Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.04.2007. Die Zeit will den französischen Präsidenten beseitigen. Die taz gibt einen Überblick über den aktuellen Stand im Dokumentartheater. Die NZZ befasst sich mit der Geschichte des RAF-Terrorismus und stellt fest, dass die Klage über die Täterfixierung auch für Opfer und Täter selbst zutrifft. Die Welt freut sich über den von Apple und EMI geübten Verzicht auf den Kopierschutz bei Musikstücken. Die SZ sucht nach einer fairen Ost-Erinnerung.

Zeit, 04.04.2007

"Es gibt nur eine Lösung: den Präsidenten beseitigen", konstatiert der Pariser Regisseur Benjamin Korn nach Analyse der französischen Machtverhältnisse. Das monarchistische Ausmaß der präsidentiellen Macht hält er schlichtweg für einen Skandal: "Der Präsident ist der oberste Befehlshaber der Armee, er befiehlt dem Verteidgungsminister, er bestimmt die Außenpolitik, er allein darf den atomaren Knopf betätigen, er hat in allen wichtigen das Land betreffenden Fragen das Sagen. Er setzt die Präfekten ein, die Frankreich verwalten er ernennt das diplomatische Korps, er beeinflusst, wenn er will, die Wahl des Intendanten der Comedie Francaise oder der Opera de la Bastille. Diese verblüffenden Fakten, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Verhältnissen in Deutschland, England, ja den USA haben, sind nur die Spitze eines Eisbergs namens Präsidentschaft, dieser permanenten Demütigung aller demokratischen Regeln und dieses Inbegriffs einer vollkommenen, konstitutionell verankerten Undurchsichtigkeit der Machtverhältnisse."

Mit dem Kurator und Kunsthändler Heiner Bastian haben Berlins Museen eine "Natter genährt", von der sie jetzt auch noch "unflätig beschimpft" werden, beurteilt Wulf Herzogenrath, Direktor der Bremer Kunsthalle, den Streit um den Hamburger Bahnhof: "Bastian hat den Hamburger Bahnhof systematisch für seine Zwecke missbraucht. Er hat viele Ausstellungen arrangiert, die ihm große Macht einbrachten und an denen er wunderbar verdienen konnte. Zum Beispiel konnte Bastian den Künstler Luc Tuymans überreden, ihm einige Bilder zu verkaufen, weil er vorgab, sie für den Hamburger Bahnhof zu erwerben. Er bekam sogar den üblichen Museumsrabatt, hat die Bilder aber selber weiterverkauft, gegen den Willen von Tuymans."

Weiteres: Christof Siemes bietet dem Vatikan Hilfe bei der Suche nach Wundertätigkeiten vom selig zu sprechenden JP II. Tomas Niederberghaus besucht das Jakoubijan-Gebäude, dem Alaa al-Aswani seinen gleichnamigen Roman gewidmet hat. Marion Poschmann plädiert in der Serie zur Zukunft der Natur für einen "radikal ästhetischen Umgang" mit derselben.

Besprochen werden die Ausstellung "Parteidiktatur und Alltag in der DDR" im Deutschen Historischen Museum, Robert Altmans Film "Last Radio Show", das neue Album "Favourite Worst Nightmare" der Arctic Monkeys, Bernhard Weinraubs New Yorker Stück "The Accomplices" und Neues für die Diskothek. Tobias Timm berichtet vom Kunstmarkt über den Handel mit antiquarischen Büchern im Internet.

Im Aufmacher des Literaturteils geht Volker Ulrich der Frage nach, was eine gute historische Biografie ausmacht. Für das Dossier reist Wolfgang Büscher durch Israel.

