Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.02.2007. Sowohl Welt als auch SZ haben Jörg Friedrich in London dabei zugesehen, wie er sein Buch "Der Brand" gegen wütende Zuhörer verteidigt. Im Perlentaucher antwortet der Umberto-Eco-Übersetzer Burkhart Kroeber auf Thomas Steinfelds SZ-Artikel zum Übersetzerstreit. Gesine Schwan erläutert in der Berliner Zeitung die Waffen der Frauen in der Politik. Von der Macht des Weiblichen überzeugt sich auch die taz in einer Ausstellung zu Pierre Kosslowski. Die FR weiß nicht mehr, ob gerade Krieg oder Frieden herrscht. Die FAZ weiß genau, dass die Höhlenmalereien des Graffitikünstlers Banksy im British Museum eine Fälschung sind.

Welt, 03.02.2007

Jörg Friedrich stößt mit "Der Brand", seinem Buch über die Bombardierungen deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, in England auf großes Interesse, beobachtet Thomas Kielinger in einer vollgepackten Londoner Buchhandlung. "Wiederholt beschreibt er sich als 'story teller', das Geschehen am Boden will er darstellen und der Frage nachgehen, warum jeder SS-Soldat, der nach dem Kriege belangt wurde für seine Taten, die gerechte Strafe erhielt, aber die Bombardierung und Auslöschung Hunderttausender Zivilisten aus der Luft straflos bleiben konnte - und musste. Denn: 'Die Zivilisation hatte einfach vergessen, diese Art Kriegführung in Konventionen der Strafbarkeit zu fassen.' Daher lässt Friedrich sich auch nicht von dem einzigen erregten Frager des Abends provozieren, der ihm vorwirft, er habe Churchill in seinem Buch als 'Kriegsverbrecher' gebrandmarkt. 'Eben nicht', kontert er. 'Ich will ihnen sagen, warum. Erstens war Churchill Sieger, es gab kein Gericht über ihn. Zweitens galt die massenhafte Tötung von Zivilisten noch nicht als unerlaubte Kriegführung.'" Einen Essay von Jörg Friedrich auf Englisch können sie auf signandsight.com lesen.

Weiteres: Hans Stimmann, ehemaliger Senatsbaudirektor von Berlin, macht sich für eine Verlängerung des Berliner Bahnhofsdachs und eine Renaissance der Bahnhöfe überhaupt stark. Reinhard Wengierek preist Wilfried Schulz, der 2009 vom Staatsschauspiel Hannover als neuer Intendant ans Dresdener Staatschauspiel wechseln wird, als vernünftig und strukturiert. Sven Felix Kellerhoff fragt sich nach dem Fund einer Notiz eines Luther-Mitarbeiters, ob der Reformator seine Thesen doch ans Kirchentor schlug. Michael Pilz gratuliert dem Gitarristen Dave Davies zum Sechzigsten, der den Heavy Metal erfand, indem er mit einer Rasierklinge eine Lausprechermembran zerschnitt. Holger Kreitling lässt vor dem Start des sechsten Teils noch einmal alle Teile von Sylvester Stallones Rocky-Saga Revue passieren. Barbara R. Kutscher resümiert die Auktionen alter Meister bei Sotheby's in New York. Klaus Geitel schreibt zum Tod des Komponisten Gian Carlo Menotti.

Für die Literarische Welt porträtiert Elmar Krekeler den englischen Romanautor Graham Swift, der vor fünfundzwanzig Jahren seinen ersten Erzählband veröffentlichte. Eine Besprechung ist der Ausstellung mit Tim und Struppi-Zeichnungen von Herge im Pariser Centre Pompidou geschuldet.

TAZ, 03.02.2007

Magdalena Kroener hat sich die umfassende Ausstellung der Werke Pierre Klossowskis in Köln angesehen - und bestaunt den Künstler als Meister des Erotischen: "Bei Klossowski ringen Männer und Dämonen mit der Macht des Weiblichen. Mal erscheinen sie als Schuljungs, fasziniert vom Blick auf die immergleiche Frauengestalt mit den fast männlichen Gesichtszügen und dem matronenhaften Kostüm. So etwas wie demokratisch ausgehandelte Gleichberechtigung existiert in dieser Welt des absoluten Begehrens nicht - die Frau wird ver- und entführt, bestaunt beim Koitus durchs offene Fenster. Immer wieder gibt es gerade in den mythologisch inspirierten Szenen Andeutungen sexueller Überwältigung, in der jedoch die Frau stets die Handlungsmacht besitzt."

