Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.07.2007. Die Feuilletons würdigen Ingmar Bergman als säkulare Figur. Die SZ sieht ihn als Regisseur eines Natur- und Sommerkinos, der Tagesspiegel als Magier des Schmerzes, der Einsamkeit und des Verrats. Die FAZ stellt ihn in eine Reihe mit Tschechow und Strindberg. Die NZZ erinnert daran, dass die Regisseure der Nouvelle Vague schon 1958 abschließend über ihn schrieben. Welt und Titel-Magazin sprechen die europäische und universale Geltung seines Kinos an. Und die FR liebt Bergman und fertig.

NZZ, 31.07.2007

Um was für eine säkulare Figur es sich bei Bergman handelt, wird aus einer kleinen Passage in Peter W. Jansens Nachruf deutlich: "Als er vierzig wurde, zeigte die Cinematheque française seine bis dahin entstandenen Filme, gut zwanzig an der Zahl. Damals, 1958, schrieben sie schon abschließend über ihn, die jungen französischen Kritiker und künftigen Regisseure der Nouvelle Vague, Truffaut oder Godard, der von Bergman sagte, es sei unmöglich, auf klassischere Weise modern zu sein. Damals fingen sie an, von dem Klassiker der Moderne nicht nur zu sprechen, sondern auch zu zehren."

In einem kleinen Kasten bringt die NZZ ein hübsches Zitat von Lars von Trier: "Ich habe immer starke familiäre Bande zu Ingmar Bergman empfunden und bin daher stolz, sagen zu können, dass er mich stets genauso behandelt hat wie seine anderen Kinder: vollständig uninteressiert." Und Barbara Villiger Heilig würdigt Bergman als Theaterregisseur.

Weitere Artikel: Alexandra Stäheli schreibt zum Tod des französischen Schauspielers Michel Serrault. Besprochen werden der Salzburger "Eugen Onegin" unter Andrea Breth und Daniel Barenboim, Ereignisse des Poesiefestivals "Voix de la Mediterranee" in Lodeve und Bücher, darunter, Paula Fox' neuer Roman "Gott der Albträume".

Tagesspiegel, 31.07.2007

Im Tagesspiegel verabschiedet Christiane Peitz Ingmar Bergman, den "Magier und Aufklärer, der Gaukler und Melancholiker": "Er war ein grandioser Erzähler, der nie den letzten Satz haben wollte, denn das Leben währt länger. Der über 50 Kinomeisterwerke drehte, aber auch über 100 Theater- und Operninszenierungen schuf, umjubelt in Malmö und Stockholm, umstritten in seiner Münchner Zeit Ende der siebziger Jahre. Der auch noch in allerletzten Drehbüchern und Fernsehfilmen die Geschichte seiner Helden fortspann, die Saga der eigenen Eltern, das Fortleben von Marianne und Johan aus 'Szenen einer Ehe'. Und doch sind es einzelne Bergman-Bilder, unerhörte, schockgefrorene Kinomomente, die bleiben. In ihnen beschwört die Filmkunst unsere Urängste, entfesselt und bannt sie zugleich: die Angst vor dem Tod, den Schmerz, die Einsamkeit, den Verrat und die Gewalt des Sexus, die sich Bahn bricht zwischen Sünde und Selbsthass."

Titel-Magazin, 31.07.2007

Wolfram Schütte wirft in seinem Nachruf auf Ingmar Bergman auch einen wehmütigen Blick auf eine Zeit, als sich Europa noch von Europa beeinflussen ließ. Dass seine Filme eine gesamteuropäische Resonanz fanden, lag an einer Vielzahl funktionierender Filmindustrien, schreibt Schütte: "Und dass deren Produktionen jeweils wechselseitig exportfähig waren, lässt auf eine, trotz aller national-kulturellen Unterschiede, gemeinsame Interessenslage und Lebens-Kultur rückschließen. Wahrscheinlich war Europa damals 'europäischer' als heute, wo die Idee europäischer Multikulturalität nur noch eine ideologische Illusion ist."

