18.12.2007. In der Welt antwortet Tariq Ramadan auf Ayaan Hirsi Ali: Nur wer in beiden Welten gehört wird, hat Gewicht. Don Alphonso kommentiert in seiner Blogbar die Meldung, dass Spiegel Online Inhalte von Wikipedia übernehmen will. Die FAZ berichtet über den Pianisten Fazil Say, der die Türkei verlassen will. Außerdem bringen die Feuilletons die Wahrheit über die Managergehälter.
Welt, 18.12.2007
Ayaan Hirsi Ali hatte in einem Artikel in der
New York Times, den die
Welt übernahm,
Tariq Ramadan neulich direkt angesprochen und gefragt, wo angesichts einer vergewaltigen Frau, die in Saudi-Arabien zu Stockhieben verurteilt wurde, die Stimmen der
gemäßigten Muslime bleiben. Heute
übernimmt die
Welt die Antwort von
Tariq Ramadan, der en passant die saudiarabische Rechtspraxis verurteilt, aber auch konstatiert, dass Ayaan Hirsi Alis Stimme in der muslimischen Welt wirkungslos verhallt, und schließt: "Die Zukunft gehört jenen, die in der Lage sind, im Namen
gemeinsamer universeller Werte konsequent selbstkritisch zu sein, und nicht blind dem Konstrukt einer 'westlichen' oder 'islamischen' Zivilisation anhängen. Wo immer Glaube und Prinzipien betrogen werden, muss das mit der gleichen Energie angeprangert werden: jene Muslime, die Unschuldige ermorden, bemitleidenswerte Frauen zu Gefängnis (oder zum Tod) verurteilen, ebenso wie jene demokratischen
Gesellschaften des Westens, die unrechtmäßig in ein anderes Land einmarschieren oder foltern."
Im Feuilleton
berichtet Kai Luehrs-Kaiser über Finanzprobleme des
Friedrichstadtpalasts in Berlin, die die Existenz des Revuetheaters in Frage stellen. Peter Zander
unterhält sich mit
David Bennent, der nach langer Zeit wieder einen Film mit Volker Schlöndorff dreht. Uwe Wittstock
schreibt einen Kommentar zu einem Prozess, der die im Prozess um
Maxim Billers Roman "Esra" aufgeworfenen Rechtsfragen neu stellte. Gerhard Midding
hat nachgelassene Fragmente eines ambitionierten Films von
Henri Clouzot mit Romy Schneider aus dem Jahr 1964 gesehen, der aufgrund widriger Umstände nicht vollendet werden konnte. Sebastian Blottner
berichtet, dass die
Balkanmode in der Popmusik inzwischen auch in Großbritannien und den USA angekommen ist. "bas"
betrachtet ein Kirchenfenster von
Markus Lüpertz für die Kölner Pfarrkirche Sankt Andreas.
Besprochen werden ein
"Don Carlo" in Hannover das
Tanzstück "Brickland" von Constanza Macras an der Berliner Schaubühne und
Wagners "Ring" als Musical in Bonn.
FR, 18.12.2007
Christian Schlüter
hält die
hohen Managergehälter für ein ästhetisches Phänomen. Bei rein rationaler Betrachtung wäre alles klar. "Dann nämlich erweist sich der Erfolg ebenso wie das Versagen von Managern als betriebswirtschaftlich klar berechenbar; und da sie gemäß ihrer herausragenden Position und ihrer unternehmerischen Verantwortung im Falle des Scheiterns für die mitunter erheblichen Verluste zwar persönlich zu haften hätten, dies aber ihre persönlichen Möglichkeiten überschreiten kann, wäre hier ein
Haftungslimit geboten. Mit ihm würde allerdings auch eine Begrenzung der Vergütung im Erfolgsfall einhergehen. Das übrigens brächte den Vorteil, endlich wieder die
tatsächlich erbrachten Leistungen wertzuschätzen."
