Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.07.2007. "Er war ein Schauspieler, der geistige Vorgänge spielen und sichtbar machen konnte." Der Tod Ulrich Mühes löst in allen Feuilletons Bestürzung aus. Die FR würdigt seine "körperliche Durchlässigkeit für Geschichte und Umwelt". Die Berliner Zeitung macht darauf aufmerksam, dass Mühe nur ein Jahr nach seiner zweiten Frau Jenny Gröllmann und dem quälenden Streit um ihre angebliche Stasi-Mitarbeit gestorben ist. Die Zeit liefert einen Schwerpunkt zu gutem Deutsch - und gegen Anglizismen. Die NZZ bringt Reaktionen türkischer Intellektueller zu den Wahlen. Und Spiegel Online hat bei Katharina Wagners Bayreuth-Debüt echte Wagner-Pizza serviert bekommen - "jede Menge Belag auf dünnem Boden".

Spiegel Online, 26.07.2007

Eine erste Kritik zu Katharina Wagners gestrigem Bayreuth-Debüt mit den "Meistersingern" haben wir bei Spiegel Online gefunden. Als "beeindruckend platte Wagner-Pizza" hat Werner Theurich die Inszenierung empfunden - "jede Menge Belag auf dünnem Boden": "So packte sie den 'Meistersinger'-Stier bei den Hörnern und bretzelte die im Kern zeitlose Singer/Songwriter-Parabel um Liebe und gesellschaftliche Zwänge zu einer vielschichtigen Kunst-Diskussion auf. So weit, so ambitioniert. Und Katharina Wagner kamen - dank detaillierter langjähriger Werkkenntnis - jede Menge Ideen. Leider versuchte sie, alle zu realisieren und in eine große bunte Wundertüte zu packen. Die Inszenierung ging so wegen akuter Überfracht unter - dank einiger überragender musikalischer Leistungen allerdings nicht sang- und klanglos."
Stichwörter: Wagner, Katharina

FR, 26.07.2007

"Er war ein Schauspieler, der geistige Vorgänge spielen und sichtbar machen konnte", charakterisiert Peter Michalzik Ulrich Mühe in seinem Nachruf. "Und er war ein Schauspieler, dessen Aussehen sich mit seiner Umwelt ändern konnte. Er konnte aussehen wie der typische, etwas graue Ostdeutsche, er konnte später aber auch wie der typische, alerte Westdeutsche erscheinen. Das muss mit einer körperlichen Durchlässigkeit für Geschichte und Umwelt zu tun haben, die zum größten gehört, was ein Schauspieler erreichen kann - ohne dass er wahrscheinlich viel dazutun kann."

Weitere Artikel: "Die damit verbundene Geste allerdings führt nicht in die Zukunft des Kinos, sondern in seine Vergangenheit", kommentiert Daniel Kothenschulte Volker Schlöndorffs Rausschmiss als Regisseur der neuen Constantin-Produktion "Die Päpstin" durch Bernd Eichinger. In der Kolumne Times Mager macht Elke Buhr sich Gedanken, wie wohl die geplanten Hotels der Fluglinie Easy-Jet aussehen werden.

Besprochen werden die Ausstellung "Who's afraid of red, yellow and blue? Positionen der Farbfeldmalerei" in der Kunsthalle Baden-Baden, eine Ausstellung über die Siedlungen der Berliner Moderne im Bauhaus-Archiv Berlin, Marcus H. Rosenmüllers bayrische Pubertätskomödie "Beste Zeit", Matt Groenings und David Silvermanns Film "Die Simpsons" (dessen Eintrittskarte Daniel Kothenschulte zufolge ihr Geld wert ist) und Bücher, darunter Helga Grebings Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und der von Markus Kiesel herausgegebene Bildband "Das Richard Wagner Festspielhaus Bayreuth" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 26.07.2007

Erst Sinnkrise, dann Finanzkrise - jetzt war sogar McKinsey bei Goethes: Ekkehard Knörer geht der Frage nach, wie die Goethe-Institute künftig mit der Autonomie der Kultur und ökonomisiertem Effizienzdenken umgehen werden. Claus Löser schreibt den Nachruf auf Ulrich Mühe.

Besprochen werden Marion Hänsels Film "Als der Wind den Sand berührte", Marcus H. Rosenmüllers Pubertäts-Heimatfilm "Beste Zeit" und Ferdinand Kriwets "Hörtexte" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Schließlich Tom.

