Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.02.2007. In der Welt meint die Schriftstellerin Elif Shafak, dass die fremdenfeindliche Türkei und das türkeifeindliche Europa eine gute Hybrid-Kultur ergäben. In der SZ erklärt Wolfgang Tillmans, warum er gern das Gegenteil dessen macht, was die Kritiker über ihn schreiben. Die taz erinnert an die einst weit verbreitete RAF-Sympathie, auch unter heutigen Ex-Linken. Und die FAZ konstatiert, dass es erst einmal die Krippen geben muss, in denen man sein Kind nicht unterbringen möchte.

Welt, 20.02.2007

In einem Interview mit Michael Skafidas berichtet die türkische Autorin Elif Shafak von der bewegenden Beerdigung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink und konstatiert: "Ich kritisiere die Fremdenfeindlichkeit und den Ultranationalismus in meinem Land. Ich kritisiere aber auch die anhaltende Islamophobie und Türkophobie, die es im Westen gibt... Ich unterstütze die EU-Mitgliedschaft aus ganzem Herzen. Ich glaube, sie ist nicht nur gut für die Türkei, sondern auch gut für Europa. Millionen Muslime leben im Herzen Europas, der alte Kontinent muss sich also der Frage hybrider Kulturen stellen. Das ist eine ernste Herausforderung. Was die Türkei angeht, so ist sie in einer einzigartigen Position. Es ist wahr, dass Land muss weitere Schritte zu mehr Reformen unternehmen, aber es sollte dazu ermutigt und nicht entmutigt werden."

Weitere Artikel: Matthias Heine weiß zu berichten, dass der japanische Walfänger "Nisshin Maru", der seit Tagen steuerlos durch die Antarktis treibt, Drehort für Matthew Barneys und Björks "Drawing Restraint 9" war. Die beiden erlebten auf dem Schiff eine Menge Schintoismus-Zauber, um schließlich als Walmenschen durch die Meere zu schwimmen. Peter Dittmar verarbeitet in der Randglosse den neuen Trend unter Sammlern, Bilder per E-Mail zu kaufen. Johannes Wetzel stellt Muriel Mayette vor, die neue Leiterin der Comedie francaise. Gerhard Midding gratuliert Sidney Poitier zum Achtzigsten.

Besprochen werden Keith Warners und Simone Youngs Aufführung von Strauss' "Frau ohne Schatten" an der Hamburger Staatsoper und die große Werkschau des Künstlerduos Gilbert und George in Londons Tate Modern.

SZ, 20.02.2007

Wolfgang Schreiber macht sich daran, den vielbeschworenen deutschen Orchesterklang endlich einmal auf den Punkt zu bringen. "Seine musikalischen Ordnungsprinzipien sind beherrscht von dichten und weit gezogenen Spannungsverhältnissen, die getragen werden von Gesanglichkeit, der langen Bogenführung der Streicher. Unerschöpfliche melodische Kraft entfaltet sich in einer ausgeprägten Breite der Klangs, der dunkel eingefärbt und tief gestaffelt erscheint. Charakteristisch die Ausdruckswärme der Holzbläser, die weiten Schwingungen des Vibratos. Doch müssen und wollen Brahms und Bruckner ewig so musiziert werden?"

Dass die jüngst ausgestellten zerknüllten einfarbigen Fotopapiere Verwunderung hervorriefen, ficht den Fotokünstler Wolfgang Tillmans nicht an, der nach fünf Jahren Deutschland-Pause nun wieder in Hannover ausstellt. "Ich würde das eher eine bewusste Verlangsamung des Sehens nennen. Natürlich ist der Bildinhalt eines gegenständlichen Fotos per se so stark und überzeugend, dass die wenigsten Menschen die Materialität dieses Fotos beachten. Die öffentliche Rezeption des eigenen Werkes hinkt meist weit hinter der Selbstwahrnehmung des Künstlers her. Mir erscheint da eine Kursänderung so träge zu sein wie bei einem Riesenschiff. Meine These ist: Sie dauert in etwa sieben Jahre. Ich habe immer gern das Gegenteil dessen gemacht, was gerade über mich geschrieben wurde."