Weiteres: Arno Widmann
freut sich auf die Freischaltung der
Mitmachvariante der großangelegten
Religionsmonitor-Studie von Bertelsmann, deren Hauptergebnisse vorab
hier gemeldet werden. Ninette Krüger
gratuliert der
UFA zum 90. Geburtstag. Daniel Kothenschulte
beschwert sich in einer Times mager darüber, dass
Til Schweigers neuer Film
"Keinohrhasen" der Presse vorab nicht gezeigt wird.
Besprechungen widmen sich einer
Ausstellung zur "filmischen Wahrheit" im
Heidelberger Kunstverein sowie
Billy Childishs Album "Christmas 1979".
Aus den Blogs, 18.12.2007
Don Alphonso
kommentiert die
Meldung, dass
Spiegel Online und
Bertelsmann ein Wissensportal gründen wollen, in dem sie sich auch bei den Inhalten von
Wikipedia bedienen wollen: "Ich denke, das große Können von Wikipedia besteht darin, den Autoren das Gefühl zu vermitteln, dass alle zusammen etwas füreinander tun. Genau dieses Gefühl werden die deutschen Konzerne aufbrechen - Bertelsmann und Spiegel interessieren sich nach meiner Erfahrung
einen Dreck für funktionierende Sozialsysteme, ähnlich wie Google auch. Wenn Wikipedia nicht zwischen Abzocke einerseits und finanziellen Verlockungen andererseits der
große Verlierer sein will, sollten sie sich überlegen, ob sie ihr Lizenzsystem nicht grundlegend ändern."
NZZ, 18.12.2007
Joachim Güntner
berichtet, dass zwei Monate nach dem Verbot von Maxim Billers Roman "Esra" gestern in Leipzig ein Urteil erging, das die
Kunstfreiheit wieder stärkt: Es geht um die Autobiografie "Ein ganz gewöhnliches Leben" der Kunstlehrerin Lisl Urban, die ihr ehemaliger Geliebter, der SS-Mann Erich S. angefochten hatte, weil sie darin den fälschlichen Eindruck erwecke, er habe sie ernsthaft geliebt. Das Landgericht Leipzig entschied, dass dies nicht als
diffamierende Darstellung zu werten sei.
Weiteres: Hubertus Adam
preist die neue Innsbrucker
Hungerburgbahn der Architektin
Zaha Hadid, die ihn an "Gletscherformationen" denken lässt.
Besprochen werden die
Installation "Nuit et Jour" der Schweizer Künstlerin
Silvia Bächli im
Centre Georges Pompidou, Omar Porras
Inszenierung von Mozarts "Zauberflöte" im
Grand Theatre in Genf, eine DVD-Edition zur frühen Performance-Kunst "Performance Saga" sowie Bücher, darunter die von Khalid al-Maaly herausgegebene
Anthologie mit zeitgenössischer
irakischer Lyrik "Rückkehr aus dem Krieg", eine neue Übersetzung von Italo Svevos Debüt "Ein Leben" und Adam Thorpes
Roman "Taktverschiebung" (mehr dazu in unserer
Bücherschau ab 14 Uhr).
Berliner Zeitung, 18.12.2007
Gestern
berichtete die Berliner Zeitung ausführlich über das Leipziger Urteil in Sachen Autobiografie der
Lisl Urban. Heute
kommentiert Christian Esch: "So ist das mit Literatur: Sie verletzt auch da, wo sie mild sein will. Eike, erinnert sich Lisl Urban, haben einen zu
Herzen gehenden Aufsatz über Lessings 'Nathan den Weisen' geschrieben. Erich S. tadelt das: 'eventuell Verwechslung mit einem Lover-Vorgänger. Ein Nathan mir
völlig unbekannt, gehörte nicht zur Militär-Gepäckausrüstung'."
TAZ, 18.12.2007
Der evangelische
Journalist Jürgen Wandel
wirbt im Meinungsteil für eine enge Verzahnung von
Religion und Staat. "Auch wer religiös unmusikalisch ist, sollte daran interessiert sein, dass Religion eine öffentliche Angelegenheit bleibt und dass sie von der Gesellschaft kontrolliert wird, deren Instrument der demokratische Staat ist. Wer eine aufgeklärte, selbstkritische und
menschenfreundliche Religion fördern will, muss für eine enge Verbindung von Staat und Kirche eintreten. Ja, diese sollte eher noch intensiver werden als schwächer. Denn der demokratische Staat
zivilisiert die Religion, wenn zivilisiert eine Offenheit für die Werte der Aufklärung und der Demokratie bedeutet. Das zeigt sich gerade in der Schweiz."
Im Kulturteil
liest Wolfgang Ullrich
Judith Levines Protokoll ihres Konsumverweigerungs-Versuchs und kann sich nicht vorstellen, dass tatsächlich Arme derartiges gutheißen. Tobias Rapp
schreibt zum Tod des Diskothekenbetreibers und Labelchefs
Mel Cheren. Auf der Medienseite
kommentiert Helen Pidd die Maßnahme bei
gawker.com, Journalisten nach der Klickrate ihrer Artikel zu bezahlen.
Besprochen werden eine
Ausstellung über den amerikanischen Fluchthelfer
Varian Fry in der
Akademie der Künste in Berlin, die
Schau "Der archäologische Schrecken" mit Stücken von
Jonathan Meese und
Daniel Richter im Hamburger
Helms-Museum und der
Band "
Reggae in Deutschland" von Olaf Karnik und Helmut Philipps.
Und
Tom.
Aus den Radios, 18.12.2007
Schon wieder ein
Interview mit Frank Schirrmacher zu Print und Internet, diesmal im
Deutschlandradio. Schirrmacher hält hier fast so etwas wie ein Plädoyer für den
Perlentaucher, der sich ja stark auf die Qualitätspresse bezieht: "Es gibt neben dem Echtzeit-Leben etwas, was tatsächlich eine Art von Resümee, Innehalten,
Bestandsaufnahme geradezu erzwingt. Und dafür ist die gedruckte Zeitung, wie auch das Buch übrigens, das ja sozusagen noch einmal eine Abart ist, absolut erzwingend."
FAZ, 18.12.2007
Rainer Hermann kommentiert die Ankündigung des türkischen
Pianisten Fazil Say im SZ-Interview, seine Heimat zu verlassen - und zeichnet das Bild eines veränderten Landes: "Andere bekannte Gesichter der Türkei verließen ebenfalls ihr Land, wenn auch nur vorübergehend und aus anderem Grund. Der Literaturnobelpreisträger
Orhan Pamuk suchte in New York Zuflucht vor den nationalistischen Eiferern, und
Arat Dink will nicht, dass ihm dasselbe Schicksal widerfährt wie seinem Vater Hrant Dink, dem armenisch-türkischen Intellektuellen, der auf offener Straße ermordet wurde. Arat Dink hat sich deshalb in Brüssel niedergelassen. Er und Pamuk fürchten den nationalistischen Pöbel, Say hingegen misstraut der Regierung Erdogan. Aus Ankara rief Ahmet Say seinem Sohn daher am Wochenende zu: '
Gehe nicht fort, kämpfe stattdessen!'"
Weitere Artikel: Zur Eröffnung des
Willy-Brandt-Hauses in Lübeck
schreibt Martin Thoemmes. In der Glosse
schildert Jürg Altwegg
Nicolas Sarkozys abwechslungsreiche Woche mit Muammar al-Gaddafi und Carla Bruni. Volker Kauder wird von Andreas Püttmann kritisiert, weil er aus der Tatsache, dass die evangelische Kirche nichts gegen die
CDU-Stammzellbeschlüsse einzuwenden hat, schließt, sie seien dann wohl mit dem christlichen Glauben vereinbar. Melanie Mühl war dabei, als die Mitschüler des vor einigen Monat brutal
ermordeten Yvan in Stuttgart einen Theaterabend zu seinen Ehren veranstalteten. Sehr erfreut zeigt sich Julia Voss, dass
Adolph Menzels Gemälde "Die Bittschrift" (
Bild) ab sofort in der Berliner
Alten Nationalgalerie zu sehen sein wird. Johannes Schmitz hat die älteste
Pianofabrik Ibach in Schwelm bei Wuppertal besucht, die nun die Produktion einstellen muss. Hubert Spiegel gratulierte dem Verleger
Andreas J. Meyer zum Achtzigsten. Als eine, die über weibliche Leidenschaften zu schreiben versteht, stellt Lorenz Jäger die
Autorin Anna Rheinsberg vor. Auf der "Forschung-und-Lehre"-Seite staunt Tilmann Lahme darüber, dass nun ausgerechnet
Thomas Manns Werke als E-Book-Versionen im pdf-Format
angeboten werden.
