache haben wir die anderen Sprachen mitgedacht, was hören die Rumänen oder die Ungarn oder die Ideologen - die sind ja eine eigene Gattung von Menschen - aus dem, was ich sage, heraus?"

Max Dax trifft den Hollywood-Regisseur William Friedkin, der zur Saisoneröffnung der Bayerischen Staatsoper Wolfgang Rihms "Im Gehege" und Richard Strauss' "Salome" inszenieren wird. Gemeldet werden die Gewinner des Deutschen Fernsehpreises. Simone Meyer kann berichten, dass die Mitglieder der wiedervereinigten Band "Take That" jetzt stilles Wasser trinken.

FAZ, 23.10.2006

Hubert Spiegel verfolgte die Herbsttagung der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, bei der auch der Büchner-Preis posthum an Oskar Pastior verliehen wurde. Abgedruckt wird die Dankrede des ehemaligen Kunstkritikers der FAZ, Eduard Beaucamp, für den Johann-Heinrich-Merck-Preis, in der sich Beaucamp kritisch mit der Kunstkritik auseinander setzt. Christian Geyer glossiert das Getöse um die Memoiren von Gerhard Schröder. Heinrich Wefing kommentiert Äußerungen der Berliner Kulturlobbys zu dem Rat der Bundesverfassungsrichter, Berlin möge seine Haushaltsnotlage mit Kultureinsparungen bekämpfen. Andreas Kilb verfolgte ein Berliner Gespräch zwischen Joschka Fischer und Peter Sloterdijk, Katja Gelinsky resümiert eine Konferenz hochrangiger amerikanischer Richter, die sich mit dem Ansehensverlust ihrer Branche befasste.

Auf der Medienseite gibt Michael Hanfeld einer heute laufenden ARD-Dokumentation über Gerhard Schröders Kanzlerschaft recht magere Noten. Auf der letzen Seite erzählt Regina Mönch, wie die Besitzer der Gartenstadt Atlantic im Berliner Wedding das Ensemble sozial und baulich wieder bewohnbar und lebenswert machten. Martin Otto kritisiert eine Liste der Bild-Zeitung mit angeblich überflüssigen Empfängern von Subventionen, auf der wichtige geisteswissenschaftliche Institionen stehen. Und Patrick Bahners porträtiert den Historiker Johannes Fried, der den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Darmstädter Akademie erhalten hat.

Besprochen werden eine Theaterfassung von Cornelia Funkes "Tintenblut" in Hannover, ein Konzert mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansson mit Gidon Kremer in München, Konzerte des Irish Folk Festivals in Dreieich und Sachbücher, darunter ein Band mit kleinen Schriften Alexis de Tocquevilles.

Spiegel Online, 23.10.2006

In einem großen Gespräch mit dem Spiegel aus Anlass seiner Memoiren hält Gerhard Schröder an der Ansicht fest, Putin sei ein "lupenreiner Demokrat". Und auf die Bemerkung des Spiegel, dass Angela Merkel Menschenrechtsverletzungen in China anspricht, antwortet er: "Jo! Das hat die Chinesen ungeheuer beeindruckt."

FR, 23.10.2006

Judith von Sternberg berichtet von der Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die den Büchnerpreis nur noch postum an Oskar Pastior verleihen konnte, und dabei vor allem eine Trauerfeier wurde. Christian Thomas widmet sich in Times mager der Hydropolis Dubai.

Besprochen werden die Ausstellung "Heimat und Exil" im Jüdischen Museum Berlin, Ingo Berks Aufführung von Kleists "Familie Schroffenstein" am Theater Bonn, Philipp Kochheims Inszenierung von Puccinis "Tosca" am Staatstheater Darmstadt.

SZ, 23.10.2006

Im Interview mit Andrian Kreye spricht der Historiker Tony Judt über das, was nun als Israel-Lobby tituliert wird, und deren Versuch, ihn zu boykottieren. Ein Vortrag, den er im polnischen Konsulat über eben diese Lobby halten sollte, war nach Protesten abgesagt worden. "Natürlich gibt es hier tausende von Lobbygruppen. Lobbyisten für bestimmte Länder, sei es Griechenland, die Türkei oder Israel, sind eine etwas komplizierte Angelegenheit, weil es natürlich etwas anderes ist, ob sich ein Abgeordneter für die Interessen eines anderen Landes einsetzt oder aber für die Interessen einer Industrie. Das erstere wird oft als politisch fragwürdig oder sogar als Form des Landesverrats gesehen." (Mehr dazu in unserer Feuilletonrundschau vom Freitag)

Auf der Literaturseite druckt die Zeitung Oskar Pastiors im Nachlass entdeckte Dankesrede, die er bei der Verleihung des Büchner-Preises halten wollte: "Wieder Klärschlamm gebaggert, wieder Lyrik sekretiert. Und dann reden die Leute von Spielerei. Sie wissen nichts von Sprachnot, Denkverzweiflung oder gar Erkenntnisdrangsal." Volker Breidecker berichtet von der Tagung der Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, die den verstorbenen Oskar Pastior würdigte.

Weiteres: Rainer Erlinger versucht das Grundübel des völlig aus den Fugen geratenen Gesundheitssystems zu ergründen. Seiner Einschätzung nach gehen Markt und Gesundheit einfach nicht zusammen: "Die Gesellschaft kann sich nicht entscheiden, welche Funktion der Arzt haben soll, Priester oder Unternehmer, doch sie muss es." Dorion Weickmann berichtet von einer Diskussion mit Joschka Fischer und Peter Sloterdijk über den ausgereizten Dialog der Kulturen in Berlin. Jürgen Otten ist aufgefallen, dass sich Riccardo Chailly als Chef des Gewandhausorchesters ziemlich selten in Leipzig sehen lässt. Olga Grimm-Weissert berichtet, dass in Paris über die Länge von Gerard Mortiers Amtszeit gestritten wird. Ingo Petz meldet, dass in Weißrussland nun auch Mitglieder einer Pfingstgemeinde in den Hungerstreik getreten sind.

Für die Medienseite besucht Daniel Brössler die Redaktion der Nowaja Gaseta.

Besprochen werden Dieter Dorns Inszenierung von Georges Feydeaus "Floh im Ohr" am Münchner Residenztheater ("Die meisten Zuschauer fanden es offenbar saukomisch", notiert Joachim Kaiser), Laurent Chetouanes Aufführung von Jon Fosses "Schatten" an den Münchner Kammerspielen und die Gründerzeit-Ausstellung "Macht und Pracht" in der Völklinger Hütte.