04.07.2007. In der SZ gibt die Witwe Hrant Dinks, Rakel Dink, den türkischen Behörden Mitschuld an der Ermordung ihres Mannes. Die FAZ zeigt am Beispiel Frankreichs, dass die Konkurrenz des Internets der Pressefreiheit in den etablierten Medien nützt. Die Frage, wie und wo Tom Cruise in Berlin Stauffenberg spielen kann, erhitzt die Gemüter. In der SZ wehren sich die Zeitungsverleger noch gegen die Konkurrenz der Öffentlich-Rechtlichen im Netz, während diese in der FAZ schon andeuten, dass die Zeitungen etwas von den Gebühren abbekommen könnten. An der angeblichen NS-Mitgliedschaft Martin Walsers, Siegfried Lenz' und Dieter Hildebrandts kann niemand wirklich etwas finden.
FR, 04.07.2007
Unter der Überschrift "Moralisten überwachen Moralisten"
kommentiert der Verleger
Alfred Neven DuMont die Aufregung über die
NSDAP-Mitgliedschaft von Martin Walser, Dieter Hildebrandt und Siegfried Lenz. "Mitgliedschaft in der NSDAP, der Hitlerjugend, aus welchen Gründen auch immer zustande gekommen, sagt noch wenig, meistens gar nichts über den Betroffenen. Die Frage ist letzthin, ob der 'Angeklagte', in welcher Position auch immer, sich
durch Tat schuldig gemacht hat. (...) Fragen wir den tiefgründigen Walser, den hintersinnigen Hildebrandt: 'Was haben Sie auf dem Gewissen? Mord und Totschlag?' Es ist zu befürchten, dass dergleichen vorgekommen ist, aber lediglich auf der Bühne
und zwischen
zwei Buchdeckeln. Gott sei Dank!"
Weitere Artikel: Artur Becker
berichtet über den Boom polnischer Literatur in Deutschland. In einem Interview
wundert sich
Hanns Zischler, der in einer französischen TV-Produktion über die Jagd auf
Klaus Barbie den "Schlächter von Lyon" verkörpert, dass sich kein Deutscher an diesem Film beteiligt. Harry Nutt
resümiert eine Berliner Tagung zum Thema Stadtentwicklungspolitik. Und in Times mager
fragt sich Christian Schlüter, wohin der
Bahnstreik nur führen wird.
Besprochen werden der
Film "Black Snake Moan" von Craig Brewer und
Bücher, darunter ein
Band mit Beiträgen zu
Joseph Beuys' Arbeit "Das Ende des 20. Jahrhunderts" und ein
Aufsatzband mit "Plädoyers für eine offene Gesellschaft" (mehr dazu in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
TAZ, 04.07.2007
Im Kulturteil
fürchtet sich Cristina Nord vor Florian Henckel
von Donnersmarcks "
monströsem Begehren nach Hierarchie und Ordnung", das aus seinem Verteidigungstext des "Valkyrie"-Projekts mit
Tom Cruise im
FAZ-Feuilleton von gestern spreche (hier eine
Zusammenfassung des Artikels). In einem Interview
spricht der Stadtplaner
Jorge Mario Jauregui über seine Arbeit in den
Favelas von Rio de Janeiro und sein
Documenta-Projekt "Urdimbres". Ulrich Gutmair
stellt eine aktuelle Studie
der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne zur
Kulturwirtschaft und den Creative Industries vor.
In der tazzwei
deutet Christian Schneider den Skandal um die
NSDAP-Mitgliedschaft von Martin Walser, Dieter Hildebrandt und Siegfried Lenz als simplen psychologischen Vorgang: "Das Outing der Vorbildlichen als heimliche Bösewichter trifft unseren
ödipalen Nerv: Wir können sie im selben Atemzug dämonisieren und verkleinern. Wir können uns Geschichten darüber ausspinnen, ob sie vielleicht noch viel mehr Dreck am Stecken haben - oder gar die berühmte Leiche im Keller?"
Des weiteren
versucht Dominik Schottner in einem Interview herauszubekommen, ob das Phänomen "
Wohlstandsrap" der Münchner Gruppe
Stehkrägen ("Eure Armut kotzt uns an") ein Fake oder ernst gemeint ist. Und auf der Meinungsseite
gibt der tunesische Regisseur
Nouri Bouzid Auskunft über seinen Film "Making off", in dem er erzählt, warum manche
junge Muslime die Idee der
Gewalt attraktiv finden.
Besprochen wird Peter Konwitschnys Inszenierung von Franz Lehars Operette "Land des Lächelns" an der
Komischen Oper Berlin.
Schließlich
Tom.
FAZ, 04.07.2007
Dass Europa eine Öffentlichkeit
jenseits der etablierten Medien braucht, zeigt Jürg Altwegg am Beispiel
Frankreichs, wo viele der großen Medien Rüstungsindustriellen gehören: Sarkozys "Nähe zu den Pressezaren ist nicht neu, durch die Machtübernahme aber noch heikler geworden. Denn sie sind von Staatsaufträgen abhängig: Lagardere (
Journal du Dimanche) stellt Raketen her und ist Airbus-Teilhaber, Bouygues (
TF1) baut Autobahnen und andere Großprojekte für die öffentliche Hand, Dassault (
Figaro) wird für seine Militärflugzeuge mit Steuergeldern bezahlt. Einer nennt Sarkozy '
meinen Bruder', mit den anderen ist man als Trauzeuge oder Pate verbunden." Durch die Konkurrenz des
Internets werden die Journalisten dennoch wieder mutiger, meint Altwegg, und es entstehen neue Medien: "Der Druck, den Sarkozy ausübt, macht das Internet zur echten Informationsquelle. Das von einstigen
Liberation-Redakteuren gegründete
Portal Rue89.com ist sehr erfolgreich. Wenn seine Journalisten nachhaken, müssen auch die Mächtigen am Telefon antworten."
Weitere Artikel: Joseph Hanimann berichtet über Proteste von Historikern gegen Sarkozys "
Ministerium für Einwanderung, Integration, nationale Identität und Zusammenarbeit in Entwicklungsfragen". Joseph Croitorou
kommentiert in der Leitglosse nach den Londoner Ereignissen die immer neuen Finten des
Selbstmordterrorismus ("Die Hamas setzte vor einem halben Jahr eine Großmutter ein"). Jordan Mejias schreibt zum Tod der Sopranistin
Beverly Sills. Kerstin Holm schreibt einen größeren Artikel über den Verfall historischer Bauten und die gleichzeitige Mode des Wiederaufbaus von Attrappen in
Moskau. Jordan Mejias gratuliert dem Dramatiker
Neil Simon zum Achtzigsten. Michael Althen
gratuliert Gina Lollobrigida zum Ebensovielten. Andreas Platthaus schreibt zum Tod des taiwanischen Regisseurs
Edward Yang. Frank-Rutger Hausmann erzählt aus nicht erfindlichem Anlass die Geschichte des Kollegienhauses I der
Universität Freiburg. Stephan Sahm liest Zeitschriften zu
bioethischen Fragen.
Auf der Medienseite werden ein Porträt
Helmut und
Loki Schmidts und ein Porträt der Patientenmörderin
Irene B. empfohlen. Für die letzte Seite besucht Julia Voss die schwedische
Stadt Växjö, die weniger CO2 ausstößt als irgendeine andere. Andreas Kilb
resümiert die anhaltende Diskussion über
Tom Cruise und die Frage, wo er in Berlin
Stauffenberg spielen darf (und er zitiert
drastische Worte des Leiters der Gedenkstätte deutscher Widerstand im Bendlerblock,
Peter Steinbach, der
Florian Henckel von Donnersmarck FAZ-
Plädoyer für Cruise als "verkommen" bezeichnete). Schließlich weist Leo Wieland auf die bevorstehende Fiesta von
Pamplona hin.
Besprochen werden eine Ausstellung des Malers
Joachim Patinir im
Prado,
Peter Konwitschnys Inszenierung von
Lehars Operette "Land des Lächelns" an der Komischen Oper Berlin, ein Auftritt der
Kings of Leon in Köln und eine Choreografie nach der "kleinen Meerjungfrau" von
John Neumeier und
Lera Auerbach in Hamburg.
Welt, 04.07.2007
Bei der Debatte um
Tom Cruise und seinen Stauffenberg-Film
sieht Jacques Schuster auf Behördenseite vor allem "altbekannte
deutsche Hysterie" am Werk, "unter deren Wucht jeglicher Liberalismus, jedwede Toleranz zu verschwinden" drohe. Im Interview
spricht der Baugeschichtler
Goerd Peschken über das Berliner
Stadtschloss, dessen Wiederaufbau vor fünf Jahren beschlossen wurde: "In der Kunst gilt nur, was gut ist. Und das alte Gute ist genauso gut wie das neue Gute." Der NS-Historiker
Armin Nolzen kann sich im Interview mit Sven Felix Kellerhoff nicht
vorstellen, dass jemand ohne eigenes Wissen und Zutun in die
NSDAP eingetreten wurde. Hendrik Werner
annonciert die Eröffnung des Museums "Auswandererwelt Hamburg" in der
Ballinstadt. Hendrik Werner
erinnert an Garibaldi, der vor zweihundert Jahren geboren wurde. Und Kai-Luehrs-Kaiser
gratuliert der durchaus "gesellschaftsfähigen Sex-Bombe"
Gina Lollobrigida, die heute achtzig wird.
Besprochen werden
Simon Rattles "Walküre" im Grand Theatre de Provence in Aix (die Manuel Brug sehr deutsch
fand: "schwergängig, von kaltem Blut, mit Nachdruck und seidigem Schimmer") und Karsten Wiegands Verdi-
Inszenierung "Luisa Miller".
NZZ, 04.07.2007
Klaus Englert
berichtet über neueste Entwicklungen der spanischen Museumslandschaft, die mehr durch architektonische Attraktionen glänzt als durch inhaltliche Schwerpunkte. "Der Schriftsteller
Julio Llamazares kritisierte kürzlich, dass sich das kastilische Leon, eine Stadt mit 135.000 Einwohnern, eines der größten Museen für Gegenwartskunst in Spanien leiste: das soeben mit dem Europäischen Mies-van-der- Rohe-Preis ausgezeichnete
Museo de Arte Contemporaneo (Musac) der Madrider Architekten
Luis Mansilla und
Emilio Tunon. Gleichzeitig aber vernachlässige Leon sein historisches Erbe. Das sei, schrieb Llamazares, für spanische Verhältnisse normal. 'Mittlerweile gibt es Orte, die
weder über Krankenhäuser noch über wichtige Infrastrukturen verfügen, jedoch über ein Museum der Gegenwartskunst. Wie einst die
Kathedralen sind diese Museen heute zu wichtigen Aushängeschildern der Städte geworden.'"
Weiteres: Der
Schriftsteller Peter Stamm schickt einen "Brief aus der Provinz", "Iam"
gedenkt der jüngst verstorbenen amerikanischen Opernsängerin
Beverly Sills, Marc Zitzmann
widmet sich der Eröffnung des
Opernfestivals Aix-en-Provence, das ein neues Bühnenhaus bekommen hat.
Besprochen werden ein Auftritt des Pianisten
Jan Vogt bei den
Zürcher Festspielen und Bücher, darunter
eines zum Tode des Theologen
Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers, ein
Bilderbuch der Illustratorin Miriam Koch und Peter Abrahams Jugendthriller "Was geschah in Echo Falls?" (mehr in unserer
Bücherschau des Tages).
SZ, 04.07.2007
Im Prozess um die Ermordung des türkisch-armenischen Autors
Hrant Dink hat seine Witwe
Rakel Dink den Behörden die Mitschuld am Tod ihres Mannes gegeben. Die
SZ dokumentiert ihre beeindruckende Aussage: "Die Dunkelheit formt noch immer
Babys zu Mördern. Jeder weiß, von welcher Dunkelheit ich spreche. Man findet ihre Anhänger in Gouverneursämtern, in der Gendarmerie, in der Armee, in den Geheimdiensten, in der Polizei, in der Regierung, in der Opposition, sogar in den Medien und in zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ihre Namen, ihre Ämter sind bekannt. Sie erschaffen unablässig Mörder aus Kindern. Sie tun es, sagen sie, um der Türkei zu dienen. Wir sahen sie vor dem Gebäude der Zeitschrift
Agos kurz nach dem Sabiha-Gökcen-Artikel ...; wir sahen sie vor den Gerichten, wann immer mein Mann vorgeladen wurde. Und trotzdem kann und will die Justiz diese Leute nicht antasten. Weil sie wissen: Wenn sie nur tief genug graben, dann stoßen sie auf die Dunkelheit in ihrem
eigenen Haus."
Weitere Artikel: Franziska Augstein
vermutet hinter den Vorwürfen der
NSDAP-Mitgliedschaft von Martin Walser, Dieter Hildebrandt und Siegfried Lenz eine Art späte Rache an liberalen Intellektuellen. Arne Perras berichtet über die Rückkehr des Traums von einem gesamtafrikanischen Megastaat. Manfred Schwarz informiert über die Vorstellung des veränderten Entwurfs für die umstrittene
Moschee in Köln-Ehrenfeld, die die Vorbehalte nicht wirklich entkräften konnte. Jens Bisky informiert über den Finanzplan für die
Hauptstadtkultur, wonach Berlin bis 2011 einschließlich Bundesmitteln 300 Millionen Euro investieren will. Christine Dössel informiert über eine Aktion von Arte, mit der unter
www.arte.tv/dramatiker "
tot oder lebendig" der bedeutendste Bühnenautor Europas gesucht wird. Alexander Kissler resümiert eine Münchner Tagung über das Verhältnis von
Philosophie und Liebe, dessen Hauptvortrag der Philosoph
Robert Spaemann über die "Antonomien der Liebe" hielt. Jens Malte Fischer würdigt die verstorbene Sopranistin
Beverly Sills. Und Fritz Göttler gratuliert dem Bühnen- und Filmautor
Neil Simon zum Achtzigsten.
Auf der Medienseite berichtet Christoph Kappes vom
Protest der Zeitungsverleger gegen den geplanten massiven Ausbau des
Online-Angebots der Öffentlich-Rechtlichen. "Wie sagt man? Der Leser muss dort abgeholt werden, wo er gerade ist. Die Jungen jedenfalls sind im Internet, und da lohnt es sich, mit den Öffentlich-Rechtlichen in den Ring zu steigen und um den Online-Markt
zu kämpfen."
(Wir dachten, man hätte sich schon geeinigt. Der
FAZ wurde ja bereits bei einer Podiumsdiskussion vom Multimedia-Abteilungsleiter des Hessischen Rundfunks, Tilo Barz,
versichert, "er könne sich gut vorstellen, dass
Verlage und
öffentlich-rechtliche Sender beim Ausbau ihrer Online-Angebote
zusammenarbeiteten, wie es der ARD-Vorsitzende Fritz Raff vorschlägt." Barz hatte dafür schlagende Argumente: "Es bestehe die Gefahr, 'dass beide Seiten ihre besten Köpfe damit beschäftigen, dem jeweils anderen nachzuweisen, dass er über die Hecke frisst, während die das Rennen machen, die
qua Herkunft ganz neu denken'. Dies sei beispielsweise beim Versandhandel geschehen, wo etablierte Häuser wie Quelle in den vergangenen Jahren massiv an Online-Anbieter wie
Amazon verloren hätten.")
Besprochen werden eine Ausstellung zur Kulturgeschichte des Wirtshauses im
Wien Museum, die Ausstellung "Anmut und Würde. Bücher und Leben in der Goethezeit" im
Goethe-Museum Frankfurt, das zehnte Album des Singer-Songwriters
Ryan Adams und
Bücher, darunter
Arnold Stadlers Roman "Komm, gehen wir" und den Klassiker der katalanischen Literatur "Wie ein Stein im Geröll", von
Maria Barbal (siehe hierzu unsere
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)