Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.01.2007. Mit Saddam Hussein wurde ein ganzer Typus des Diktators aufgeknüpft, meint Ian Buruma in der NZZ. Künftige Tyrannen werden eher aussehen wie Konzernvorstände. Die Welt rätselt über weibliche Afrophilie im deutschen Schmonzettengenre und findet Studien über angeblich rechtsextremistische Sympathien der Deutschen unseriös. Die FR meint: Das iPhone sorgt für dich wie eine Mutter und sieht aus wie Jude Law. Die FAZ liest die Fackel im Netz und findet sie hier sogar lesbarer als im Buchformat. In der taz behauptet Cem Özdemir, dass die Türken in der Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern weiter sind als hierzulande bekannt. In der SZ freut sich der weißrussische Dichter Andrej Chadanowitsch über das Zerbrechen der Illusion von den zwei Brudervölkern Weißrussland und Russland.

Welt, 12.01.2007

Unseriös und willkürlich findet Klaus Schroeder auf den Forumsseiten zwei Studien, die zwei Drittel der Deutschen als latent oder manifest rechtsextremistisch einstufen, ihnen Menschen- und Ausländerfeindlichkeit sowie Islamophobie bescheinigen. Die eine Studie (pdf) wurde von zwei Leipziger Medizinpsychologen, die andere von einer Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer erstellt. "Von geradezu anrührender Naivität ist in der Untersuchung der Umgang mit dem Prädikat 'islamphobisch'. Für Heitmeyer hat die 'Islamfeindlichkeit unübersehbar zugenommen, beispielsweise die generalisierte Ablehnung der Auffassung, dass der Islam eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht habe'. Die Befragten sollen also pauschal der Aussage zustimmen, der Islam habe eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht; zudem sollen sie auch noch befürworten, dass die muslimische Kultur in die westliche Welt passe. Der aufmerksame Leser fragt sich indes, ob die Befragten pauschal auch dem Statement 'Die Deutschen haben eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht' zustimmen müssten, um nicht als deutschenfeindlich zu gelten."

Im Feuilleton kriegen heute die Frauen ihr Fett weg. Michael Pilz rechnet mit dem sentimentalen Afrikabild weißer Frauen ab: "Das weiblich Afrophile gründet auf der stillen Übereinkunft, dass der wohlhabende weiße Mann den Kontinent rundum verdorben hat mit Gier, Gewalt und Geld, und dass der schwarze Mann dieses Zerstörungswerk nun fortsetzt. Sei es in Gestalt des dicken Potentaten oder des kaum alphabetisierten, armen aber stolzen Simpels. Letztem kann und muss geholfen werden, seinen Kindern auch. Der Afrikaner kennt inzwischen alle Arten dieser Samariterin. Die Antibeschneidungsaktivistin, die Altkleidersammlerinnen, die Adoptivmutter."

Und der Schriftsteller Viktor Jerofejew beginnt eine Erzählung über seine Begnung mit einer schönen temperamentvollen sibirischen Lehrerin, der kein Mann gut genug ist, mit den Sätzen: "Ich mache mir Sorgen um die Frauen: Sie sind in letzter Zeit allzu offen. Ihre Geheimnisse sind aus den dafür vorgesehenen Tiefen des Bewusstseins und Unterbewusstseins an die Oberfläche gekommen und auf der Zunge gelandet."

Weitere Artikel: Hanns-Georg Rodek blickt neidisch nach Frankreich, wo der französische Film einen Marktanteil von 45 Prozent hat. Ulrich Weinzierl berichtet über gebrochene Wahlversprechen der österreichischen Sozialdemokraten: es gibt kein eigenes Kulturministerium und die Studiengebühren werden auch nicht abgeschafft. Uwe Schmitt schreibt über den erstaunlichen Erfolg, den Sylvester Stallone mit Rocky VI hat. Sven Felix Kellerhoff berichtet von einer Studie des Historikers Frank Hirschinger, die die antifaschistische Biografie des früheren SED-Funktionärs Jupp Gerats als Märchen entlarvt. Gerats ist Vorsitzender des Interessenverbandes der NS-Verfolgten (IVVdN) in Sachsen-Anhalt! Manuel Brug stellt den Verein Central & Eastern Europe Musiktheater vor, der mit großem Erfolg Opernproduktionen in Osteuropa fördert. Jochen Schmidt schreibt zum Tod der Choreografin Chandralekha. DW meldet, dass der britische Choreograf Christopher Wheeldon in New York eine Tanzkompanie gründen will, die dem New York City Ballet und dem American Ballet Konkurrenz machen soll.

Besprochen werden die neue CD von Carla Bruni und die Inszenierung eines Goethemärchens nach "Clavigo" am Thalia Theater durch David Bösch.

NZZ, 12.01.2007

Mit Saddam Hussein wurde gewissermaßen ein ganzer Typus des Diktators aufgeknüpft, meint Ian Buruma. Künftige Tyrannen des 21. Jahrhunderts werden sich eher an Silvio Berlusconi orientieren. Denn "Fidel Castro wird nicht mehr lange leben. Sein größter Bewunderer, Hugo Chavez, bedient sich zwar der althergebrachten revolutionären Rhetorik, bleibt aber ein Abklatsch. Selbst afrikanische Autokraten sehen heute eher aus wie schmierige Banker denn wie Guerillakämpfer oder martialische Militärs. Es kann sein, dass die Diktatoren des 21. Jahrhunderts Ayatollahs und Hohepriester sein werden. Noch wahrscheinlicher aber werden sie als machthungrige Tycoons daherkommen. Das zeitgemäße Modell von Macht und Effizienz ist nicht länger der General oder der Guerillero, sondern der Konzern-CEO."

Außerdem meldet die NZZ Neues zum Projekt "Louvre Abu Dhabi". Und Paul Jandl liest die Fackel im Internet. Besprochen werden eine Ausstellung über fiktive Bauten und Städte in der Literatur in München, eine Fragonard-Ausstellung in Barcelona.

Auf der Filmseite geht's um Christopher Nolans Film "The Prestige", Mel Gibsons Film "Apokalypto" und Zabou Breitmans Film "L'homme de sa vie".

Auf der Medienseite berichtet S.B. von der Consumer Electronics Show in Las Vegas. Der gleiche Autor stellt den Star der Veranstaltung vor, Apples iPhone vor. Bor. erinnert sich an die Informatik aus "2001 - Odyssee im Weltraum". Horst Pöttker vergleicht den deutschen und den schweizerischen Pressekodex. Isabelle Imhof verfolgte eine Schweizer Konferenz über Journalismus im Internet-Zeitalter. Liv berichtet, dass sich Arte wieder stärker an seinem ursprünglichen Profil orientieren will.

FR, 12.01.2007

Das neue iPhone von Apple veranlasst Karin Ceballos Betancur zu einer feurigen Liebeserklärung aus der Ferne. "Das iPhone sorgt für dich wie eine Mutter und sieht aus wie Jude Law. Wahlweise auch jemand anders, aber gut. Und jedenfalls stellen wir uns das mindestens so lange so vor, bis wir eines besitzen. Mit einem iPhone zu arbeiten ist wie von Geisterhand Schnittchen ans Bett gestellt zu bekommen, obwohl man nicht krank ist und allein lebt. Es muss nicht sein. Aber schließlich tritt das iPhone nicht als Konkurrenz zu einem Laib Brot an. Und ist es nicht schön, dass es geht?"

Weiteres: Wem die Rechte an den Hörspielen der "Drei Fragezeichen" gehören, wird vor dem Düsseldorfer Landgericht frühestens im September geklärt, informiert Daniel Kothenschulte in einer Times mager. Besprochen werden die CD-Kompilation "Heavybreathing - The Sounds Of Sex!", bei der Klaus Walter die "Trennschärfe" vermisst, und David Böschs "intelligente" Inszenierung von Goethes "Clavigo" am Hamburger Thalia Theater.

FAZ, 12.01.2007

Karl Kraus ist seit siebzig Jahren tot, die Rechte an seinen Werken sind gemeinfrei, und die Österreichische Akademie der Wissenschaften stellt die Fackel komplett ins Netz. Eva Menasse ("Vienna") freut sich: "Die Welt des Karl Kraus wird betretbar, ohne Atemschutz. Die Fackel wird in ihren Urzustand zurückgeführt, da sie in Teilen erschien, Heft für Heft, für den zeitgenössischen Leser durchaus verdaulich. Nur in der Abgeschlossenheit zwischen Buchdeckeln stand sie unbezwingbar da wie ein Ritter mit geschlossenem Visier."

Der Rechtswissenschaftler Jörn Axel Kämmerer wendet sich gegen das französische Gesetz, das die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellt - schon weil er bezweifelt, dass es sich überhaupt um einen Völkermord handelte: "Die Verfolgung und Deportation der Armenier im Jahre 1915 hat vieltausendfach Leid und Tod über sie gebracht, aber ein Maß an Gewissheit über ihren Verlauf wie bei der Ermordung der europäischen Juden gibt es nicht. (...) Der Webfehler der Gesetzesvorlage liegt in dem Versuch, nicht nur die Negation des Erwiesenen zu ächten, sondern bestimmte Sichtweisen eines umstrittenen historischen Geschehens und ihre Bewertung petrifizieren zu wollen."

Weitere Artikel: Joachim Müller-Jung kommentiert den Umstand, dass Bill Gates' wohltätige Stiftung ihre Gelder nicht immer in unumstrittene Unternehmen gesteckt hat. Heinrich Wefing kritisiert die Zeitschrift Junge Welt, die einen Befürworter und Akteur des Eta-Terrors zu einer Konferenz in Berlin einlud. Michael Althen schreibt zum Tod der Schauspielerin Yvonne de Carlo. Matthias Grünzig wittert denkmalschützerische Gefahren für die Stadt Eisleben.

Die Medienseite widmet sich im wesentlichen der überraschenden Absage Günther Jauchs, die Nachfolge für Sabine Christiansen anzutreten. Michael Hanfeld bringt den "Hart, aber fair"-Moderator Frank Plasberg als Alternative ins Spiel. Hanfeld interviewte Jauch auch und platzierte einen Kommentar auf Seite 1 des poltischen Teils. Außerdem empfiehlt Eva-Maria Lenz ein Dokudrama über die Unruhen in der Pariser Banlieue vor einem Jahr heute Abend auf Arte. Und es wird gemeldet, dass der Spiegel den Buchreport übernimmt.

Auf der letzten Seite unterhält sich Beate Tröger mit dem Stiftungsexperten Ulrich Brömmling über die Stiftung des Kindesmörders Magnus Gäfgen, die Brömmlings Ansicht nach das gesamte Stiftungswesen in Verruf bringt. Andreas Rossmann berichtet, dass sich die Architekten Heinle, Wischer und Partner gegen den Umbau eines von ihnen 1973 errichteten Kölner Krankenhausbaus wehren. Und Wolfgang Sandner porträtiert den Cellisten Jan Vogler, der die Leitung des Dresdner Musikfestspiele übernimmt.

Besprochen werden Ariane Mnouchkines neues Stück "Les Ephemeres" in Paris, Gus van Sants Film "Last Days" über die letzten Tage Kurt Cobains und eine Ausstellung über den Bildhauer Conrat Meit in München.

TAZ, 12.01.2007

Im Interview mit Stefan Reinecke auf der Meinungsseite hält der Europaabgeordnete der Grünen Cem Özdemir die vom Linksparteipolitiker Hakki Keskin geäußerten Zweifel am Genozid an den Armeniern für kalten Kaffee. Da sei man ja in der Türkei schon weiter, wo armenische und türkische Publizisten gemeinsam aufträten. "Dort gibt es vorsichtige Lockerungsübungen, die bei der türkischen und übrigens auch der armenischen Diaspora in Deutschland noch nicht richtig angekommen sind. In der Türkei ist man mitunter weiter als die Keskins hierzulande, die noch immer altes Denken verbreiten. In der Türkei werden heutzutage in TV-Debatten Positionen vertreten, mit denen ich hierzulande in der türkischen Community manchmal auf Unverständnis stoße."

