Heute in den Feuilletons

Die Quandts im Nationalsozialismus

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.10.2007. Die Welt fragt: Warum verteidigt Sigrid Löffler Peter Handke, nicht aber Martin Mosebach? Die FR ist amüsiert über die amerikanischen Milliardäre und ihre Berücksichtigung in den amerikanischen Museen. Die taz staunt über den gezähmten Kapitalismus nach Scharia-Regeln. Die FAZ befürchtet eine Entphilologisierung der Orientalistik. Die SZ greift die Berichte über die Quandts und die Zwangsarbeit auf.

FR, 02.10.2007

In New York bestaunt Christian Schlüter nicht nur die gut bestückte Schau "Rembrandt und seine Zeit" im Metropolitan Museum of Art, sondern auch das amerikanische Werteverständnis. "Es geht hier nicht so sehr um die Blütezeit der niederländischen Malerei, als vielmehr um New Yorks spendable Multimillionäre. War es bislang schon üblich, die einzelnen Galerien nach den Großspendern zu benennen, so finden sich dort jetzt auch die von ihnen gesammelten Exponate. Die Ausstellung folgt demnach nicht einer kunsthistorischen, etwa chronologischen oder motivischen Linie, sondern überrascht den Besucher, mit einem zwar hochpreisig-noblen, aber kunterbunten Durcheinander. Eine grobe Richtung gibt allein das Jahr der Schenkung vor. So hängen in jedem Raum dieselben Maler, Rembrandt, Hals oder Vermeer, nur dass sie jeweils mit einem anderen Bild vertreten sind. Die eigentlich Stars der Ausstellung aber heißen J.P. Morgan, Collis P. Huntington, William K. Vanderbuilt oder Louisine und Henry O. Havemeyer. Sie und noch einige andere haben in den letzten 137 Jahren die Bestände des Museums auf respektable Größen anwachsen lassen."

Weiteres: Frank Keil fasst eine Tagung im "Medienarchiv Günter Grass - Stiftung Bremen" zusammen, wo es offenbar um Grass und die Welt ging. Tilmann P. Gangloff unterhält sich mit dem Schauspieler Wolfgang Stumph über dessen neuen DDR-Fernsehfilm "Heimweh nach drüben". Gemeldet wird, dass der Deutsche Kabarett-Preis an den Kölner Kabarettisten Wilfried Schmickler geht. In einer Times mager kommt Christian Thomas von Himmel über Sputnik auf Gabriele Pauli. Oder andersherum.

Besprochen werden zwei Münchner Uraufführungen, Barbara Webers Unplugged-Format und Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Dea Lohers Text "Land ohne Worte" (in der Schauspielerin Wiebke Puls nach Meinung von Peter Michalzik "keine Chance" hat) an den Münchner Kammerspielen, David McVicars "dezent-historische" Inszenierung von Schillers "Don Carlos", sowie Frank Hilbrichs Version der "Meistersinger von Nürnberg" in der Oper Halle.

NZZ, 02.10.2007

Elisabeth Kiderlen berichtet vom Orientalistentag in Freiburg, der für Kiderlens Geschmack etwas zu stark den politischen Problemkomplex Orient und zu wenig den Kulturkreis betont. "Strömendes Melos und atmendes Musizieren" hat Marianne Zelger-Vogt bei der Aufführung von Giordanos Revolutionsdrama "Andrea Chenier" im Opernhaus Zürich erlebt.

Besprochen werden außerdem eine Le-Corbusier-Ausstellung im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein und Bücher, darunter Kwame Anthony Appiahs Philosophie des Weltbürgertums "Der Kosmopolit" (hier eine Leseprobe) Rada Billers Roman "Lina und die anderen" sowie Lars Myttings "Fyksens Tankstelle" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

TAZ, 02.10.2007

Das allgemeine Zinsverbot im Islam sehen die Banken als Herausforderung, weshalb sie eigene Islamic-Finance-Departments gründen, wie Isolde Charim berichtet. "Zu 'Islamic Finance' gehören neben Islam Banking auch schariakonforme Versicherungen. Es gibt dafür eine konfessionelle Höchstinstanz, das 'Scharia-Board' des Dow Jones Islamic Market Index - ein Weisenrat von sechs moslemischen Gelehrten, der strittige Fragen löst. Wer glaubt, all dies sei weit weg, eine morgenländische Spezialität gewissermaßen, sei eines Besseren belehrt. Großbritannien hat eine Vorreiterrolle bei Islamic Finance, aber auch die Deutsche Bank unterhält seit drei Jahren einen eigenen Think Tank zum Thema."

