Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.03.2007. In Spiegel Online verteidigt Claus Peymann die RAF-Terroristen als Mörder mit besten Absichten. In der Welt erklärt Andrzej Stasiuk, warum er Deutsche und Russen fürchtet, verachtet, bewundert. Die taz porträtiert die Theaterregisseure Roger Vontobel und David Bösch als Repräsentanten einer neuen Generation, die wieder auf die Schauspieler setzt. Die FAZ fragt, warum junge Libanesen in der Berliner Gewaltstatistik so überproportional häufig vertreten sind.

TAZ, 14.03.2007

Simone Kaempf porträtiert die Regisseure Roger Vontobel und David Bösch, die am Grillo-Theater in Essen Arbeitsteilung betreiben als Repräsentanten einer neuen Generation, die sich zwar nicht polemisch von den Vorgängern absetzen will, aber wieder die Schauspieler in den Vordergrund stellt: "und zwar radikal. Das ist erstaunlich - und mittlerweile wieder voll auf der Höhe der Zeit. Noch bis vor kurzem waren die alten Sätze völlig aus der Mode: dass der Regisseur von den Almosen der Schauspieler lebe undsoweiterundsofort. Seit das Experimentieren mit medialen Mitteln auf der Bühne ausgereizt wirkt, gewinnt die Allianz mit Schauspielern neu an Bedeutung: als Inspirationsquelle und verlässliche Größe."

Weitere Artikel: Alexander Camman wirft einen Blick in die neuen Ausgaben der Zeitschriften Ästhetik & Kommunikation, NZZ Folio und Mare. In tazzwei fragt sich Ralph Bollmann angesichts von Tempolimit, Rauchverbot und Ernährung, warum in Deutschland immer erst die Apokalypse beschworen werden muss, bevor man den Standards der Zivilisation zum Durchbruch verhelfen kann. Marc Engelhard berichtet aus Kampala, was Joanitta Bewulira-Wanderabei bei ihrem Job, Komparsen für den Idi-Amin-Film "Der letzte König von Schottland" aufzutreiben, erlebte.

Und hier Tom.

NZZ, 14.03.2007

Samuel Herzog ist mit der Schau "USA: American Video Art at the Beginning of the Third Millennium", die im Rahmen der Moskauer Kunstbiennale in einem Luxuskaufhaus gezeigt wird, nicht recht zufrieden: "Die Videoarbeiten von mehr als dreißig Künstlern werden auf Bildschirmen und Projektionsleinwänden in einem einzigen großen Raum präsentiert - ohne jede Trennwand. Dass sich die Bilder da arg konkurrenzieren, ist das eine - ein weit größeres Problem noch wäre die Vermischung der Töne. 'Wäre' - denn man hat sich entschlossen, die meisten Videos einfach ohne Ton vorzuführen."

Weitere Artikel: Joachim Güntner berichtet beschwingt von einer stark besuchten und anregenden lit.cologne. Georg Renöckl porträtiert die französische Krimiautorin Fred Vargas, die mit "Die dritte Jungfrau" einen neuen Roman um ihren Ermittler Adamsberg vorlegt. Besprochen werden außerdem eine Oscar Wiggli-Retrospektive in Bern, der Band 5 des Historischen Lexikons der Schweiz mit den Geschichten der Kantone und Mohsin Hamids Roman "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" (mehr hier).

Welt, 14.03.2007

Im nicht online stehenden Interview mit Gerhard Gnauck erklärt Andrzej Stasiuk das Verhältnis der Polen zu Russen und Deutschen: "Ich fürchte die Deutschen und die Russen, ich verachte die einen wie die anderen, ich bewundere beide. Vielleicht ist es das polnische Schicksal, unentwegt über den eigenen Ort in Europa und der Welt zu meditieren. Pole sein, heißt in völliger Vereinsamung leben. Pole sein, heißt, der letzte Mensch östlich des Rheins zu sein. Denn für einen Polen sind die Deutschen so etwas wie gut konstruierte Maschinen, Roboter; die Russen dagegen sind schon ein wenig wie Tiere. Die Nachbarschaft zur Slowakei im Süden spendet da wenig Trost."

Besprochen wird die Merowinger-Ausstellung in Moskau.

Spiegel Online, 14.03.2007

Im Interview mit Michael Sontheimer verteidigt Claus Peymann noch einmal Christian Klars Kapitalismuskritik und erklärt, warum für ihn die RAF-Terroristen keine gewöhnlichen Mörder sind, "die töten, nachdem sie eine Frau vergewaltigt haben oder die töten, um sich zu bereichern. Diese Terroristen haben getötet, weil sie glaubten, mit ihren Morden etwas gegen die Ermordung von hunderttausenden von Kindern und Frauen in Vietnam tun zu können, weil sie glaubten, etwas gegen das Elend in der Dritten Welt tun zu müssen. Wie Brecht seine Johanna der Schlachthöfe sagen lässt: 'Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht...' Für mich ist Christian Klar deshalb eine tragische Figur."

FR, 14.03.2007

Günter Seuffert berichtet über eine gemeinsame Veranstaltung des Orient-Instituts Beirut-Istanbul und des Goethe-Instituts, bei der es um die Migrationspolitik der Türkei ging. "Selbst wer legal einreist und sich legal aufhält, gewinnt als Ausländer in der Türkei niemals handfeste Rechte. Integration von Einwanderern erschöpft sich bislang in Assimilation. (...) Bis zum Jahre 2003 durften Ausländer selbst Berufe wie Musiker, Fotograf oder Schuhmacher nicht ausüben. Mit dem neuen Arbeitserlaubnisgesetz wurde die Liste der für Ausländer verbotenen Berufe wesentlich gekürzt, jedoch noch heute müssen Ärzte und Ingenieure, Rechtsanwälte und Schiffskapitäne türkische Staatsbürger sein."