TAZ, 04.04.2007

Im Aufmacher gibt Aureliana Sorrento einen kleinen Überblick über das derzeitige Dokumentartheater. Die Ränder des Theaterbetriebs scheinen "seit geraumer Zeit in eine Art Wirklichkeitsfieber geraten zu sein. Die Künstler, die sich in diesem Raum des Hungers auf den echten Menschen bewegen, sind meist einer Bildungsstätte der Bühnenkunst entwachsen, gerieren sich aber so, als hätten sie ihr Handwerk an der Henri-Nannen-Journalistenschule gelernt. Sie schneiden sich die scheinbar nebensächlichsten Nachrichtenmeldungen aus den Tagesblättern heraus, (...) montieren, justieren sprachlich, feilen und schmirgeln. Um schließlich ein neues Stück samt seinen Urhebern in Szene zu setzen."

Weiteres: Dirk Baecker würdigt den verstorbenen Psychologen und Kommunikationsforscher Paul Watzlawick. Tobias Rapp kommentiert die Folgen der Entscheidung von EMI, Apple zu erlauben, Produkte aus dem EMI-Katalog künftig ohne Kopierschutz über seinen iTunes-Store verkaufen zu können: nämlich das Ende der CD.

Gleich zweimal geht es um den Comic-Sandalenfilm "300", der die Schlacht um die Thermopylen zwischen Griechen und Persern im Jahr 480 v. Chr. zum Thema hat. In tazzwei berichten Pouyeh Ansari und Patrick Hemminger, dass die DVD des Films im Iran Hit und Skandal zugleich ist: Letzteres weil die Ahnen der Iraner darin dämonisiert würden. Und auf den Kulturseiten findet Ekkehard Knörer wenig Gefallen an dieser "unfreiwilligen wie aufwändigen Verfilmung eines wahren Adorno-Worts: Fun ist ein Stahlbad".

Auf den Tagesthemenseiten ist ein Interview mit dem Publizisten Alfred Grosser zu lesen, in dem er sein politisches Selbstverständnis und seine Kritik an Israels "Besatzungspolitik" erklärt.

Schließlich Tom.

FR, 04.04.2007

Im Aufmacher schreibt Arno Widmann in seinem Nachruf auf Paul Watzlawick: "Das Schöne an Watzlawick war, dass seine erkenntnistheoretischen Theorien Nebenprodukte seiner therapeutischen Tätigkeit waren. Über Therapien entschied er mit einem für die deutschen Debatten bis dahin undenkbaren Pragmatismus: 'Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern um wirksam oder unwirksam.' Das war genau der richtige Ton für Menschen, die das Gefühl hatten, die letzten zehn Jahre zuvor mit der Frage nach richtig oder falsch vergeudet zu haben."

In Times mager verhandelt Christian Thomas Vorbilder, Idole und mögliche und unmögliche Trikots für Kinder.

Besprochen werden Robert Wilsons szenische Aufführung der "Johannespassion" am Pariser Theatre du Chatelet, Imre Kalmans Operette "Die Csardasfürstin" in der Alten Oper Frankfurt, Zack Snyders Verfilmung der Schlacht an den Thermopylen "300" und Bücher, darunter eine "Geschichte der ökonomischen Unvernunft" von Bernd Ziesemer und Ulf Erdmann Zieglers Romandebüt "Hamburger Hochbahn" (Leseprobe). (Mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr.)

NZZ, 04.04.2007

Joachim Güntner liest zwei Bücher, in denen sich Opfer und Täter des RAF-Terrorismus mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen - "Nach dem bewaffneten Kampf" (mehr hier), in dem sich ehemalige Teroristen äußern, und Anne Siemens' Gesprächsband "Für die RAF war er das System, für mich der Vater" - und macht die Erfahrung, dass die häufig beklagte Täter-Fixierung auch für diese beiden Gruppen selbst gilt. Die Angehörigen der Opfer sind dabei durchaus zuweilen in der Lage, mit den Tätern fair umzugehen: "Verglichen damit bewegt sich das Sinnen und Fühlen der ehemaligen Terroristen noch immer wie eingekapselt in jener 'Raumstation', als welche Karl-Heinz Dellwo in seinem Bericht den Hochsicherheitstrakt und auch die RAF bezeichnet. Bereits das Äußerste an Teilnahme scheint erreicht, wenn Dellwo bekennt: 'Ich bin mitverantwortlich für den Tod von zwei Botschaftsangehörigen.' Konkreter wird das Bedauern nicht, und nie kommt es zum Schaudern vor der Brutalität, die den Anschlägen der RAF eigentümlich war. Distanz zu den Taten bei gleichzeitigem Festhalten an den Motiven kennzeichnet die Haltung."

