Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.03.2007. In der Welt fordert Wolfgang Sofsky ein Verbot von Verboten. Die FR macht sich Sorgen über die Konzentration im Buchhandel. In der taz fürchtet Niels Werber angesichts von Terror und Krieg gegen den Terror: Die Unterscheidbarkeit von Krieg und Frieden geht verloren. Die SZ verteidigt David Chipperfields geplantes Eingangsgebäude für die Museumsinsel.

FR, 13.03.2007

Jörg Plath graut es vor der Konzentration im Buchhandel. Die Marktführer Thalia und DBH (das Joint Venture von Hugendubel und Weltbild) seien schon jetzt zu groß. "Vielleicht sollten die Wettbewerbshüter ohnehin anders rechnen. Denn die Thalia und DBH verkaufen keine Fach- und wissenschaftlichen Bücher. Sie beschränken sich auf Romane, Sach-, Taschen-, Kinder- und Jugendbücher sowie Ratgeber, Reiseliteratur und Billigbücher. Deutlich mehr als 33 Prozent dieser populären Literatur aber geht schon jetzt bundesweit im Buchhandel vor Ort (ohne Buchgemeinschaften, Versender und Direktverkäufe) über die Theken von Thalia und DBH. Da deren Filialnetz fast flächendeckend ausgebaut ist, sind bundesweite Werbekampagnen nach dem Vorbild der Elektroketten nur noch eine Frage der Zeit: 'DBH. Ich bin doch nicht debil.'"

"Das Leben der Anderen" reizt Marcia Pally zu einer bitterbösen Stichelei. "In DLdA sind es die Deutschen, die widerlich sind. Vergesst Schadenfreude! Jetzt haben wir Schuldfreude. Und in den USA schenkt DLdA eine Riesendosis davon. Immer gibt es Deutsche, die noch schuldiger sind als wir. Und so verleihe ich der Deutschen Nation den Unverzichtbarkeitsbambi am Bande zum Dank dafür, dass sie uns drei Mal in einem Jahrhundert von unserer Schuld erlöst hat."

Das Bild von Albert Speer wird sich auch durch den Brief, in dem er sein frühes Wissen um den Holocaust behauptet, nicht großartig ändern, meint Christian Thomas. Das Bild vom "Nobel-Nazi" habe ohnehin schon gelitten. Peter Michalzik glaubt in einer Times mager, dass man die Vertriebenvorsitzende Erika Steinbach für revanchistisch und gleichzeitig manche Polen für antisemitisch halten kann. Besprochen werden Robert Lehnigers Inszenierung von Matias Faldbakkens "Macht und Rebel" im Prater der Berliner Volksbühne sowie Uwe Neumahrs Biografie Cesare Borgias.

Welt, 13.03.2007

Von Zigaretten über Nahrungsgewohnheiten und Alkohol bis zum Parken in Innenstädten: Der Soziologe Wolfgang Sofsky sieht sich umstellt von Verboten und veröffentlicht in der Welt eine Polemik: "Sobald der Staat die Gesellschaft erobert hat, ist es mit der Freiheit der Bürger vorbei. Die Gesellschaft ist sich ihrer Macht nicht mehr sicher. Mehr und mehr dringt sie selbst auf die Überwachung ihrer selbst. Milde und Nachsicht sind ihr ebenso unmöglich wie das Vertrauen auf die Selbstregulation im Konflikt-Fall. So selbstverständlich ist den Untertanen die Inflation der Vorschriften, dass ihnen der Freiheitsverlust gar nicht mehr auffällt."

Weitere Artikel: Michael Pilz freut sich über die Aufnahme von Grandmaster Flash in die Hall of Fame des Rock'n'Roll. Michael Stürmer erinnert an die Verkündung der Truman-Doktrin vor sechzig Jahren. Für Welt online hat Marion Meier den Trash-Filmer John Waters interviewt.

Auf der Magazinseite, aber leider nicht online ein Interview mit dem Autor Josef Haslinger, der zusammen mit seiner Familie den Tsunami in Thailand miterlebt hat und darüber jetzt ein Buch vorlegt.