NZZ, 26.07.2007

Der in Istanbul lebende Soziologe Günter Seufert zitiert Stimmen von türkischen Intellektuellen zum Ausgang der Wahlen im Land, so auch den Autor Ali Bayramoglu: "Zum ersten Mal, so Bayramoglu, hätten auch Linke und Liberale der Mittelschicht, die sogenannten weißen Türken, ihre Stimme der AKP gegeben, der sie eigentlich fernstünden, die sie jedoch im Namen von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Reformen unterstützten. Die 47 Prozent Stimmen für die AKP zeugen nach Ali Bayramoglu vorab von einem 'Bündnis für die Demokratie'. Denn außer diesem Ziel haben die Liberalen Istanbuls, die Frommen Anatoliens und die Hungerleider des meist kurdisch besiedelten Südostens wenig gemeinsame Interessen."

Weiteres: Claudia Schwartz schreibt zum Tod von Ulrich Mühe. Besprochen werden eine Ausstellung des Künstlerpaars Janet Cardiff und George Bures Miller in Darmstadt, Quentin Tarantinos Film "Death Proof", Annette K. Olesens Film "1:1" und Bücher, darunter ein Band mit Übersetzungen der rumänischen Lyrikerin Nora Iuga "Gefährliche Launen" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

nachtkritik, 26.07.2007

In der nachtkritik schreibt Esther Slevogt zum Tod des Schauspielers Ulrich Mühe, dass dieser als Gerd Wiesler in Florian Henckel von Donnersmarcks Film "Das Leben der Anderen" noch einmal spielte, "was er am besten konnte: die unheilbar Zerrissenen, die verlorenen Söhne der Geschichte, tragische Prinzen und traurige Clowns. All diesen Wieslers, Egmonts, Hölderlins, Grünbaums und wie sie sonst noch hießen, verlieh Mühe eine abgründige Blässe, eine sublime Durchschnittlichkeit, die er manchmal mit spröder Melancholie durchwirkte."

Berliner Zeitung, 26.07.2007

Regine Sylvester macht darauf aufmerksam, dass Ulrich Mühe nur ein Jahr nach seiner zweiten Frau Jenny Gröllmann und dem quälenden Streit um ihre angebliche Stasi-Mitarbeit gestorben ist: "Jenny Gröllmann hat bis zum letzten um ihre Unschuld gekämpft. Deshalb gibt sie auch - schwer von der Krankheit gezeichnet - dem Stern ein letztes Interview. Bis zu ihrem Tod im August 2006 sind Gerichte und Medien mit den Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Parteien beschäftigt. Und darüber hinaus. Vielleicht ist Mühe auch daran gestorben, nahezu erstickt, dass er keinen Ausstieg aus seiner Geschichte gefunden hat."
Stichwörter: Mühe, Ulrich, Stasi

Welt, 26.07.2007

In seinem Nachruf auf den im Spiel und im Zorn unerbittlichen Ulrich Mühe erinnert Matthias Heine an dessen Verbindung zu Heiner Müller und die gemeinsame Arbeit in der DDR: "Das Leben als Künstler bot gewisse Nischen, vor allem am Deutschen Theater, der Renommierbühne des Landes, deren Ensemble der in Grimma (Sachsen) geborene Mühe seit 1983 angehörte. Hier hatte das 'Hamlet'-Stück über ein von innen zerfallendes Land, das am Ende dem äußeren Feind Fortinbras ganz ohne dessen Zutun in die Hände fällt, im März 1990 Premiere. Und es wurde zum Bühnen-Requiem auf die DDR. Bei den Proben diskutierten die Theaterleute untereinander und nach den Vorstellungen mit dem Publikum. Später schrieb Mühe über das damalige Verhältnis zwischen den Bühnenkünstlern und Zuschauern: 'Wir hatten so viele Jahre kluggeschissen von da oben, und sie haben uns dafür geliebt und sicher oft beneidet. Jetzt wollten sie mehr, sie hatten nur ihre Sprache, ihren Ausdruck noch nicht.'"

Weiteres: Manuel Brug unterhält sich mit Intendant Jürgen Flimm über die morgen beginnenden Salzburger Festspiele. Eckhard Fuhr besucht noch einmal das Deutsche Literaturarchiv in Marbach, dessen Rang gerade vom Wissenschaftsrat "glanzvoll bestätigt" wurde. Thomas Schmid ist aufgefallen, dass Politiker immer häufiger auf das "Ende des Tages" vertrösten. Berthold Seewald liefert Hintergründiges zur islamischen Tradition der Militärsklaven.

Besprochen werden die Neuedition von Jorge Luis Borges' Anthologie "Die Bibliothek von Babel" und auf der Filmseite die Springfield-Saga "Die Simpsons" sowie Marcus Rosenmüllers Film "Beste Zeit".

