Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.06.2007. Führt die Rückkehr des Politischen zur Rückkehr platter Abbildhaftigkeit? In den ersten Berichten über die Kunstbiennale von Venedig schwanken die Kritiker zwischen leiser Ernüchterung und freundlichem Applaus. Auch auf den von Isa Genzken bespielten deutschen Pavillon gibt es zwiespältige Reaktionen. In der FAZ erinnert Werner Spies daran, dass ohne Picassos "Demoiselles d'Aignon" ohnehin keine Moderne in der Kunst stattgefunden hätte. In der Welt erklärt der kenianische Ökonom James Shikwati, warum er Entwicklungshilfe für Afrika rundheraus ablehnt.

FR, 09.06.2007

Beginn der "Grand Tour" der Kunstgroßereignisse. Erste Station Venedig. Und eine erste Enttäuschung, jedenfalls für Elke Buhr, die zumindest jenen Teil der Biennale, in dem die Kunst sich mit der Gegenwart befasst, wenig überzeugend findet: "Was im Arsenale folgt, ist allerdings eine Ausstellung, die zwar bemerkt hat, dass die Welt wirklich an allen Ecken und Enden explodiert - die aber keine andere Form der Auseinandersetzung damit gefunden hat als brave Abbildung. Immer wieder wird das Dokumentarische bemüht, in Fotografien von Zäunen, Soldaten, Demonstrationen, zerstörten Städten. Bei Paolo Canevari spielt ein Junge mit einem menschlichen Schädel Fußball, die junge Amerikanerin Emily Prince malt mit Bleistift die Passfotos der im Irakkrieg getöteten Amerikaner ab und tapeziert damit die Wand: Das Politische wirkt hier so beflissen, dass auch eine wunderbar poetische Arbeit wie der Zeichentrickfilm von Francis Alys über das Putzen von Schuhen fast untergeht."

Weitere Artikel: Als "Glücksfall" bezeichnet Peter Michalzik die Berufung des derzeit noch als Chefdramaturg am Deutschen Theater Berlin tätigen Oliver Reese zum neuen Schauspiel-Intendanten in Frankfurt. In einem times mager denkt Hans-Jürgen Linke über die - bescheidenen - Marktchancen von Opern-DVDs nach. Kurz fällt Cornelia Jentsch' Nachruf auf den Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Dichter Michael Hamburger aus.

Besprochen werden Frank Castorfs Wiener Theater-Inszenierung von Louis-Ferdinand Celines Roman "Norden", die Kasseler Uraufführung von Nino Haratischwilis Stück "Le petit maitre" und ein Buch, nämlich Tom Segevs Darstellung des Sechstagekriegs "1967" (dazu mehr in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

NZZ, 09.06.2007

Nach einem ersten Rundgang über die Biennale in Venedig versucht Samuel Herzog, den Öchslegrad des diesjährigen Jahrgangs abzuschätzen: "Der amerikanische Maler, Kurator und Kritiker Robert Storr hat seine Schau unter den Titel ?Think with the Senses - Feel with the Mind? gestellt und sich vorgenommen, einen von ihm im Blutbild der Gegenwartskunst konstatierten Gegensatz zwischen Gefühl und Intellekt zu vereinen. Dabei ist eine Ausstellung entstanden, die auf alles Spektakuläre verzichtet und von einem durchwegs ernsthaften Grundton bestimmt wird. Die Kunst erscheint hier als eine vom Schaum der Zeit gebremste Schönheit, die endlich auf alles Make-up verzichtet und betont von den äusseren Reizen zu den inneren Werten gelangt ist."

Peter Haber berichtet, dass Google Books nun auch einen Fuß in die frankophone Welt gesetzt hat: Die Waadtländer Kantons- und Universitätsbibliothek (BCU) in Lausanne beteiligt sich am Digitalisierungsprojekt. Joachim Güntner kann sich ein läeichtes Spötteln nicht verkneifen über die von den Medienherren in Hamburg und Frankfurt gern kolportierte Meldung, dass Frauen auch deshalb den Osten verlassen, weil Westmänner mehr "auf Zack" seien.

In Bilder und Zeiten untersucht der Soziologe Gerhard Schulze, worauf es schließen lässt, wenn wir uns Langweiler, Spießer und Vollidioten beschimpfen - und nicht mehr als ehrlose Lumpen. Manfred Schwarz nimmt die Spur des Malers Rene Magritte im Brüsseler Vorort Jette auf. Elisabeth Wiederkehr widmet sich Spekulationen über ein Fresko in der Kirche S. Giacomo e Filippo im Tessiner Pianezzo. Klaus Merz schreibt über Gustave Courbets Gemälde "Die Woge".

Besprochen werden Frank Castorf Bilderorgie nach Celines Roman "Norden" bei den Wiener Festwochen und Bücher, darunter Hans Joachim Schädlichs Erzählungen "Vorbei", Walter Rufers Tagebücher "Der Himmel ist blau" und Ariane Breidensteins Debüt "Und nichts an mir ist freundlich" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 09.06.2007

Der kenianische Ökonom James Shikwati erklärt auf der Forumsseite, warum er Entwicklungshilfe für Afrika künftig rundheraus ablehnt: "Der Schlüssel zur ökonomischen Entwicklung in Afrika sind die Afrikaner. Wenn man ihnen die Freiheit lässt, ihre eigenen Probleme zu lösen, kann Afrika zu einem florierenden Kontinent werden. Die Schuld in der Geschichte zu suchen, beruhigt sicherlich die Nerven der derzeit noch orientierungslosen Afrikaner. Doch Verschwörungstheorien über Neokolonialismus oder die Ursachen von Krankheiten und Armut sind eine schlechte Vorbereitung auf den steinigen Weg, der noch vor ihnen liegt. Die Afrikaner müssen Verantwortung übernehmen, um auf ihrem Kontinent Wohlstand zu schaffen."

Fürs Feuilleton sammelt Uta Baier erste Eindrücke auf der Biennale in Venedig. Und in einem zweiten Artikel schreibt sie über den von Isa Genzken bespielten deutschen Pavillon. Berthold Seewald spricht in der Leitglosse warme Begrüßungsworte für den künftigen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger. Der Filmregisseur Francois Ozon schreibt zum 25. Todestag Rainer Werner Fassbinders einige Worte über seine Liebe zum Regisseur. Sven-Felix Kellerhoff gratuliert dem Historiker Eric Hobsbawm zum Neunzigsten. Michael Pilz verfolgte die künstlerischen Manifestationen der Gerechtigkeitsrocker in Rostock. Und Sven-Felix Kellerhoff berichtet über den Fund früher Manuskriptentwürfe für Hitlers "Mein Kampf". Auf der Kunstmarktseite führt Paul Kaiser ein Gespräch mit dem scheidenden Chef der Art Basel, Samuel Keller über den nach wie vor brodelnden Kunstmarkt - Keller wird Kurator der Fondation Beyeler.

In der Literarischen Welt bringt Helmuth Karasek Reminiszenzen an die Gruppe 47. Tilman Krause erklärt in seinem "Klartext", warum er als Konservativer der Gruppe 47 skeptisch gegenübersteht. Und Burkhard Spinnen denkt über die Konditionen einer möglichen neuen literarischen Gruppe nach - sollte die Literatur, nachdem sie als Zwerg auf den Schultern der Religion und dann der Politik stand, nun der Ökonomie und Globalisierung auf den Rücken steigen?

Außerdem bringt die Literarische Welt einen kleinen Essay des polnischen Publizisten Konstanty Gebert über die Konkurrenz des Gedenkens an Shoah und die kommunistischen Verbrechen in Polen.

FAZ, 09.06.2007

In Bilder und Zeiten erinnert der Kunsthistoriker Werner Spies an die "Demoiselles d?Avignon", mit denen Pablo Picasso vor hundert Jahren die Moderne einläutete - zum Entsetzen aller Beteiligter: "Der Hinweis auf das 'philosophische Bordell' umschreibt die Ungezügeltheit, die Regellosigkeit und den Exhibitionismus, die mit dieser Art von Malerei auf das Gelände der zeitgenössischen Kunst einmarschieren. Ohne die 'Demoiselles d'Avignon' hätte die Kunst schwerlich den Verlauf genommen, der uns inzwischen selbstverständlich erscheint. Es gibt nur wenige Zeugen der radikalen Wende, die sich damals im Atelier des Spaniers abspielte. Derain meint, man werde den Kollegen eines schönen Morgens erhängt hinter seinem großen Bild finden. Und Braque, mit dem Picasso wenige Monate später eine Seilschaft bilden sollte, die gemeinsam den Kubismus eroberte, argwöhnt, der Kamerad habe, um Feuer zu speien, Petroleum gesoffen."

Außerdem in der Beilage: Julia Spionola besucht den Dirigenten Mariss Jansons in Sankt Petersburg. Nina Rehfeld sieht sich den Bauernhof der Familie Dervaes mitten in Los Angeles an. Und im Interview mit Felicitas von Lovenberg spricht die Journalistin Tina Brown über ihre Biografie Dianas, die doch ein wenig rachsüchtig und nachtragend gewesen zu sein scheint.

Und zum Feuilleton: Hier ist ein Kapitel aus Martin Mosebachs noch nicht veröffentlichten Reportagenband "Nachrichten aus der Stadt Bikaner", in dem der frisch gekürte Büchnerpreisträger von seiner Reise in ebenjene erzählt. In der Randspalte begrüßt "Rh" die Ablehnung eines Moscheebaus für Berlin-Neukölln durch das Verwaltungsgericht und richtet einige heftige Worte an diejenigen, die angeblich im Namen der Religionsfreiheit Fragen nach den Menschenrechten und Scharia zur Nebensache machten. In seiner Geschmackskolumne erklärt Jürgen Dollase, dass die Molekularküche eines Ferran Adria oder Pierre Gagnaire tatsächlich sinnvoll ist. Joachim Müller-Jung bringt uns in der Biopolitik auf den neuesten Stand der Reprogrammierung alternder Zellen. Oliver Jungen berichtet vom Evangelischen Kirchentag in Köln, Karen Krüger vom Rostocker Konzert gegen den G8-Gipfel. Andreas Platthaus trifft den Kinderbuchautor Wolf Erlbruch, der gerade das berührende Buch "Ente, Tod und Tulpe" herausgebracht hat. Gina Thomas besichtigt die frisch renovierte Royal Festival Hall in London. Als Festival der Extraklasse lobt Gerhard R. Koch das Kammermusik-Fest "Spannungen" in Heimbach. Patrick Bahners schreibt zum Neunzigsten des britischen Historikers Eric Hobsbawm.

Auf der Medienseite schreibt Jörg Thomann über ein weiteres beachtliches Brüderpaar aus Polen: Jaroslaw und Jacek Kurski. Während Jaroslaw Kursi gerade vom Chef der liberalen Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, zu dessen Stellvertreter und möglichem Nachfolger gekürt wurde, macht Jacek Kurski als Scharfmacher der rechten PiS-Partei auf sich aufmerksam.

Besprochen werden Thomas Ostermeiers Inszenierung von Fassbinders "Ehe der Maria Braun" (die Teresa Grenzmann als "Hommage ans handgemachte Theater" preist), Frank Castorfs Dramatisierung von Celines Roman "Norden" für die Wiener Festwochen sowie neue Platten von Shout Out Louds und Voxtrot, Neues von Nick Lowe und Emerson String Quartet mit Leon Fleischer. Sowie Bücher, darunter Thomas Melles Erzählungen "Raumforderung" und Alexander Osangs Roman "Lennon ist tot" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Hingewiesen sei noch auf den mehrseitigen Führer durch die Documenta, der heute der Zeitung beiliegt.

Zum Abschluss das Gedicht von Mascha Kaleko, das Eva Demski in der Frankfurter Anthologie vorstellt:

"Das Ende vom Lied
Ich säh dich gern noch einmal wie vor Jahren
Zum erstenmal. Jetzt kann ich es nicht mehr..."

TAZ, 09.06.2007

Nach seinem Biennale-Rundgang zeigt sich Benno Schirrmeister vor allem von Isa Genzkens künstlerischer Generalüberholung des deutschen Pavillons sehr angetan: "Genzken, die das neoklassizistische Bauwerk wahlweise als 'entsetzlich' oder 'einfach nur schrecklich' bezeichnet, hat den Pavillon als eigenständige Gattung, als kolossalformatige Skulptur aufgefasst. Dafür respektiert sie gerade noch so eben seine Innenwände und Räume als Rahmen: Diese werden zur Freiflugfläche für Auge und Gedanken: zum Heulen schön. Wer dieses Kunstwerk betritt, sich seinen Assoziationen und Farbspielen überlässt und seine Details erwandert, der verlässt es in jedem Fall verändert. Und ehrlich gesagt: nur äußerst ungern. Denn wozu noch etwas anderes anschauen, wenn man das Beste schon gesehen hat?"