Weiteres: Die traditionelle, heile Familie, die konservative Politiker beschwören, hat es nie gegeben, bemerkt Jens Bisky. 130 jüdische Intellektuelle haben ein israelkritisches Manifest veröffentlicht, informiert Sonja Zekri. Clemens Pornschlegel sieht den republikanischen Universalismus wie Transzendentalismus als Problem für die Entwicklung Frankreichs. Andrian Kreye überbringt der Jazzsängerin Nancy Wilson Glückwünsche zum Siebzigsten, Fritz Göttler gratuliert Sidney Poitier zum Achtizgsten. In einer "Zwischenzeit" grübelt Joachim Kaiser über nachträgliche Änderungen bei Kompositionen.

Besprochen werden Aufführungen von Gotthold Ephraim Lessings "Emilia Galotti" und Heinrich von Kleists "Penthesilea" am Schauspielhaus Bochum, Martin Kusejs und Nikolaus Harnoncourts Version von Mozarts "Zauberflöte" in Zürich, und Bücher, darunter Tobias O. Meißners Roman "Hiobs Spiel" sowie Giuseppe Zigainas Erzählungen "In die Lagune" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 20.02.2007

Unter den Linken erinnert man sich heute nicht mehr gern an die weit verbreitete Sympathie für die RAF, behauptet Klaus Walter auf der Meinungsseite. "Wie die Kultur-BoBos ihre Schwäche für den Radical Chic der Baader-Meinhof-Gang, so verdrängen viele Exlinke ihre frühere Nähe zu den heute Geächteten. Das gilt auch für Leute wie Gerd Koenen (hier) und Wolfgang Kraushaar (hier), die sich als Chronisten des 'roten Jahrzehnts' (Koenen) mit dicken Büchern in den Rang neutraler Sachverständiger schreiben. Der ermächtigt sie, in dünnen Zeitungen und noch dünneren Talkshows ihre Lightversion der Geschichte zu verbreiten. Dann schrumpft die RAF auf die 'Lebenslüge' (Kraushaar) einer Handvoll Psychopathen, die nicht von ihrer 'Identitätskrücke' lassen können."

Im Kulturteil resümiert Katrin Bettina Müller ein Berliner Symposium zur Pose. Isolde Charim vergleicht Uschi Obermaier und Paris Hilton und verbucht einen knappen Punktsieg für letztere. "Sie führt uns die Art, wie wir heute genießen, vor." Dirk Knipphals will sich vom Kollegen Helmut Böttiger den Kitschvorwurf an Peter Handke ebensowenig verbieten lassen wie Handke-Lob. Wolfgang Ullrich bezweifelt die von Richard Sennett in seinem Buch behauptete Warenförmigkeit der Politik auch deshalb, weil ansonsten konsumfreudige Jugendliche sich nicht für sie begeistern. Eine Besprechung widmet sich den Aufführungen von Gotthold Ephraim Lessings "Emilia Galotti" in Bonn und Bochum.

In der zweiten taz unterhält sich Wolf Schmidt mit Rowan Barnett, dem Chefredakteur der Zeitung AvaStar, die der Springer Verlag in der virtuellen Welt von "Second Life" herausgibt. "Bisher haben wir hervorragendes Feedback, wie zum Beispiel auf die Geschichte über die Diskriminierung von Furries." In seiner Nachbetrachtung hält Schmidt Geschichten aus der echten Welt aber immer noch für interessanter.

Schließlich Tom.

NZZ, 20.02.2007

Markus Jakob beschreibt in einem Schauplatz Cordoba, wie sich die Aufbruchstimmung der Stadt in deren Architektur wiederspiegelt. Georg Klein schickt einen Brief aus der Provinz. Franz Haas bringt uns auf den neuesten Stand, was die Mussolini-Tagebücher angeht. Paul Jandl schreibt zum Tod des Schriftstellers Jakov Lind.

Besprochen werden eine Ausstellung zu Odilon Redon in der Frankfurter Schirn, eine "Elektra", inszeniert von Calixto Bieito in Freiburg, und Bücher, darunter Hanna Johansens Roman "Der schwarze Schirm" und zwei Bücher zum Opus Dei (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 20.02.2007

Martin Kusejs und Nikolaus Harnoncourts Version von Mozarts "Zauberflöte" im Opernhaus Zürich ist originell genug für Joachim Lange. "Wenn Nikolaus Harnoncourt seinen Mozart umpflügt, wird daraus kein routiniertes Arien-Abhaken und schon gar keine gefällige Hitpräsentation. Er hat sein eigenes, forderndes Verständnis von Präzision und Tempo, gelegentlich verblüffend neben dem eingängig Etablierten. Seine Zauberflöte nimmt er in Zürich jetzt eher dunkel romantisch. In einem vorgreifenden Rückgriff auf Schubert klingt hier manches wie ein dramatisch ausgeleuchtetes Lieddrama, samt Einpendeln und Aufschluchzen. Er hält damit allemal die Neugier wach, selbst auf die bekanntesten Arien dieser Oper und entfaltet musikalische Suggestivkraft mit seiner Individualität."

Weitere Artikel: Thomas Winkler stellt junge Britpop-Bands vor. Abgedruckt ist ein Interview mit dem Historiker Henry Rousso über die Auswirkungen des Prozesses gegen den Vichy-Kollaborateur Maurice Papon, der am Wochenende verstorben ist. Arno Widmann schreibt zum Tod des Schriftstellers Jakov Lind. In der Times mager empfiehlt Ina Hartwig das Blog von Rainald Goetz bei Vanity Fair.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Werken von mehr als fünfzig Op-Art-Künstlern aus den sechziger Jahren in der Frankfurter Schirn und Aufführungen von Gotthold Ephraim Lessings "Emilia Galotti" in sage und schreibe Bochum, Bonn, Düsseldorf und Essen.

FAZ, 20.02.2007

Eine klare Meinung hat Christian Geyer zum derzeit diskutierten Ausbau der Krippenplätze: "Politiker, hört bitte auf, tausend Gründe für oder gegen Krippen ins Feld zu führen. Nehmt einfach den einen Grund ganz ernst, der für mehr Krippenplätze spricht, und den zu gewichten eures Amtes ist: im Land eine Grundversorgung herzustellen, die es bisher noch nicht gibt. Nur dann haben auch jene die Wahl, arbeiten zu gehen, die sich weder Au-pair-Mädchen noch Tagesmütter leisten können. Wo es keine Krippenplätze gibt, da gibt es auch keine Wahl. Nicht umgekehrt."

Weitere Artikel: Nicht schlecht staunt Paul Ingendaay mit dem Rest Spaniens darüber, dass die Regierung Kataloniens, wie jetzt herauskam, aus Sprachgründen einen Pornofilmer subventionierte. Joseph Croitoru beobachtet beim Blick in osteuropäische Zeitschriften einen Hang russischer Gegenwartsautoren zum Realismus. Einen kurzen Eindruck vom Stillstand Chinas zum Neujahrsfest liefert "si.". Felicitas von Lovenberg gratuliert dem Modeschöpfer Hubert de Givenchy und Verena Lueken gratuliert dem Schauspieler Sidney Poitier zum achtzigsten Geburtstag. In der Glosse kommentiert "spin." mit Seitenhieben in Richtung Plattenindustrie die jetzt aufgeflogenen Plagiate der Pianistin Joyce Hatto. Nur kurz notiert wird der Tod des Autors Jakov Lind. Gemeldet wird, dass die indische Autorin Arundhati Roy verkündet hat, sich jetzt in einem neuen Buch wieder der Fiktion zuzuwenden.

Auf der DVD-Seite geht es heute nur um alte Fernsehserien. Der Regisseur Dominik Graf widmet sich Damiano Damianis Serienklassiker "Allein gegen die Mafia". Darüber hinaus gibt es unter anderem Besprechungen zur zweiten "Twin Peaks"-Staffel und zur britischen Kultserie "Nummer 6" mit Patrick McGoohan

Auf der letzten Seite berichtet Dirk Schümer von einem vermeintlichen "Sensationsfund" in Rom: Entdeckt wurde das - freilich gar nicht verschwundene - Ziborium, d.h. die Platten, die einst das Grab des Apostels Petrus bedeckten. Wiebke Hüster erzählt die Geschichte von Lord Byrons Piratenepos "Der Korsar". Andreas Platthaus porträtiert den Comiczeichner David Lloyd.

Besprochen werden Theaterversionen von Fatih Akins Film "Gegen die Wand" (am Gorki-Theater in Berlin) und Feridun Zaimoglus Roman "Leyla" in Potsdam, Aufführungen von "Penthesilea" und "Emilia Galotti" in Bochum, Calixto Bieitos "Elektra"-Inszenierung in Freiburg, die neuesten Werke des Komponisten Thomas Larcher, eine Ausstellung über Sophie von La Roche im Frankfurter Goethemuseum und Pal Zavadas Roman "Das Kissen der Jadwiga" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).