Heute in den Feuilletons

"Ich würde mich nicht mehr mit der FAZ einlassen"

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.10.2007. In der FR vergleicht Günter Grass die deutsche und die amerikanische Literaturkritik. Die amerikanische gewinnt. In Spiegel Online kommentiert Leon de Winter die erzwungene Rückkehr Ayaan Hirsi Alis in die Niederlande. Die taz liest Joschka Fischer, der mit ihrem Übervater nicht zurecht zu kommen scheint: "'Ströbele! Immer wieder Ströbele. Dieser Meister grüner Selbstzerstörung', stöhnt er." Im Tagesspiegel kritisiert der chinesische Filmregisseur Jia Zhangke seinen Kollegen Zhang Yimou. In der Welt schildert der Schriftsteller Ljubko Deresch, wie Julia Timoschenko mit Motiven aus der Popkultur die Ukraine erobern wollte. Die SZ besucht den Prozess gegen die Mörder von Hrant Dink. Die FAZ bringt Hildegunst von Mythenmetz und seinen Übersetzer Walter Moers an einen Tisch.

FR, 04.10.2007

In einem sehr langen Interview spricht Nobelpreisträger Günter Grass mit Martin Scholz über seinen anstehenden achtzigsten Geburtstag, die SPD, '68, sein SS-Geständnis und die Aufnahme seiner Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel". Und natürlich bekommt das Feuilleton sein Fett weg: "In der amerikanischen und angelsächsischen Literaturkritik ist man sich nie zu schade, dem Leser zunächst einmal mitzuteilen, worum es im Buch geht. Beim deutschen Feuilleton habe ich oft den Eindruck, dass es für sich selbst schreibt. Man will die Kollegen beeindrucken, oder es steht im Vordergrund, was sich der Rezensent vom Autor erwartet. Erfüllt er die Erwartungen, ist es in Ordnung. Erfüllt er sie nicht, ist die Reaktion entsprechend. Das ist in der angelsächsischen Literaturkritik anders: Da geht man von dem aus, was der Autor erreichen wollte, und überprüft dann, ob er das erreicht hat - danach richtet sich dann die Kritik." Und was er selbst falsch gemacht hat? "Ich würde mich nicht mehr mit der FAZ einlassen. Das ist sicher."

"Marianne Fritz war ein Genie", schreibt Marlene Streeruwitz zum Tod der österreichischen Schriftstellerin. "Natürlich und selbstverständlich so. Aber. Vergessen wir nicht, dass Frauen in Wien schon gar nicht geniefähig sind. Und deshalb gab es so einen Umgang, der nur die Fürsorgeseite eines Geniekults hervorbrachte. Germanistikprofessoren. Verleger. Veranstalter. Rezensenten. Die Unzeitigkeit ihres Genies wurde als eine Art Bedürftigkeit ausgelegt. Unseld sagte einmal, 'Es schreibt aus ihr'. Aber dieser - für Unseld höchste - Satz der Geniebeschreibung wurde gleich abgeschwächt. Es wäre jedoch nicht möglich, das auch abzudrucken. Das alles. Auf die vorsichtige Frage, ob diese Einschränkung etwas damit zu tun haben könnte, dass es sich um eine Autorin handle. - Es wurden einmal so klare Fragen gestellt. - Darauf antwortete Unseld, Männer machten das nicht. Männer schrieben nicht so viel. Männer könnten gar nicht so viel schreiben."

Weitere Artikel: Inge Günther geht auf der Medienseite der Frage nach, ob der Tod des palästinensischen Kindes Mohammed al-Dura, das vor sieben Jahren, hinter seinem Vater kauernd, in einem Kugelhagel starb, von Palästinensern inszeniert wurde oder nicht. Christian Thomas unterrichtet im Feuilleton über die Skandale des Vereins "Stiftung Hans Arp", der zum Beispiel dem Land Reinland-Pfalz nachgemachte Arp-Plastiken verkauft hat. Auch Christoph Schröder weiß es schon: Rainer Weiss und Anya Schutzbach gründen den Verlag weissbooks. In der Kolumne Times Mager sinnt Hans-Jürgen Linke angesichts drohenden Stillstands bei der Bahn in den Herbstferien über das Phänomen Streik.