Weitere Artikel: Barbara Mürdter hat sich mit Stefan Schmidtke unterhalten, dem neuen Leiter des niedersächsischen Festivals Theaterformen. Cristina Nord resümiert den aktuellen Stand der Fassbinder-Erbstreitigkeiten. Dirk Knipphals muss in seiner Spreebogen-Serie zur Kenntnis nehmen, dass im Regierungsviertel zwischen fünf und sechs das Fressen-und-Gefressenwerden schon los geht. Auf der zweiten Seite porträtiert Katrin Bettina Müller die Choreografin Pina Bausch, die in diesem Jahr den mit 400.000 Euro dotierten Kyoto-Preis erhält.

Besprochen werden die neue Platte "Era Vulgaris" der Queens of the Stone Age und Mira Nairs Film "The Namesake - Zwei Welten, eine Reise". Im taz mag gibt es daneben Buch-Rezensionen unter anderem zu Jonathan Lethems neuem Roman "Du liebst mich, du liebst mich nicht", zu Pascal Merciers Buch aus den Charts "Lea" und zur Autobiografie der Sinologin Irene Eber (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

In der zweiten taz befasst sich Christoph Koch mit illegalen und legalen Praktiken, aktuelle US-Serien zu konsumieren. Der Autor Wladimir Kaminer berichtet von einem Besuch bei Innenminister Schäuble, der nur Rostock im Sinn hatte. Auf der Medien-Seite referiert RUS. eine Diskussion über das Verhältnis des professionellen Journalismus zu Bürgerjournalismus und Blogs.

Das taz mag ist heute die Fortsetzung des vorletzten, von Wolfgang Tillmans kuratierten Zeit-Feuilletons mit drastischeren Mitteln. Gedruckt wird nämlich ein Text von Baltazar Castor, den Tillmans wollte, die vornehme Zeit-Chefredaktion aber nicht. Es geht darin um das Arschloch des Mannes und es finden sich Sätze wie diese: "Ich bin der starken Überzeugung, dass alle Männer Ekstase erleben können wie nie zuvor, sofern sie nur loslassen können oder dürfen und etwas in den Arsch geschoben bekommen. Langsam und weich oder härter. Ob dies ein anderer Mann, eine Frau oder wer weiß ich macht, ist gleichgültig. Solange es nur geschieht. Dass es für einen Mann möglich ist, seine Prostata stimuliert zu bekommen - und dabei zu kommen, ohne überhaupt seinen Schwanz zu berühren -, sollte man unbedingt erleben."

Daneben findet sich ein Pamphlet des Schauspielers Jimmy Porter gegen die Usancen im Schauspielbusiness. Till Ehrlich porträtiert den Starkoch und Bestsellerautor Anthony Bourdain.

Und Tom.

Berliner Zeitung, 09.06.2007

Zur Eröffnung der Biennale hat sich Sebastian Preuss die ersten Länderpavillons angesehen und ist überrascht, welche Magie etwa Isa Genzken im deutschen Pavillon entfaltet: "Man muss nicht Freund ihrer Kombinationskunst sein, um hier voller Staunen umherzuwandern. Am meisten staunt man ohnehin, woher die hässlichen Koffer, Stofftiere und Vogelmasken kommen, die peinlichen Astronautenpuppen, Wasserpfeifen, Canaletto-Poster und ausgerissenen Schweinchen-Fotos, die noch dazu mit prolliger Goldmosaikfolie um die Wette glänzen. Und wie um alles in der Welt dieses Augenelend unter Genzkens Hand immer wieder seine Aura bezieht."

Zum 25. Todestag des "hinreißend widerwärtigen" Rainer Werner Fassbinder schreibt Harald Jähner: "Fassbinder muss ein verblüffendes Vermögen gehabt haben, durch seine eigene Gier die Glut in anderen Menschen nicht zu ersticken, sondern erst recht anzufachen. Und zwar bis heute. Pünktlich zum 25. Todestag hat sich unter den Hinterbliebenen des Clans ein unwürdiger Streit über die künstlerische Erbschaft entzündet. Vorneweg die Witwen... Der Streit ist unwürdig; alles, was darin verhandelbar ist, wäre besser juristisch auszutragen."

