Heute in den Feuilletons

"ein räudiges, schuppiges Ding"

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.11.2007. Heute soll vor dem OLG Frankfurt das Urteil in Sachen FAZ und SZ gegen Perlentaucher fallen. In der FR bricht Ulrike Ackermann eine Lanze für den Perlentaucher. Die blogbar setzt sich mit den Äußerungen des DJV-Chefs Michael Konken auseinander, der das Internet "quantitativ entrümpeln" und "qualitativ ausdünnen" will. Die taz besucht die neue Galerie am Kupfergraben. In der SZ versichert der belgische Regisseur Luk Perceval: Flamen und Wallonen leben relativ friedlich nebeneinander.

FR, 13.11.2007

Heute soll vor dem OLG Frankfurt das Urteil in Sachen FAZ und SZ gegen Perlentaucher fallen. Die Publizistin Ulrike Ackermann bricht eine Lanze für den Perlentaucher. "Das Verdienst des Perlentauchers liegt vielmehr darin, erstmals in der deutschen Feuilleton-Landschaft eine Internet-Plattform geschaffen zu haben, die den Wettbewerb der Meinungen sichtbar macht. Analysen und Bewertungen kultureller Ereignisse, intellektueller Debatten oder eben auch die Buchrezensionen der verschiedenen Zeitungen werden an diesem Ort in Relation gesetzt und kommentiert. Das heißt, die reale oder angestrebte Deutungsmacht und -hoheit einzelner Printmedien wird relativiert und infrage gestellt - ein die Demokratie und den öffentlichen Raum belebendes Unterfangen."

Weiteres: Bei einer Wiener Tagung über die "Bedingungen internationaler Solidarität" erlebt Arno Widmann bei Ernst-Wolfgang Böckenfördes Bemerkung zu Tariq Ramadan einen "exemplarischen Moment" in der Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum in Europa. Anlässlich der Hollywood-Neuverfilmung analysiert Christian Thomas die tausendjährige Sage rund um den Helden Beowulf. Ina Hartwig beschäftigt sich in einer Times mager mit dem Schlaf der von ihr als britische "Göre" bezeichnete Charlotte.

Besprochen werden Jette Steckels Inszenierung von Edward Bonds "Gerettet" im Hamburger Thalia-Theater, Alvis Hermanis' Stück "The Sound of Silence" bei der "spielzeit europa" der Berliner Festspiele, Schorsch Kameruns Stück "Biologie der Angst" im Zürcher Schauspielhaus, und als Buch Simon Reynolds' Geschichte des Postpunk "Rip it Up and Start Again".

Blogbar, 13.11.2007

Schön, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer wenigstens in punkto Internet einig sind. Neulich bashte Frank Schirrmacher das Netz im Namen des "Qualitätsjournalismus" (alle Links hier), nun folgt Michael Konken, der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, der letzte Woche auf dem Bundeskongress seines Verbands seinen ganzen Ärger über Blogs rausließ: "Blogs sind meines Erachtens nur in ganz wenigen Ausnahmefällen journalistische Erzeugnisse. Sie sind eher der Tummelplatz für Menschen, die zu feige sind, ihre Meinung frei und unter ihrem Namen zu veröffentlichen... Wir müssen in den nächsten Monaten eine quantitative Entrümpelung vornehmen, müssen qualitativ ausdünnen und festlegen, was unseren journalistischen Ansprüchen genügt." Wer wir? Und wie entrümpeln? Hier Konkens Rede in voller Länge.

Angemessene Worte findet Don Alphonso in seiner Blogbar: "Es ist nicht gerade neu, dass sich Journalisten nur ungern mit Neuerungen auseinandersetzen, die außerdem an ihrer monopolsartigen Position als Gatekeeper sägen. Es ist mehr der Vorwurf der Feigheit, den ich mir von einem real existierenden Journalisten ungern anhöre." Auch onlinejournalismus.de setzt sich mit dem Thema auseinander und verlinkt zu vielen Antworten von Bloggern.

Welt, 13.11.2007

Sven Felix Kellerhoff wirft einen wohlwollenden Blick auf die neueste Guido-Knopp-Produktion über die Rolle der Wehrmacht, deren erster Teil heute im ZDF läuft. Eckhard Fuhr hört sich den Song über die Probleme der Integration an, den Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein Kollege Bernard Kouchner in Neukölln aufgenommen haben. Berthold Seewald kommentiert die byzantinischen Verhältnisse im italienischen Fußball. Hanns-Georg Rodek bespricht Hans Weingartners Film "Free Rainer" über einen zynischen Fernsehproduzenten und führt ein Interview mit dem Regisseur, der die schlechte Qualität des deutschen Fernsehens auf die kapitalistischen Produktionverhältnisse zurückführt. Ulrich Weinziel resümiert eine prominent besetzte Tagung des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen über "Bedingungen internationaler Solidarität". Uwe Schmitt berichtet über den neusten Stand bei den Autorenstreiks in Hollywood.

Besprochen werden eine Ausstellung der Notizhefte Robert Gernhardts in Marbach und einige neue Händel-CDs.

NZZ, 13.11.2007

Paul Jandl berichtet vom prominent besetzten Symposium über die Bedingungen internationaler Solidarität, den Islam und den Kapitalismus zum 25-jährigen Bestehen des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen. Lilo Weber erfreut sich an Heinz Spoerlis Ballett "Peer Gynt" im Zürcher Opernhaus. Die Arbeiten des Zeichners Didier Rittener bewundert Marguerite Menz im Kunstraum Attitudes in Genf.

Besprochen werden Silke Scheuermanns Lyrikband "Über Nacht ist es Winter", Helmut Zanders Studie über "Anthroposophie in Deutschland" und Romane des Argentiniers Antonio Dal Masetto (mehr in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr.)

Tagesspiegel, 13.11.2007

Heute soll vor dem OLG Frankfurt das Urteil in Sachen FAZ und SZ gegen Perlentaucher fallen. Der Tagesspiegel berichtet unter dem irrigen Titel "FAZ und SZ klagen, weil der Perlentaucher ihre Buchrezensionen verkauft", denn der Perlentaucher verkauft keine Rezensionen fremder Urheber, sondern nur eigene Notizen über diese Rezensionen. Im Artikel stellt Sonja Pohlmann den Sachverhalt aber richtig dar und annonciert: "Sollte das OLG eine Revision zulassen, haben beide Seiten bereits ihren Gang zum Bundesgerichtshof (BGH) angekündigt, egal welche Partei heute verliert. Dann muss der BGH entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen Inhaltsbeschreibungen und Zusammenfassungen fremder Werke zulässig sind."

FAZ, 13.11.2007

Verena Lueken referiert, warum die International Herald Tribune (hier der Originalartikel) findet, dass der eigentliche Feind der Hollywood-Drehbuchautoren gar nicht die Studios sind: "Die Autoren, so regt die Zeitung an, sollten vor den Häusern der Superstars unter den Schauspielern, Regisseuren und Produzenten, Steven Spielberg vielleicht oder Will Smith, ihre Streikposten beziehen. Denn das Geld, um das sie kämpfen, sei längst auf deren Konten geflossen. Und zwar aufgrund hochschießender Beteiligungen am Umsatz eines Films, die inzwischen, auf die gesamte Industrie gerechnet, auf etwa 25 Prozent angestiegen seien - des Umsatzes wohlgemerkt, nicht etwa des Gewinns. "

Weitere Artikel: In der Glosse staunt Matthias Rüb über Georg W. Bushs vergleichsweise "ärmliches Anwesen" im texanischen Crawford. Jürg Altwegg weiß zu berichten, dass der Weinpapst Robert Parker gerade heftigen Gegenwind bekommt. Aus Indien informiert Martin Kämpchen über aktuelle Konflikte diverser Bollywood-Stars mit der Justiz. Eleonore Büning stellt Pläne der Bundeskulturstiftung für ein "Netzwerk Neue Musik" vor. Ingeborg Harms bekommt es beim Blick in deutsche Zeitschriften mit Drahtseilartisten und Untergrundgruppen zu tun. Nicht wirklich fair findet Tobias Rüther den Umgang mit Britney Spears, der mit ihrem neuen Album "Blackout" durchaus ein respektables Comeback gelungen sei. Karol Sauerland informiert über einen neu aufgeflammten polnischen Literaturstreit um den Schriftsteller und Holocaust-Überlebenden Tadeusz Borowski.

Vorabgedruckt werden Helmut Kohls Erinnerungen an Willy Brandt aus dem dieser Tage erscheinenden dritten und letzten Memoiren-Band. Erna Lackner stellt das Wiener Islamische Gymnasium vor. Mit dem in Dänemark und Schweden tätigen Helden des soeben von Hollywood verfilmten britischen Nationalepos' "Beowulf" (hier der Text in neuenglischer Übersetzung) macht uns Gina Thomas bekannt. Auf der Forschung- und Lehre-Seite pflichtet Friedmar Apel dem französischen Soziologen Luc Boltanski bei, der vor dem neuen Exzellenz-Typus des "daueraktiven" Projekt-Professors warnt.

Besprochen werden eine Pariser Ausstellung zum jüdischen Einfluss auf den Comic, Gemälde und Briefe von Vincent van Gogh in der New Yorker Morgan Library, die Mannheimer Uraufführung von Marcus Brauns Stück "Von Männern und Frauen", das "Band of Horses"-Album "Cease to Begin", Heinz Spoerlis Zürcher "Peer Gynt"-Choreografie, und auch ein Buch, nämlich Albert Sanchez Pinols Roman "Pandora im Kongo" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 13.11.2007

Klotzen, nicht kleckern: Henrike Thomsen staunt über das Selbstbewusstsein, das in Heiner Bastians neuer Galerie am Kupfergraben in Berlin herrscht. "Der Adler von Jonathan Meese auf der Dachterrasse ist ein Emblem des kühnen Projekts, auch wenn er nicht in Bastians Schauräumen im zweiten Stock zu sehen ist, sondern in der Sammlung der Medienmanagerin Christiane zu Salm, die ebenfalls in den Neubau am Kupfergraben eingezogen ist. Kühn ist, wie Meeses Adler die mythisch-hehren Ansprüche des alten Wappen- und Königsvogels ad absurdum führt: ein räudiges, schuppiges Ding, bei dem man kaum den Kopf ausmachen kann, schlechter jedenfalls als den riesigen schlaffen Phallus und eine pickelhaubenartig hervorstechende Brust. 'ErzAdler, fischiges Reptilbaby beim Ablaichen' lautet sein voller Würdentitel."