Besprochen werden Werner Düggelins Inszenierung von Molieres "Don Juan" am Schauspielhaus Zürich, ein Konzert des Ensemble Modern Orchestra unter Pierre Boulez in Frankfurt, Brad Birds "meisterhafter Trickfilm" "Ratatouille", Jia Zhang-Kes Film "Still Life" und Robert Rodriguez' Horrorfilm "Planet Terror" (dem Michael Kohler auf Grund seiner "teils manieristischen, teils lustvoll grotesken Züge" einiges abgewinnen konnte).

Spiegel Online, 04.10.2007

Ayaan Hirsi Ali musste in die Niederlande zurückkehren, weil die holländische Regierung ihr den Personenschutz nicht mehr bezahlen mochte, berichtet der Schriftsteller Leon de Winter, der das als die zweite Blamage nach der Pass-Affäre ansieht: "Ayaan Hirsi Alis Schutz kostet in den Niederlanden vermutlich mehr als in Amerika, wo die Kosten ein kleiner Posten im Haushalt der sündhaft teuren niederländischen Botschaft in Washington hätten sein können, aber formale Buchhaltungsüberlegungen spielen beim Justizministerium plötzlich eine Rolle: Wenn Ayaan in den Niederlanden beschützt wird, fällt das in die bestehenden Etats. Für ihren Schutz in Amerika muss aber ein gesonderter Etat geschaffen werden und das ist ein Problem, selbst wenn dieser Etat kleiner ist. Genau wie im Fall der Pass-Affäre steht allen Beteiligten ein schrecklicher Kater bevor."

TAZ, 04.10.2007

"Biografien sind Versuche, sinnvolle Erzählung zu konstruieren, in denen ein günstiges Licht auf den Autor fällt", schreibt Stefan Reinecke auf der Brennpunktseite der taz, die sich heute großflächig am grünen Ex-Außenminister abarbeitet. "Joschka Fischers Erzählung von 1998 bis zum 11. 9. 2001 klingt in etwa so: Er war der entnervte Erzieher, der die traumverlorenen Grünen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbeorderte. 'Ströbele! Immer wieder Ströbele. Dieser Meister grüner Selbstzerstörung', stöhnt er. In dieser ironisch gebrochenen Verzweiflungsgeste steckt die ganze Verachtung, mit der Fischer auf die Grünen blickt: eine Bande von Quälgeistern, undankbar, im Grunde nicht satisfaktionsfähig. Und unfähig, die Realität zu sehen. Dahinter schimmert ein Bildungsroman durch."

Im Kulturteil zeigt sich Christine Wahl enttäuscht über den dänischen Dramatiker und Regisseur Christian Lollike, der bei seiner Markteinführung auf deutschen Bühnen als dänischer Schlingensief gehandelt wurde und sich nun als eher brav und zahm entpuppt. Katrin Bettina Mülller schickt einen Bericht aus Graz vom Steirischen Herbst. Auf der Meinungsseite lacht Ilija Trojanow über Geheimdienste und ihre Geheimnisse.

Besprochen werden Jia Zhangkes 2006 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneter Spielfilm "Still Life", Andreas Ammers Alexander-Kluge-Hörspiel "Eigentum am Lebenslauf" und Julian Jarrolds Austen-Biopic "Geliebte Jane".

Dann noch Tom.

Tagesspiegel, 04.10.2007

Marcus Rothe hat mit Jia Zhangke gesprochen, dem Regisseur des heute anlaufenden Goldenen-Löwen-Gewinners "Still Life". Zhangke kritisiert nicht nur die chinesische Gesellschaft, sondern auch seinen Kollegen Zhang Yimou ("Hero"): "Unsere Gesellschaft ist krank: Sie will ihre Zukunft darauf aufbauen, dass sie ihre Vergangenheit auslöscht. Ich zeige dagegen durch meine Figuren, wie Dinge in Vergessenheit geraten. Wir erleben mit ihnen, dass dies ein schmerzhafter Prozess ist....Ich finde, jeder Film - welchem Genre er auch immer angehört - sollte mit unserer heutigen Realität verbunden sein. Auch Kung-Fu-, Horror- oder andere kommerzielle Filme können etwas über unsere Zeit aussagen. Zhang Yimous Hinwendung zum rein kommerziellen Unterhaltungskino mag verständlich sein, denn unsere Filmindustrie steht noch immer auf tönernen Füßen. Aber es ist sehr schade, dass er in seiner Arbeit ganz auf den Kontakt zum Heute verzichtet und auch seine politische Überzeugung so radikal geändert hat." (Hier Christina Tilmans' Kritik des Films.)

