13.02.2007. In der NZZ konstatiert Sonja Margolina: Unter Putin fühlt sich Iwan Normalverbraucher richtig wohl. Die FAZ erinnert daran, dass sich deutsche Terroristen trotz aller Bekennerschreiben niemals wirklich zu ihren Taten bekannten. Die FR porträtiert den Regisseur Guy Maddin, der Stummfilme macht wie vor achtzig Jahren. Die taz erinnert mit FAZ-würdiger Wehmut an die einstige Hochzeit des deutschen Kulturradios. In der Berliner Zeitung erklärt der erste panasiatische Popstar Rain, wie er tanzt. Und in der SZ erklärt Stefan von Holtzbrinck, wie sich die traditionellen Medien des Internets erwehren sollen.
FR, 13.02.2007
Heike Kühn
preist ihre Lieblingssektion der
Berlinale, das
Forum. Hier wird noch voll auf Risiko gesetzt. "Einen verrückteren Film als
Guy Maddins 'Brand Upon The Brain!' wird man auf diesem Festival wohl nicht finden, aber sicher auch keinen originelleren.
Cinemania und Ödipuskomplex gehen in allen Filmen des eigenwilligen Kanadiers eine Amour Fou ein. Auch sein bislang größter Coup
'Brand Upon the Brain!' ist in Schwarz-Weiß und wie immer in
Stummfilmoptik gedreht. Diesmal bekennt sich der Filmemacher explizit dazu, ein Sohn des Kinos zu sein. Die Verehrung für die Klassiker und der symbolische Mord an den filmischen Übervätern balancieren sich traumhaft aus. Die Bilder verschwimmen in Überblendungen und dem gleißenden Licht der
caligaresken Groteske, die Schatten sind bedrohlich, der Rhythmus erscheint uns sprunghaft, weil der Stummfilm den Umschnitt von einer Figur auf ihre Teilansicht, sagen wir, auf abgrundtief geschwärzte Augen, als dramatische Vertiefung der Situation verstand, als Schwanken einer sichtbar werdenden Seele."
Weiteres: Hans-Jürgen Linke
porträtiert den Geiger
Jagdish Mistry. Besprochen werden die Skulpturen junger Künstler in der
Ausstellung "
Die Macht des Dinglichen" im Berliner
Georg-Kolbe-Museum sowie
Inszenierungen von Stücken
Benjamin Brittens, "The Turn of the Screw" in der Oper Leipzig und "Peter Grimes" an der Dresdener Semperoper.
Welt, 13.02.2007
Michael Pilz
porträtiert Dean Reed, dem auf der Berlinale ein Filmporträt gewidmet ist. Sven F. Kellerhof
stellt einen Zwischenbericht der Historikerkommission zur
Bombardierung Dresdens vor. Peter Dittmar
berichtet von Verhandlungen des
Guggenheim Museums über eine dauerhafte Präsenz in
China. Rüdiger Sturm erzählt, dass der Dokumentarfilm "More than 1000 Words" um ein Haar beim
Teheraner Filmfestival gezeigt worden wäre, obwohl der Regisseur ein israelischer Jude ist. Aber am Ende wurde doch nichts draus. Auf der Medienseite stellt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Bender Pläne für ein "
Wort zum Freitag" für Muslime vor.
Auf der Berlinale-Seite gibt
Matt Damon ein Interview zu seiner Rolle in de Niros "Der gute Hirte". Peter Dausend war nicht beeindruckt vom neuen Film mit Sharon Stone ("When a Man falls in the Forest"), aber
Stones Pressekonferenz nach der Vorführung - "ganz großes Kino". Besprochen wird der
Film "Tagebuch eines Skandals" mit
Judi Dench und
Cate Blanchett. Ein
Text widmet sich dem diesjährigen Ehren-Bär-Preisträger
Arthur Penn.
Besprochen werden eine
Ausstellung über den Renaissance-Bildhauer
Conrat Meit in München und
Edward Rushtons Vertonung der "Frommen Helene".
TAZ, 13.02.2007
Mit
FAZ-würdiger Wehmut
erinnert Monika Boll an das formidable
Kulturradio der jungen Bundesrepublik, das heute nur noch in Spuren vorhanden ist. "Die historisch besondere und möglicherweise einmalige Konfiguration dieser Radiokultur bestand in der Liaison, die in den Fünfziger-, Sechzigerjahren die klassische bürgerliche Öffentlichkeit,
Kants kritisch räsonierendes Publikum mit dem elektronischen Massenmedium eingegangen war. Womit das real existierende Kulturradio sowohl die seinerzeit populären kulturpessimistischen Befürchtungen von Jürgen Habermas zum 'Strukturwandel der Öffentlichkeit' widerlegte als auch
Marshall McLuhans luftige Theorien über das Radio als verlängertes Medium der
Buschtrommel."