TAZ, 31.07.2007

In seinem Nachruf auf den Tagesthemenseiten zitiert Jörg Sundermeyer eine Erinnerung Ingmar Bergmans an sein Exil in München. "Das meiste, was im deutschen Theater auf mich einstürzt, ist nicht totale Freiheit, sondern totale Neurose. Was soll den armen Teufeln denn auch noch einfallen, um das Publikum und vor allem die Kritik dazu zu bringen, auch nur die Augenbraue zu heben? Ein junger Regisseur erhält den Auftrag, Kleists 'Zerbrochenen Krug' zu inszenieren. Er selbst hat das Stück siebenmal in verschiedenen Fassungen gesehen. Er weiß, dass sein Publikum von Kindesbeinen an 21 Versionen gesehen und dass die Kritik sich durch 58 Fassungen durchgegähnt hat. Jetzt kommt es also darauf an, frech zu sein, wenn man sich profilieren will. Freiheit ist das nicht."

Karl Valentin war nicht nur Komiker, sondern auch Stummfilmpionier, weiß Ekkehard Knörer nach einer Ausstellung im Deutschen Filmmuseum Frankfurt. Am besten haben ihm die "Mysterien des Friseursalons" von 1922 gefallen. "Nach Drehbucheinfällen von Bertolt Brecht, unter der Regie des später berühmten Theaterregisseurs Erich Engel, tritt Valentin als Verunstalter von Frisuren auf, der einem Kunden aus Versehen den Kopf absäbelt. Zwischendurch wird elektrisiert, gefoltert und an Liesl Karlstadts Gesicht herumgemeißelt. Keiner der Macher hatte Ahnung vom Film, sie drehten mit früher Punk-Attitüde auf dem Dachboden eines Privathauses einfach drauflos."

In der zweiten taz stellt Christina Käppeler als schlimmen Fall von Produktpiraterie die "Street GM" vor, Louis Vuittons 1900 Euro teure Antwort auf die rot-blau karierte Plastiktasche (1,50 Euro). Besprochen werden der vierte Band des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer und die Ausstellung "Who's afraid of Red, Yellow and Blue" in der Kunsthalle Baden-Baden.

Schließlich Tom.

FR, 31.07.2007

Arno Widmann bezeugt seine lebenslange Verehrung für Ingmar Bergman. "'Das siebente Siegel', 'Licht im Winter' und 'Wie in einem Spiegel'. Ich liebte diese Filme. Ich liebte die Künstlichkeit des 'Siebenten Siegels', und als ich Jahrzehnte später einen der bestverdienenden Hollywood-Drehbuchautoren kennenlernte und der mir diesen Film als offensichtlichen Blödsinn, als absolut unspielbaren Tinnef, als Beispiel dafür, wie man es auf keinen Fall machen dürfe, entgegenhielt, da rastete ich aus und sagte ihm, er sei mit allen seinen Kassenschlagern - es sind sehr gute Filme darunter - nicht wert, Ingmar Bergman die Hand zu geben."

Peter Michalzik liebt an Christian Stückls "Jedermann" in Salzburg die Lust am Barocken. "Der 'Jedermann' ist in seiner weltumfassenden, gönnerhaften Selbstherrlichkeit wie eine Reinkarnation von Heinrich VIII. oder August dem Starken. Die allgegenwärtige, allzumenschliche Verführungskraft des Teufels ist ganz barock empfunden. Der Mammon als goldbehängter, opulenter Schwuler mit weißen Fingernägeln, aufreizendem Narzissmus und goldglänzendem Pavianarsch wirkt wie eine Auferstehung des Barock in schrillem Gewand."

Weiteres: Daniel Kothenschulte schreibt zum Tod des "unersetzlichen" französischen Schauspielers Michel Serrault. Hans-Jürgen Linke befragt Wulf Weinmann zu dessem neuen Label für zeitgenössische Musik "Neos". Linke kommentiert in einer Times mager auch das Doping und die Tour. Besprochen wird Andrea Breths Inszenierung von Peter Tschaikowskijs Oper "Eugen Onegin" in Salzburg.