Tagesspiegel, 26.07.2007

Da es nicht mal die SZ-Online fertigbrachte, eine Nachtkritik zu Katharina Wagners "Meistersinger"-Inszenierung in Bayreuth zu präsentieren, zitieren wir den im Tagesspielgel ausführlicher aufgemachten dpa-Ticker: "Auch Hans Sachs macht eine Wandlung durch: Der Schusterpoet ist zunächst ein Zweifelnder, ein Fragender, der barfuß und Zigaretten rauchend auf dem schmalen Grat zwischen Anpassung und Rebellion wandelt, ehe er zum Erzreaktionär wird."

Den Nachruf auf Ulrich Mühe schreibt im Tagesspiegel Kerstin Decker.

Zeit, 26.07.2007

Noch eine Sommerausgabe: Diesmal gibt es einen Schwerpunkt zum guten Deutsch. Claus Leggewie und Elke Mühlleitner gehen auf die Frage ein, ob Englisch als Wissenschaftssprache sinnvoll ist (wie dies jüngst Stefan Klein in der FAZ bezweifelte). Dabei kommt ihnen auch der unbestreitbar schlaue Gedanke: "Der Sprachverkümmerung abhelfen, können nur gute Übersetzungen: erstens nichtenglische Bücher und Artikel in brauchbares und elegantes Englisch, zweitens Übersetzungen wichtiger Texte jeder Provenienz in nichtenglische Sprachen. Es ist bezeichnend, dass dergleichen nur Edelzeitschriften wie Lettre International und die Onlinemagazine Eurozine und Perlentaucher bieten, die mit einem Bruchteil jener Euro-Millionen auskommen, die wissenschaftliche Großkombinate verpulvern dürfen."

Jens Jessen stört sich an wichtigtuerischen Anglizismen wie "Service Point" und "Brain up", die uns, darauf legt er Wert, nicht von den Amerikanern aufgedrängt werden. "Der Sprachimporteur ist vor allem ein Marketingexperte in eigener Sache. Er will angeben mit der frisch erworbenen Kenntnis, er kehrt ins verschnarchte Dorf seines Ursprungs zurück und brilliert dort im Glanze seiner Glasperlen, die er den zurückgebliebenen Landsleuten andrehen will."

Josef Joffe sieht das Hauptübel in PowerPoint. Und Dieter E. Zimmer gibt uns einige Anhaltspunkte für gutes Deutsch mit auf den Weg.

Weitere Artikel: Peter Kümmel schreibt zum Tod des Regisseurs und Dramatikers George Tabori. In der Randspalte widmet sich Martin Schönebäumer den neuesten Abgründen der schwulenfeindlichen Rapper-Szene. Jörg Scheler schickt dem "Bildhauer" Arnold Schwarzenegger einen kunstwissenschaftlichen Geburtstagsgruß. Peter Kümmel war beim Dalai Lama in Hamburg. Besprochen werden das Kinodebüt der "Simpsons" und Quentin Tarantinos Partyfilm "Death Proof".

Den Literaturteil eröffnet Hilal Sezgin mit einer Hymne auf den neuen "Harry Potter". Für das Dossier ist Charlotte Wiedemann nach Swasiland gereist, dem Land mit der höchsten HIV-Rate der Welt. Im Wissen forscht Christoph Dösser nach dem Ursprung des Witzes.

SZ, 26.07.2007

Marcus Jauer schreibt zum Tod des Schauspielers Ulrich Mühe. "Er hatte geglaubt, er sei der DDR entkommen. Bis nach Hollywood ist er gegangen, aber sie war immer dabei. Am Ende als ein Märchen, von einem, der auf dem Dachboden sitzt und sich in dem, was er hört, aus Verhältnissen befreit, die klein machen und niederhalten. Zum Glück ist es die Kunst, die dabei an seiner Seite steht - wer sonst hätte das spielen sollen?"

Auf zwei Sonderseiten für Salzburg stimmt Reinhard J. Brembeck auf die morgen beginnenden Festspiele ein, die Festivalchef Jürgen Flimm unter das Motto "Nachtseite der Vernunft" gestellt hat. Christine Dössel und Christopher Schmidt interviewen den neuen Schauspieldirektor Thomas Oberender. Es gibt eine Jedermann-Variation von Feridun Zaimoglu, der mit Günter Senkel für Luk Perceval und Salzburg Moliere bearbeitet hat. Egbert Tholl stellt Joseph Haydns "Armida" vor, die das Salzburger Opernprogramm eröffnen wird. Wofgang Schreiber macht uns mit Festspielkonzertchef Marcus Hinterhäuser und seinem Programmschwerpunkt bekannt. Christine Dössel freut sich auf die Rehabilitierung von Thomas Bernhards für Salzburg geschriebenes, aber dort nie gezeigtes Stück "Ein Fest für Boris" durch die Regisseurin Christiane Pohle.