Im Feuilleton macht Uwe Krüger darauf aufmerksam, dass es schon lange einige Hinweise darauf gibt, dass "Die Feuerzangenbowle" nicht von Heinrich Spoerl, sondern von Hans Reimann stammt. Uli Hannemann meditiert über das jetzt 50 Jahre zur Bundesrepublik gehörende Saarland.

Besprochen werden Harald Bergmanns Film "Brinkmanns Zorn" sowie das Album "Hell Hath No Fury" von der Rapkapelle The Clipse.

Und Tom.

SZ, 12.01.2007

Auf der ersten Seite des Feuilletons geht es ums Öl. Der weißrussische Dichter Andrej Chadanowitsch (mehr hier), der in seiner Heimat nicht publizieren darf, freut sich, dass der Ölstreit mit Russland einige Illusionen zerstört hat, die Lukaschenko eiftig nährte. "Endlich bekommt die unterentwickelte belorussische Identität eine Chance, verabschieden sich Weißrussen und Russen von der Illusion, sie seien ein und dasselbe Volk. Endlich zerbricht der Mythos von einer außergewöhnlichen Liebe zwischen zwei Brudervölkern, die die Weißrussen so lange davon abgehalten hat, ihre internationalen Chancen nüchtern einzuschätzen."

Marcus Jauer besucht mit fünfzig anderen Journalisten die Raffinerie in Schwedt, in der die bis gestern gesperrte Druschba-Pipeline endet. Und Sonja Zekri erinnert an eine Szene in Viktor Pelewins Roman "Das heilige Buch der Werwölfe", wo mittels eines Kuhschädels um Öl gebetet wird.

Julia Buettner testet die Patentsuchmaschine von Google und findet Unerhörtes. "Das Patent, das Michael Jackson 1993 anmelden ließ, trägt den Titel: 'Methods and Means for creating Anti-Gravity Illusion'. Die Erfindung: Ein Schuh, in dessen Absatz sich ein Loch befindet, in dem sich im richtigen Moment ein in der Bühnenoberfläche verborgener Haken fest klinkt, der es dem Träger erlaubt, sich im 45-Grad-Winkel nach vorne zu neigen - gegen alle Regeln der Schwerkraft. Es ist neben dem 'Moonwalk' wohl das berühmteste Element aus Jacksons Tanzchoreografien - noch mal nachzusehen, natürlich, unter Google Videos."

Weitere Artikel: Andrian Kreye unterstützt Peter Gelb, der sich als Chef der New Yorker Metropolitan Opera erfolgreich am poppigen Unterhaltungsverständnis von Las Vegas orientiert. In Italien diskutiert man laut Henning Klüver über eine Rekonstruktion des Gesichtes von Dante, die ganz anders als die Bocaccio-Version aussieht. Fritz Göttler schreibt zum Tod der Hollywood-Schauspielerin Yvonne de Carlo. Der Vertrag über eine Zweigstelle des Louvre in Abu Dhabi soll Ende Januar definitiv unterschrieben werden, besagt eine Meldung. Niels Kadritzke erzählt, wie "Der Große Diktator" von Charles Chaplin im Berlin der Nachkriegszeit einem ahnungslosen Publikum vorgeführt wurde. Das Lachen über Hitler ist Thema des Tages auf der zweiten Seite des Politikteils.

Die Medienseite: Günther Jauch hat seinen Wechsel zur ARD und zu Sabine Christiansens Sonntagstalk abgesagt. Hans Leyendecker glaubt, das liegt daran, dass die ARD die "letzte graue Räterepublik" ist. Michael Jürgs geht schon mal die Ersatzkandidaten durch: Frank Plasberg, Sandra Maischberger und natürlich Ulrich Wickert. Nur im Netz erklärt Hans-Jürgen Jakobs die ARD gar zum "medienpolitischen Problem".

Besprochen werden David Böschs Inszenierung nach Goethes "Clavigo" am Hamburger Thalia, Park Chan-wooks Film "Lady Vengeance", und Bücher, darunter ein Band über die Lektüren von Denkern, Jonathan Swifts "Gullivers Reisen" in neuer Übersetzung sowie Sherwin B. Nulands Biografie des Arztes und Kindbettfieber-Forschers Ignaz Semmelweis (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).