Besprochen werden der neue Film "Coeurs" von Alain Resnais, die Ausstellung "Unaufgeräumt" über "die Reaktivierung und Transformation vorgefundener Räume und bestehender Architekturen" in Basel und Bücher, darunter Christina von Brauns Familiengeschichte "Stille Post" sowie Kinderbücher.

Welt, 04.04.2007

Ist der Verzicht auf das Digital Right Managment (DRM) durch Apple und EMI ein Einschnitt?, fragt Michael Pilz in der Leitglosse des Feuilletons. Jedenfalls würde es die jetzige Lage des Musikfreunds verbessern: "Es gab zwar grundsätzlich das Recht auf die Privatkopie. Aber durch den Kopierschutz war das Recht gleichzeitig abgeschafft. Es war (und ist), als hätte man ein Buch oder Bild erworben, nur für ein Regal oder ein Zimmer, und bei jedem Umzug wäre eine Neuanschaffung von Manns 'Zauberberg' und Pollocks Klecksen fällig."

Weitere Artikel: Hanns-Georg Rodek bespricht die Comicverfilmung "300" über die Schlacht bei den Thermopylen. Und Berthold Seewald meint aus gleichem Anlass, dass "sich das antike Sparta nur schlecht als Spiegelbild für das Amerika der Gegenwart" eigne. Ulrich Weinzierl schreibt zum Tod des Philosophen und Therapeuten Paul Watzlawick. Besprochen werden eine Ausstellung über Philip Treacys Hüte in Düsseldorf, eine Ausstellung über die Geschichte Schlesiens in Prag, eine Ausstellung über Robert Havemann in Berlin und Arthur Schnitzlers "Komödie der Verführung" am Hamburger Schauspielhaus. Auf der Medienseite geht's um Caren Miosga, die demnächst die "Tagesthemen" moderiert.

Auf der Magazinseite schildert Rudolph Schneider die komplizierte Lage in Darfur, wo es letztlich um islamistische Gleichschaltung und um Öl gehe.

SZ, 04.04.2007

Thomas Urban gibt zu bedenken, dass die Brüder Kaczynski durchaus Grund haben, in Polen eine rigidere Gangart bei der Lustration einzulegen. Denn mit all den gewendeten Apparatschiks kamen auch die "Funktionäre in Schlüsselpositionen, die für die brutalen und düsteren Seiten des untergegangenen Regimes standen: So wurde der Propagandachef des Zentralkomitees Chef des Amtes des Ministerpräsidenten; ein Richter, der unter dem Kriegsrecht Unrechtsurteile gegen Solidarnosc-Aktivisten gesprochen hatte, stieg zum Stellvertreter des Generalstaatsanwalts auf; ein General, der einen Streik mit Waffengewalt niederschlagen ließ, wurde einer der höchsten Kommandeure; die Anführer von Rollkommandos gegen oppositionelle Studenten wurden Generaldirektoren in Staatsbetrieben. Und einst regimetreue Journalisten nahmen Chefposten in den staatlichen Medien ein."

Ein kleiner Schwerpunkt beschäftigt sich mit dem Thema "Archivierung der DDR" und dem Problem, ein untergegangenes System aufzuarbeiten und zu bewahren. So denkt Cornelius Wüllenkemper über die schwierige Suche nach einer "fairen Ost-Erinnerung" nach. Gustav Seibt bespricht die Ausstellung "Parteidiktatur und Alltag in der DDR" im Deutschen Historischen Museum in Berlin und bemängelt, dass darin eigentlich nur zu sehen sei, "was halt so anfällt, wenn man entrümpelt".