Weiteres: Der Kunstmarkt brummt nach wie vor, wie Brigitte Werneburg auf dem Art Forum in Berlin feststellen durfte. Für die zweite taz stattet Jenni Zylka der Super illu einen Besuch ab, die in den neuen Bundesländern mehr Leser hat als Spiegel, Stern und Focus zusammengenommen.

Besprochen werden eine Ausstellung über rheinische Popliteraten der vergangenen 40 Jahre im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Idan Raichels israelisch-äthiopische Popplatte "The Idan Raichel Project", der Pixar-Animationsfilm "Ratatouille", und Robert Rodriguez' "Splatterspaß" und Grindhouse-Hommage "Planet Terror".

Schließlich Tom.

FAZ, 02.10.2007

Beim Orientalistentag in Freiburg hat Rainer Hermann eine allgemeine Tendenz zur Aktualisierung und Entphilologisierung der beteiligten Fächer beobachtet. Das gilt auch und gerade für die Islamwissenschaft: "Seinem Namen wird das Fach Islamwissenschaft kaum mehr gerecht. Auch in ihm beschäftigten sich heute mehr Gelehrte mit der Geschichte des Vorderen Orients als mit der Religion des Islam, beobachtet der Freiburger Islamwissenschaftler und Publizist Ludwig Amman. Erst in jüngster Zeit nehme als Folge der Politisierung des Islam die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Religion wieder zu. Klarer werden zwar die Zusammenhänge zwischen den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Konflikten des Nahen Ostens, die zu Protesten führen, und der Religion des Islam, den die Radikalen als Werkzeug der Proteste einsetzen. Verkannt werde aber dabei oft, dass sich der Islam in diesen politischen Konflikten, in denen er eine Rolle spiele, auch selbst verändere, glaubt [der Mitorganisator des Orientalistentags Rainer] Brunner."

Weitere Artikel: Wolfgang Schneider berichtet von einer Bremer Tagung zu Günter Grass in den Medien. In der Glosse stellt Richard Kämmerlings ein Weltmeisterteam der Schriftstellerinnen zusammen. Beim Blick in osteuropäische Zeitschriften liest Joseph Croitoru von "totalitären Versuchungen". BBC Worldwide, der kommerzielle Arm des britischen Senders, wird, wie Gina Thomas berichtet, den auch im Fernsehen aktiven Reiseführer-Verlag "Lonely Planet" zu großen Teilen aufkaufen. Jürg Altwegg informiert über Widerstand gegen den Schweizer Sterbetourismus. Das Pilotprojekt der italienischen "Slow Food"-Bewegung in einer Darmstädter Krankenhausküche hat sich Kilian Trotier angesehen. Die DVD-Seite ist zu seinem hundertsten Geburtstag ganz dem großen Komiker Jacques Tati und seinen auf DVD erschienenen Filmen gewidmet.

Besprochen werden ein Frankfurter "Don Carlo", Stefan Bachmanns Inszenierung von Wajdi Mouawads "Verbrennungen" in Wien, Johan Simons' Inszenierung von Tankred Dorsts "Merlin" bei der Ruhrtriennale, Pascale Ferrans Film "Lady Chatterley", Bruce Springsteens neues Album "Magic", die Ausstellung "Neuirland - Kunst der Südsee" in Berlin, ein Berliner Feist-Konzert und Larissa Boehnings Roman "Schlichte Stoffe" (siehe auch unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 02.10.2007

Sigrid Löfflers Polemik gegen Martin Mosebach in Literaturen (hier online) löst eine kleine Feuilletondebatte aus. Warum verteidigt Löffler den einen Reaktionär - Peter Handke - und kritisiert den anderen, und zwar aus politischen Gründen?, fragt Uwe Wittstock: Man müsse Mosebachs Ideen ja nicht teilen, "ebenso wenig wie die bizarren politischen Ansichten Handkes, sondern kann das alles ziemlich exotisch finden - und dennoch die literarischen Qualitäten dieser Autoren würdigen. 2006 hat sich Sigrid Löffler dafür eingesetzt, den Heine-Preis für Völkerverständigung an den Milosevic-Verehrer Handke zu vergeben und vehement für die Freiheit geistiger Abenteurer gestritten. Umso mehr müsste sie jetzt den reaktionären Romantiker Mosebach verteidigen." Auch Hubert Spiegel hatte Löfflers Artikel am Samstag in der FAZ schon angegriffen.