Weitere Artikel: Christian Thomas kommentiert die drohende Aberkennung des Weltkulturerbestatus für Dresden. Christoph Schröder berichtet über einen missglückten Reklameabend für den Preis der Leipziger Buchmesse. Und in Times mager sinniert Peter Michalzik über "ofenfrische Brezeln".

Besprochen werden Kevin Macdonalds Film "Der letzte König von Schottland" und Bücher, darunter Thomas Steinfelds Essay "Der Arzt von San Michele. Axel Munthe und die Kunst, dem Leben einen Sinn zu geben" und die ebenso "charmante wie mutige" historische Studie "Die große Mauer. China gegen den Rest der Welt" von Julia Lovell (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 14.03.2007

Mit sichtlichem Vergnügen geht Willi Winkler einer Behauptung nach, wonach Rolf Hochhuth bei Abfassung seines Stücks "Der Stellvertreter" über Papst Pius XII. nur ein "Strohmann" des KGB gewesen sein soll. Die von der amerikanischen Zeitschrift National Review unter Berufung auf einen Offizier des rumänischen Geheimdienstes verbreitete "wilde Verschwörungstheorie" stieß bei dem CSU-Bundestagsabgeordneten Norbert Geis auf offene Ohren, der "den größten innenpolitischen Skandal der Nachkriegsgeschichte" wittert.

Weiteres: Stefan Koldehoff zeigt - unter anderem am Beispiel Ruhrgas, heute Eon, und dem Folkwang Museum Essen -, wie mit Leihgaben aus Museen Wirtschaftspolitik gemacht wird. Johannes Willms berichtet über die Wiedereröffnung der Sammlung moderner Kunst im Pariser Centre Pompidou nach einer zweijährigen Umrüstungspause. Jonathan Fischer schreibt über die gemeinsame Deutschlandtournee von Snoop Dogg und P Diddy, die sich früher einmal spinnefeind waren. Günter Kowa kommentiert den Gerichtsbeschluss, wonach die den Weltkulturerbestatus Dresdens bedrohende Waldschlösschenbrücke gebaut werden muss: "Ist das demokratische Prinzip des Bürgerwillens höher zu bewerten oder die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik, die die Welterbekonvention unterschrieben hat?" Alexander Hosch beklagt den geplanten Abriss einer "Landmarke": das Münchner Siemens-Hochhaus von Hans Maurer. Zu lesen ist ein Interview mit dem Chef der New Yorker Metropolitan Opera Peter Gelb, der sein Haus mit Hilfe neuer Medien und billiger Sitzplätze einem breiten Publikum nahe bringen will. Meldungen informieren uns über die Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar und die Zuerkennung des Hölderlin-Preises an Urs Widmer.

Besprochen werden Kevin Macdonalds Idi-Amin-Film "Der letzte König von Schottland", ergänzt um ein Interview mit dem oscar-gekrönten Hauptdarsteller Forest Whitaker, eine Inszenierung des Dramas "Sonia Mushkat" der israelischen Autorin Savyon Liebrecht am Theater Bonn und Bücher, darunter die Lebenserinnerungen des Pädagogen Hartmut von Hentig und Harriet Köhlers Romandebüt "Ostersonntag" (siehe hierzu unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 14.03.2007

Regina Mönch ist der Frage nachgegangen, warum junge Libanesen in der Berliner Gewaltstatistik so überproportional häufig vertreten sind. Die Antwort ist beunruhigend: "Islamistische Vereine haben diese Gemeinschaft längst in der Hand, und die Männer befestigen ihre Herrschaft immer mehr mit dem Islam. In den Koranschulen lernen die Kinder ihre Muttersprache Arabisch und alles, was der Imam für richtig hält. Das Wertesystem wird von der Scharia diktiert, nicht vom Grundgesetz... Säkulare Projekte, die zum Beispiel die Frauen der arabischen Kurden aufklärten, wurden aus Geldmangel eingestellt. Jugendarbeit, Frauenarbeit - alles kommt heute aus der Moschee."

Weitere Artikel: Nach dem Gerichtsbeschluss, der den Baubeginn der Dresdener Waldschlösschenbrücke anordnet, fragt sich sich Reiner Burger: "Wie verlässlich kann Deutschland als Welterbevertragspartner sein?" Martin Otto berichtet von einer Tagung zum Thema "1968 - Was bleibt von einer Generation?" Beim "Blick in Schweizer Zeitschriften" hat Jürg Altwegg unter anderem Artikel über Indien und Teheran entdeckt. Dem Rechtsphilosophen Norbert Hoerster gratuliert Patrick Bahners zum Siebzigsten.

Auf der letzten Seite stellt Thomas Thiel die Macher der im letzten Jahr gegründeten kulturwissenschaftlichen Zeitschrift Kultur und Gespenster vor. Alexander Jürgs porträtiert den querschnittsgelähmten Jakobsweg-Pilger Felix Bernhard. Im Update hat sich Frank Pergande eine nachgeschobene Dokumentation zur Schweriner Arno-Breker-Ausstellung angesehen (Hier ein Interview, das Andre Müller 1979 mit Arno Breker geführt hat).

Besprochen werden eine Moskauer Ausstellung über die Merowinger-Zeit, Kevin Macdonalds Film "Der letzte König von Schottland", eine Stuttgarter Theater-Version von Manfed Essers "Ostend-Roman", ein Konzert in Havanna zum Gedenken an den Sänger Ibrahim Ferrer und Bücher, nämlich Guillermo Fadanellis Roman "Das andere Gesicht Rock Hudsons" und ein Band über "Zensur im Jahrhundert der Aufklärung" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages).