21.11.2007. In der FR wirft György Dalos einen Blick auf die Lage im Kosovo. Die NZZ blickte bei der Buchmesse in Algier in tiefe Gräben zwischen Bärtigen und Säkularen. In der Welt kritisiert die Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann den Islamrat und die geplanten Moscheebauten in Deutschland. Die FAZ fragt: Sind die chinesischen Einzelkinder materialistisch und verantwortungslos? In der SZ stellt Sonja Margolina fest: Die Hoffnung der russischen Literatur wächst im Ural.
NZZ, 21.11.2007
Adolf Wild
berichtet von der
Buchmesse in Algier, auf der auch die religiösen Verlage einen großen Auftritt hatten: "Zumindest ihre Kundschaft tritt selbstbewusst auf. Die Bärtigen tragen frommen Einheitslook aus weißem Kaftan, Käppi und Sandalen. Die Frauen sind tief verschleiert. So bestimmen sie das Bild, auch wenn sie wohl nicht wirklich die Mehrheit sind. Im vorigen Jahr hatte man den Religiösen die Haupthalle ganz überlassen. Alle übrigen Verlage teilten sich eine zweite Halle. Diese Dominanz wollte man diesmal aufbrechen, indem man die Standzuteilung völlig durchmischte. Dadurch sind aber jetzt die Bärtigen überall. Der Unmut darüber findet sogar in den Spalten der relativ freien Presse Ausdruck. Der Krimiautor
Yasmina Khadra, der als Star von einem Interview zum anderen eilt, empfindet diese Nachbarschaft als verstörend. Jeder blicke nur starr am anderen vorbei.
Tiefe Gräben in einer zerrissenen Gesellschaft!"
Weiteres: Marc Zitzmann
meldet, dass die bestreikten Franzosen allmählich Nerven zeigen, stellt aber klar, dass die Franzosen gar nicht so viel streiken: "Zwischen 1990 und 2005 zählte man hierzulande
weniger Streiktage pro Arbeitnehmer als in den für ihren sozialen Dialog gerühmten nordischen Ländern Dänemark, Finnland und Norwegen." Wilhelm Droste
schreibt den Nachruf auf die ungarische Schriftstellerin
Magda Szabo.
Besprochen werden eine
Ausstellung zu
Max Ernst im Basler Museum Tinguely, die beiden
Ernst-Jünger-Biografie von Helmuth Kiesel und Heimo Schwilk sowie
E.L. Doctorows Roman "Der Marsch",
Knud Romers Roman " Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod" und
Verena Stefans Roman "Fremdschläfer" (mehr in unserer
Bücherschau heute ab 14 Uhr).
Welt, 21.11.2007
Hanns-Georg Rodek
stimmt ein in das Konzert begeisterter Kritiken zu
Cristian Mungius Film "4 Monate..." über eine junge Frau im
Ceaucescu-Regime, die abtreiben lässt. Rodek bewundet, wie Mungiu die Atmosphäre der Unterdrückung mit rein filmischen Mitteln beschwört: "Mungiu komponiert sie aus
Außenstimmungen - kahle Bäume, schummrige Kreuzungen, verlassene Gehwege - und Begegnungen zutiefst korrumpierter Menschen: Ein jeder, der einen Anflug von Macht besitzt, benutzt ihn, um den nächsten zu erniedrigen."
Gernot Facius
unterhält sich mit der Islamwissenschaftlerin
Ursula Spuler-Stegemann, die dem
Islamrat nicht recht über den Weg traut und auch die geplanten
Moscheebauten in Deutschland kritisiert: "Unsere Religionsfreiheit gestattet den Bau von Moscheen. Auffallend ist freilich, dass in jüngster Zeit große Moschee-Zentren gebaut werden - von manchmal ganz kleinen Vereinen. Der Gebetsraum ist nur ein kleiner, allerdings wesentlicher Teil. Teilweise entstehen
zusätzliche Gebäude, so dass in der Tat der Eindruck einer islamischen Enklave und einer Parallelgesellschaft nicht von der Hand zu weisen ist. Und wir haben wenig verbandsunabhängige Moscheen."
Weitere Artikel: Berthold Seewald
berichtet, dass Forscher behaupten, auf dem
Palatin die Höhle gefunden zu haben, in der zu antiken Zeiten
Romulus verehrt wurde. Kai-Luehrs-Kaiser
kommentiert die von der
BBC propagierte Idee eines
Tages ohne Musik. Nikolaus Nowak
berichtet über ein im galicischen
Santiago entstehendes, von
Peter Eisenman entworfenes riesiges Kulturzentrum, das zum Millionengrab zu werden droht. Johanna Schmeller
verfolgte eine Tagung
jüdischer Museen in München.
Besprochen werden einige
Ausstellungen über die Reichtümer der
Fürsten Esterhazy in Budapest, Rom und Versailles,
Benjamin Brittens Oper "Billy Budd" in Frankfurt, ein
Buch über
Kroatien in der Antike und eine
Ausstellung über pastiches moderner Maler in Münster. Für die Magazinseite
ergeht sich Hannes Stein auf der New Yorker Spur
Uwe Johnsons, dessen "Jahrestage" vor vierzig Jahren spielen.
FR, 21.11.2007
Der
Schriftsteller György Dalos beschreibt die intern und international komplizierte Situation nach den Wahlen im
Kosovo. "Der jetzige juristische Status des Landes lautet: selbständige Region, und zwar eindeutig im Rahmen Serbiens - Kosovo (Kosovo-Metohija) gilt neben der Vojvodina als die zweite autonome Provinz der Republik. Praktisch verfügt sie über jedes Merkmal der eigenen Staatlichkeit - bis auf die Souveränität. Diese will nun die neue Regierung durch eine
Unabhängigkeitserklärung erzwingen - als Proklamationstag ist der 10. Dezember vorgesehen. Während die Kosovaren diesen Akt, zu dem sie der Regierung ihr Mandat erteilt haben, mit wahrscheinlich ungeteilter Euphorie herbeisehnen, würde für Serbien die Ausrufung des neuen Staates auf dem Balkan so etwas wie die Besiegelung des
Zerfalls von Jugoslawien, das heißt den endgültigen Zusammenbruch des serbischen Traums bedeuten."
Weitere Artikel: Martin Lüdke
sieht in den unterschiedlichen Einschätzungen der soeben erschienenen beiden großen
Restaurantführer Gault Millau und
Guide Michelin zugleich Belege für einen Paradigmenwechsel und einen
Richtungsstreit. Thomas Klatt
informiert über den
Skandal bei bulgarischen Zeitungen der
WAZ-Gruppe, die an einer "beispiellosen und lebensbedrohlichen Medienkampagne" gegen die junge Wissenschaftlerin
Martina Baleva beteiligt sind, deren neue Erkenntnisse über das
Massaker von Batak im Jahre 1876 einen Sturm der Entrüstung bei Nationalisten hervorgerufen hat. Harry Nutt
skizziert den Vorschlag für das neue
Innenministerium, mit dem das Büro
Müller Reimann Architekten den dafür ausgeschriebenen Wettbewerb gewannen. In einer Tagebuchaufzeichnung
schreibt Max Hollein, Direktor unter anderem des Städel Museums, in dem am 23. November eine große
Cranach-Ausstellung eröffnet, über den Umgang mit privaten Leihgaben und
Mopshaare auf Transportdecken. Und in Times mager räsoniert Daniel Kothenschulte über
Fernsehsucht und deren Heilung.
Besprochen werden Gavin Hoods
Thriller "Machtlos", ein
Konzert mit
Anne-Sophie Mutter in der Alten Oper Frankfurt und
Bücher, darunter
eine "Kurze Geschichte des Nationalsozialismus" von
Ernst Piper (mehr in unserer
Bücherschau des Tages heute ab 14 Uhr).
TAZ, 21.11.2007
Im Moment führen die
taz-
Links zum größten Teil ins
Leere und Weiße. In der Hoffnung, dass sich das im Lauf des Tages ändert, verlinken wir trotzdem.
Tim Caspar Böhme
stellt das Londoner
House-Label Simple Records vor - und berichtet über die prekären kulturwirtschaftlichen Existenzbedingungen solcher Unternehmungen: "Dass sein Label mittlerweile gut läuft, liegt nicht zuletzt auch daran, dass Will Saul einen Abschluss in
Wirtschaftswissenschaften hat. Mit einem fertigen Businessplan ist Simple Records jedoch nicht an den Start gegangen. 'Das hat sich organisch entwickelt', beschreibt er sein Geschäftsmodell. Die ersten zehn Veröffentlichungen über musste er erst einmal lernen,
kein Geld zu verlieren und die richtige Balance zu finden zwischen dem, was ihm gefällt, und dem, was den Verkauf fördert... Labels wie Simple und Aus operieren auf wackligem Gelände. 'Wir hatten Glück mit unserer fünften Platte. Ohne diesen Erfolg wäre mit dem Label
Schluss gewesen.'"
Weitere Artikel:
taz-Autor
Detlef Kuhlbrodt ist gerade auf Lesereise mit seinem
Buch "Morgens leicht, später laut" - wie es in Marburg war,
berichtet er hier. (Und in der Berlin-Kultur
erzählt Jan Süselbeck aus Zuhörerperspektive.)
In der
zweiten taz erinnert Uwe Soukup an den sich zum 40. Mal jährenden Freispruch von Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras, der den Studenten
Benno Ohnesorg durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet hatte. Mit dem Outing von
Anne Will und
Miriam Meckel ist die Angelegenheit für die beiden erledigt: "Und das ist auch gut jetzt",
findet Jan Feddersen.
Besprochen werden
Marjane Satrapis und Vincent Paronnauds
Verfilmung von Satrapis gleichnamigem Comicroman
"Persepolis" und der von Johannes Ullmaier herausgegebene Band "Schicht!
Arbeitsreportagen für die Endzeit" (mehr in unserer
Bücherschau des Tages heute ab 14 Uhr).
Und hier
Tom.
FAZ, 21.11.2007
Wie sehr die
chinesische Gesellschaft derzeit umgekrempelt wird, zeigt sich, wie Mark Siemons meint, nicht zuletzt an der jetzt erwachsenen ersten Generation der
Ein-Kind-Politik-Einzelkinder: "Die Einzelkind-Generation der in den Achtzigern und danach Geborenen ist in China zum beliebten Debattenthema geworden, zum Orakel, was aus der Gesellschaft als Ganzer werden mag. Es ist üblich, sie als selbstsüchtig,
materialistisch und verantwortungslos zu bezeichnen. Sie selbst beschreibt sich als konfus und gestresst und gibt zu, dass der Respekt vor Älteren abgenommen habe. Von den jungen Erfolgreichen verbringen immer mehr das chinesische Neujahrsfest nicht mehr, wie es seit je üblich war, im Kreis der Familie, sondern sie fliegen
nach Thailand in den Urlaub. Einzelkinder-Paare dürfen heute in mehreren Städten ein zweites Kind bekommen; doch Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit von ihnen (in Peking: 52 Prozent) das schon gar nicht mehr will, weil es
zu teuer sei."
Weitere Artikel: In der Glosse
beschäftigt sich Niklas Maak mit dem Hype um den Maler
Daniel Richter, der jetzt eine von ihm inkognito Porträtierte glücklich gemacht hat. Florian Balke hat einen Auftritt des litauischen
Dichters Tomas Venclova in Frankfurt erlebt. Paul Ingendaay stellt einen Dokumentarfilm des Regisseurs Günter Schwaiger vor, in dem dieser den seit fünfzig Jahren in Madrid lebenden ehemaligen
SS-Obersturmbannführer Paul Hafner porträtiert. Joseph Croitoru hat die erste Ausgabe der neuen Zeitschrift
Sedek gelesen, in der Israelis und Palästinenser auf Hebräisch und Englisch über die "Nakba", das "
palästinensische Leid von Flucht, Vertreibung von 1948 und die Folgen" berichten. Eberhard Schockenhoff,
Moraltheologe und Mitglied des Nationalen Ethikrats, macht sich, wie es seines Amtes ist, moraltheologische Gedanken über das
Embryonenschutzgesetz.
In
Oxford gibt es, wie Gina Thomas meldet, Ärger, weil zu einer universitären Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit der rechtsextreme Historiker
David Irving eingeladen wurde. Julia Voss unterhält sich mit Hortensia Völckers über
Provenienzforschung. Andreas Rossmann hat sich anlässlich des verhinderten (oder jedenfalls ausgebliebenen)
Amoklaufs von Köln an anderen Schulen der Stadt
umgesehen und nach ihren Präventionsmaßnahmen gefragt. Jonas Beyer porträtiert den
Zeithistoriker Karl Dietrich Bracher, der nach dreißig Jahren in diesem Amt nun nicht mehr der Herausgeber der "Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte" ist.
Auf der
Medienseite berichtet Michael Hanfeld von einem Frankfurter Auftritt von
Henryk M. Broder, bei dem dieser nicht nur, aber auch mit
Frank-Walter Steinmeier ins Gericht ging, weil der die Wahrheit über seinen Gesangskumpan
Muhabbet verdränge. Muhabbet soll die Ermordung Theo van Goghs gerechtfertigt haben.
Besprochen werden Cristian Mungius
Goldener-Palmen-Gewinner "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage", eine Wiener Inszenierung von Joseph Haydns Oper "Orlando Paladino", dirigiert von
Nikolaus Harnoncourt, Marco Arturo Morellis Inszenierung von
Richard Strauss' "Rosenkavalier" in Hamburg,
Ray Barras Karlsruher "Carmen"-Choreografie,
Grzegorz Jarzynas Inszenierung von James Goldmans Stück "Ein Löwe im Winter" am Wiener Burgtheater, zwei
Felix-Vallotton-Ausstellungen in
Zürich und
Winterthur, das Computerspiel
"Fifa 08" und Bücher, darunter
Andrej Kurkows Erzählungsband "Herbstfeuer" (mehr in unserer
Bücherschau des Tages heute ab 14 Uhr).
SZ, 21.11.2007
Sonja Margolina porträtiert mit
Alexej Iwanow,
Igor Sachnowskij und
Olga Slawnikowa eine neue russische Literatur-Generation aus dem Ural: "Dass ausgerechnet der
steinige Ural nach einem Jahrzehnt der Wirren zur Geburtstätte großer zeitgenössischer Prosa wird, ist kein Zufall. Die
sowjetischen Waffenschmieden beschäftigten die wissenschaftlich-technische Intelligenz aus der ganzen Sowjetunion. Ihre begabten und risikofreudigen Kinder gingen ihre eigenen Wege und profitierten dabei vom postsowjetischen Chaos und dem unverwechselbaren Genius Loci: dem Sog und Zauber der in den
Tiefen der Berge verborgenen Schätze. Gerade in den neunziger Jahren, als die staatliche Kontrolle nicht mehr funktionierte, erreichte das Edelsteinfieber ein ungeahntes Ausmaß und die alte Mythologie des Ural lebte wieder auf. Wie nur wenige Orte im weiten Land erwies sich der Ural mit seinem harschen Klima, mit den sozialen und ökologischen Problemen, mit pauperisierten Unterschichten und kriminellen Oberschichten als eine
wahre Fundgrube für die schriftstellerische Imagination."
Weiteres: Jens-Christian Rabe räsoniert anlässlich des heute von immerhin von einem Sender begangenen dritten
No Music Day in England, an dem keinerlei Musik gehört oder gespielt werden soll, über die Dialektik von
Lärm und Stille. Johan Schloemann entlarvt die
deutschen National-Projekte - Akademie, Bibliothek etc. - als reinen Etikettenschwindel. Günter Kowa stellt das Projekt eines neuen
Konsumpalasts für Leipzig vor. Stefan Koldehoff informiert über das Ende der Zusammenarbeit zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Remagener Arp-Verein.
Auf der Schallplattenseite
beschreibt David Grubbs die
Abwicklung der Musikkritik in den USA. Klaus Walter erklärt, was es mit der Club-Musikrichtung
Dubstep auf sich hat. Im Interview erläutert der Ambient-Pop-Sänger
Takashi Wada, wann er japanisch und wann er englische Songs schreibt. Vorgestellt werden CDs von
Dirty Projectors,
Little Brother und Einspielungen des Labels
D?autres cordes.
Besprochen werden außerdem
Marjane Satrapis Verfilmung ihres Comic-Beststellers
"Persepolis", eine
Matthew-Barney-Ausstellung in der Münchner
Sammlung Goetz, die Installation "Nowhere and Everywhere at the Same Time" des Choreografen
William Forsythe in Frankfurt, eine Ausstellung und Retrospektive von
Ulrike Ottinger im
Filmhaus Berlin und im Kino Arsenal und Bücher, darunter der Erzählband "Tod des Professors" von
William Trevor und ein Band über die Sammlungen des Hamburger Kupferstichkabinetts (mehr dazu in unserer
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).