Weitere Artikel: Tobias Rapp
wertet die
temporäre Kunsthalle, die am Berliner Schlossplatz entstehen soll, als neuen und
billigen Coup des "Schlitzohrs" Klaus Wowereit. Helmut Höge
registriert eine gestiegene Nachfrage nach Bodyguards. In der zweiten taz
gratuliert Thomas Winkler den jetzt Grammy-geadelten
Dixie-Chicks für ihren richtigen Riecher in Sachen Irakkrieg. Im Medienteil
befragt Steffen Grimberg den
ZDF-Intendanten
Markus Schächter über seine Pläne zum Download-Fernsehen.
Auf den
Berlinale-Seiten unterhält sich Ekkehard Knörer mit der Regisseurin
Angela Schanelec über ihren Forumsfilm "Nachmittag". Barbara Schweizerhof preist den britischen Wettbewerbsfilm "Notes on a Scandal" und
Judi Denchs Mut zur
erschreckenden Hässlichkeit. Besprochen werden außerdem
Andre Techines Wettbewerbsfilm "Les Temoins", ein experimenteller
Dokufilm über Zwangsprostituierte in Österreich und
Pascale Ferrans Panorama-Beitrag "Lady Chatterley".
Besprochen wird die
Ausstellung "formschön" des Künstlers
Tilo Schulz in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig.
Und
Tom.
NZZ, 13.02.2007
Während dem Westen Russland immer unheimlicher wird, fühlt sich die russische Bevölkerung
unter Putin immer besser,
schreibt Sonja Margolina: "So war laut Umfragen des Lewada-Zentrums das vergangene Jahr eines der
ruhigsten und glücklichsten. 46 Prozent der Russen blicken optimistisch in die Zukunft. Die Ursache ist eine reale Verbesserung der Lebensstandards eines bedeutenden Teils der Bevölkerung. Die Ergebnisse der Reformen, die Anfang der neunziger Jahre in Gang gesetzt wurden, kommen endlich auch dem Durchschnittsmenschen zugute. Iwan Normalverbraucher, der dank billigen Krediten nun seine lange angestauten Konsumträume verwirklichen kann, interessiert sich kaum für Demokratie und Menschenrechte, er ist auch durch die Ermordung von
Anna Politkowskaja oder
Alexander Litwinenko nicht aus der Laune zu bringen und pfeift auf die westliche Kritik. Nach der Niederlage im Kalten Krieg hat er an Selbstbewusstsein gewonnen und heißt die Politik des Kremls, auch dessen Großmachtgebärden, gut."
Weiteres: Andrea Köhler
berichtet, dass nun mit der Literaturwissenschaftlerin
Drew Gilpin Faust eine Frau an der Spitze der
Harvard Universität steht und damit Lawrence H. Summers nachfolgt, der Frauen noch die "innere Befähigung" zu Naturwissenschaft und Karriere abgesprochen hat. Martina Wohlthat
besucht Basels Zentrum für neue Musik,
Gare du Nord. Besprochen werden
Attia Hosains autobiografischer
Roman "Licht auf zerborstenen Säulen" (
hier eine Leseprobe) und
Carmen Laforets Roman "Die Insel und die Dämonen" (mehr in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
Berliner Zeitung, 13.02.2007
Im Interview mit Jens Balzer
spricht Jung Ji-hoon alias
Rain, der erste
panasiatische Popstar, über seine Vorbilder: "Ich liebe Ray Charles und James Brown, den Godfather of Soul; und ich verehre Michael Jackson und Janet Jackson. In meinem Tanzstil kombiniere ich Michael Jacksons
Moonwalk mit
Martial-Arts-Elementen. Meine Choreografien entwickle ich grundsätzlich selbst; ich will, dass sie anders aussehen, als man das von amerikanischen Künstlern gewohnt ist." Rain ist mit seinem Film
"Ich bin ein Cyborg, aber das macht nichts" Berlinale-Gast.
FAZ, 13.02.2007
Trotz aller Bekennerschreiben,
so Frank Schirrmacher, haben sich die deutschen
Terroristen niemals wirklich zu ihren Taten bekannt: "nie in der einzig relevanten Frage,
welches Individuum welche Tat ausgeführt hat. Die Morde in Stockholm, die Ermordung von Jürgen Ponto und Hanns-Martin Schleyer, von Gerold von Braunmühl und Heinz Hillegaart sind anonym verübt worden. Kein Mensch aus Fleisch und Blut hat für diese Taten jemals die Verantwortung übernommen. Der Bekenntnis-Mut der Terroristen war ein
dpa-Mut."
Weitere Artikel: Christian Geyer begrüßt
Renate Künasts eindeutige Kaufempfehlung für Hybrid-Autos von
Toyota - da deutsche Konzerne nichts Entsprechendes zu bieten haben. Andreas Rossmann
ist so empört über
Volker Löschs Düsseldorfer Inszenierung des "Besuchs der alten Dame", dass er sie per Leitglosse erledigt. Patrick Bahners berichtet über ein Berliner Projekt zur Erforschung der
politischen Redekunst in Geschichte und Gegenwart. Peter Kropmanns bedauert, dass das kleine
Ateliermuseum des Bildhauers
Henri Bouchard aus Paris nach Roubaix abwandern soll. Dirk Schümer berichtet über den Fund angeblich echter Tagebücher
Mussolinis.