Welt, 31.07.2007

Auch Hanns-Georg Rodek denkt über die europäische Geltung von Bergmans Kino nach - und über die Zeit des Spätwerks und Abschieds, die schon lange dauert: "Diese Zeit um 'Fanny und Alexander' erscheint im Rückblick wie der große Abschied vom europäischen Filmkulturerbe. Fassbinder trat seine Reise ins Licht an, Bunuel tat den letzten Seufzer, Antonioni verstummte nach einem Schlaganfall, Truffaut nahm seine letzte Metro, Fellini stimmte im 'Schiff der Träume' den Abgesang auf Alt-Europa an, und bei Bergman folgte dem Moment größter weltweiter Expansion die freiwillige Kontraktion auf seine Kernlande."

Weitere Artikel: Uwe Schmitt stellt den Bluessänger John Mayer vor. Dankwart Guratzsch schreibt über das Projekt, Berlins Mustersiedlungen der zwanziger Jahre ins Unesco-Welterbe einzutragen. Gerhard Midding schreibt zum Tod Michel Serraults. Gemeldet wird, dass Christoph Schlingensief gern den "Tristan" in Bayreuth inszenieren würde. Besprochen werden Tschaikowskys "Eugen Onegin" in Salzburg und drei exquisite kleine Höhepunkte des Kunstsommers, eine Ausstellung über die Farbe Weiß in Potsdam, die "Höhler Biennale" in Gera mit Klang- und Videokunst und die siebte Foto-Triennale in Esslingen.

Im politischen Teil prangern Victor und Victoria Trimondi, Autoren des Buchs "Krieg der Religionen - Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse", die westliche Idolatrie um den Dalai Lama an: "Die vielfachen irrationalen, berauschenden, grausamen, düsteren und apokalyptischen Aspekte des Lamaismus sind in der großen Öffentlichkeit wenig bekannt. Sie werden vom Dalai Lama und seinen Anhängern verschwiegen."

Standard, 31.07.2007

In einem Artikel für "Project Syndicate" (heute im Standard) wiederholt Ian Buruma unter dem Titel "Keine Angst vor dem Islam" sein Argument, dass auch die Aufklärung zum Fundamentalismus werden kann. "Das heutige Problem besteht darin, dass wir die Werte der Aufklärung manchmal in sehr dogmatischer Weise gegen Muslime einsetzen. In Wirklichkeit sind sie zu einer Form des Nationalismus geworden - 'unsere Werte' werden 'ihren Werten' gegenüber gestellt. Die Werte der Aufklärung sind zu verteidigen, weil sie auf guten Ideen beruhen und nicht, weil sie 'unsere Kultur' sind. Kultur und Politik in dieser Art und Weise zu vermischen heißt, in dieselbe Falle zu tappen wie die Multikulturalisten."
Stichwörter: Buruma, Ian, Nationalismus

FAZ, 31.07.2007

"Präziser, mitfühlender, schmerzlich wahrer hat nach Tschechow und Strindberg niemand mehr die Freuden und Qualen der bürgerlichen Seele geschildert." Andreas Kilb verabschiedet sich von Ingmar Bergman als einem der Großen des Kinos im 20. Jahrhundert: "Das zwanzigste Jahrhundert ist vorbei, aber noch leben einige der großen Künstler, die das Ringen der Ideologien, den Kampf gegen Darstellungstabus, die ästhetische Wende der Nachkriegszeit am eigenen Leib erlebt haben. Indem sie abtreten, geht auch das Jahrhundert erst wirklich zu Ende. Mit Ingmar Bergman, der am Montag im Alter von 89 Jahren auf Farö starb, entschwindet eine ganze Epoche des europäischen Kinos ins Dämmerlicht der Legende." Einen noch ausführlicheren Nachruf gibt es online, er stammt von Gerhard R. Koch. Außerdem wird ein Auszug aus Karl Korns zeitgenössischer Kritik zu "Das Schweigen" nachgedruckt.

Weitere Artikel: In der Leitglosse erzählt Ingeborg Harms, dass sie ins Kino ging, um "Stirb Langsam 4.0" zu sehen - und dann war da überall Harry Potter. Andreas Rossmann war bei einer literarischen Veranstaltung mit dem Autor Robert Schindel und der Schauspielerin Eva Mattes auf der Wewelsburg. Vom Nürnberger Bardentreffen berichtet Tilman Spreckelsen, der vor allem von Richard Thompson begeistert war. Verena Lueken schreibt einen kurzen Nachruf auf den Schauspieler Michel Serrault. Auf der letzten Seite schickt Jordan Mejias einen Bericht von den Hamptons, wo nahe New York die Reichen unter sich sind. Kilian Trotier porträtiert den Geistlichen Gerhard Stille, der vom evangelischen zum katholischen Glauben übertrat - und nun wie dreihundert weitere Konvertiten weltweit mit Dispens der katholischen Kirche als Priester nicht im Zölibat leben muss.

Besprochen werden Andrea Breths Salzburger Inszenierung von Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin", Ausstellungen in Salzburg und Hamburg zur Gegenwartskunst in China, die CD "radio.string.quartet celebrating the mahavishnu orchestra" und ein Buch, nämlich ein Band mit Erzählungen von Julien Green mit dem Titel "Fremdling auf Erden" (siehe auch unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 31.07.2007

Ingmar Bergman wird von Fritz Göttler als Sommerregisseur verabschiedet. "Den ganzen nordischen Winter über, in seiner elendigen Länge, so hat mal einer der Freunde von Ingmar Bergman gesagt, macht er Theater, in Stockholm oder Göteborg, und die zwei Monate Sommer zieht er dann los, um ein paar Filme zu drehen. Ein Arbeits-, ein Lebensrhythmus, der wirklich Sinn macht - und der die Vitalität erklärt, die Lebensfreude, die Anarchie, die in den meisten Bergmanfilmen zu spüren sind. Ein halbes Jahrhundert schönstes Natur- und Sommerkino, damit wird man dem Mann, der seit vielen Jahren als der beste Regisseur der Welt firmiert, sehr viel besser gerecht als mit allen philosophischen und religiösen Diskursen zu seinem Werk."

In Schweden haftete Bergman der Ruf des Erotikers an, ergänzt Thomas Steinfeld, der auch über "Bergmans Gesichter" schreibt. Für den Autor Botho Strauß ist er der "Dostojewskigleiche", für den Schauspieler Heinz Bennent der menschlichste Regisseur, den er kannte. In einer Zwischenzeit knöpft sich Hermann Unterstöger sprachliche Unebenheiten wie doppelte Gänsefüßchen und den Trialog vor.

Im Gespräch mit Peter Laudenbach erklären Luk Perceval und Thomas Thieme ihre Haltung zu Moliere, dem sie in Salzburg einen fünfstündigen Stückemarathon widmen. Perceval: "Er hat sich buchstäblich kaputt gespielt, er ist auf der Bühne gestorben. Er riskierte sein Leben in seiner Kunst, machte sich selbst zum Schauplatz. Das ist für mich die Essenz dieses Abends." Thieme: "Ich lasse mich doch von Theater nicht zerstören. Ich kann dieses Getue nicht leiden - die armen Schauspieler, die noch nach der Vorstellung nicht aufhören können zu spielen. Ich fange erst gar nicht erst an zu spielen, dann muss ich hinterher nicht groß leiden."

Weiteres: Tobais Kniebe schreibt zum Tod des Schauspielers Michel Serrault. Vor hundert Jahren gab es das erste Pfadfinderlager, bemerkt Gustav Seibt. Dorion Weickmann hört Bush-kritische Töne beim internationalen Kongress der amerikanischen "Law and Society Association" in Berlin. Alexander Menden beschreibt die Diskussion über das Dschihad-Musical, das morgen beim Fringe-Festival in Edinburgh Premiere haben soll.

Besprochen werden die Aufführung von Beethovens "Missa solemnis" und Wolfgang Rihms "Psalmus" unter Kent Nagano in München, Andrea Breths Inszenierung von Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" in Salzburg, und Bücher, darunter Larry Devlins bisher nur auf Englisch erschienenen Erinnerungen als "Chief of Station" und CIA-Agent im Kongo der Sechziger, und Tomi Makelas gründliches Porträt des Komponisten Jean Sibelius, "Poesie in der Luft".