Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.07.2007. Also so viel kann man wohl sagen, nachdem die New York Times legal und doch vorzeitig an ein Exemplar von "HP 7" kam: Harry Potter wird nicht sterben. Im titel-magazin greift Wolfram Schütte die Kampagne der FAZ gegen den Perlentaucher auf. Die FAZ bringt die Hommage der in Berlin geretteten Jüdin Annie Kraus an die "stillen Helfer" in der Nazizeit. Die Welt bringt einen Artikel der türkischen Schriftstellerin Elif Shafak zu den Wahlen am Sonntag. Die Welt feiert außerdem das kulturelle Großereignis der nächsten Woche: den neuen Simpsons-Film.

Weitere Medien, 20.07.2007

Die erste Kritik zu "Harry Potter and the Deathly Hallows" steht im Netz. Natürlich in der New York Times. Starkritikerin Michiko Kakutani hat das Buch angeblich aus Versehen, aber ganz legal über den Buchhandel in die Hände bekommen, wird berichtet: "Harrys Reise wird zu einem finalen Showdown mit seinem Erzrivalen führen und ebenso zurück in die Vergangenheit, in das Haus von Godric Hollow, wo seine Eltern starben, und er wird alles über die Geschichte seiner eigenen Familie und die ebenso mysteriöse von Dumbledores Familie. Zugleich wird er Brüderlichkeit und Unabhängigkeit abwägen müssen, freien Willen und Schicksal, und mit seinen eigenen Schwächen und denen anderer klar kommen müssen. Tatsächlich ist 'The Deathly Hollows' überreich an Zwiespältigkeiten: Wir sehen, dass der freundliche Dumbledore, der unheimliche Severus Snape und vielleicht sogar Muggel-Cousin Dudley Dursley komplizierter sein können als sie anfangs erscheinen, und dass alle von ihnen, wie Harry, verborgene Aspekte ihrer Persönlichkeiten haben. Und dass es auf die eigene Entscheidung ankommt - mehr als auf Talent und Veranlagung."

Titel-Magazin, 20.07.2007

Wolfram Schütte, ehemals FR, und heute als Rentner und Autor des titel-magazins vielleicht der einzige wirklich freie Kulturjournalist, greift die Kampagne der FAZ gegen den Perlentaucher auf: "Nach der erfolgreichen Adaption des Kampagnen-Journalismus im Feuilleton der FAZ - wir geben den Ton an, setzen die Themen & reiten, reiten, reiten durch den Tag, durch die Nacht (und reiten sie auch zutode) - ist es nicht verwunderlich, dass Frank Schirrmacher das immer wieder erprobte journalistische Mittel, sich mit seiner straff geführten Mannschaft, die ihm aufs ausgegebene Wort folgt, stetig ins rechte Licht zu setzen, auch noch dazu nutzt, unliebsame mediale Konkurrenz sei´s mit Beschweigen zu strafen, sei´s offensiv & hinterrücks niederzumachen."

TAZ, 20.07.2007

Einen Tag vor dem Verkaufsstart von Harry Potters finalem Band macht Isolde Charim die Schriftstellerin J.K. Rowling mit Max Weber bekannt. "Mit der Verwaltungseinheit Ministerium und der Reproduktionseinheit Schule und deren jeweiligen Amtsinhabern, dem Minister und dem Schulleiter, ist diese magische Welt alles andere als irrational. Sie präsentiert sich vielmehr als eine Mischung von bürokratischer und traditionaler Herrschaft, eine Verbindung von rationaler, regelgeleiteter Macht mit einem Alltagsglauben an die Traditionen. So sieht bei Harry Potter die Seite des Guten aus. (Wobei selbst das nicht eindeutig ist, denn das Ministerium ist schon mal gekippt und hat sich in eine totalitäre Bürokratie verwandelt.) Ihr Gegenspieler, Lord Voldemort, repräsentiert die dritte Form der Herrschaft, die regelfremde, die charismatische Macht."

In der zweiten taz stellt Elisabeth Kiderlen die Kampagne "Eine Million Unterschriften" vor, mit der die iranische Frauenbewegung mit einigem Erfolg für mehr Rechte kämpft. Zum Drehbeginn der Stauffenberg-Verfilmung mit Tom Cruise erinnert Stefan Reinecke auf der Meinungsseite an die Verwicklung der Widerständler in das NS-System.

Besprechungen widmen sich neuen Alben von Justice und Prince und dem Interview-Bildband "Frontfrauen des deutschen Pop".

Und Tom.

Welt, 20.07.2007

Die Schriftstellerin Elif Shafak erinnert vor den anstehenden Wahlen in der Türkei daran, dass die Frauen in der vordersten Reihe der großen Demonstrationen standen, dass es aber auch das Bild der türkischen Frau ist, das am heftigsten politisiert ist. 60 Prozent der Frauen tragen das Kopftuch, aber nur 11 Prozent von ihnen aus politischen Gründen. "Diese Komplexität wird nicht nur von westlichen Beobachtern, sondern auch von der türkischen Elite übersehen. Weil sich ideologische Konflikte hier auf den Körper und die Kleidung von Frauen zu konzentrieren scheinen, ist es vielleicht Zeit, nicht länger zu fragen: 'Wie sollte eine ideale türkische Frau aussehen?', sondern die Frage aufzuwerfen: 'Sollte es überhaupt eine ideale türkische Frau geben?' Schließlich ist der Pluralismus nicht nur ein politisches Prinzip, sondern eines, das eine freie Gesellschaft auch auf das Individuum anwendet."

In einem weiteren interessanten Text auf den Forumsseiten weist der israelische Politikwissenschaftler Shlomo Avineri darauf hin, dass die Palästinenser eine sehr lange Geschichte der verpassten Chancen und Selbstzerfleischung zu bewältigen haben.

Im Feuilleton: Michael Pilz kann es offenbar nicht erwarten, dass die "Simpsons" nächste Woche ins Kino kommen und bringt uns schon mal ihren genialen Schöpfer Matt Groening näher: "Alles hat bei Groening seinen Preis: der Kirch- und Kneipengang, die Dummheit wie die Klugheit und das Böse wie das Gute, Politik wie Pop, erst recht das Fernsehen: 'Es erlaubt mehreren Menschen, die sich nicht ausstehen können, jahrelang friedlich im selben Raum zu sitzen, ohne sich gegenseitig umzubringen', hat er seine Helden einmal sagen lassen. Heute fragt er: 'Wie soll man das Wasser kritisieren, wenn man im Aquarium schwimmt?'"

Weiteres: In der Randspalte wartet Wieland Freund weiter auf Harry Potter und freut sich, dass auch New-York-Times-Rezensentin Michiko Kakutani in ihrer Besprechung keine Schlussverräterin ist. Zum 20. Juli verteidigt Michael Stürmer die Verschwörer noch einmal gegen Verschwörungstheorien. Ulrike Simon meldet, dass RTL stärker auf Infos setzen will. Volker Tarnow schreibt zum Achtzigsten des Dirigenten Michael Gielen, Dankwart Guratzsch zum Siebzigsten des Dresdner Baumeisters Peter Kulka.

Besprochen werden Yoshi Oidas "sanftmütige" Britten-Inszenierung "Death in Venice" bei den Bregenzer Festspielen und eine Ausstellung von Jasper Johns' Frühwerk im Kunstmuseum Basel.

FR, 20.07.2007

Joachim Lange preist den Weimarer Intendanten Stephan Märki, dank dessen Verhandlungsgeschicks das Deutsche Nationaltheater nun in den Rang eines Staatstheaters erhoben wurde. Christian Thomas freut sich ausgiebig über die Wiedereröffnung der Gerbermühle bei Offenbach. Hans-Klaus Jungheinrich gratuliert dem Dirigenten Michael Gielen zum achtzigsten Geburtstag. Elke Buhr stiftet dem "Souverän" Prince eine Times mager. Hans-Jürgen Linke erforscht anhand von zwei Büchern den Niedergang der Klassik-Tonträgerindustrie. Besprochen wird außerdem Marcus Brauns Thriller "Armor".

NZZ, 20.07.2007

Die Icann will neue Adresszonen für das Internet eröffnen, berichtet Monika Ermert auf der Medien- und Informatikseite, "darunter auch solche mit Umlauten oder nichtlateinischen Schriftzeichen. Insbesondere sollen - neben den nationalen Adressbereichen mit Endungen wie .ch, .de oder .at - neue Zonen mit geografischem Bezug geschaffen werden. Es ist denkbar, dass es auch einen Adressbereich .zürich geben wird." Ob es allerdings .münchen oder .berlin geben wird, ist fraglich. "Die vorläufigen Regeln zur Einführung neuer Adresszonen bei der Icann sehen bei Projekten dieser Art die Zustimmung von staatlicher Seite vor. Der Nonprofitorganisation .asia ist das Kunststück gelungen, die Unterstützung asiatischer Regierungen von China bis Iran zu gewinnen. Nicht immer lassen sich allerdings staatliche Stellen so rasch begeistern wie die Regierungen in Asien. Den Pionieren von .berlin erklärte etwa der Sprecher des Berliner Senats bei einer Anhörung, dass man keineswegs gewillt sei, die Einführung von .berlin zu erlauben. Der Staat müsse neutral bleiben."

Im Feuilleton wartet Thomas Hettche auf den neuen Harry Potter. Joachim Güntner fasst für das Schweizer Publikum den Streit in Deutschland um Tom Cruise als Stauffenberg zusammen. Ruedi Ankli beschreibt die Annäherung von italienischem Jazz und Canzone. Und Christoph Fellmann stellt neue französische Chansons vor.

Besprochen werden Benjamin Brittens Oper "Death in Venice" bei den Bregenzer Festspielen, eine Ausstellung zum Schaffen des Architekten, Stadtplaners Renzo Piano im Palazzo della Triennale in Mailand und Bücher, darunter Ilan Pappes bisher nur auf Englisch erschienenes Buch über die "ethnische Säuberung Palästinas".

FAZ, 20.07.2007

Die FAZ dokumentiert einen Brief der ehemaligen Privatsekretärin Carl Schmitts, Annie Kraus, die als Jüdin versteckt in Berlin überlebte und eine Hommage auf die stillen Helfer verfasste, die sie unterstützten. Entdeckt wurde dieser Brief, der an den emigrierten Juristen Waldemar Gurian gerichtet war, von den Historikern Andreas Mix und Reinhard Mehring: "Ich selbst habe (das andere Deutschland) persönlich in allen Schichten erlebt, angefangen von den oberen Zehntausend, von meiner hochverehrten Excellenz Frau Hanna Solf und ihrer Tochter Gräfin Lagi Ballestrem, die mich als Erste 6 Wochen lang beherbergte, ohne mich vorher gekannt zu haben; von Graf Albrecht Bernstorff und Geh. Legationsrat Kuenzer, diesen prachtvollen, edlen Menschen, die nach grauenvollen Marterungen im KZ am Tage des Russeneinmarsches von der SS erschossen wurden; über Weltgeistliche beider Konfessionen und Ordensleute hinweg bis hinunter zu Portiersfrauen und Weddingbewohnern, welch letztere sich ganz besonders wunderbar erwiesen und unauslöschlich in meinem Dankesgedächtnis eingetragen bleiben werden."

Weitere Artikel: Jordan Mejias setzt die Serie über den "Vormarsch des Islamismus" mit einem Blick auf die Lage in den USA fort. Walter Haubrich meldet, dass Jose Saramago zum Unmut vieler portugiesischer Patrioten einen Anschluss Portugals an Spanien vorgeschlagen hat - die neue Entität soll dann "Iberia" heißen (mehr bei Eurotopics). Patrick Bahners missbilligt in der Leitglosse die Entscheidung der Stadt München die nach dem Bischof Hans Meiser benannte Straße umzubenennen - Meiser wird ein antisemitischer Aufsatz aus dem Jahr 1926 angelastet. Julia Spinola gratuliert dem Dirigenten und Komponisten Michael Gielen zum Achtzigsten. Gerhard Rohde schreibt zum Tod des Tenors Jerry Hadley.

Außerdem wird ein Pressefoto mit Tom Cruise als Stauffenberg in Wehrmachtsuniform und mit Augenklappe abgedruckt - "Zum Verwechseln ähnlich".

Auf der Medienseite würdigen Michael Hanfeld und Jürgen Kaube den Umzug des Spiegel-Redakteurs Gabor Steingart von Berlin nach Washington mit einem ausführlichen Interview (letzte Frage: "Und wenn Sie aus Washington zurückkehren, werden Sie Chefredakteur des Spiegel?") Jochen Hieber ermittelt, wo die Tour-Junkies das Ereignis nun verfolgen können, nachdem ARD und ZDF ihre Berichterstattung abgebrochen haben. Und Michael Seewald informiert über das neue Programmschema bei RTL.

Auf der letzten Seite bringt man zur Feier des Tages ein von Tilmann Lahme moderiertes Gespräch zwischen dem Historiker Joachim Scholtysek und dem Widerstandskämpfer Philipp von Boeselager, der den Sprengstoff für das Attentat vom 20. Juli besorgte. Joachim Müller-Jung berichtet über die Entwicklung eines Dame-Computers (mehr hier), der durch Einspeisung sämtlicher Endspielstellungen definitiv unschlagbar ist. Und Christian Schwägerl stellt die kürzlich von Ursula von der Leyen präsentierte Studie zum Wirtschaftsfaktor "Alte Menschen" (ab 50!) vor.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Fotografien Hiroshi Sugimotos in Düsseldorf, eine Ausstellung des Fotografen Jeanloup Sieff, ebenfalls in Düsseldorf, Bernd Böhlichs Filmkomödie "Du bist nicht allein", ein Konzert des Popsängers Albert Hammond Jr. in Heidelberg und Sachbücher (darunter Alice Schwarzers "Antwort", besprochen von der ehemaligen Berliner Senatorin Hanna-Renate Laurien).

SZ, 20.07.2007

Andrian Kreye und Petra Steinberger zitieren nach diversen Stromausfällen und der Explosion einer Dampfleitung aus dem Jahr 1924 in New York eine Studie der Unternehmensberatung Booz Allen, wonach zur Renovierung der Städte in den nächsten 25 Jahren weltweit 40 Billionen Dollar notwendig sind, allen voran New York. "Die ersten Gasleitungen wurden 1823 verlegt, das Netzwerk der Dampfleitungen wurde im Jahr 1882 aufgebaut und das Trinkwassersystem wird aus Tunnels von 1917 und 1936 gespeist. Und irgendwo im New Yorker Untergrund mit seinen 172.000 Kilometern Stromkabel lauern sogar noch Wasserleitungen aus Bambus."

Weitere Artikel: Sonja Zekri meldet, dass Russlands Museen insgesamt 160.000 Kunstwerke vermissen, jedes Jahr werden weitere 2000 gestohlen. Niemand, der mit achtzehn der NSDAP beigetreten ist, hat sich etwas vorzuwerfen, betont der Publizist Peter Bender. Ursula Baus hofft, dass sich die Architekten Christoph Ingenhoven und Frei Otto gütlich über die Urheberschaft am neuen Stuttgarter Hauptbahnhof einigen werden. Wolfgang Schreiber gratuliert dem Dirigenten Michael Gielen zum achtzigsten Geburtstag, Peter Rumpf dem Architekten Peter Kulka zum Siebzigsten. Christian Gampert studiert bei einer Tagung über "Religion- und Gewalt" vor allem die engen Grenzen der Altertumswissenschaft.

Besprochen werden das neue Album "Uncle Dysfunktional" der Band Happy Mondays, die Eröffnung der Bregenzer Festspiele mit Benjamin Brittens "Death in Venice", Aufführungen von Rene Chars "Feuillets d'Hypnos" und Klaus Manns "Mephisto" beim Festival Avignon, und Bücher, darunter Bioy Casares Tagebuch über die Freundschaft zu Jorge Luis Borges sowie zwei Klassiker des Essens und Kochens (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).