Welt, 04.10.2007

Der Lemberger Schriftsteller Ljubko Deresch beschreibt im Interview mit Paul Flückiger, wie Julia Timoschenko im Wahlkampf Motive der Volks- und Popkultur nutzte: "So präsentierte sich Timoschenko etwa konsequent in weißen Kleidern, was nicht nur religiöse Gefühle bediente, sondern zu Beginn des Wahlkampfs mit einer Nostradamus-Prophezeihung verbunden wurde. Demnach wird die Ukraine von einer Frau in Weiß errettet werden. Mich erinnerte Julia Timoschenko im Wahlkampf auch an die gegen das Imperium rebellierende Prinzessin Leia Organa aus dem Film 'Krieg der Sterne' - auch dies, da bin ich überzeugt, eine von ihren PR-Beratern wohl kalkulierte Konnotation."

Weitere Artikel: Eckhard Fuhr meditiert über die heraufziehenden Günter-Grass-Geburtstagsereignisse und findet den Überdruss, den deutsche Feuilletonisten gern über Grass bekunden, ziemlich provinziell: "Grass lässt die Pfeife nicht kalt werden, auch wenn sich manche das noch so sehr wünschen." Reinhard Wiengerek besucht das ehemalige Theater der Bergarbeiter in der Braunkohlestadt Senftenberg und ist beeindruckt von der "Faust"-Inszenierung des Intendanten Sewan Latchinian. Ulrich Weinzierl schreibt zum Tod der manischen Schriftstellerin Marianne Fritz. Marion Leske schildert Peripetien im nie endenden Arp-Streit.

Besprochen werden eine Ausstellung der Sammlung Batliner in der Wiener Albertina, neue CDs des Dirigenten Franz Welser-Möst, Wilhelm Genazinos Stück "Courasche" bei der Ruhrtriennale mit Julischka Eichel, die damit an die Stelle Veronica Ferres' tritt, nachdem diese die für letztes Jahr geplante Uraufführung platzen ließ. Außerdem Filme, darunter Julian Janolds Biopic über Jane Austen "Geliebte Jane".

FAZ, 04.10.2007

Der Fotoreporter Livio Senigalliesi war bei den Minensuchern und vor allem den Minensucherinnen im Libanon und beschreibt ihren Alltag: "Bis heute kann es tödlich sein, im Süden des Landes eine Wiese zu betreten, ein Tabakfeld zu bebauen, die Trümmer eines Hauses oder einer Schule zu räumen. Von nahem betrachtet sehen Streubomben harmlos aus, wie kleine, gelbe Batterien, blaue Zylinder, runde, dunkle Orangen - wie Spielzeug. Es sind viele Kinder unter den Opfern. Die dosenförmigen Bomben haben weiße Baumwollbändchen, mit denen sie sich in den Bäumen verfangen, zynisches Dekor des modernen Krieges. Streubomben zerfetzen Gliedmaßen, machen Menschen blind, taub, zu Krüppeln. Sie sind international zwar geächtet, aber nicht verboten."

Weitere Artikel: Andreas Platthaus ist es gelungen, die sich in den Feuilletons befehdenden Hildegunst von Mythenmetz und seinen Übersetzer Walter Moers für ein Interview an einen Tisch zu bringen. In der Glosse träumt Paul Ingendaay für einen Moment von einer schöneren Welt, weil in Kuba der Mann, der Che Guevara erschoss, vom Grauen Star geheilt wurde. In der neuesten Folge der Wagner-Soap, die Eleonore Büning referiert, gibt Eva Wagner-Pasquier ihrer Halbschwester Katharina Wagner den Rat, noch ein paar Jahre Erfahrungen außerhalb eines Leitungsteams zu sammeln. Von einer Lübecker Tagung, die sich mit dem Verhältnis Thomas Manns zum Theater befasste, berichtet Edo Reents. Hannes Hintermeier kommentiert zurückhaltend die annoncierte Gründung des weissbooks-Verlags. Niklas Maak schreibt zum Tod des Architekten Konrad Wohlhage.

Für die Kinoseite hat sich Andreas Platthaus mit den Produzenten des Pixar-Films "Ratatouille" (die Kritik dazu gibt es online) unterhalten. Dieter Müller erinnert an die vor siebzig Jahren jung verstorbene Schauspielerin Renate Müller. Hans-Jörg Rother war bei der Feier zum 75. Geburtstag des langjährigen Leiters des Berlinale-Forums und des Arsenal Ulrich Gregor.

Besprochen werden eine Theater-Version von Lars von Triers Film "Breaking the Waves" und eine Inszenierung von Lars Björn Krebs' Stück "Tommy" in Berlin, ein Konzert des Ensemble Modern Orchestra unter Leitung von Pierre Boulez, Jia Zhangkes Film "Still Life" und Bücher, darunter Zoe Jennys neuer Roman "Das Porträt".

NZZ, 04.10.2007

Uwe Justus Wenzel erinnert daran, dass der erste Sputnik "am 4. Oktober 1957 durch das erste Loch, das in den Himmel der Erde geschossen worden ist, in den Orbit gelangte". Renate Klett wirft einen Blick zurück auf 40 Jahre Internationales Theaterfestival in Belgrad und begutachtet die Produktionen der aktuellen Ausgabe. Klaus Englert besucht Richard Meiers Erweiterungsbau für das Arp-Museum in Rolandseck.

Besprochen werden außerdem Bücher, darunter Gerd Gigerenzers Studie "Bauchentscheidungen - Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition" (mehr hier) und Filme, nämlich Fatih Akins neues Werk "Auf der anderen Seite" und der neue Disney-Film "Ratatouille".

SZ, 04.10.2007

"Auf der Anklagebank in Istanbul sitzen nicht nur die paar Jungen, die die Polizei schließlich festgenommen hat. Da sitzt ein Staat, der Mitschuld trägt", schreibt Kai Strittmatter über den Prozess gegen die Mörder des türkisch-armenischen Journalisten und Verlegers Hrant Dink. "Und da sitzt eine Mentalität, die die Türkei noch viel zu sehr in ihrem Griff hat. Im vergangenen Monat sorgte das Lied eines nationalistischen Barden für Aufsehen, der die Mörder Dinks als Helden besang: 'Hört auf, die Glocken zu läuten / hört auf pro-armenisch zu sein', hieß es da: 'Wenn einer sein Land verrät / dann ist es im selben Moment um ihn geschehen'. Auf Youtube waren die Verse mit Bildern der Leiche Hrant Dinks unterlegt. Er sei 'ein Opfer im eigenen Land', klagte der Sänger hinterher, als er angegriffen wurde: 'Hab ich kein Recht auf Meinungsfreiheit?'"

"In was für einer Welt ich lebe im Vergleich zu der meiner Vorfahren!", staunt der Schriftsteller Jochen Schmidt zum Sputnik-Jubiläum. "Mein Vater hatte im Jahr, als der Sputnik flog, noch am Radio gesessen und versucht, auf der Skala das Funksignal einzufangen. Ein Piepsen wie von einem verletzten Vögelchen. Das eigentliche Wunder war ja, dass die Russen zu solch einer Leistung in der Lage gewesen sein sollten. Sowjetische Technologie kannten wir schließlich nur in Gestalt klobiger Armbanduhren, für die unser Land unsere Ruhla-Uhren an die Russen liefern musste. So, wie sie aussahen, hätte es niemanden gewundert, wenn die russischen Uhren mit Atomkraft betrieben gewesen wären. Sowjetische Filme waren sterbenslangweilig, sowjetisches Konfekt eine Strafe und jedesmal, wenn eine der sowjetischen Glühbirnen nach spätestens einem Jahr platzte, mussten wir mit der Lupe den Teppich nach Glassplittern absuchen. So etwas wie Design schien in diesem Land unbekannt."

Weiteres: Volker Breidecker berichtet, dass Rainer Weiss, früherer Programmchef der Verlage Suhrkamp und Insel, gemeinsam mit Anya Schutzbach, die die Abteilung Marketing leitete, zu Beginn des kommenden Jahres einen neuen Verlag unter dem Namen Weissbooks aus der Taufe heben wird. Fritz Göttler schaut sich auf dem Münchner Filmfest um. Lothar Müller verabschiedet den Konstanzer Germanisten Wolfgang Preisendanz, der am 29. September 87-jährig gestorben ist. Tobias Heyl schreibt den Nachruf auf die Schriftstellerin Marianne Fritz, die vergangenen Montag mit 58 Jahren an einer schweren Blutkrankheit starb.