Weitere Artikel: Im Interview zu seinem achtzigsten Geburtstag ist Avantgardefilmer ("Scorpio Rising") Kenneth Anger prächtig zum Lästern aufgelegt, über Tom Cruise zum Beispiel. Stefan Heidenreich vermisst auf der diesjährigen Transmediale den Willen zur Reflexion. Detlef Kuhlbrodt macht sich so seine Gedanken zum Winter unseres Handball-Vergnügens. Alfred Grosser teilt auf der Meinungsseite mit, dass er mit der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises an Henryk M. Broder alles andere als einverstanden ist.

Im Dossier des taz mag schreibt Cornelia Gellrich über ein Berliner Therapie-Projekt zur Prävention sexueller Übergriffe durch Pädophile. Im Interview spricht der in der einstigen deutschen Kolonie Tsingtau geborene Geograf Georg Wilhelm Matzat über die Geschichte seiner Heimatstadt. Elisabeth Wagner war bei einer Modenschau im Altersheim.

Besprochen werden unter anderem Frank Borschs Science-Fiction-Roman "Alien Earth - Phase 1", Linus Volkmanns Roman "Anke", ein Randgruppen-Buch über "Corporate Language", das Buch "Am Anfang war die Litfaßsäule" und Werner Rügemers Studie über "Privatisierung in Deutschland" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Und Tom.

Perlentaucher, 03.02.2007

Burkhart Kroeber, der Übersetzer Umberto Ecos, antwortet auf den gestrigen Artikel von Thomas Steinfeld in der SZ über den "Übersetzerstreit", der den Übersetzern vorwarf, nicht auf die Kompromissvorschläge der Verleger einzugehen: "Was für ein 'Kompromissvorschlag' das ist und warum die Übersetzer ihn abgelehnt haben, wird nicht untersucht, es wird von vornherein unterstellt, dass die Gründe nur verbandspolitische Sturheit und/oder Verblendung sein können, niemand von den Betroffenen wird gefragt, nicht einmal die Presseerklärung des Übersetzerverbands wird zitiert, dafür wird mit dem Bild vom fünfjährigen 'Streit' suggeriert, es handle sich um eine ähnlich zähe Angelegenheit wie bei den Verhandlungen über Krankenkassentarife oder dergleichen - dabei haben sich die Verleger bisher konsequent geweigert, überhaupt richtig zu verhandeln."

FR, 03.02.2007

Niels Werber sieht in der sich etwa an den Konflikten im Nahen Osten zeigenden Unmöglichkeit, noch trennscharf zwischen Krieg und Frieden zu unterscheiden, eine historische Veränderung heraufziehen: "Derartige begriffliche Beben kündigen epochale Verschiebungen nicht nur seismographisch an, sondern es ist die Veränderung in der Selbstbeschreibung, die Epoche macht. Genau dies geschieht zur Zeit mit dem Begriffsfeld von Krieg und Frieden, das nicht mehr passt, weil es keinen Frieden mehr gibt, der diesen Namen als echter Gegenbegriff zum Krieg wirklich verdient... Die Gesellschaft, die sich an die Effekte des allenthalben und allerorten geführten Nicht-Krieg gewöhnt hätte, wäre eine andere. Sie wäre 'entsichert' (Tom Holert/Mark Terkessidis). Der Friede wäre ihr unbekannt."

Weitere Artikel: Der Lyriker Uwe Kolbe teilt die Kritik des Autors Gert Loschütz am Lyriker Volker Braun und dessen auch aus seiner Sicht allzu mauerfreundlichem Gedicht "Die Mauer". Klaus Walter erinnert an den revolutionären Aufnahemeingenieur und "Techno-Nekromantiker" Joe Meek. Karin Ceballos Betancur berichtet in der "Bonanza"-Kolumne von ihrem vergeblichen Kampf mit den neuerdings EC-Karten-Schlitz-bewehrten Zigarettenautomaten. Den Nachruf auf den Komponisten Gian Carlo Menotti schreibt Stefan Schickhaus.

Besprochen werden William Forsythes neue Choreografie "Fivefold", das Gastspiel von "Bollywood - The Show" in der Alten Oper in Frankfurt, die CD "Miniatures & Folklore" des Cellisten Gavriel Lipkind, die Düsseldorfer Ausstellung mit dem Spätwerk Pablo Picassos und Dieter Giesings Bochumer Inszenierung von George Feyeaus "Floh im Ohr" mit einem brillanten Burghart Klaußner.