Im Restfeuilleton freut sich Fritz Göttler über Alexander Horwaths Filmprogramm auf der Kassler Documenta, der damit einem halben Jahrhundert Kinogeschichte seine Referenz erweist. Außerdem gratuliert Göttler dem Filmemacher Peter Fleischmann zum siebzigsten Geburtstag. Susan Vahabzadeh kommentiert die Vorgänge um Volker Schlöndorffs Rausschmiss bei der Constantin-Film nach seiner SZ-Kritik in der letzten Woche. Kathrin Kommerell beschreibt eine Begegnung mit dem libanesischen Dichter und Übersetzer Fuad Rifka. Für Bernd Graff ist Windows Vista ein schönes Beispiel für die Sackgasse, in der die Computertechnologie gelandet ist. Gerd Matzig beschreibt, wie in Zeiten von Computerplanung aus Architekten-Archiven mit handgezeichneten Entwürfen Sammlungen werden. Von Susanne Bausinger erfahren wir, dass Athen als einzige Stadt kein eigenes Opernhaus besitzt. Trotzdem ist sie eingermaßen optimistisch, dass es spätetstens 2012 zu Maria Callas' 35. Todestag eines geben wird. Jens Malte Fischer schreibt einen kurzen Nachruf auf die amerikanische Sopranistin Teresa Stich-Randall, die vergangenen Dienstag 79-jährig in Wien gestorben ist. Gemeldet wird außerdem, dass der Verleger Gerd Hatje am Dienstag im Alter von 92 Jahren gestorben ist.

Besprochen werden die Ausstellung "Das ewige Auge: Von Rembrandt bis Picasso. Meisterwerke der Sammlung Jan Krugier und Marie-Anne Krugier-Poniatowski" in der Münchner Hypo-Kunsthalle, das neue Voxtrot-Album "Mothers, Sisters, Daughters & Wives", Marion Hänsels Afrikafilm "Als der Wind den Sand berührte" ("eine mit ruhiger Intensität gefilmte Familiengeschichte", lobt Anke Sterneborg), Marcus H. Rosenmüllers bayrischer Heimatfilm "Beste Zeit" (der zu Fritz Göttlers Bedauern leider "in einem mythischen Nirgendwo" stecken bleibt), sowie Alexandre Dumas' Frühwerk "Kapitän Pamphile" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 26.07.2007

Mark Siemons wirft in der Serie "Der Vormarsch des Islamismus" einen Blick auf China. Andreas Rossmann meldet die - hoffentlich - nur vorläufige Schließung des Wuppertaler Fuhlrott-Museums für Naturkunde. "thom" glossiert die Entschuldigungen des Rappers G-Hot (sprich: "Dschihad") bei der Schwulenszene, aber sein Label Aggro schmeißt ihn trotzdem raus. Christian Schwägerl wendet sich gegen übertriebene Angst vor grüner Gentechnik. Patrick Bahners gratuliert dem Rechtsprofessor Günther Jakobs zum Siebzigsten. Verena Lueken schreibt den Nachruf auf Ulrich Mühe.

Auf der Kinoseite berichtet Bert Rebhandl über eine Sembene-Ousmane-Retro in München. Anna Loll stellt einen deutsch-iranischen Filmstudentenaustausch vor. Hannes Hintermeier besucht eine Ausstellung über Karl Valentin in Frankfurt. Und Verena Luken empfiehlt einen Band der Zeitschrift Steadycam. Auf der Medienseite führt Peer Schader ausführlich in die Programmpläne von RTL 2 ein. Gemeldet wird, dass der legendäre Tatort "Reifeprüfung" mit der damals 16-jährigen Nastassja Kinski eine Fortsetzung unter Zuhilfenahme der überlebenden Schauspieler finden soll. Für die letzte Seite erinnert Marc Flatten an die kleinen Scharmützel zwischen SPD und CDU während der ersten großen Koalition. Catherine Newmark empfiehlt die Rostocker Studie "Deutschland im demografischen Wandel" zur Lektüre. Und Joseph Hanimann porträtiert den französischen Regisseur Jean- Francois Sivadier, der in Avignon den "Lear" inszeniert.

Besprochen werden die Ausstellung über Elisabeth von Thüringen in Eisenach, Bücher von und über Truman Capote und Fotografien von Roger Ballen in Hamburg.

Auf der "Gegenwart"-Seite im vorderen Teil fragt der Verfassungsrichter Udo di Fabio: "Was ist konservativ?"