Weiteres: Christian Semler resümiert ein Berliner Treffen von Historikern aus Frankreich, Polen und Deutschland, wo über die Rolle des Staates beim Gedenken gesprochen wurde. Bei der Duisburger Dokumentarfilmwoche fällt Stefan Reinecke Thomas Heises genau beobachtetes Werk "Kinder, wie die Zeit vergeht" auf. Helmut Höge berichtet, dass die Schließung der kleineren Bordelle in Berlin die wirtschaftliche Situation der Stadt aufbessern soll, die Situation der Prostutierten aber verschlimmert. Dorothea Hahn unterhält sich mit der 80-jährigen Juliette Greco, die heute abend in Berlin singt. "Ich kann nicht den Mund öffnen, um nichts zu sagen. Das wäre sehr, sehr ungehörig."

In der zweiten taz sprechen Cigdem Akyol und Jan Feddersen mit Mehmet Cetin, dem Berliner Sprecher der türkischen nationalistischen Gruppierung der "Grauen Wölfe". "Wir helfen bei der Integration, wir sind für ein Miteinander der Türken und Kurden."

Mit dem "Archipel Gaddafi" macht die taz heute auf, und Dominic Johnson erklärt auf den Tagesthemenseiten, was damit gemeint ist: die Internierung und Deportation von Migranten auf dem Weg nach Europa.

Und Tom.

SZ, 13.11.2007

Fünf Monate dauert nun schon die Regierungskrise in Belgien - der flämische Regisseur Luk Perceval kann sich auch nicht richtig erklären, was in seinem Land los ist. "Die Polarisierung der Flamen und der Wallonen ist normal und gehört schon zur Folklore des Landes. Egal, wo im Ausland man sich als Belgier vorstellt - jeder hat schon einmal etwas vom typisch belgischen Sprachenstreit gehört. Die Leute denken, Flamen und Wallonen lebten auf ständigem Kriegsfuß. Nichts ist weniger wahr. Trotz oder vielleicht gerade wegen der aufwendigen Regierungsform, mit gut und gerne vier regionalen und einer nationalen Regierung, leben flämische und wallonische Bürger relativ friedlich nebeneinander, machen Geschäfte miteinander und sind gerngesehene Gäste in den jeweiligen touristischen Gebieten. Eine Umfrage zeigt, dass zwei Drittel der Bevölkerung an dem ganzen Gehabe überhaupt nicht interessiert sind. Das ist nämlich typisch belgisch: kein Interesse an politischen Streitereien zu haben."

Weitere Artikel: Nächstes Jahr wird die Türkei Gastland der Frankfurter Buchmesse, Jörg Magenau streift auf der Literaturseite durch die Istanbuler Szene, trifft Autoren und Verleger und stellt fest: "Die türkische Literatur ist auffallend geisterfreudig." Stefan Koldehoff führt durch Pekings boomenden Kunstdistrikt Dashanzi, wo noch vor wenigen Jahren das chinesische Militär seine Munition produzierte. Heute residieren hier trendige Kunstspots wie 798space oder das Ullens Center of Contemporary Art. Ein Jahr vor der Präsidentenwahl konstatiert Stefan Kornelius, dass die USA nicht mehr der "bedeutsamste Machtfaktor der Welt" sind: "Die Welt gehorcht überhaupt keinem beherrschenden Ordnungsmodell, auch nicht dem Amerikas." In der "Zwischenzeit" packt Evelyn Roll der Klammerblues. Alexander Menden wird Zeuge der Wiederaufstehung des Londoner Millenium Domes als O2. Josef Schnelle weiß, dass der weltgewandt Reisende von heute ein SIM-Karten-Etui trägt.

Auf der Medienseite berichtet Franziska Brüning, wie und warum Le Monde versucht, sich von Nicolas Sarkozy zu emanzipieren.

Besprochen werden zwei Theaterinszenierungen in Dresden, Volker Löschs "Woyzeck" und Andres Veiels "Der Kick", Cesare Zavattinis Theatertrilogie "Miracolo a Milano" in Reggio nell' Emilia, die Ausstellung "Kunstmaschinen/Maschinenkunst" in der Frankfurter Schirn und Bücher, nämlich Geert Maks Stadtporträt "Die Brücke von Istanbul" und Philipp Felschs Alpenreisen "Laborlandschaften" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).