Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.08.2007. Die SZ ist an das Drehbuch zu Tom Cruises Stauffenberg-Film "Valkyrie" gekommen und erkennt das wahre Potenzial dieses historischen Thrillers. In der NZZ beschreibt der Islamwissenschafter Christian Meier das große Problem der islamischen Gesellschaften mit Aids. In der Welt erklärt der auf Russisch schreibende ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow, warum er sich nicht mehr in den Sprachenkrieg des Landes einmischt. Im Tagesspiegel empfiehlt Garri Kasparow: Wer Putin verstehen will, soll Puzo lesen.

FR, 09.08.2007

Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Samantha Power stellt Bücher über den Krieg gegen den Terror vor: Ian Shapiros "Containment: Rebuilding a Strategy Against Global Terror", Talal Asads "On Suicide Bombing" und das Handbuch "U.S. Army/Marine Corps Counterinsurgency Field Manual". "Der führende Kopf des Handbuchs war David Petraeus, damals Generalleutnant, der 2003 während der ersten Invasion des Irak die 101. Luftwaffen-Division befehligte und unmittelbar danach die Verantwortung für die Verwaltung Mosuls übernahm, der zweitgrößten Stadt des Irak. Er ist jetzt dort Oberkommandierender. Petraeus betonte die wirtschaftliche und politische Entwicklung und soll seinen Soldaten die Frage gestellt haben: 'Was habt ihr heute für die Menschen im Irak getan?' Die grundsätzliche Prämisse des Handbuchs lautet, dass der Schutz von Zivilisten der Schlüssel zu einer erfolgreichen Taktik gegen die Aufständischen ist. Im Handbuch steht: 'Eine Operation, die zum Tod von fünf Aufständischen führt, ist kontraproduktiv, wenn der Kollateralschaden dazu führt, dass 50 neue Aufständische rekrutiert werden.'"

Weitere Artikel: Arno Widmann beschreibt in Times Mager die harmonische Ehe mit seiner Mutter. Tilmann P. Gangloff berichtet über deutsche Filmproduzenten, die von den Produktionsbedingungen in Singapur schwärmen.

Besprochen werden der Dokumentarfilm über die Dixie Chicks "Shut Up and Sing" und die Ausstellungen "Global Feminisms" und "Global Feminisms Remix" im New Yorker Brooklyn Museum.

SZ, 09.08.2007

Tobias Kniebe ist über gewisse Kanäle an das Drehbuch für den Stauffenbergfilm "Valkyrie" gekommen und kann nach erster Sichtung nur staunen: "Es könnte ein großer Film sein. Vielleicht sogar ein Meisterwerk... Noch nie wurde in einer Stauffenberg-Verfilmung so überzeugend klargemacht, wie lange die Pläne geschmiedet wurden, Hitler umzubringen, wie viele gescheiterte Versuche es gab, und dass sogar Stauffenberg selbst mehrmals mit der Bombe im Gepäck ins Führerhauptquartier fuhr, bis er endlich Gelegenheit fand, sie zu zünden. Die anderen Filme kürzen das drastisch ab, wohl aus Sorge, ihre Zuschauer zu verwirren. Der erfahrene Krimischreiber Christopher McQuarrie jedoch, der für Bryan Singer bereits das oscargekrönte und sehr verzwickte Drehbuch zu 'Die üblichen Verdächtigen' verfasste, hat kein Problem mit Komplexität. Er nutzt sie, um das wahre Potential dieses historischen Thrillers auf die Leinwand zu bringen, und dieser Reichtum an Hintergrundinformationen dürfte selbst Historikern gefallen - sofern sie bei manchen Szenen ein Auge zudrücken können."

Weiteres: Thomas Steinfeld konstatiert, dass nun auch in den Geisteswissenschaften die Universitäten wohl kaum noch große Monografien zustande bringen werden. Auf der Filmseite schreibt Fritz Göttler über das Filmfestival von Locarno. Rezensionen widmen sich der Dokumentation über die Dixie Chics "Shut up & sing" und Bahman Ghobadis Roadmovie "Halbmond".

Außerdem besprochen werden die große Ausstellung "Tresor de la Peste" in Paris, die die Schätze zeigt, die Juden im Mittelalter vor Pogromen versteckten und die zum Teil erst vor zehn Jahren wiedergefunden wurden, Edouard Locks Tanzstück "Amjad" beim Festival Impulstanz in Wien und Bücher, darunter Franziska von Reventlows Tagebücher "Wir sehen uns ins Auge, das Leben und ich", Michael Manns "Die dunkle Seite der Demokratie" und verschiedene Sachbücher für Kinder (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

NZZ, 09.08.2007

Der Islamwissenschafter Christian Meier beschreibt das große Problem, das die islamischen Gesellschaften mit Aids haben. "Der erste HIV-Infizierte Ägyptens, in einem Krankenhaus unter strenge Quarantäne gestellt, wurde von seinem Bewacher aus Angst erschossen. Die Behörden wiesen die Verantwortung unterdessen von sich oder leugneten das Problem gleich ganz. Das Ausland oder noch dunklere Mächte wurden für eingeschleppte Infektionen verantwortlich gemacht - freilich ein Verhaltensmuster, das weltweit zu beobachten war. In mehreren arabischen Ländern betrug die offizielle HIV-Quote bis vor wenigen Jahren offiziell null Prozent; internationalen Organisationen wurde es dadurch noch schwerer gemacht, an zuverlässige Zahlen zu gelangen."

Besprochen werden eine Ausstellung im Frankfurter DAM über junge Architektur in den USA, Pepe Danquarts Film "Am Limit", Carlos Reygadas' Film "Batalla en el cielo - Schlacht im Himmel" und Bücher, nämlich neu aufgelegte Werke des wunderbaren französischen Krimiautors Sebastien Japrisot und Markus Brauns Roman "Armor" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Welt, 09.08.2007

Der auf Russisch schreibende ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow erklärt, warum er sich nicht mehr in den Sprachenkrieg des Landes einmischen will: "All diese Jahre habe ich gegen die Pläne protestiert, das Russische zur zweiten Staatssprache zu erheben. Bis ich am Ende begriff, dass das alles nur ein politisches Spiel war. Nur die Politiker brauchen eine Sprachendebatte. Das Volk kennt keine Sprachprobleme. Die Unterschiede zwischen dem Russischen und dem Ukrainischen sind geringer als die zwischen dem Deutschen und dem Niederländischen. In Kiew höre ich oft, wie jemand eine Frage auf Russisch stellt und auf Ukrainisch Antwort bekommt, und alle sind damit zufrieden."

Weiteres: Dankwart Guratzsch überlegt, ob Peter Eisenman vielleicht absichtlich den Beton für das Holocaust-Mahnmal so porös mischen ließ ("Entfestigung als Schritt zu tieferer Wahrheit"). In der Randglosse widmet sich Holger Kreitling der Klage des kongolesischen Studenten Bienvenu Mbutu Mondondo gegen Herges Comic "Tim im Kongo". Michael Loesl unterhält sich mit den Hitlieferanten der Band Crowded House. Sven Felix Kellerhoff verteidigt den in Moskau ermordeten Antikommunisten Walter Linse gegen Vorwürfe, mit den Nazis paktiert zu haben. Nach Linse will der Förderverein der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen einen Preis benennen. Thomas Hahn berichtet vom Pantomime-Festival in Perigueux.

Auf der Kinoseite schmäht Peter Zander Francois Ozons "Angel": "Alles nur leerer Schein". Besprochen werden auch die Dixie-Chics-Doku "Shut up & sing", der Aborigines-Film "Zehn Kanus" und Bahman Ghobadis Roadmovie "Half Moon".

TAZ, 09.08.2007

Marokkos König Mohammed VI. will Tanger zum modernen Handels- und Finanzzentrum ausbauen. "Die Anfänge sind längst gemacht", berichtet Ronald Düker. "Seit Anfang Juli verkehren Fähren und Frachtschiffe im ersten Terminal des neuen Großhafens 'Tangier Med'. Und während griechische Reedereien von hier aus marokkanische Waren in alle Welt exportieren und zugleich die einheimischen Raffinerien mit Rohöl beliefern, hofft man auf den positiven Befund einer Machbarkeitsstudie, die Marokko gemeinsam mit Spanien in Auftrag gegeben hat. Der schweizerische Ingenieur Giovanni Lombardi, vor Urzeiten bereits am Bau des Gotthardtunnels beteiligt, soll bis zum Beginn des nächsten Jahres herausfinden, ob sich Europa und Afrika durch einen Eisenbahntunnel verbinden lassen."

Weiteres: Ekkehard Knörer schreibt über die Robert Altman gewidmete Jubiläumsausgabe der Filmzeitschrift steadycam. Besprochen werden Francois Ozons Film "Angel", eine CD der australischen Band Architecture in Helsinki und ein Dokumentarfilm über die Dixie Chicks.

Auf der Meinungsseite verteidigt Tobias Rapp den Hiphop als Kunstform, auch wenn er homophob oder sexistisch ist: "Das Einzige, was gegen Hiphop hilft - das verhält sich nicht anders als in allen anderen Jugendkulturen - ist anderer Hiphop. Das ist ein Aneignungsprozess, der zu jedem ernsthaften Kulturkonsum gehört: die Sprache lernen, verstehen, was gut ist und was schlecht."

Schließlich Tom.

Tagesspiegel, 09.08.2007

Dissident Garri Kasparow empfiehlt zum Verständnis des Putin-Regimes nicht die politologischen Klassiker, sondern Mario Puzo: "Historiker erkennen im heutigen Kreml Elemente von Mussolinis 'korporativem Staat', von lateinamerikanischen Juntas und Mexikos pseudodemokratischer Revolutionspartei PRI. Ein Puzo-Fan aber versteht die Putin-Regierung besser: die strenge Hierarchie, die Erpressungen und Einschüchterungen, die Codes der Geheimhaltung - und vor allem das Mandat, Erträge fließen zu lassen. In anderen Worten: Wir haben es mit einer Mafia zu tun. Wenn ein Mitglied des inneren Zirkels gegen den Paten rebelliert, ist sein Leben verwirkt."

FAZ, 09.08.2007

Regina Mönch informiert über eine neue Zählungsweise der mit Bevölkerungsstatistik befassten Ämter, so dass einige Fehlinformationen - etwa über gebärunwillige Akademikerinnen in Deutschland - demnächst korrigiert werden. Reiner Burger porträtiert den Ex-Dissidenten und Autor Ulrich Schacht, der zur Zeit Stadtschreiber in Dresden ist - gegen die Widerstände wackerer Linker der Stadt, die ihn für einen Rechten halten. "hmay" extemporiert aus gegebenem Anlass über die Figur des Lokführers. Julia Voss interviewt den Popart-Veteranen (und Designer des Sergeant-Pepper-Albums) Peter Blake, dem in Liverpool eine Retrospektive gewidmet ist. Timo John besucht eine restaurierte Rokoko-Moschee im Schwetzinger Schlosspark. Rainer Hermann berichtet von der Gründung einer Richard-Wagner-Gesellschaft in Abu Dhabi. Kerstin Holm besucht in ihrer Reihe über russische Museen das Kunstmuseum von Astrachan.

Für die Kinoseite hat sich Rüdiger Suchsland die arabischen Filme des Festivals von Locarno angesehen. Andreas Platthaus betrachtete Filme des durch die Städte wandernden Fantasy Filmfests. Und Verena Lueken liest eine Forbes-Liste, die nicht nach den am besten verdienenden, sondern nach den für die Studios profitabelsten Schauspielern fragt - Nummer 1 ist Matt Damon. Auf der Medienseite stellt Harald Keller einen neue ZDF-Krimireihe um den Münsteraner Ermittler Wilsberg vor. Jörg Thomann mokiert sich über den Fernsehregisseur Dieter Wedel, der gerne sämtliche Politaffären der letzten Zeit verfilme würde.

Und Jobst Plog, Intendant des Norddeutschen Rundfunk, lässt durch eine Gegendarstellung mitteilen, dass er entgegen Behauptungen der FAZ nicht Mitglied im Aufsichtsrat der sozialdemokratischen Medienholding DDVG ist.

Dirk Schümer stellt auf der letzten Seite das in Wien lebende italienische Autorenpaar Rita Monaldi und Francesco Sorti vor, das mit historischen Räuberpistolen Bestellerauflagen erzielt. Barbara Hobom porträtiert den Genforscher Ingo Potrykus, Erfinder des "Goldenen Reiskorns", das Vitamin-A produziert und Millionen asiatischer Kinder vor der Blindheit bewahren könnte, wenn nicht Agrarfirmen auf ihren Patenten und Gegner der Grünen Gentechnik auf ökologischer Korrektheit bestehen würden. Thomas Thiel konstatiert, dass Second Life inzwischen der Hype von vorgestern zu sein scheint.

Besprochen wird Rolf de Heers Film "10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen" über eine Legende der australischen Aborigines.

Zeit, 09.08.2007

Aller Folklore zum Trotz preist Thomas Groß auf einer ganzen Seite den vor dreißig Jahren gestorbenen Revolutionär der Rockgeschichte, Elvis Presley. Der Philosoph Slavoj Zizek verteidigt seinen französischen Kollegen Alain Badiou gegen Antisemitismus-Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, seit er eine Instrumentalisierung des Holocausts kritisiert und die Wiederbelebung einer "universalistischen jüdischen Identität" gefordert hatte. Der Kapstädter Priester Stefan Hippler fordert eine Kehrtwende des Vatikans in der Kondomfrage angesichts Millionen HIV-infizierter Menschen in Afrika. Christof Siemes sinniert in der Randspalte über Russen am Nordpol und andere symbolträchtig gehisste Flaggen. Maximilian Probst misstraut dem neuen Boom an Dokumentarfilmen, vor allem wenn sie ihre Helden so verklären wie Sidney Pollacks "Sketches of Frank Gehry". Nichtsdestotrotz kann Christoph Dieckmann die Doku "Shut up and sing" über die Dixie Chicks empfehlen, die sich mit ihrer Kritik an George Bushs Irakkrieg so unbeliebt gemacht hatten, dass nicht einmal das Rote Kreuz eine Millionenspende von ihnen annehmen wollte. Claus Spahn verabschiedet den abtretenden Bremer "Theatermann der Schwergewichtsklasse" Klaus Pierwoß. Volker Ulrich schreibt zum Tod des Holocaust-Forschers Raul Hilberg. Besprochen werden eine Ausstellung des Fotografen Hiroshi Sugimoto im Düsseldorfer K20 und Neues aus der Diskothek.

Im Aufmacher des Literaturteils stellt Konrad Heidkamp zwei Bücher von und über "böse Mädchen" vor: Julia Blackburns "Billie Holiday" und Courtney Loves Tagebücher "Dirty Blonde". Im Dossier feiert Markus Wolff hundert Jahre Pfadfinder.

Eine interessante Geschichte haben wir noch im Chancen-Teil entdeckt: In Köln eröffnet das erste Privatgymnasium für Deutschtürken, wie Julia Gerlach berichtet: "Eine Schule für das türkische Bildungsbürgertum, das will, dass sich seine Kinder integrieren, und von dem Bildungssystem a la Rütli-Schule die Nase voll hat."