Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.08.2007. Die SZ erklärt, was Wald am Mittelmeer ist (oder war). Der Tagesspiegel fühlt sich mit dem jungen deutschen Kino einsam. Die FR berichtet über das Filmfestival von Sarajewo. Die NZZ begibt sich auf zivilgesellschaftliche "Karawane" in Marokko. Die taz bringt die neuesten Einträge aus der nicht sehr beschäftigten schwedischen Zensurbehörde: "Prüfnummer 144531: 'The Bourne Ultimatum', Schnitte: 0; Prüfnummer 144532: 'Stardust', Schnitte: 0" 

TAZ, 28.08.2007

Reinhard Wolff berichtet von einem wahrhaft seltenen Vorgang. Die Leiterin der schwedischen Zensurbehörde, Gunnel Arrbäck, will die unterbeschäftigte Einrichtung schon lange auflösen, darf es aber nicht, weshalb sie nun gekündigt hat. "Zuletzt hat das 'Biografbyra' vor 11 Jahren in einem nichtpornografischen Film geschnippelt. Das war Scorseses 'Casino', wo herausgeschnitten wurde, wie der Mafioso Nicky Santoro den Kopf eines Gegners in einem Schraubstock fixiert. Seither sind die Zensurlisten eine langweilige Lektüre geworden: Prüfnummer 144531: 'The Bourne Ultimatum', Schnitte: 0; Prüfnummer 144532: 'Stardust', Schnitte: 0, lauten die aktuellsten Einträge. Fand man seit 1996 nichts, was das vom Gesetzgeber vorgegebene Kriterium 'verrohend' erfüllte? Das sei nicht der Punkt, antwortet Arrbäck: 'Vor allem gibt es ja keine Forschung, die beweist, dass jemand durch einen Film 'verroht' werden kann.'"

Weitere Artikel: Christian Broecking porträtiert den Posaunisten und Komponisten George Lewis, der seit Juli dem Center for Jazz Studies in New York vorsteht. In der zweiten taz erfährt Susanne Lang von Andrea Hohnen im Interview, dass beim Film-Nachwuchspreis "First Steps Awards" der beste Jahrgang aller Zeiten bevorsteht.

Besprochen werden die Ausstellung New York - States of Mind" im frisch renovierten Haus der Kulturen der Welt in Berlin, das Album "Hahnenkampf" der Berliner Band K.I.Z., und Thomas Karlaufs große Biografie von "Stefan George".

Auf der Meinungsseite kommentiert Ömer Erzeren die heute anstehende Wahl Abdullah Güls zum türkischen Staatspräsidenten: "Nein, es ist kein revolutionärer Bruch, der sich vollzieht, nur weil ein Mann, dessen Ehefrau ein Kopftuch trägt, Staatspräsident wird. Das politische System in Deutschland ist ja auch nicht aus den Angeln gehoben worden, nur weil Joschka Fischer Außenminister wurde." Und es wird auch etwas Gutes haben: "Diese Machtfülle wird die AKP in Bedrängnis bringen. Denn obwohl sie schon bislang die Regierung stellte, konnte sie sich bis jetzt als unterdrücktes politisches Opfer gerieren: Ob es nun um die Aufarbeitung des Massakers an den Armeniern von 1915, die kurdische Frage oder die repressiven Paragrafen des Strafrechts ging: stets schob die AKP den Schwarzen Peter dem heimlich-unheimlichen Machtzentrum zu und entzog sich politischer Verantwortung."

Und Tom.

FR, 28.08.2007

Bernd Buder meldet sich vom prosperierenden Filmfestival in Sarajevo, das neben einer internationalen Filmreihe vor allem das südosteuropäische Kino zeigt. "Die 'Region', um die es in Sarajevo geht, wird von den Festivalmachern im übrigen nie genau definiert. So muss man nicht mit dem pejorativ belasteten 'Balkan'-Begriff operieren, hält sich diplomatische Schwierigkeiten vom Hals und kann das Einzugsgebiet für die Wettbewerbsfilme variieren. Seit diesem Jahr sind Griechenland, Zypern und die Türkei mit von der Partie. Eine Entscheidung, die von vielen Filmkritikern, die in dem Festival vor allem eine Leistungsschau des ex-jugoslawischen Kinos sahen, zunächst bedauert wurde. Die Erweiterung hat sich jedoch gelohnt: Von den zehn Beiträgen des Spielfilmwettbewerbs kamen drei aus der Türkei."

Weiteres: Kirsten Liese war beim Stockholmer Baltic Sea Festival vor allem von den lettischen Beiträgen beeindruckt. Arno Widmann berichtet von der Auseinandersetzung über die Aussage der französischen Schauspielerin Fanny Ardant, der Gründer der italienischen Terroristentruppe der "Roten Brigaden", Renato Curcio, sei ein "Held" gewesen. Christian Schlüter ist gespannt, ob jetzt auch Frankfurt seine Moschee-Debatte bekommen wird. Daniel Bouhs informiert, dass ARD und ZDF in ihren digitalen Kanälen noch mehr Nachrichten bringen wollen. Peter Michalzik zweifelt in einer Times mager an den offiziellen Besucherzahlen des Frankfurter Museumsuferfestes.

Besprochen wird Christoph Marthalers Abend zur Musik von Giacinto Scelsi auf der Bühne der Wiener Perner-Insel, und Bücher, darunter die Erinnerungen an "Fünf Deutschland und ein Leben" des Historikers Fritz Stern und Deon Meyers Krimi "Der Atem des Jägers" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)

Welt, 28.08.2007

Uwe Wittstock freut sich, dass Frankfurt nicht nur das Goethe-Denkmal auf den zentralen Goetheplatz holt, sondern unter dem Titel "Goethe ffm" auch eine dem Dichter gewidmete zweijährliche Festwoche ins Leben gerufen hat. In der Glosse bangt Uta Baier nach dem Notverkauf der Sachsen LB um den verdienstvollen Preis, den die Bank seit 2002 an junge sächsische Künstler verleiht. Dankwart Guratzsch erzählt, wie aus der Industriestadt Bitterfeld ein Seebad wurde. Frank Noack hat den Nachruf auf den Schauspieler Hansjörg Felmy verfasst. Auf den Forum-Seiten schreibt Andrea Seibel über die mögliche türkische Präsidentengattin Hayrünnisa Gül und ihr Kopftuch.

Besprochen werden Jan Fabres Salzburger Choreografie "Requiem für eine Metamorphose" sowie drei begleitende Fabre-Ausstellungen, eine Ausstellung im Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig, die dokumentiert, wie die Welfen ihre Schätze sammelten und verkauften, eine Rostocker Ausstellung über die Geschichte der Hanse und das Album des Countertenors Andreas Scholl mit dem sprechenden Titel "Scholl goes Pop".

NZZ, 28.08.2007

Martina Sabra schildert das zivilgesellschaftliche Phänomen der "Karawanen" in Marokko. Betrieben werden sie etwa von Frauenorganisationen, die in Slums oder abgelegene Dörfer reisen, um auf Anliegen wie Mädchenbildung aufmerksam zu machen. Eine Aktivistin beschreibt das Prinzip so: "'Die Karawanen sind keine Besichtigungstour, sondern eine Woche gemeinsames Arbeiten und Leben', erklärt Najat Ikhich (von der Stiftung Ytto). 'Die Besucher stellen kostenlos ihr Wissen über Gesundheit, Technik und Recht und ihre Kontakte zur Verfügung. Die Familien auf den Dörfern bringen die Gäste kostenlos in ihren Häusern unter und sorgen für das leibliche Wohl. Auf diese Weise machen alle mit, jeweils im Rahmen ihrer Möglichkeiten, und wir müssen keine riesigen Geldmittel aufbringen.'"

Weitere Artikel: Ulf Meyer besucht das Kunstmusum in der kleinen Stadt Akron, Ohio, das durch das Büro Coop Himmelb(l)au in recht Aufsehen erregender Weise erweitert wurde (Bilder hier, hier und hier). Roman Bucheli zitiert zum 28. August einige recht spöttische Aussagen Dürrenmatts, Goethes und Kellers über die Schweiz. Schön, aber was hat es mit dem 28. August für eine Bewandtnis? (Inzwischen haben uns Leser aufgeklärt: Goethes Geburtstag - vielen Dank!)

Besprochen eine Ausstellung über Peter Zadek in Berlin, und einige Bücher, darunter Gerhard Roths (mehr hier)"Alphabet der Zeit" und Anselm Glücks Roman "Die Maske hinter dem Gesicht", den Paul Jandl als "herzzerreißend schön" feiert.

Tagesspiegel, 28.08.2007

"Comic relief mögen die Jüngeren nicht", resümiert Christiane Peitz den diesjährigen Wettbewerb Firststeps für Abschlussfilme der Filmhochschulen. "Vatermutterkind. Kleinbürger(alp)träume. Provinzenge. Großstadtnomaden. Streifenpolizisten, die von der Beförderung träumen, eine Callcenter-Telefonistin, Heimkinder, Straßenstreuner. Das obdachlose Model "Valerie" (in Birgit Möllers gleichnamigem dffb-Film) ist pleite und lebt in der Tiefgarage des Hyatt-Hotels. Seht nur die Einsamkeit, bedeuten die Jungen im Jahr der großen Demografie- und Familiendebatten, seht nur, wie sehr die Generationen aneinander leiden."

SZ, 28.08.2007

Die Brände in Griechenland markieren eine kulturelle Waldgrenze, überlegt Burkhard Müller fest. "Wald am Mittelmeer ist Busch im afrikanischen Sinn (italienisch heißt er 'bosco'), das Draußen, das nicht Benutzte und nicht Geregelte schlechthin, eine kaum definierte Zwischenzone des Ungangbaren, ehe es wieder manierlich wird; nicht einmal mehr bedrohlich in den Zeiten einer städtischen Zivilisation, sondern schlechterdings ein Nichts. Wald wird vom Ödland, von vollständig degenerierten Vegetationsstufen nicht scharf geschieden. Niemals hätte ein mediterranes Waldsterben dieselbe Aufregung ausgelöst wie in Deutschland, aus dem einfachen Grund, dass auch ein gänzlich abgestorbener Wald hier noch vom Begriff des Waldes mitumfasst wäre. Nur unter diesen Voraussetzungen versteht man die tiefe Gleichgültigkeit, die in Griechenland gegen die Schicksale des Walds bestand und die den Nordeuropäer so erstaunt. Nicht einmal ein Bodenkataster!"

Die Uraufführung von Jan Fabres "Requiem für eine Metamorphose" bei den Salzburger Festspielen gerät für Eva-Elisabeth Fischer zur bunt-bewegten Persiflage einer Totenmesse. "Die politische Korrektheit kommt unter anderem in Gestalt eines von Organhändlern ausgeweideten Chinesen mit blutigem Bauchschnitt daher, der händeringend nach seinem Herzen sucht. Krieg und Tod im Irak und in Afghanistan, in düsteren Tableaux nachempfunden, mengen sich mit der Meldung vom Mord an John Lennon, wohl einem Schlüsselerlebnis des jungen Fabre. Der Teufel trägt Mönchskutte, und Gottvater huscht nackt mit einem Schmetterlingsnetz über die Szene."

Weiteres: Als ein Geschenk des Himmels preist Gottfried Knapp die Wiederherstellung des großen Globus und des barocken Neuwerkgartens im Schleswiger Schloss Gottorf. Nikola Dobrovic, der zu Hause wenig beachtete Architekt der jugoslawischen Moderne, wird von Werner Bossmann und Christian Welzbacher mit einem Porträt bedacht. George Bushs Bezug (hier die Rede) auf Graham Greenes idealistischen Helden Alden Pyle aus "Der Stille Amerikaner" findet Thomas Steinfeld ganz passend - wenn man Greene zu Ende liest: "Unschuld ist wie ein schwachsinniger Leprakranker auf Wanderschaft. Er hat nichts Böses im Sinn." Wolfgang Schreiber versichert sich und anderen Klassikfans in einer Zwischenzeit, dass ihr Steckenpferd gar nicht mehrheitsfähig sein muss. Barbara Winterstetter proträtiert Klaus Florian Vogt, der in seiner Rolle als Heldentenor in Bayreuth auch einer Mehrheit bekannt wurde. Volker Breidecker resümiert eine Mainzer Tagung zum Verhältnis von Wikipedia und den Geisteswissenschaften. Gerhard Matzig meldet, dass McDonalds jetzt auf Regionalisierung statt auf Globalisierung setzt.

Zum hundertsten Todestag Goethes produzierte die Weimarer Republik 1932 einen abendfüllenden Spielfilm, für den erstmals an den Weimarer Originalschauplätzen gedreht werden durfte, nun aber zum Großteil verschollen ist, berichtet Christian Welzbacher auf der Literaturseite.

Besprochen werden ein Auftritt des Cellisten Yo-Yo Ma mit dem Silkroad-Ensemble in Luzern sowie Karl Mays Orientzyklus als Hörspielversion auf 12 CDs.

FAZ, 28.08.2007

Der Philosoph Robert Spaemann wendet sich vehement gegen neue Pläne der Bundesregierung, den Embryonenschutz aufzuweichen: "Wenn Menschen im Frühstadium ihres Lebens keine Menschen sind und folglich keine Menschenrechte besitzen, dann bedarf es keiner Rechtfertigung, um sie zu 'verbrauchen'. Es bedarf vor allem auch keiner gesetzlichen Regelung. Sind sie aber, wie das Verfassungsgericht erklärt, Träger des Grundrechtes auf Leben, dann kann das Recht auf Forschungsfreiheit niemals das Recht einschließen, andere Träger von Grundrechten einfach zu beseitigen. Das Grundrecht der Freiheit auf Kunst schließt nicht das Recht ein, fremde Hauswände zu bemalen, das Recht auf Forschungsfreiheit nicht das Recht auf Hausfriedensbruch durch Okkupation fremder Räume zu Forschungszwecken. Solche innere Beschränkung von Grundrechten gilt a fortiori für die verbrauchende Instrumentalisierung von Menschenleben."

Weitere Artikel: In der Leitglosse äußert sich heute Johann Wolfgang von Goethe gegen das Rauchen. Eleonore Büning fasst die frisch aufgeflammten, aber keineswegs mit neuen Argumenten aufwartenden Diskussionen zu den Berliner Opern und zur Opernstiftung zusammen. Verena Lueken schreibt den Nachruf auf die amerikanische Autorin Grace Paley. Dieter Bartetzko war im wiederhergestellten Barockgarten im schleswig-holsteinischen Gottorf unterwegs. Beate Trüger berichtet vom Erlanger Poetenfest. Vorgestellt wird das Programm für die Salzburger Festspiele 2008 - unter anderem mit Anna Netrebko und dem bis dahin hoffentlich wieder zu Stimme gekommenen Rolando Villazon in Gounods "Romeo et Juliette". Auf der letzten Seite informiert Klaus Ungerer über die Games Convention in Leipzig. Andreas Platthaus teilt mit, dass der Tyrannosaurus Rex neuesten Erkenntnissen zufolge nicht so besonders schnell rennen konnte. Jürg Altwegg berichtet über französische Reaktionen auf die französische (Teil-)Übersetzung eines Buches über deutsche Erinnerungsorte).

Auf der Seite 3 des Politikteils berichtet Kerstin Holm von den Verhaftungen im Mordfall Anna Politkowskaja und den Verlautbarungen des russischen Generalstaatsanwalt zu dem Fall, wonach hinter dem Mord im Ausland lebende Personen steckten, die zurückwollten "zum alten System, in dem das Geld und Oligarchen herrschten".

Besprochen werden die Peter-Zadek-Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste (ein "überdimensionales, gefällig präsentiertes Fotoalbum", findet Irene Bazinger), eine Geraer Ausstellung mit dem floralen Werk des Otto Dix, eine Ausstellung mit Meisterwerken des Cleveland Museum of Art in München, eine CD-Ausgabe mit Helmut Haenchens Amsterdamer "Ring", Jan Fabres in Salzburg uraufgeführte Choreografie "Requiem für eine Metamorphose", ein Konzert von Rilo Kiley in Köln und Literatur, nämlich Eduard von Keyserlings Erzählungen "Im stillen Winkel" (siehe auch unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)