FAZ, 03.02.2007

In der Wochenendbeilage Bilder und Zeiten preist Frank Schirrmacher den britischen Graffiti- und Spaßkünstler Banksy, dessen Tags ebenso bei Ebay wie bei Sotheby's versteigert werden - wenn man sie denn aus den Mauern herausgemeißelt bekommt. Aber auch Banksys Museumsschmuggel schätzt Schirrmacher: "Eines seiner Meisterstücke gelang ihm im British Museum. Dort brachte er unbemerkt ein Stück Mauer mit fingierter Felsmalerei aus der Jäger-und-Sammler-Zeit an. Zu sehen ist ein Büffel, der von Speeren getroffen ist, und ein Mensch, der einen Einkaufswagen schiebt. Das angebliche Fragment ('Es gibt nicht viele, die meisten wurden von pflichteifrigen städtischen Bediensteten entfernt', lautet der Text neben dem Exponat) hing an prominenter Stelle acht Tage im British Museum. Mittlerweile hat es die Museumsleitung in die Dauerausstellung für Felsmalereien aufgenommen."

Dirk Schümer besucht Baden-Baden, das wieder russisch wird. Jordan Mejias trifft den amerikanischen Autor Louis Begley, Matthias Hannemann unterhält sich mit dem Polarabenteurer Arved Fuchs, und Hubert Spiegel liest Peter Handkes "Kali".

Im Feuilleton stellt Christian Schwägerl angesichts des gestern in Paris präsentierten UN-Klimaberichts erschüttert fest: "Die Klimafrage ist der größte und härteste Intelligenztest in der Geschichte der Menschheit." In der Randspalte spottet "aro" darüber, dass westfälischen Einrichtungen wie dem Landesmuseum nun das Markenzeichen LWL angeheftet wird - LWL wie Landschaftsverband Westfalen-Lippe. In seiner Kolumne Geschmackssachen stellt Jürgen Dollase die Hamburger Spitzenköchin Cornelia Poletto vor. Tobias Döring schreibt zum Sechzigsten des New Yorker Autors Paul Auster.

Auf der Plattenseite widmen sich Rezensionen dem neuen Album "This Atom Heart of Ours" von Naked Lunch, Marek Janowskis und Benedikt Koehlens Einspielungen von Karl Amadeus Hartmann und Andreas Mands "CD zum Romanwerk".

Besprochen werden außerdem die Uraufführung von William Forsythes neuer dreiteiliger Choreografie im Frankfurter Festspielhaus Hellerau, Stefan Herheims "Don Giovanni" in Essen und eine Sigmar-Polke-Retrospektive im Museum Frieder Burda in Baden-Baden.

NZZ, 03.02.2007

Der Kunsthistoriker Christian Saehrendt wirft in der Beilage Literatur und Kunst einen recht gelassenen Blick auf das stetig wachsende "Berliner Künstlerproletariat", das sich mit Kellnern, Putzen und Webdesignen über Wasser hält. "Noch immer gilt die Redensart: Wenn sich Banker treffen, reden sie über Kunst, wenn sich Künstler treffen, reden sie über Geld."

Paul Jandl fährt mit Josef Winkler durch Kärnten, einst die "archaische Hölle aus Katholizismus und Gewalt". Dieter Schwarz widmet sich dem Werk des italienisch-schweizerischen Künstlers Mario Merz. Patrick Müller besucht Hermann Scherchens elektroakustisches Experimentalstudio in Gravesano. Victor Schwarz schreibt zum hundertsten Geburtstag des Komponisten Sandor Veress.

Im Feuilleton: Stephan Rosiny gibt einen Überblick über die schiitische Verlagslandschaft im Libanon, die ebenfalls vom Krieg im vergangenen Sommer schwer getroffen wurde. Sieglinde Geisel schreibt zur vor sich hinköchelnden Frage um Frauen, Mütter und die F-Klasse.

Besprochen werden eine Schau der Rigi-Aquarelle von William Turner in der Tate Britain und Bücher, darunter Wilhelm Genazinos Romangroteske "Mittelmässiges Heimweh", Peter Hoegs Krimiparabel "Das stille Mädchen" und Antony Beaumonts Biografie des Komponisten Alexander Zemlinsky (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Berliner Zeitung, 03.02.2007

Im Interview mit Daniela Vates und Holger Schmale im Magazin erklärt Gesine Schwan, Politikwissenschaftlerin und Präsidentin der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder, warum Frauen in der Politik reüssieren. "Das gilt schon für die nationale Politik, es wird immer mehr für die internationale Politik gelten, wo wir das Ende der staatlichen Souveränität selbst bei den USA feststellen müssen. Deshalb kann Politik auch nicht mehr durch ein Gewaltmonopol sanktioniert werden, sondern nur noch durch freiwillige Zustimmung. Demokratische Politik unter den Bedingungen der ökonomischen Globalisierung ist ein Aushandlungsprojekt. Es ist doch kein Zufall, dass Wissensfelder wie die Mediation florieren. Alle stehen immer mehr unter dem Druck, haltbare Entscheidungen zu treffen. Da muss man lernen, das Konsenspotenzial besser auszuloten."