TAZ, 13.03.2007

Zwischen Krieg und Frieden wird man in Zukunft nicht mehr so genau unterscheiden können, prophezeit Niels Werber in seinem mit Carl Schmitt unterfütterten Kommentar zum Krieg gegen den Terror. "Die Konsequenzen sind epochal, denn der Wandel in der Kriegsführung reißt eine Fülle basaler Unterscheidungen ein, die unsere Gesellschaft bislang ausgemacht haben: Die Differenzen von Krieg und Aufstandsbekämpfung, von Polizei und Armee, von Innen- und Außenpolitik, von Feind und Verbrecher, von Normalfall und Ausnahmezustand, ja die Unterscheidbarkeit von Krieg und Frieden geht verloren."

Weitere Artikel: Anne Kraume porträtiert den französischen Regisseur Patrice Chereau, der jetzt in Berlin zum Auftakt des Theaterfestivals France En Scene mit einer kleinen Hommage gewürdigt wurde. Lilli Brand stellt aktuelle Drogen vor. Besprochen wird Ariadne von Schirachs Buch "Der Tanz um die Lust".

In der zweiten taz unterhält sich Hannah Pilarczyk mit dem "Bild"-Blogger Stefan Niggemeier und der als Lyssa bekannt gewordenen Katharina Borchert über die nach wie vor notwendigen alten Medien: "Ich möchte nicht", meint Niggemeier, "dass die Massenmedien komplett wegfallen und Leute ihr Wissen über den 9/11 nur noch aus Verschwörungs-Foren haben".

Und Tom.

NZZ, 13.03.2007

Ausschließlich Besprechungen heute in der NZZ. Marianne Zelger-Vogt ist begeistert von Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung von Mozarts "Figaro" in Zürich: "Wir merken: Hier ist alles Spiel. Hinreißend und brillant gespielt. Bechtolf, der Schauspieler und Schauspielregisseur, fordert und bekommt von seinen Darstellerinnen und Darstellern einen totalen Einsatz, jeder Moment ist erfüllt - gelegentlich auch überfüllt - mit Aktion."

Besprochen werden außerdem eine Armani-Retrospektive in Mailand, eine Ausstellung mit sozialkritischen Fotografien von Bruno Serralongue in Genf, drei Choreografien des Stuttgarter Ballets und Bücher, darunter Wolfgang Schlüters Roman "Anmut und Gnade" und Tim Parks' Roman "Stille".

FAZ, 13.03.2007

Auch in Frankreich gibt es jetzt, informiert uns Jürg Altwegg, eine Diskussion um die mögliche Begnadigung von Terroristen. Vor allem Jean-Marc Rouillan, Gründer der "Action Directe", kämpft um seine Freilassung: "Von Reue ist dabei keine Spur. Dass man diese zu einer Bedingung seiner Freilassung mache, bezeichnet der Terrorist als 'Rache des Systems'. Sein Leben im Gefängnis habe ihn nicht zur Einsicht gebracht, 'dass die bürgerliche Demokratie die beste aller Gesellschaften sei, oder auch nur die am wenigsten schreckliche'."

Weitere Artikel: An der Berliner American Academy hat Uwe Walter einen Vortrag des Althistorikers Glen Bowersock gehört, in dem dieser Samuel Huntingtons Thesen zum "Clash of Civilizations" heftig kritisierte. Kerstin Holm berichtet von russischen Diskussionen zur Bedeutung der "bürgerlichen" Februarrevolte von 1917 für die Liberalen im heutigen Russland. Nicht schlecht staunte Christian Schwägerl über die Leistungen der Teilnehmer an der "Landesrunde der Mathematik-Olympiade" in Berlin - und findet es empörend, dass kein einziger Verantwortlicher der Stadt erschienen war. Dieter Bartetzko beklagt, dass historische Bausubstanz in Frankfurt oft widerstandslos niedergerissen wird. Hubert Spiegel hat auf der lit.Cologne dem "kulinarischen Quartett" zugehört. Karol Sauerland fasst die eher kritischen polnischen Stimmen zu Volker Schlöndorffs Film "Strajk" zusammen. "kho." gratuliert dem Schriftsteller Wladimir Makanin zum Siebzigsten.

Auf der letzten Seite stellt Jordan Mejias das New Yorker Justice Mapping Center vor, das Stadtpläne erstellt, die zeigen, in welchen Vierteln sich die Gewaltverbrecher konzentrieren. Dirk Schümer porträtiert Joachim Blüher, den Direktor der deutschen Künstlerakademie in der Villa Massimo .

