Heute in den Feuilletons

"Noten von Eiche"

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.12.2007. In der Welt hasst die Dramatikerin Malgorzata Sikorska-Miszczuk linke westliche Intellektuelle und liebt Ulrike Meinhof. In der FR konstatiert der Physiker Klaus Michael Meyer-Abich einen bewussten Zynismus der Klimaoptimisten. Die SZ nickt und nennt Beispiele. In der NZZ prophezeit der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider die perfekte Orbitalisierung der Selbstbeobachtung.

Welt, 14.12.2007

Als Teenager in den achtziger Jahren hat Malgorzata Sikorska-Miszczuk die westlichen Intellektuellen "gehasst", die den Sozialismus unterstützten. Als Dramatikerin hat sie Ulrike Meinhof ein Stück gewidmet, "Der Tod des Eichhörnchenmenschen". Im Interview erklärt sie, warum der Eichhörnchenmensch, Symbol des "Durchschnittsmenschen", Meinhof liebt: "Er liebt sie, weil sie eine besondere Person ist. Sie ist einmalig. Alles was sie tut, ist grenzenlos. Sie wurde von Gott als eine spezielle limitierte Version des Menschen geschaffen. Sie erhält Geschenke direkt von ihm. Sie liebt nicht nur eine Person - sie liebt gleich die gesamte Menschheit. Sie hört nicht auf den Eichhörnchenmenschen - sie lauscht dem Sound des Deutschen. Sie ist wirklich besonders."

Weitere Artikel: Uta Baier beschreibt die Fensterbilder, die Neo Rauch für den Naumburger Dom gemalt hat. Eckhard Fuhr berichtet von der erfreulichen Entwicklung der Goethe-Institute. Michael Pilz schreibt zum Tod von Ike Turner. Peter Zander sah wenig begeistert die Neuverfilmung der "Zürcher Verlobung" fürs Fernsehen. Peter Dittmar wirft einen Blick in die Kulturgeschichte des Reis' - warum, ist uns nicht ganz klar, aber das beigestellte Foto aus dem Film "Bitterer Reis" mit Silvana Mangano und fünf Kolleginnen als Reisbäuerinnen ist prachtvoll. Manuel Brug porträtiert den Intendanten der New Yorker Met, Peter Gelb.

Besprochen werden CDs von Lupe Fiasco und Us5, das Musical "Weintraubs Jazz Odyssee" in der Neuköllner Oper und John Neumeiers Choreografie zu Bachs Weihnachts-Oratorium.

Die Forumsseite hat Ayaan Hirsi Alis Kommentar aus der New York Times übernommen, der fragt, wo die Stimmen der "gemäßigten Muslime" waren, als in Saudi Arabien eine vergewaltigte 20-Jährige zu 6 Monaten Gefängnis und 200 Stockhieben verurteilt wurde: "Wie viele Muslime sind bereit, aufzustehen und im Fall des Mädchens von Katif zu sagen, dass diese Form von praktiziertem Recht erschreckend, brutal und bigott ist - und dass, ganz gleich, wer gesagt hat, es sei Recht, und vor wie langer Zeit dies gesagt wurde, so etwas nicht mehr geschehen dürfe?"

Ebenfalls im Forum fände es Björn Lomborg sinnvoller, mehr über den demografischen Wandel als über den Klimaschutz nachzudenken.

FR, 14.12.2007

Der Physiker und Philosoph Klaus Michael Meyer-Abich widerspricht im Interview mit Bernhard Pötter vehement jedem Klimaoptimismus. "Sehen Sie, es gibt bei uns einen unbewussten Zynismus. Wir tun nichts und hoffen im Stillen: Es wird schon nicht so schlimm kommen. Dann gibt es noch einen bewussten Zynismus: Der sagt, na gut, wir sind die Verursacher, aber auch die Gewinner, dann soll der Süden sehen, wo er bleibt. Ich glaube, dazu sind wir dann doch nicht in der Lage, die Leute eiskalt über die Klinge springen zu lassen. Wer möchte sonst noch in einen Spiegel blicken? Aber damit wir uns da nicht weiter etwas vormachen, brauchen wir eine öffentliche Debatte darüber, wie wir uns versündigen an der ganzen Welt und besonders an den Ländern der Dritten Welt, weil unsere Art, im Wohlstand zu leben, auf Kosten der anderen geht: auf Kosten der Natur, der Dritten Welt, der Zukunft. Aber das hieße dann, wir müssten anfangen, mal die Autos stehen zu lassen. Glauben Sie daran?"

Weiteres: Die Times mager bestreitet Christian Thomas mit Weihnachtsfeiern und Oliver Kahn. Besprochen werden die Ausstellung "The Painting of Modern Life" in der Londoner Hayward Gallery, Volker Schlöndorffs Film "Ulzhan - Das vergessene Licht" und Aurel Kolnais Essaysammlung "Ekel, Hochmut, Hass" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

TAZ, 14.12.2007

Ein im Netz nicht namentlich gekennzeichneter Text in der zweiten taz stellt zwei religiöse Renegaten vor: den Katholiken Herbert Steffen und den heute in Bamberg lehrenden Islamwissenschaftler Reza Hajatpour, der sich einst im iranischen Ghom zum Mullah ausbilden ließ: "An dem Tag, der sein letzter als Mullah sein soll, ist die Moschee berstend voll. Reza lässt nichts aus. Die Verlogenheit der islamischen Revolution, die Bespitzelung durch die Sittenpolizei, den Krieg mit dem Irak, der die Ärmsten sinnlos dahinrafft. Getuschel im Publikum, fassungslose Gesichter, dazwischen vereinzeltes Nicken. Die letzten Worte kann Reza nicht mehr sprechen. Mitten im Satz winkt ihn ein bärtiger, alter Mann hektisch aus der Moschee. Als die Glaubenswächter an die Tür seiner Mutter trommeln, sitzt er schon in einem Fluchtwagen nach Teheran, den Turban auf dem Sitz zusammengeknüllt."

Ekkehard Knörer entdeckt für den Kulturteil, dass der Bericht des amerikanischen Instituts CSIS zu den politischen Auswirkungen des Klimwandels auf Niccolo Macciavellis "Fürst" gründet. Clemens Niedenthal gratuliert dem Architekten Oscar Niemeyer zum hundertsten Geburtstag.

Besprechungen widmen sich Irene Langemanns Dokumentarfilm "Rubljovka - Straße zur Glückseligkeit" und drei aktuellen Weihnachtsalben.

Und Tom.

NZZ, 14.12.2007

Der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider prophezeit angesichts von Google und Virtual Earth ein "neues Zeitalter totaler optischer Raumbeherrschung": "Der vorletzte Schritt, der zur perfekten Orbitalisierung der Selbstbeobachtung führen wird, ist vollzogen. Der letzte Schritt wird die Real-Time-Sicht auf uns selbst sein." Das, befürchtet er, könne über die "Verschaltung der Real-Time-Satellitenbilder mit den unzähligen Überwachungskameras möglich sein, die sich einstweilen noch die Polizei vorbehält. Die Welt ist definitiv ein öffentlicher Überwachungsraum."

Weiteres: Jan-Aslak Stannies berichtet vom Editionsprojekt "Kalima" in Abu Dhabi, das die Übersetzung großer Werke der Weltliteratur ins Arabische fördert. "Heute werden in einem Jahr mehr Bücher ins Spanische übersetzt als in den letzten 1000 Jahren ins Arabische." Markus Ganz schreibt den Nachruf auf Ike Turner. Eine Meldung informiert uns, dass die 2008 zum dreißigsten Mal stattfindenden Solothurner Literaturtage mit dem Zurlaubenpreis der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr ausgezeichnet werden.

Besprochen werden eine Ausstellung im Jüdischen Museum der Schweiz über die jüdischen Landgemeinden des Aargau, das neue Heft der Zeitschrift Traverse zum Thema "Globalgeschichte", das Album "Versatile Heart" der britischen Folk-Rock-Sängerin Linda Thompson und ein Band mit Bernd Pfarrs "Sondermännern" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Auf den Medienseite betrachtet Peter Keller den zunehmenden, aber auch zunehmend unheimlichen Einfluss des amerikanischen Weinkritikers Robert Parker, dessen Bewertungen Weine wie den Chateau Latour 1982 aus dem Pauillac oder Chateau Petrus 2000 aus dem Pomerol preislich in schwindelerregende Höhen treibt: "Der große Erfolg von Parker hat noch weitere negative, nicht ungefährliche Folgen. Vor allem bei einem Teil der Erzeuger von Rotweinen wird der außenstehende Beobachter den Eindruck nicht los, die Winzer richteten den Stil ihrer Weine bewusst auf die Vorlieben des Kritikers Parker aus und vernachlässigten ihren eigenen Geschmack und den Weinstil des Anbaugebiets. Der Amerikaner bevorzugt fruchtbetonte, eher säurearme, reife, alkohollastige Weine mit reichlich Noten von Eiche."

Peter Lohri bemerkt zudem, dass kulinarische Themen immer beliebter werden. "ras." berichtet vom Boom der Lifestyle-Beilagen.

SZ, 14.12.2007

Zum Abschluss der Klimakonferenz in Bali schwimmt ein Eisberg oben auf dem Feuilleton. Darunter drei Beiträge. Stefan Kornelius erinnert die Konferenz an ein "mittelalterliches Marktspektakel". Gerhard Matzig glaubt, dass die USA uns im Geschäft mit dem Klima bald überholen könnten.

Und Patrick Illinger konstatiert klimatische Ermüdungserscheinungen. "Irgendwann ist jeder von dem Gerede genervt. Genau das passiert nun auch in Sachen Klimawandel. Nach den alarmierenden Berichten des Weltklimarats IPCC im Frühjahr dieses Jahres schwappte zunächst eine Welle von eifrigem Aktionismus über Deutschland. Inzwischen ist eine - wahrscheinlich massenpsychologisch erklärbare - Rückströmung erkennbar. Der Begriff von der CO2isierung macht die Runde, der Herausgeber einer großen deutschen Wochenzeitung spricht von 'Klimatismus' in Anlehnung an die anderen schrecklichen Ismen dieser Welt, und Beiträge illustrer Profi-Optimisten, die den Klimawandel schlicht leugnen, werden sogar in akademisch angelegten Medien verbreitet."

Weitere Artikel: Andrian Kreye verabschiedet Ike Turner als "weltberühmten Finsterling", aber "verkanntes Genie". Jörg Königsdorf sucht nach Verantwortlichen für die Pleite mit den falschen Terrakottakriegern in der Ausstellung des Hamburger Völkerkundemuseums. Reinhard J. Brembeck meint, dass Kopien in der Kunst durchaus ihre Berechtigung haben. In Sachen Arp-Museum wird die CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragen, meldet Stefan Koldehoff. Hünter Kowa ist mit den von Neo Rauch gestalteten Kapellenfenster im Naumburger Dom überhaupt nicht zufrieden. Lothar Müller präsentiert den Siegerentwurf für die Neugestaltung der Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße in Berlin (mehr hier).

Besprochen werden Achim Freyers Inszenierung von Verdis "La Traviata" am Mannheimer Nationaltheater und Bücher, darunter Rudolf von Bitters Untersuchung der Rezeption von Louis Ferdinand Celines "Reise ans Ende der Nacht" im deutschsprachigen Raum sowie Eric-Emmanuel Schmitts Erzählband "Odette Toulemonde und andere Geschichten" (mehr in unserer Bücherschau des Tages).

FAZ, 14.12.2007

Dirk Schümer prophezeit das Ende des Staates Belgien: "Die flämischen Eliten, vor allem in der Wirtschaft, sind nicht mehr willens, die Wallonen weiter auszuhalten und dafür noch den kulturellen Hochmut der Frankophonen zu erdulden. Zwar spricht sich nur eine Minderheit von weniger als zwanzig Prozent der Belgier für eine sofortige Teilung aus, doch dürfte die Spaltung auf mittlere Sicht gar nicht mehr zu verhindern sein, wenn auch noch die letzten finanziellen Nabelschnüre gekappt werden."

Weiteres: In der Glosse kommentiert Lorenz Jäger eine Umfrage, die herausfand, dass die Menschen die Sprache der Tagesschau nicht verstehen. Gina Thomas stellt uns die britische Fälscherfamilie Greenhalghs vor, die nun durch einen blöden Rechtschreibfehler in einer assyrischen Keilschriftfälschung aufgeflogen ist. Josef Oehrlein erzählt uns, was Christoph Schlingensief in Brasilien so treibt. Andreas Kilb hat in Berlin einen Vortrag des umstrittenen italienischen Historikers Luciano Canfora über die Entstehung des römischen Weltreichs gehört. Mit Geoff Emerick, dem Toningenieur der Beatles, hat sich Claus Lochbihler unterhalten. Paul Ingendaay gerät sehr ins Schwärmen für die polnische Kontraltistin Ewa Podles, die er in einer der beiden in Madrid gezeigten Inszenierungen von Rossinis "Tancredi" gehört und gesehen hat - nämlich in der "Ferrara"-Version mit tragischem Ausgang. Kerstin Holm meldet, dass die russische Regierung das British Council auffordert, zwei seiner russischen Filialen zu schließen. Zum Tod des Rockmusikers Ike Turner, einst Tinas schlechtere Hälfte, schreibt Edo Reents. Auf der Medienseite hält Michael Hanfeld nach der Absage von Claus Kleber den Spiegel-Online-Chef Mathias Müller von Blumencron für den Favoriten im Rennen um die Stelle des Chefredakteurs.

Besprochen werden die Ausstellung "Skandale in Deutschland nach 1945" im Bonner Haus der Geschichte, Volker Schlöndorffs Film "Ulzhan, das vergessene Licht", ein Auftritt der Two Gallants in Frankfurt und Bücher, darunter Chimamanda Ngozi Adichies Roman "Die Hälfte der Sonne" und auf der Sachbuchseite Andre Gorz' "Brief an D." (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).