Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.06.2007. Die NZZ vermisst die action in einem Wiener "Sturm". Moscheen befördern die Integration, lesen wir in der Berliner Zeitung. In der taz erklärt der Historiker Tom Segev, warum es zum Sechstagekrieg kommen musste. In der Welt fragen sich die Documenta-Kuratoren Roger Buergel und Ruth Noack, ob sie relevant sind. Die anderen sind so souverän und feiern Fronleichnam.

NZZ, 07.06.2007

Barbara Villiger Heilig war bei Shakespeares "Sturm" im Akademietheater Wien. Alles "geschmackvoll wohldosiert", aber: "Wo bleibt Shakespeares Stück? Wo bleibt das 'Schaumgebäck der Insel', deren magischer Schein alle Besucher verhext, bezirzt, schreckt, beglückt und verängstigt? Wo bleiben die dramatischen Spannungen, die Action-Einlagen (Mord und Totschlag werden geplant und im letzten Moment vereitelt!), die Theater-im-Theater-Verdoppelungen, die - durch Shakespeare trickreich eingefädelten - Wechselbäder von Fiktion und desillusionierendem V-Effekt? Wo bleiben Lust, Gier, Rachsucht, Zorn, diese übermannsgroßen Emotionen, welche nur auf dem Theater ihr ausgelebtes Recht behaupten dürfen? Das Wiener Experiment sperrt sie in ein Konzept."

Weiteres: Paul Jandl gratuliert Claus Peymann zum Siebzigsten. Besprochen werden die Werkschau von Fischli/Weiss im Kunsthaus Zürich ein Band mit Erzählungen aus Australien, eine Mascha-Kaleko-Biografie (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr) und - auf der Filmseite - Steven Soderberghs "Ocean's Thirteen" ("die Kiste hebt nicht ab", schimpft Alexandra Stäheli) und Fassbinders TV-Serie "Berlin Alexanderplatz" auf DVD.

Berliner Zeitung, 07.06.2007

Die Moscheen haben sich in den letzten Jahren zur deutschen Geselllschaft hin geöffnet und tragen damit auch zur Integration der Muslime bei, schreibt Michaela Schlagenwerth. Die Kritik von Necla Kelek an der Kölner Moschee findet sie ungerecht. "Keleks vor zwei Jahren zum Bestseller avanciertes Sachbuch 'Die fremde Braut' hat mit dazu beigetragen, dass die Missstände in der deutsch-türkischen Migrantengesellschaft publik wurden. In diesem Buch zeichnet Kelek ein ganz anderes Bild vom Moschee-Leben. Für viele, gerade für die Frauen mit schrecklichen Schicksalen - den Importbräuten, die in der Türkei 'gekauft' und in Deutschland von Ehemann und Schwiegereltern geknechtet werden - ist laut Kelek die Moschee der einzige Ort, wohin sie sich ohne Ehemann begeben dürfen. Durch die Vermittlung einer Hamburger Hodscha, die diesen unglücklichen Frauen helfen wollte, hat Kelek überhaupt von jenen Schicksalen erfahren. Die Autorin hielt auch damals Moscheen für Orte, die Integration verhindern, aber sehr fair gibt sie weiter, was Frauen ihr erzählten: Dass sie ihr Unglück in ihrer Ohnmacht an ihren Kindern ausgelassen und sie schrecklich geschlagen haben, dass sie im Glauben Trost und Halt gefunden haben und die Kraft, sich in ihren Familien besser durchzusetzen."

TAZ, 07.06.2007

"Ich glaube, dass der Krieg mit Ägypten unvermeidlich war", sagt der israelische Historiker Tom Segev auf der Tagesthemenseite in einem Interview über sein Buch "1967. Israels zweite Geburt". "Und zwar nicht aus den diplomatischen Gründen, die immer als Erklärung genannt werden, sondern weil die israelische Gesellschaft vor dem Sechstagekrieg schon anderthalb Jahre lang sehr geschwächt war. Als dann die Krise ausbrach, wurde die Angst so groß, dass Israel nicht die Stärke hatte, diesen Krieg nicht zu beginnen. Wenn man die diplomatischen Abläufe betrachtet, sieht man: Hier wurde ein Vorschlag gemacht, und da hätte man noch zwei Wochen warten können, hier vielleicht verhandeln. Das war aber nicht möglich, weil die Gesellschaft in Panik geraten war, und zwar in eine Holocaust-Panik, die nicht etwa manipuliert war, sondern ganz echt."