Besprochen werden Kris Kristoffersons einziges Deutschland-Konzert in Hamburg, Lucinda Williams' neues Album "West", Sven-Eric Bechtolfs "ernsthaft schenkelklopfende" Inszenierung von Mozarts "Figaro", eine Münchner Ausstellung mit Fotografien von Gabriele Münter und ein Buch, Premtschands Roman "Godan oder das Opfer" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 13.03.2007

Gerhard Matzig wettert gegen die Initiative, die David Chipperfields geplantes Eingangsgebäude auf der Museumsinsel verhindern will und sich als Wahrer des dortigen historischen Erbes sieht. "Was die Rettungsmannschaft aber, fünftens, auch nicht davon abhält, die ebenfalls durch Chipperfield geplante Restaurierung des Neuen Museums, das im Krieg fast vollständig zerstört wurde, anzuprangern. Geplant ist - allen Standards der Denkmalgerechtigkeit entsprechend - eine Instandsetzung, die dem Überlieferten und einer behutsamen Ergänzung verpflichtet ist. Grobe Imitationen sollen unterbleiben. Genau daran stört sich die Bürgerinitiative, die derzeit 20.000 Stimmen sammelt, um ein Volksbegehren vorzubereiten. Die Initiatoren wünschen sich geradezu eine Art Museumsinsel-Disneyland - um ein Paradoxon zu erhalten: etwas Altes, das hübsch neu ist. Kriegsspuren und Zeitschichten sind unerwünscht. Die Initiatoren wollen keine authentischen Häuser, sondern Stadtmöbel, die im Kaufhaus als 'antik gebeizt' ausgezeichnet wären."

Der Schriftsteller Ivan Vladislavic erzählt in der Reihe zu den Megacitys von Johannesburg, in dem es vor allem gilt sich zu schützen: "Johannesburg war immer schon eine Grenzstadt, ein umkämpftes Gebiet. Das Territorium muss gesichert und verteidigt werden, sonst ist es verloren. Heutzutage wird überall in der Stadt gekämpft, so dass sich die Verteidigungslinien rapide vermehren. Mauern ersetzen Zäune, hohe Mauern ersetzen niedrige und die höchsten werden noch mit elektrischen Drähten und Stacheln aufgerüstet. In den wohlhabenden Vorstädten macht man alles platt und fängt von vorne an zu bauen. Hier steigen die Mauern mit jeder Gehaltserhöhung. Aus einer Steinmauer wachsen Fertigbaumauern, aus der Fertig-Mauer Stahl-Palisaden, und die werden am Ende mit Stacheldraht gekrönt."

Weiteres: Daniel Brössler annonciert die "Merowinger"-Schau, die heute im Moskauer Puschkin Museum eröffnet wird. Sonja Zekri erkennt, dass die gemeinsame Schau erkennen lässt, dass Deutschland mittlerweile von der Rückforderung aller russsichen Beutekunst Abstand genommen hat. In Klassik und Pop ist die Ausstrahlung des Künstlers entscheidend, realisiert Wolfgang Schreiber in einer Zwischenzeit. "eye" hat erfahren, dass die Comicfigur Captain America vor kurzem ihren vierten Tod erleiden musste. Kardinal Joseph Ratzinger war gegen den Auftritt Bob Dylans bei Johannes Paul II., erfährt Alexander Kissler aus dem Erinnerungsbändchen "Mein geliebter Vorgänger".

Im Literaturteil berichtet Jens-Christian Rabe von der lit.cologne, wo er bei Rocko Schamoni und Helge Schneider mehr Performance als Literatur erlebt hat. Auf der Medienseite zieht Michael Frank zum halben Geburtstag der Zeitung Österreich eine durchwachsene Bilanz.

Besprochen werden die Ausstellung "Exceptional Youth" in der National Portrait Gallery in London, Holk Freytags Inszenierung des zweiten "Faust" am Staatsschauspiel Dresden, Marc Lawrences Film "Mitten ins Herz" mit Hugh Grant, die neue CD des Cellisten Alban Gerhardt, und Bücher, darunter Andrej Wolos' Roman "Der Animator" sowie Detlef Horsters Untersuchung zu "Jürgen Habermas und der Papst" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).