Weitere Themen: Thomas Macho würdigt in seinem Nachruf auf Paul Watzlawick dessen "Typus gutgelaunter, witziger Theorie". Holger Liebs weiß, dass die kroatische Künstlerin Sanja Ivekovic zur Documenta den Friedrichsplatz vor dem Fridericianum in ein riesiges Mohnfeld verwandeln will. Christoph Kappes informiert über einen Plan der Tate Gallery, verstärkt Werke von Künstlerinnen anzukaufen. Alex Rühle beschreibt die Anstrengungen der Kandidaten im Endspurt um die französische Präsidentschaft. Zu lesen ist außerdem ein ausführliches Interview mit Jochen Distelmeyer über den Abschied von Blumfeld und warum er aber auch gar nichts mit Nick Hornbys "High Fidelity" zu tun hat.

Besprochen werden Achternbuschs Comeback mit der Uraufführung seines Stücks "Kopf und Herz" am Nationaltheater Mannheim, die "ebenso schräge wie gehaltvolle" Zeitschrift Kultur & Gespenster, Wagners "Tristan und Isolde" in Toulouse, die deutschsprachige Erstaufführung des Stücks der jungen rumänischen Autorin Gianina Carbunarius "Kebab" in der Berliner Schaubühne und Bücher, nämlich Rainald Grebes Song-Repertoire "Das grüne Herz Deutschlands" und eine Geschichte der Familie Feuchtwanger von Heike Specht (siehe hierzu unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 04.04.2007

Weitere Artikel: Christian Schwägerl kommentiert das amerikanische Gerichtsurteil, das die Regierung dazu verdonnert, die Klimakatastrophe ernst zu nehmen: "Das Urteil des Obersten Gerichtshofs ist auch insofern beachtlich, als es eine Politik bloßstellt, die sich um wissenschaftliche Erkenntnisse nicht kümmern will." Niklas Maak bringt uns auf den neuesten Stand in Sachen Berliner Museumsstreit. Jürgen Kaube informiert über die Aussichten der privaten Universität Witten/Herdecke, in der SRH (Stiftung Rehabilitation Heidelberg) einen Sponsor zu finden. In Bonn hat Michael Gassmann sich in der zum Dialograum umgewidmeten Kirche Sankt Helena umgesehen und -gehört. Julia Voss denkt über Latex-Handschuhe und Supermodel-Shows nach. In der Glosse kommentiert Hubert Spiegel die Hochzeit einer Inderin mit dem Heiligen Buch Bhagavadgita. Christian Geyer schreibt zum Tod des Psychologen Paul Watzlawick, Manfred Osten hat den Nachruf auf den Sammler Gerhard Schack verfasst. Dem Komponisten Salvatore Sciarrino gratuliert Eleonore Büning zum Sechzigsten. Auf der letzten Seite porträtiert Paul Ingendaay den spanischen Philosophen, Schriftsteller und Anti-Eta-Aktivisten Fernando Savater. Jacqueline Henard berichtet von einem öffentlichen Mittagessen mit Jean-Marie Le Pen, dem wahrscheinlich "erfolgreichsten Nihilisten der Nation".

Besprochen werden Trevor Nunns Inszenierung von Shakespeares "Lear" in Stratford-upon-Avon mit Ian McKellen in der Titelrolle, ein Frankfurter Konzert der Band "Polarkreis 18", ein Auftritt des Mariinsky-Balletts in München, Zack Snyders Thermopylen-Schlachtgemälde "300" und Bücher, Lea Singers neuer Roman "Vier Farben der Treue" und Neal Roeses Zweifelbeseitigungs-Ratgeber "Ach, hätt ich doch!" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages).