Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.09.2007. Die Feuilletons verabschieden den großen Luciano Pavarotti: Für die Welt überflügelte er den Titan Caruso und konnte doch nicht einmal richtig Noten lesen. Die SZ erinnert sich seufzend an seine Höhenbrillanz und Durchschlagskraft. Für die NZZ hat er die Oper zu einer kulinarischen Gattung gemacht. Die FAZ vermisste bei ihm allerdings das Existentielle. Außerdem erklärt der Schriftsteller Christoph Peters in der Welt, warum Konvertiten keine halbe Sachen machen. In der taz konstatiert Benjamin Biolay, dass Frankreichs Konservative einfach keinen Geschmack haben.

Welt, 07.09.2007

Im Interview mit Elmar Krekeler spricht der Schriftsteller Christoph Peters, durch seinen Roman über einen fundamentalistischen Konvertiten "Ein Zimmer im Haus des Krieges" fast ein Fachmann, über die Faszinationskraft des Fundamentalismus. "Konvertiten haben ja in der Regel nicht die Religion gewechselt, um dann wieder so halbherzig irgendetwas zur Nervenberuhigung zu praktizieren, sondern weil ihre Suche nach dem Absoluten, nach Gott ein zentrales Lebensanliegen ist. Die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung, die einer Konversion normalerweise vorausgeht, setzt sich dann in einer besonderen Sorgfalt den Praktiken der neuen Religion gegenüber fort - das ist bei Leuten, die vom Katholizismus zum Protestantismus oder umgekehrt konvertieren, ja auch nicht anders. Aber von dort ist es doch ein sehr weiter Weg zum Bombenbau: So wie der normale Christ ja auch nicht gleich auf den nächsten Abtreibungsarzt schießt."

Manuel Brug verabscheidet Luciano Pavarotti auf der Magazinseite: "Nur Luciano Pavarotti überflügelte den Titan Caruso. Mit dem honigfarbenen Schimmer seines klaren, metallisch grundierten, doch herrlich weichen Tenors. Mit der mühelosen Kraft und nie erdenschweren Eleganz seiner Spitzentöne. Mit der Sicherheit seiner makellosen Technik, mit der Fantasie und der Eloquenz seiner Verzierungskunst. Diese Gaben waren es, die die schon zur Belcanto-Berühmtheit erblühte Joan Sutherland und ihren dirigierenden Mann Richard Bonynge in den Sechzigerjahren auf den aufstrebenden Tenor aufmerksam werden ließen. Der Sohn eines Bäckers (mit dem er bis in die späten Jahre immer wieder im Kirchenchor sang) und einer Tabakarbeiterin konnte freilich noch nicht einmal ordentlich Noten lesen: Die Stimme war einfach ein Geschenk der Natur."

Weiteres: Zum Start der Theatersaison zeigt die Welt die siebzehn Symptome auf, an denen man als Intendant erkennen kann, dass die eigene Zeit abgelaufen ist. Spätestens wenn die Frage aufkommt "Ist Ihre jetzige Freundin eine mittelmäßige Schauspielerin, die dennoch in jeder Ihrer Inszenierungen mitspielt?", sei es an der Zeit, den Hut zu nehmen. Wolf Lepenies erinnert an die 44-bändige "Naturgeschichte" des französischen Forschers Graf Buffon, der heute vor 300 Jahren geboren wurde. Tilmann Krause zieht eine erste Zwischenbilanz des Berliner Literaturfestivals, Eckhard Fuhr gratuliert der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu ihrem 50. Geburtstag.

Besprochen werden außerdem Filme, darunter die Rembrandt-Verschwörungstheorie "Nightwatching", mit der Peter Greenaway in Venedig "einen unerwarteten Glanzpunkt" gesetzt hat sowie der Spielfilm "An die Grenze" des Regisseurs Urs Egger, der heute Abend auf Arte zu sehen ist.

NZZ, 07.09.2007

Marianne Zelger-Vogt verabschiedet sich von Luciano Pavarotti. Sie würdigt seine "großen künstlerischen Leistungen" und beschreibt das singuläre Medienphänomen: "In Sportstadien und Arenen war er spürbar in seinem Element, eins mit dem nach Zehn- oder gar Hunderttausenden zählenden Publikum, das ihm zujubelte, elektrisiert nicht allein von seiner Stimme, sondern von seiner Aura. Obwohl ihm seit Jahren schwere gesundheitliche Probleme zu schaffen machten, die viele seiner Engagements platzen ließen, strahlte Pavarotti bei seinen öffentlichen Auftritten südliche Lebenslust aus, war er der Inbegriff von Oper als einer kulinarischen Gattung, von Gesang als elementarer Gefühlsäußerung."

Weitere Artikel: Paul Jandl kommentiert den Besuch des Papstes in Österreich, einem Land, vor dessen Toren bedauerlicherweise, wie Benedikt zum Amtsantritt schrieb, "ein für Europa zurzeit immer noch signifikanter Säkularisierungsprozess nicht haltgemacht hat". Peter Hagmann hat auf dem Lucerne Festival Pierre Boulez und Bernard Haitink erlebt.

Auf der Medienseite wägen Roger Blum und Marlis Prinzing Chancen und Risiken von "bürgernahem Journalismus" und "Bürgerjournalismus": "Die Konzepte können sich gegenseitig nützen: Unübersehbar ist der Bürger zurück im Scheinwerferlicht - und nun auch (endlich wieder) stärker im Blickfeld der Journalisten. Viele von ihnen hatten sich entfremdet von den Bürgern, waren sich selbst genug, vertrauten auf ein passives Publikum, dem man auftischte, was man für opportun hielt. Unbequeme Themen wurden vernachlässigt. Die neue Bürgerbewegung bringt den Journalismus in Fahrt, der beschleunigt wird durch Fusionen von Medienhäusern und die damit verbundenen Synergien, die sich oft als Personalabbau übersetzen. Die Fahrtrichtung ist offen; sie hängt entscheidend davon ab, wie sich die Redaktionen der neuen Entwicklung stellen."

Heribert Seifert schreibt über die nicht immer erfreulichen Formen des Leserkommentars auf den Online-Seiten der Tageszeitungen.

Besprochen werden eine neue CD, auf der Cecilia Bartoli der Sängerin Maria Malibran huldigt, eine Einspielung von Wolfgang Rihms Streichquartetten, neue Sachbücher, darunter Louise Richardsons "Was Terroristen wollen" und neue Hörbücher, darunter Aufnahmen von Garison Keillors hierzulande vor allem durch Robert Altmans Verfilmung bekannt gewordener Radioshow "A Prairie Home Companion".

TAZ, 07.09.2007

Christine Käppeler spricht mit dem französischen Sänger Benjamin Biolay, der als neuer Serge Gainsbourg gehandelt wird, aber auch an den jungen Nick Cave erinnert (hier das Video zu "Negatif"), über seine neuen Chansons und seine neue Regierung. "Seit neuestem stehen alle auf entsetzlich kitschige Songs mit Akkordeonbegleitung, die nach französischer Tradition und Vergangenheit klingen sollen. Ein totaler Fake. Komplett rückwartsgewandt. Ich verstehe nicht, warum man diese Sorte Musik macht, wenn man 20 Jahre alt ist. Und der französische Hiphop, der vor einigen Jahren noch wirklich exzellent war. Puuh. Da ist nichts mehr von übrig, diese Szene ist tot. Das politische Klima ist heute ganz anders als während der Mitterrand-Jahre. Jack Lang hat als Kulturminister unter Mitterrand kulturelle Vielfalt und Entwicklung wirklich gefördert. Da passiert jetzt überhaupt nichts mehr. Die Konservativen, die heute an allen Schaltstellen sitzen, haben keinen Geschmack."

Weiteres: Caspar Boehme verabschiedet Luciano Pavarotti als brillanten Selbstvermarkter und glühenden Anhänger der Oper. Mark Terkessidis entdeckt Gemeinsamkeiten in Comics über den Krieg von Aleksandar Zograf und Mazen Kerbaj. Cristina Nord fragt sich in Venedig, warum die heutigen Filmemacher nicht mehr Mut zu Kontingenz und Chaos haben. In der zweiten taz lernt Anne Meyer aus der Untersuchung "Die Ängste der Deutschen", dass wir vor Kosten und Katastrophen den meisten Bammel haben. Auf der Medienseite notiert Sarah Stricker, dass einige Boulevardmedien gestern Fotos der mutmaßlichen Terroristen gezeigt haben, ohne deren Gesichter unkenntlich zu machen.

Und Tom.

Berliner Zeitung, 07.09.2007

"Schon als junger Muslim habe ich gelernt, dass Nachdenken und Selbstkritik Kardinaltugenden des Islams sind, dass der wesentlichste Dschihad der Kampf des Menschen gegen sich selbst, seinen Egoismus, seine Machtgier und Sünden ist", schreibt der 1969 zum Islam übergetretene Hadayatullah Hübsch. Aber er räumt auch ein, dass es durchaus Konvertiten gibt, die in einigen Moscheen in die Hände von "verbrecherischen Köpfen" geraten können. "Wenn von ihnen irrigerweise gepredigt wird, dass ein Muslim 'Taqiya' praktizieren dürfe und somit die Erlaubnis erteilt wird, zu lügen und zu betrügen, solange dies dem Islam diene, dann darf man sich nicht wundern, wenn daraus eine Verfolgungsmentalität entspringt. Mit der Lizenz zu töten aus geistlichem Munde ausgestattet, verfällt dann manch ein labiler Typ dem Wahn, ihm sei alles gestattet, weil er ja im Auftrage des Herrn unterwegs ist. Was das mit göttlicher Weisheit, Barmherzigkeit oder Liebe zu tun hat, wird dann nicht mehr gefragt. In der Illusion, die Gerechtigkeit des Himmels auf Erden in die Tat umsetzen zu dürfen, werden Konvertiten dann sehr schnell selbstgerecht und blindwütig."
Stichwörter: Dschihad, Islam, Konvertiten

SZ, 07.09.2007

Die ganze erste Seite gehört dem verstorbenen Operntenor Luciano Pavarotti. Niemand habe die neun hohen C's in Donizettis "Regimentstochter" so beherrscht wie er, seufzt Jens Malte Fischer. "Man muss ihn nur mit dem heute in diesem Repertoire führenden Tenor Juan Diego Florez vergleichen, um die Einzigartigkeit Pavarottis zu erkennen. Flarez singt das mit Höhenbrillanz und leichter Attacke - aber die hatte Pavarotti ebenso, zusätzlich hatte er aber das Doppelte an Volumen und Durchschlagskraft, ohne dass er auch nur in die Nähe des Forcierens kommt. Das Krähende, das so viele treffliche Tenöre in dieser höchsten Lage kaum vermeiden können, Pavarotti umging es mit einer claironhaften Brillanz und klang doch nie kraftmeierisch oder angestrengt." Henning Klüver schildert zudem die Trauerstimmung in Italien und Modena, wo der Leichnam aufgebahrt ist. Gesammelt werden Stimmen zum Tod Pavarottis.

Der amerikanische Philosoph Michael Walzer hält die von John Mearsheimer und Stephen Walt veröffentlichten Warnungen über den Einfluss der "Israel Lobby" für übertrieben. "Diese Wissenschaftler behaupten, es gebe eine große Israel-Lobby, aber es gibt keine. Es gibt viele jüdische Lobbys in Washington. Ich selbst bin in einer aktiv, die sich für Frieden in Israel einsetzt. Während der Clinton-Regierung haben wir die Regierung sehr unterstützt, während die konservative jüdische Lobby AIPAC sehr gegen Clinton war. Jetzt sind die Konservativen an der Reihe und freuen sich über die Bush-Regierung, während wir gegen die jetzige Regierung sind. Aber es sind nicht die Juden, die die Politik bestimmen."

Weiteres: Der Block Beuys im Hessischen Landesmuseum muss bei der anstehenden Sanierung mitsamt den zerschlissenen Teppichen erhalten bleiben, fordert Gottfried Knapp. Gerhard Matzig schlendert durch die Kölner Möbelmesse, wo nun auch die Ökologie Einzug gehalten hat. Helmut Mauro meldet sich vom Irsee-Musikfestival, dass sich dem Irseer Klosterbruder und Komponist Meinrad Spieß widmete, zugleich aber aus der örtlichen Kirche verbannt wurde. Henning Klüver erfreut sich an der umsichtigen Renovierung der jetzt wieder für deutsche Künstler offenen Villa Romana in Florenz.

Besprochen werden Anna Justices Film "Max Minsky und ich", eine Ausstellung über Arthur Schnitzler im Literaturhaus Berlin und Bücher, darunter Mike Davis' Band über "Eine Geschichte der Autobombe", Kinderbücher sowie Arno Geigers "nervige" Erzählungen "Anna nicht vergessen" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FR, 07.09.2007

Stefan Schickhaus schreibt einen mit Hörbeispielen ausgestatteten Nachruf auf Luciano Pavarotti. "Es fehlte auf dem internationalen Sängermarkt ein so genannter 'tenore di grazia' mit dem nötigen Potenzial, also ein Tenor mit glasklarer, druckloser Höhe, mit hellem Timbre und leichter Ansprache. Der, und das hatte die Suche bis dahin erfolglos gemacht, aber auch an stimmlicher Potenz mithalten konnte mit dem nicht eben bescheidenen Organ der Joan Sutherland."

Im Gespräch mit Nora Binder und Arno Widmann wünscht sich der Intendant der Frankfurter Oper, Bernd Loebe, mehr Risikobereitschaft von seinen Finanziers. "Das heutige Theater, dieser fast religiöse Ort der Andacht, an dem man nicht mal mehr reden darf, das kann es doch nicht sein. Sehen Sie, wir haben ja schon die Schere im Kopf. Wir sind nicht frei in der Wahl des Repertoires. Wir müssen immer abwägen: Für einen Janacek müssen wir drei Produktionen bringen, die sozusagen Selbstläufer sind. Die Freiheit wieder zu gewinnen, mehr Uraufführungen ansetzen zu können, selbst wenn das Haus nur halbvoll ist, dahin müsste man wieder kommen."

Weiteres: Peter Michalzik schreibt zum Schrecken des Konvertiten. Der katalanische Schriftsteller Quim Monzo macht eine touristische Stadtrundfahrt in Barcelona. Daniel Kothenschulte telegrafiert aus Venedig, wo er Peter Greenaway und Bob Dylan gesehen hat, der mit einem Schwerpunkt geehrte Alexander Kluge aber lange auf sich warten lässt. Harry Nutt fasst die Darfur-Diskussion des nigerianischen Literatur-Nobelpreisträgers Wole Soyinka und des früheren Innenministers Gerhart Baum auf dem Berliner Literaturfest zusammen. Christian Thomas besucht in einer Times mager das steinzeitliche Observatorium von Goseck.

FAZ, 07.09.2007

Jürgen Kesting findet bei aller Bewunderung für Luciano Pavarottis Können aufs Ganze gesehen recht kritische Töne: "Und die Bilanz dieser von Ruhmesglanz bestrahlten und verstrahlten Karriere? Er hat den Mythos des Tenors trivialisiert, so wie das Trauerspiel in die Telenovela verwandelt worden ist. In einem magischen Vers des russischen Futuristen Welemir Chlebnikow, von Luigi Nono vertont, heißt es: 'Wenn sie sterben - welken die Gräser. / Wenn sie sterben - schnaufen die Pferde. / Wenn sie sterben - dunkeln die Sonnen. / Wenn sie sterben - singen die Menschen.' Von diesem Abglanz des Existentiellen, vom Gesang als säkularisiertem Gebet, blieb nicht mehr als ein Surrogat. Pavarottis 'vinceeeeee-roooo' aus der Arie 'Nessun dorma' war die Chiffre für den Gesang im globalen Geschäft."

Weitere Artikel: Viel Grund zum Feiern sieht Jürgen Kaube zum in Berlin begangenen fünfzigjährigen Bestehen des Wissenschaftsrats nicht. Christian Schwägerl hält in der Leitglosse die angesichts der neuen britischen Stammzellengesetze an die Wand gemalten Chimären-Szenarien für Unsinn. Dirk Schümer freut sich in seinem Venedig-Bericht über Peter Greenaways "Hybris, Rembrandt mit den Mitteln des Kinos nachzubilden". Rüdiger Klein liefert die Beschreibung einen neuen Kirschgarten-Hofs in der Fränkischen Schweiz. Edouard Beaucamp verfolgt in seiner "Kunststücke"-Kolumne die Geschichte des kurzentschlossen geschäftstüchtigen Umgangs mit dem eigenen Werk von Andy Warhol zurück bis ins 19. Jahrhundert. Andreas Kilb berichtet vom Auftakt des Internationalen Literaturfestivals in Berlin.

Im Interview mit Verena Lueken und Michael Althen meint der Schauspieler Matt Damon über seinen neuesten Film "Das Bourne Ultimatum": "Es gab viele Tage, an denen ich nicht hätte sagen können, an welcher Stelle des Films wir eigentlich sind, wohin ich gerade gehe oder woher ich komme, was ich hier tue, was ich dort will." Tilmann Lahme porträtiert den Realschullehrer Michael Csaszkoczy, der nun doch tun darf, was ihm als angeblich Linksradikalen lange verwehrt war: unterrichten. Jordan Mejias meldet, dass der Neurologe und Bestsellerautor Oliver Sacks von der Columbia University zum ersten "Columbia Artist" ernannt wurde - was heißt, dass er die Narrenfreiheit erhält, an der renommierten Universität zu lehren, was und wo er will.

Auf der Sachbuchseite gibt es Rezensionen unter anderem zu einer ganzen Reihe von Schnellschüssen, die sich mit dem Jesus-Buch des Papstes befassen, zum Buch des Journalisten Tiziano Terzani über sein eigenes Sterben und den Tod überhaupt sowie weiter vorne zu Werner Kappachers Angestelltenroman "Der lange Brief" (mehr dazu in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Besprochen werden eine Frankfurter Ausstellung über Goethes "Faust", Jane Chablanis und Martin Smiths Film "Stealing Klimt" und Sidi Larbi Cherkaouis in Brüssel gezeigte Choreografie "Apocrifu".