SZ, 03.02.2007

Alexander Menden war Zeuge einer Londoner Lesung Jörg Friedrichs aus "Der Brand", auf der der Autor Gegenwind erntete. "Ein älterer Herr in der ersten Reihe hält Friedrich vor, seine Präsentation sei 'sensationslüstern': 'Die Wörter, die Sie verwenden, sind unhistorisch und dürften wohl Leuten wie David Irving am besten gefallen!', sagt er. Kein Wort habe Friedrich verloren über die Zerstörung von Leningrad und Warschau, über die Ermordung jüdischer Babys und die Tatsache, dass die Bombenangriffe die einzige Verteidigungsmöglichkeit für die Briten gewesen seien. Jörg Friedrich erhebt zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend die Stimme: 'Sie lügen!' ruft er: 'Sie konfrontieren mich hier mit Schulbuchwissen! Ich habe Tausende von Seiten über diese Themen geschrieben.'"

Weitere Artikel: Im Interview spricht Bauminister Wolfgang Tiefensee über die neuen Pläne für das Berliner Stadtschloss: "Frage: Ein halbherziges Billig-Schloss? Tiefensee: Das Gegenteil wird der Fall sein." Der Streit ums fehlende Ohrenblech als Stahlträgerverankerung am Berliner Hauptbahnhof ist Gegenstand des von Gerhard Matzig verfassten Aufmachers.

Thomas Steinfeld stellt zur Wiedervereinigung von The Police fest: "The Police war die Rache des Kleinbürgertums am Punk." Außerdem erklärt Steinfeld noch einmal, dass das Darben der Übersetzer so bedauerlich wie notwendig fürs Überleben der deutschen Übersetzungskultur sei (hier die Antwort des Übersetzers Burkhart Kroeber, der nicht einsieht, warum gerade er - und nicht Feuilletonredakteure - im höheren Sinne zurückstecken soll). Peter Joachim Lapp erinnert zum fünfzigsten Todestag an General Paulus, der vor Stalingrad kapitulierte. Den Nachruf auf den Komponisten Gian Carlo Menotti schreibt Helmut Mauro. Jens Christian Rabe zeigt sich von der Leistungsschau des jüngsten Jahrgangs der Münchner Filmhochschule HFF beeindruckt. Auf der Medienseite träumt Michael Jürgs von einer Kultur-Revolution bei der ARD.

Besprochen werden die Bremer Uraufführung von Sidney Corbetts Kammeroper "Keine Stille außerhalb des Windes" und die große Ausstellung zur Biedermeier-Kultur in der Wiener Albertina.

Auf der Literaturseite kündigt Volker Breidecker das Erscheinen der unveröffentlichen Aufzeichnungen zum Abschluss der Hugo-von-Hofmannsthal-Werkausgabe an. Rezensiert werden Peter Handkes Vorwintergeschichte "Kali", Annette Brauerhochs Studie über "Fräuleins und GIs" im Film und ein Band über den Atheismus (mehr in der Bücherschau ab 14 Uhr).

Im Aufmacher der SZ am Wochenende demonstriert Holger Gertz am Beispiel des "Dosenlimonadenvereins" Red Bull Salzburg, wie der Fußball vor die Hunde geht. Werner Bartens porträtiert eine Frau, deren Leben nach einem Stromschlag nicht mehr dasselbe ist. Julia Werner schreibt über Haute Couture im Internet. Auf der Historienseite geht es um die brenzlige Geschichte der Theaterbeleuchtung und um Fritz Trippe, der sehr nüchtern über den Ersten Weltkrieg schrieb. Vorabgedruckt wird Annette Mingels' Erzählung "Die Klage der Katze über die fehlenden Mäuse". Im Interview zum Thema "Diva" spricht Bryan Ferry unter anderem über den Willen zur Innenarchitektur: "Wie Sie wissen, waren wir bei Roxy Music dafür berühmt, Hotels nicht zu zerstören: Wir haben sie nur umdekoriert."