Ebenfalls auf der Tagesthemenseite stellt Katrin Bettina Müller Isa Genzken vor, die für den deutschen Beitrag auf der Biennale in Venedig verantwortlich ist.

Im Kulturteil setzt sich Ekkehard Knörer mit globalisierungskritischen Dokumentarfilmen auseinander. Ilona Lehnhart macht schon mal Lust auf die in zehn Tagen beginnende Documenta, und erinnert daran, dass das Kunstevent 1955 ursprünglich als Rahmenprogramm für die Bundesgartenschau ins Leben gerufen wurde. In seiner DVDesk-Kolumne reist Ekkehard Knörer heute in das Jahr 1919 zu Erich von Stroheim und seinem Film "Blind Husbands".

Besprochen werden Steven Soderbergh Gangsterkomödie "Ocean's 13" und Todd Verows Film "fucking different New York".

Und Tom.

nachtkritik, 07.06.2007

Tomo Mirko Pavlovic gratuliert Claus Peymann zum Siebzigsten, obwohl er als Stuttgarter ein kleines Problem hat: "... wem die Ungnade der späten Geburt in dieser Schattenstadt zuteil wurde und wer sich obendrein im Foyer des Schauspielhauses oder in anderen Kulturvorhöfen der Stadt vor Theatergängern ab Mitte Vierzig mit einer Brezel im Mundwinkel unbedarft einbildet, über aktuelle Klassiker-Inszenierungen parlieren zu dürfen, wird augenblicklich wie ein Stiefkind ermahnt, berichtigt, mit blutunterlaufenen Augäpfeln zur Raison gebracht: Peymanns Käthchen! Peymanns Minetti! Peymanns Faust!"
Stichwörter: Faust, Peymann, Claus

Welt, 07.06.2007

Die beiden Documenta-Kuratoren Roger Buergel und Ruth Noack sprechen im Interview mit Uta Baier über die unaufhaltsam näher rückende Mega-Ausstellung. Was die zwölfte Documenta von ihren Vorgängerinnen unterscheidet, fasst Noack so: "Vor fünf Jahren bedeutete die Documenta, dass man andere für relevant hielt. Jetzt aber sind wir in einer Situation, wo wir froh sein können, wenn wir noch für relevant gehalten werden. Zum Beispiel von China und Indien, die die neuen ökonomischen Player sind. Wir können nicht mehr sagen, wir integrieren die nicht-westliche Welt. Sondern wir müssen uns anstrengen, damit wir noch wahrgenommen werden." Und so wird die Ausstellung aussehen: "Wir zeigen die Masken von Romuald Hazoume, einem Künstler aus Benin, neben einem Tuch von Cosima von Bonin, eine Abstraktion in quasi afrikanischen Farben und dazu eines der Plexiglasbilder von Gerwald Rockenschaub. Das leuchtet visuell ein, aber was es bedeutet, das wird uns auch erst später klar werden."

Weiteres: Matthias Heine will zum siebzigsten Geburtstag Claus Peymanns nicht ungerecht sein und stellt noch einmal - auf der Forumsseite - klar: "Claus Peymann war einmal einer der größten und wichtigsten Theatermacher Deutschlands. Vielleicht sogar der allergrößte." Berthold Seewald nimmt resigniert die Weigerung des Bundesverfassungsgerichts, das Chaos um Dresdens Waldschlösschenbrücke zu seiner Sache zu machen: "Bleibt nur noch die Hoffnung auf einen Kuhhandel." Ulrich Weinzierl schreibt zum Abschluss der Werkausgabe Hugo von Hofmannsthals. Uta Baier blickt auf die Geschichte des Padiglione della Germania auf der Biennale in Venedig zurück. Sven Felix Kellerhoff erinnert an den Berliner Fluchthelfer Bodo Köhler.

Besprochen werden die Ausstellung zum Gipfel "Art Goes Heiligendamm", Armin Petras' Inszenierung des "Schimmelreiters" am Kölner Schauspiel und auf der Kinoseite Steven Soderberghs Sequel "Ocean 13" sowie Mira Nairs laut Elmar Krekeler "gut gemeinter" Film "The Namesake".