Auf der Berlinale-Seite klagt Verena Lueken über die bislang maue Qualität des
Wettbewerbs. Leonie Wild interviewt die Performance-Künstlerin
Nikki S. Lee, die ihr Wirken in einem
Dokumentarfilm festhielt. Claudius Seidl
war bei der Party für den wieder aufgeführten Film "Menschen am Sonntag" und Hans-Jörg Rother berichtet, dass die ungarische Regisseurin
Marta Meszaros die Berlinale-Kamera verliehen bekommt.
Auf der Medienseite schildert Hans-Christian Rössler die extrem gefährlichen Arbeitsbedingungen
irakischer Journalisten. Patrick Bahners schreibt zum Tod des Schauspielers
Ian Richardson. Und Michael Hanfeld berichtet über eine Rüge des Rechnungshofs für die Auftragsvergabe der
GEZ.
Für die letzte Seite porträtiert Hubert Spiegel den neuen grünen
Bürgermeister Tübingens,
Boris Palmer, der die Stadt durch
ökologische Stadtplanung ins Gespräch bringen will. Joachim Müller-Jung würdigt das Engagement von Umweltminister Gabriel für die
Wölfe. Und Andreas Eckert porträtiert die erste Frau als
Harvardpräsidentin,
Drew Gilpin Faust.
Besprochen werden eine
Dior-Ausstellung in
Berlin,
Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" in
Christina Paulhofers Basler Inszenierung und eine neue CD von
Rickie Lee Jones.
SZ, 13.02.2007
Stefan von Holtzbrinck, der nach dem Weggang von Michael Grabner nun auch für die Zeitungen zuständig ist,
erläutert gegenüber Hans-Jürgen Jakobs, wie die großen Verlage das Internet überleben wollen. "Im Internet werden viele Inhalte
frei gestellt, hohe Aktualität und instant opinion, die schnelle Meinung, sind verfügbar und gefragt. Die Verlage sind daher gefordert, sich durch die redaktionelle, vor allem analytische Qualität ihrer Print-Titel abzusetzen. Den Mehrwert, ihre besondere Nähe zum Leser, müssen sie täglich unter Beweis stellen."
Auf der Frankfurter Messe
Ambiente wünscht sich ein pikierter Gerhard Matzig, es wäre 1920 und das Bauhaus käme. "Der
Endsieg des schlechten Geschmacks ist auf der 'Ambiente' wie mit Händen zu greifen. Kant ist widerlegt: Das Vermögen der ästhetischen Urteilskraft ist - ganz offensichtlich - eben nicht 'von allgemeiner Natur', sondern in Wahrheit alles andere als marktrelevant. Design, jene Kunst, die einst auszog, das Schöne wie am Fließband für eine angeblich nach guter Gestaltung lechzende Masse zu produzieren, ist nichts anderes als eine
Lebenslüge."
Weiteres: Maria Golia schreibt für die Reihe Megacitys über
Kairo. Von der
Berlinale meldet sich Susan Vahabzadeh mit den Wettbewerbsfilmen von Richard Eyre, Ryan Eslinger und Clint Eastwood, während Anke Sterneborg dem jungen deutschen Kino "Roadmovie"-Qualitäten zuspricht. Vasco Boenisch attestiert
Amelie Niemeyer einen eher holprigen Start als Intendantin des Düsseldorfer Schauspielhauses. Karl Bruckmaier widmet sich dem
Grammy, der mittlerweile in
108 Kategorien verliehen wird, inklusive des Polka-Album des Jahres. Roswitha Budeus-Budde unterhält sich mit der Journalistin und Kochbuchautorin
Sybil Gräfin Schönfeldt, die heute achtzig Jahre alt wird. Thomas Steinfeld schreibt zum Tod der schwedischen Schriftstellerin
Marianne Fredriksson. In einer Zwischenzeit amüsiert sich Hermann Unterstöger über die "Kohlrabi-Texturen" des
FAZ-Gourmetkritikers.
Florian Welle erfährt vom
Sachbuchforscher Stephan Porombka im Interview auf der Literaturseite, warum das Sachbuch die eigentliche journalistische Königsdisziplin ist.
Besprochen werden eine Ausstellung über den Maler
Giorgio de Chirico im Palazzo Zabarella in
Padua, der Ballettabend "Creative House" am Münchner Gärtnerplatztheater, und Bücher, darunter
Benjamin Bertons Roman "Am Pool" und
Johann Hinrich Claussens Gedanken über den Drang "
Zurück zur Religion" (mehr in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).