Im Magazin unterhält sich Abimi Zöllner mit Ishmael Beah, der in dem Buch "A Long Way Gone: Memoirs of a Boy Soldier" von seiner Hölle als Kindersoldat in Sierra Leone berichtet: "Als ich in den Krieg zog, dachte ich von Anfang an, auf der richtigen Seite zu sein. Ich habe gehofft, dass die Armee wieder Ordnung macht. Die Sache ist so: Viele denken, nur die Rebellen würden Kinder rekrutieren. Aber in einigen Ländern rekrutiert auch das Militär Kinder als Soldaten. Manchmal wird Geld gezahlt, manchmal werden Familien erpresst, manchmal werden Kinder verschleppt, und manchmal melden sie sich auch freiwillig."

SZ, 09.06.2007

Eher konventionell als aufregend findet Holger Liebs bei seinem ersten Rundgang übers Gelände der Venedig-Biennale die aufgetischte Kunst. Ausführlich widmet er sich dem deutschen Pavillon: "Und Isa Genzken? Sie stellt uns das Gepäck für eine Reise in eine silberne LSD-Hölle zur Verfügung. Die Ausstellung im Deutschen Pavillon ist ein metallisch glänzender Trip in einen kalten Tod, schillernd zwischen Billigmarkt-Flair, Science-Fiction und militärischer Strenge. Hölzerne Tödlein sitzen auf Metallpfosten, eine Armada versehrter Trolleys wartet mitnahmebereit, angeschmorte Puppen hängen leichengleich über Campinghockern . . . Ein gewagtes, vielleicht zu gewagtes Unternehmen ist diese Vision einer schreiendbunten, verspiegelten Kälte, ein Zerfließen des Skulpturbegriffs in allerkleinste Bestandteile, allzu detailverliebt freilich auch..." Viel Interessantes hat dagegen Jörg Heiser bei Künstlern der sich in den Außenstellen präsentierenden Nationen Litauen, Irland, Taiwan und Zypern gesehen.

Weitere Artikel: Sonja Margolina schlägt sich auf die Seite skeptischer russischer Experten, die an die religionsähnliche "große Erzählung" vom Klimawandel nicht glauben wollen. Von einem Berliner Kongress über die Europäische Union hat Peter Laudenbach mitgenommen, dass Kultur eine "Soft Power" ist. Klaus Heymach und Susanne Sporrer erklären, dass im Jemen mancher Konflikt durch Verse von Stammesdichtern beseitigt wird. Johan Schloemann meditiert über die "Zeitgenossenschaft des Live-Tickers". Franziska Augstein gratuliert dem Historiker Eric Hobsbawm zum Neunzigsten, Paul Kirchhof dem Staatsrechtler Josef Isensee zum Siebzigsten.

Auf der Literaturseite findet sich ein Gespräch mit dem frisch designierten Büchner-Preisträger Martin Mosebach (mehr) über literarische Vorlieben und Abneigungen. Unter letzteren ist eine sehr heftig: "Generell würde ich sagen, dass ich einfach keinen Nerv habe für Expressionismus. Ich betrachte ihn als eine deutsche Krankheit, die es schon im 18. Jahrhundert in Deutschland gibt - und selbst bei dem von mir vergötterten Goethe gibt es in seinen Sturm und Drang-Jahren expressionistische Töne, die mich schaudern lassen." Dazu gibt es Rezensionen zu einem Buch über Schillers jüdische Leser und zu Büchern übers Glück (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Besprochen werden Frank Castorfs Inszenierung von Louis-Ferdinand Celines "Nord" bei den Wiener Festwochen und Yona Kims Erfurter Inszenierung von Verdis "La Traviata".

Im Aufmacher der SZ am Wochenende macht sich Eva Karcher Gedanken über die Kunst von heute - und bedauert vor allem, dass diese so restlos in der Wirklichkeit angekommen scheint: "Verstörend dabei ist, wie scheinbar widerstandslos diese Kunst ihr einzigartiges Privileg aufgegeben hat: das Vorrecht ihrer Distanz zur Realität." Vorabgedruckt wird ein Auszug aus dem Roman "Frida" der Autorin Slavenka Drakulic, in dem es um das Liebespaar Frida Kahlo und Trotzki geht. Im Interview spricht Pete Townshend über das Altern und seine liebste Droge: "Ohne Heroin wäre das Leben der reine Horror. Ich glaube, dass mir als Künstler so viel gelungen ist, weil ich mich mit diesem Zeug beschäftigt habe."