Besprochen werden Nuri Bilge Ceylans filmische Chronik vom Ende einer Liebe "Jahreszeiten", (die Rainer Gansera als "subtilste Porträtkunst und Gefühlserforschung" feiert), Jia Zhang-Kes Venedig-Sieger-Film "Still Life" (es gibt auch ein Interview mit dem Regisseur), Robert Rodriguez' Horrorfilm "Planet Terror (Grindhouse 2)", Armin Völckers Liebesfilm "Leroy", eine Abschiedsshow von Celine Dion im "Caesar's Palace" in Las Vegas (wo sie fünf Jahre lang fünf Abende pro Woche vor ausverkauftem Haus aufgetreten ist, jetzt geht sie auf Welttournee), die Ausstellung "Arcimboldo (1527 - 1593)" im Pariser Musee du Luxembourg, die Uraufführung einer vexierbildhaft dramatisierten Klang- und Bewegungs-Szenerie nach dem phantastisch-philosophischen Roman "Niebla" von Miguel de Unamuno durch Elena Mendoza-Lapez und Matthias Rebstock in Dresden-Hellerau und Bücher, darunter Werner Schwabs posthum veröffentlichter Roman "Joe Mc Vie alias Josef Thierschädl" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Zeit, 04.10.2007

Das Großkapital gönnt der Avantgarde einen Auftritt: BMW hat sein neues Haus in München vom Wiener Büro Coop Himmelb(l)au bauen lassen. Interessanter Bau, findet Hanno Rauterberg. Noch mehr beeindruckt ihn aber, wie leicht ein Wirtschaftsunternehmen heute selbst die Träume vom "anderen Leben" aufsaugen kann. "Der wirbelnde Pavillon ist das Kraftzentrum, aus dem sich die Architektur der BMW-Welt in einer großen gleitenden Bewegung selbst zu erschaffen scheint. Um diese Geste der Selbsterschaffung geht es den Architekten: Sie wollen nicht der Tradition gehorchen, nicht dem üblichen Bild eines Hauses, in dem alles gerade und geordnet sein soll. Schon gar nicht wollen sie sich dem Diktat des Zweckhaften und Funktionalen unterwerfen. Ihre Freiheit ist die der Kunst - und ebendieser Freiheit verdanken sie wohl den Auftrag. Denn Freiheit will auch BMW verheißen."

Julia Gerlach stellt den muslimischen Berliner Prediger Pierre Vogel vor: Er steht dafür, "dass Frömmigkeit cool sein kann. Wer heute noch linke Sprüche klopft, eine Irokesenfrisur trägt oder zum schwarzen Block gehört, schockt niemanden mehr. Wer allerdings von sich behauptet: 'Ich bin ein konsequenter Muslim und meine Frau trägt Geschichtsschleier', erregt ganz sicher Aufmerksamkeit und Interesse." (Vielleicht das einzige, was BMW nicht übernehmen wird.)

Weitere Artikel: Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich denkt über die Marke als neues Gesamtkunstwerk nach. Volker Hagedorn schickt einen sehr schönen Artikel aus New York über den Versuch der Met und ihres neuen General Managers Peter Gelb, das Opernhaus ins 21. Jahrhundert zu führen. In der Leitglosse untersucht Jens Jessen das Phänomen des Zeitzeugen, der durch den Schauspieler ersetzt wird ("sollte Mario Adorf eines Tages Hindenburg spielen, wird Kerner gewiss nicht säumen, ihm Vorwürfe wegen der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zu machen"). Abgedruckt ist ein Auszug aus Volker Schlöndorffs Erinnerungen an den Deutschen Herbst (das Buch soll allerdings erst 2008 erscheinen). Hans-Joachim Müller besichtigt das Arp-Museum in Remagen.

Besprochen werden Jia Zhang-Kes "sensationeller" Film "Still Life" über den Bau des Drei-Schluchten -Staudamms, Michael Moores Dokumentarfilm "Sicko" über das amerikanische Gesundheitssystem, eine CD von Lydia Daher, ein DVD-Paket mit Esther-Williams-Filmen und Jossi Wielers Inszenierung des "Ödipus" an den Münchner Kammerspielen.

Im Aufmacher der Buchmessenbeilage vergleicht Iris Radisch zwei neue deutsche Romane, Martin Mosebachs "Der Mond und das Mädchen" mit Katja Lange-Müllers "Böse Schafe" (wir werten die Beilage in den nächsten Tagen aus).

Außerdem gibt es eine Musikbeilage - im Aufmacher bespricht Elke Buhr die neue CD von Jens Friebe "Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache, dir ist nichts passiert" - und ein Kunst-Spezial. Im Dossier berichtet Georg Blume über die Vorgänge in Burma.