Weitere Artikel: Eckhard Fuhr sieht den Fußball nach der gewonnenen WM der Frauen endgültig nicht mehr als Männerdomäne ("Die Zukunft ist weiblich, aber sie wird nicht unbedingt schöner. Beim Fußball erweist sich, dass Frauen sehr männlich sein können, wenn sie wollen.") Sven Felix Kellerhoff stellt ein Buch von Hartmut Jäckel und Hermann Simon über die Berliner Juden von 1941 vor - es basiert auf den Angaben des Berliner Telefonbuchs von 1941. Manfred Quiring berichtet, dass Mstislaw Rostropowitschs Kunstsammlung, die von einem Oligarchen erworben wurde, patriotischerweise nach Russland geht. Tilman Krause beobachtet eine Wiederentdeckung Christoph Martin Wielands, die unter anderem befördert wird durch Jan Philipp Reemtsmas Eintreiten für den Dichter und eine neue Biografie des Germanisten Michael Zaremba.

Besprochen werden der neue Disneyfilm "Ratatouille", Jossi Wielers "Ödipus"-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen und Karola Obermüllers erste Oper "Dunkelrot" in Nürnberg.

SZ, 02.10.2007

Der NDR hat am Sonntag eine Dokumentation mit neuen Beweisen über die Verstrickung der BMW-Eigentümerfamilie Quandt in den Nationalsozialismus gesendet. Günther Quandt beschäftigte in seinem Hannoveraner Batteriewerk Zwangsarbeiter, wie Karl-Heinz Büschemann auf den Wirtschaftsseiten berichtet. "Zweifelsfrei ist wohl, dass gegen Ende des Zweiten Weltkriegs das Betriebsgelände der Afa in Hannover systematisch zu einer Außenstelle des KZ Neuengamme umgewandelt wurde. Die Häftlinge mussten eine lebensgefährliche Arbeit verrichten, die SS bewachte die Geschundenen. Viele starben. Günther Quandt hatte in einem internen Schreiben eine 'Fluktuation' in seinem Werk eingeplant, er kalkulierte also offenkundig den Tod vieler Arbeiter aus dem KZ ein. Auch auf dem Berliner Afa-Gelände wurden KZ-Häftlinge eingesetzt. Schließlich profitierten die Quandts auch von den Eroberungen der Wehrmacht. (...) Die Quandts gehören heute zu den reichsten Menschen in Deutschland." Aber steht das nicht alles schon in Rüdiger Jungbluths hervorragender Biografie "Die Quandts"?

Im Feuilleton geht es um die neue BMW-Welt, die Mitte Oktober eröffnet wird. Der blau-weiße Autobauer würde wohl lieber mit der Erlebnisarchitektur von Coop Himmelb(l)au Schlagzeilen machen, die von Gerhard Matzig dann auch ganz beeindruckt als "dreidimensionaler Theaterdonner" gepriesen wird. Durchinszeniert ist auch die Auto-Abhol-Zeremonie an der Rampe, die "zig" beschreibt. Hilmar Klute meldet, dass dänische Forscher herausgefunden haben, dass Linke tendenziell unglücklich, Konservative dagegen frohgestimmt sind. In Anne Wills dritter Sendung hat Evelyn Roll die ansprechende Zukunft des vor sich hin siechenden Talkshow-Formats erkannt, wie sie in einer Zwischenzeit froh bekundet. Johannes Willms unterhält sich mit dem Chansonnier Georges Moustaki, der demnächst in München auftritt. Jean-Michel Berg berichtet von einem Symposion über "Age Design" in der Evangelischen Akademie Tutzing. Thomas Theringer spricht mit Juliane Votteler, der neuen Intendantin am Theater Augsburg. Alexander Kissler gratuliert der Theologin Uta Ranke-Heinemann zum achtzigsten Geburtstag. Siegfried Stadler lernt auf einer Leipziger Tagung mehr über den "heimlichen Leser" in der DDR. Auf de Literaturseite informiert Stephan Opitz über die erfolgreiche Buchmesse in Göteborg.

Besprochen werden zwei Monologe von Dea Loher an den Münchner Kammerspielen, gespielt von Wiebke Puls (die für Egbert Tholl darin 45 Minuten lang zur "besten Schauspielerin der Welt" wird), der Pixar-Animationsfilm "Ratatouille", und Bücher, darunter mit "Zapfenstreich" der vierte und letzte Band von Ford Madox Fords Roman-Reihe über den Ersten Weltkrieg sowie Martin Kundes Ideengeschichte des Präventivkrieges (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).