Besprochen werden das neue Album der Pianisten
Yaara Tal und
Andreas Groethuysen,
Amanda Millers in Köln gezeigte Choreografie "Episodes", der von Thomas Heinamenn inszenierte Film
"Vorne ist verdammt weit weg" mit dem Kabarettisten Frank-Markus Barwasser, die Uraufführung von
Christoph Nußbaumeders Stück "Jetzt und in Ewigkeit" in Mannheim und Bücher, darunter Mordecai Richlers Roman "Die Lehrjahre des Duddy Kravitz" (mehr dazu in der
Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
SZ, 18.12.2007
"Seit wann wird denn ein Vorstand nach Stunden bezahlt? Auch bei einer
Julia Roberts wird es niemandem einfallen, den Stundenlohn auszurechnen." Nicht nur anlässlich dieses berühmten Ausspruchs von Wendelin Wiedeking konstatiert der Frankfurter
Soziologe Sighard Neckel das Verschwinden des Leistungsprinzips in der Wirtschaft. "Wer sich bisweilen auf Seminaren und Tagungen wirtschaftsnaher Verbände aufhält, kann dort erleben, dass Begriffe wie '
Leistungsgerechtigkeit' ausdrücklich abgelehnt werden. Wer 'Leistung' sagt, so heißt es, wolle Forderungen stellen. Stattdessen gelten 'Selbstverantwortung' und 'Eigeninitiative' als Leitbilder der Gegenwart. Für die Spitzenverdiener haben diese Leitbilder den Vorteil, weder zum Vergleich einzuladen noch dem finanziellen Markterfolg irgendeine Grenze zu setzen."
Weitere Artikel: Alex Rühle besichtigt die in einem arabischen Viertel von Jerusalem frisch ausgegrabenen Mauern, die die Archäologin
Eilat Mazar für die Reste des
David-Tempels hält (mehr
hier und
hier), und bemerkt, wie mit der Vergangenheit in Israel Politik gemacht wird.
Daniel Barenboim hat öffentlich Israel kritisiert, als einer der
Bratscher seines
West-Eastern Divan Orchestra an einer Grenzkontrolle festgesetzt wurde, berichtet Jörg Königsdorf. Susan Vahabzadeh macht den
Oscar dafür verantwortlich, dass sich derzeit "
Feelbad"-
Filme häufen. In einer "Zwischenzeit" erinnert sich Harald Eggebrecht an seine erste Friedenspfeife.
Auf der Medienseite berichtet Viola Schenz von einer Ankündigung des
Spiegels, ab dem Frühjahr sein komplettes Archiv seit 1947
kostenlos online zu stellen. Nur die aktuellen Ausgaben bleiben kostenpflichtig.
Besprochen werden eine "großartige" Schau zu
Piet Mondrian im
Museum Ludwig in Köln,
Matthias Hartmanns Inszenierung von Molieres Komödie "Tartuffe" am Zürcher Schauspielhaus,
Constanza Macras' Choreografie "Brickland" an der Berliner Schaubühne, das Album "The Lost Chords Find Paolo Fresu" der amerikanischen Pianistin
Carla Bley, Kirsten Sheridans Film
"Der Klang des Herzens" und Bücher wie Kurt Steinmanns Neuübertragung von Homers "
Odyssee" sowie die Studie "Tempel der Kunst" zur Entstehung des öffentlichen
Museums in Deutschland (mehr in unserer
Bücherschau des Tages).